Die Hierarchisierung der CNT im Spanischen Bürgerkrieg

Nach der Niederschlagung des Militärputsches am 19./20. Juli 1936 hatte der spanische Anarchismus eigentlich zum ersten Male in seiner Geschichte die Möglichkeit, das Ziel des libertären Kommunismus zu verwirklichen. Den spanischen Anarchisten gelang es in ihren Hochburgen Katalonien, Aragon und Levante ungefähr ein halbes Jahr lang, ihr Programm durchzusetzen - Andalusien war schon zu Beginn der militärischen Auseinandersetzung in die Hände Francos gefallen. Die Ersetzung des Heeres durch Milizen, die Föderation von neu gegründeten Industrie - und Landwirtschaftkollektiven waren die zentralen Punkte einer Revolution, die historisch einmalig war. Doch schon frühzeitig zeigten sich erhebliche Schwächen in der libertären Konzeption.

Die spontane Kollektivbewegung der anarchistischen Basis mit ihren unzähligen Dorf- und Lokalkomitees pochte weitgehend auf ihre Selbstständigkeit gegenüber den höheren gewerkschaftlichen Instanzen, vor allem dem Zentralkomitee der antifaschistischen Milizen. Dessen Mitglieder waren nie gewählt worden, weswegen man auch von einer Diktatur der Führungsorgane der Arbeiterorganisationen sprechen kann. Das Zentralkomitee der antifaschistischen Milizen beschränkte sich wie alle Machtorgane darauf, die Kollektivierungen an der Basis mit Verblüffung festzustellen um sich dann an die Spitze derselben zu stellen.

Sicherlich läßt sich der Niedergang des spanischen Anarchismus im Bürgerkrieg auch auf die externen Bedingungen wie Kriegsverluste, feindliches Ausland, Abhängigkeit von der Sowjetunion und den Kommunisten zurückführen, weit wichtiger waren allerdings die internen Auseinandersetzungen innerhalb der anarchistischen Gewerkschaft. Der Oligarchisierungsprozeß der CNT äußerte sich in der zunehmenden Entfremdung der Basis von der "Führung" und der Einführung basisunabhängiger Entscheidungsgremien.

Als die CNT am 26. September in die katalanische Regionalregierung eintrat und das Zentralkomitee der antifaschistischen Milizen aufgelöst wurde, war der erste Schritt des Anpassungsprozesses weg von der Forderung der Revolution hin zur "Politik des Machbaren" vollzogen. Der Eintritt trug zur Stärkung des Staates bei und führte nach und nach zur stillschweigenden Liquidierung der revolutionären Errungenschaften. Mit Hilfe der anarchistischen Minister ging der Regierungschef von Katalonien, Companys, an die Vernichtung der lokalen Komitees und der Milizen. Abad de Santillan erinnerte sich 1938: "Einfach als Regierende betrachtet, sind wir nicht besser als irgend jemand anderes, und wir haben schon bewiesen, daß unser Eingreifen in die Regierungen lediglich dem Zweck diente, ihre Stärke wieder herzustellen und in keiner Weise dazu, die Rechte der Arbeiter gegen ihre parasitären, ökonomischen Feinde zu schützen."

Die Entwicklung eines gewerkschaftlichen Bürokratismus sowie ein Ministerpostenhunger der CNT/FAI-Führung machte zunehmend eine Kontrolle durch die Basis unmöglich. Zwischen dem 20. Juli 1936 und dem November 1937 fanden im republikanischen Spanien 17 Nationalversammlungen, Dutzende von Bezirks- und Lokalversammlungen und mehrere Regionalversammlungen der CNT statt. Doch wurden diese Kongresse mehr und mehr von den Führungsgruppen in der CNT beherrscht. Wesentliche Einschnitte in der Zentralisierung der CNT waren: ab August 1936 fanden die Versammlungen im Geheimen statt, der Führungsriege (Minister) wurde immer mehr Redezeit gewährt, und gegen Ende des Jahres 1936 besaßen die CNT-Nationalkomitee-Mitglieder die Möglichkeit der Intervention gegen die gefaßten Beschlüsse, also eine Art Vetorecht, was sämtliche Versammlungen für die Basis eigentlich absurd machte.

Nun legte das Nationalkomitee auf den Nationalversammlungen im voraus die Tagesordnung fest und durchbrach damit eine alte basisdemokratische CNT-Tradition, welche die Bestimmung der Tagesordnung durch Initiativen und Anträge der Basis vorsah. Da innerhalb der CNT Spione vermutet wurden, waren die 110 Rundschreiben des Nationalkomitees an die Regionalkomitees der Geheimhaltung unterworfen.

Selbst die Hüterin der reinen anarchistischen Lehre in Spanien, die FAI, überprüfte schon im Oktober 1936 ihren Aufbau und betonte, daß der Übergang von der Illegalität in die Legalität eine Neustrukturierung notwendig machen würde. Auf dem Valencia-Plenum der FAI vom 4.-7. Juli 1937 wurde denn auch folgerichtig das Ende der klassischen FAI-Struktur beschlossen, obwohl sich erst im Februar des gleichen Jahres die Regionalföderationen der FAI für die Beibehaltung der traditionellen Organisationsform ausgesprochen hatten. Die Kritik an der alten Organisationsform stützte sich vor allem auf den Mangel an eigenständiger Politik gegenüber der CNT, auf den mangelnden Überblick im Staate (wachsende kommunistische Provokationen wie Mai-Ereignisse) und die Vernachlässigung der Organisierung der Milizen. Die locker zusammengeschlossenen Affinitätsgruppen wurden durch straff geführte und zentral kontrollierte Ortsgruppen ersetzt. Von nun an mußte jedes FAI-Mitglied der Regierungsbeteiligung der Anarchisten vom November 1936 nachträglich zustimmen und mindestens ein halbes Jahr Probezeit absolvieren. Die Unterwerfung eines jeden Mitglieds unter die Beschlüsse der regelmäßig tagenden Versammlungen der FAI wurde zur Pflicht. Nun sollte das Peninsulare-Komitee der FAI durch Delegationen der regionalen FAI-Föderationen gebildet werden, nicht mehr wie früher durch die Lokalföderation der anarchistischen Ortsgruppen. Die Organisationszentrale der FAI wollte durch einen straff geführten, jederzeit überschaubaren und kontrollierbaren Apparat ihre Autorität behaupten.

Die CNT errichtete nach ihrem erzwungenen Austritt aus den Regierungen die "Comisiones Asesoras Politicas" (CAP), politische Hilfskomissionen, die ab Mitte 1937 die politischen und demokratischen Entscheidungsprozesse innerhalb der CNT fast zum Erliegen kommen ließen. Die CAP sollte ursprünglich die führenden Mitglieder in allen Fragen beraten und den Kontakt zu anderen politischen Gruppierungen herstellen. Ihre Bedeutung ließ sie jedoch schnell zu einer Art Politbüro werden, das alle wesentlichen Entscheidungen innerhalb der CNT traf. Die CAP`s organisierten sich auf nationaler, regionaler und lokaler Ebene und waren die endgültige Abkehr der CNT vom basisdemokratischen Prinzip.

Neben der organisatorischen vollzog sich auch eine programmatische Anpassung der CNT an das Volksfrontlager. Auf dem "Erweiterten Nationalen Wirtschaftsplenum" der CNT im Januar 1938 beschäftigten die Delegierten sich vor allem mit dem Problem der Effektivierung der Wirtschaft. Die Wandlung vom libertären zum staatsdirigierten Wirtschaftsaufbau war sicherlich auch das Ergebnis der Unausweichlichkeit der wirtschaftlichen Zentralisierung und Planung in Kriegszeiten. Gleichzeitig wurde auf dem Kongreß aber auch die Ausdehnung autoritärer Organisationsstrukturen deutlich. Zum ersten Male in der Geschichte nationaler Kongresse der CNT erfolgten die Beschlüsse einstimmig. Dies war einmal zurückzuführen auf die Intervention des Nationalkomitees auf die Diskussion und seine bereits vorgefertigte Resolution zu den Tagesordnungspunkten - Enthaltungen waren nicht mehr möglich. Zum anderen spielt hier auch die Änderung des Delegiertenschlüssels eine Rolle, wobei kleineren Föderationen die Einflußmöglichkeit auf den Lauf des Kongresses weitgehend genommen wurde. Die Beeinflußung von Beschlüssen und Meinungen kam auch in den Formulierungen des Kongresses zum Pressewesen zum Vorschein, die besagten, daß die Veröffentlichungen der Industrieföderationen keine Informationen über militärische Aspekte und sonstige politische oder gewerkschaftliche Angelegenheiten enthalten sollen. Von nun an durften sich die Industrieföderationen nur noch um ökonomische Belange kümmern. Der Kongreß lieferte auch gleich die Begründung für diese Entscheidung mit: es gehe darum, endlich die Meinungsverschiedenheiten innerhalb der anarchistischen Bewegung zu unterbinden und eine Desorientierung durch die bisherige Meinungsvielfalt zukünftig zu verhindern, auf Homogenität käme es nun an. Auf wirtschaftlichem Gebiet sollte der Leistungslohn an die Stelle des Familienlohns treten, von der Abschaffung des Geldes war selbstverständlich nicht mehr die Rede. Ein neu geschaffenes Arbeitsbuch sollte die Leistungen eines jeden Arbeiters aufzeichnen. Arbeitsunwillige sollten durch staatliche Arbeitsinspektoren kontrolliert und überführt werden. Die bisherigen Industrie- und Agrarräte wurden einem zentralen Wirtschaftsrat untergeordnet, die Mitarbeit in Banken und Versicherungen war im Gespräch.

Die "Umarmung von Marx und Bakunin", der Allianzpakt von UGT und CNT im März 1938, besiegelte endgültig das Ende der revolutionären Politik der CNT/FAI. Bestätigt wurde dies mit dem erneuten Beitritt der CNT Kataloniens in die Volksfront. Die Entwürfe der CNT zum Allianzpakt unterschieden sich nicht wesentlich von denen der UGT mit den zentralen Forderungen: Verteidigung der Demokratie, Respektierung des bäuerlichen Kleineigentums und der staatlich kontrollierten Kollektiven sowie Stärkung des Volksheeres. Nun änderte sich auch die Haltung der Anarchisten zur Regierung Negrin, die anfänglich vehement abgelehnt worden war. Im April 1938 trat die CNT mit Segundo Blanco als Minister für Unterricht und Gesundheit in die zweite Regierung Negrin ein und akzeptierte dessen 13-Punkte Programm, welches eine Zusammenfassung der nichtrevolutionären Volksfrontprogrammatik darstellte. Die FAI schrieb dazu 1938: "Entgegen unserer ablehnenden Haltung der Vergangenheit ist es Pflicht aller Anarchisten, in all jenen öffentlichen Institutionen mitzuwirken, die dazu beitragen können, die neuen Verhältnisse zu befestigen und voranzutreiben."

Die letzten Schritte zur Selbstzerstörung der anarchistischen Bewegung durch die Abschaffung anarchistischer Grundsätze wurde mit der Gründung der "Freiheitlichen Spanischen Bewegung" (MLE) eingeleitet. Der Zusammenschluß der anarchistischen Organisationen FAI/CNT/JJLL bedeutete den Höhepunkt einer Politisierungs- und Zentralisierungstendenz und die endgültige Abkehr von autonomen basisdemokratischen Einzelföderationen, da das neugegründete Exekutivkomitee den Ausschluß ganzer Gewerkschaftsföderationen beschließen konnte. Das Exekutivkomitee war ein politisches Führungs-, kein Koordinationsgremium. Der unmittelbare Anlaß der Zusammenfassung der anarchistischen Organisationen war der Versuch des Justizministers Irujo, die anarchistische Organisation als illegal zu erklären und damit von den Volksgerichtshöfen auszuschließen. Dann wäre das Übergewicht der Kommunisten erdrückend gewesen. Die FAI als politischer Repräsentant der MLE versuchte sogar, die CNT als nichtanarchistische Gewerkschaft darzustellen, um zu mehr Zulauf zu kommen. Nur die Haltung zahlreicher, vor allem katalanischer Gruppierungen, verhinderte im Oktober 1938 die Gründung einer libertär-sozialistischen Partei.

Aus Berufsrevolutionären waren Minister, aus Untergrundkämpfern Generäle, aus Militanten Verwaltungsspezialisten und aus Staatsverächtern Staatsanhänger geworden.


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Camillo Berneri: Achtung - Scharfe Kurve!

1. Ich werde nicht wie gewisse Leute sagen: "Schweigen kann ich nicht!". Nein: was mich betrifft, will ich sprechen. Das soll und darf ich im Namen dieser Selbstkritik, die das Grundwesen jeder Bewegung bzw. Partei ist, die darum besorgt ist, ihre eigene Natur zu behalten und ihre eigene historische Aufgabe zu erfüllen. Da ich überzeugt bin, daß die spanische Revolution einer gefährlichen Kurve überstürzt entgegeneilt, greife ich zu meiner Feder wie ich zu einer Pistole bzw. einem Gewehr greifen würde - mit der gleichen Entschlossenheit aber auch mit der gleichen Grausamkeit. Es sei mir also ein Stil erlaubt, welcher zu der Kriegsstimmung, in der ich lebe, paßt - der Stil eines losschießenden MGs.

2. Die militärische Lage hat sich nicht verbessert. Aus folgenden Hauptgründen: Waffen- und Munitionsmangel oder -knappheit, Fehlen eines einheitlichen Kommandos, allgemeine Minderwertigkeit der Befehlshaber, Kapitulationshaltung der Zentralregierung, Dualismus und Antagonismus zwischen Madrid und Barcelona. Es kommt klar zum Vorschein, daß jetzt von einem Stellungskrieg zu einem Bewegungskrieg übergegangen werden muß, in dem die Offensive nach einem breiten und festen Gesamtplan entfesselt wird. Von nun an ist die Zeit gegen uns. Das gesamte Kriegsverfahren muß unbedingt beschleunigt werden, damit über die Stufe des bloßen Krieges hinaus mit der umfangreicheren und tieferen der Sozialen Revolution angefangen werden kann.

3. Der Krieg muß überwunden werden; das wird aber noch nicht erreicht, indem man das Problem auf die "bloß militärischen" Bedingungen des Sieges beschränkt. Vor allem müssen dagegen seine "politisch-sozialen" Bedingungen ins Auge gefaßt werden. Da der Bürgerkrieg in Spanien ein internationaler Konflikt ist, muß das Problem der revolutionären Aktion in Zusammenhang mit dem Krieg auch auf internationaler Ebene gestellt werden und der spanische Faschismus an seinen wunden Stellen - also Marokko und Portugal - unerbittlich getroffen werden. Bisher hat die quälende Sorge um das Kriegsmaterial es nicht erlaubt, einen Aktionsplan in die Tat umzusetzen, dessen zeitgemäße und geschickte Durchführung den faschistischen Putsch hätte scheitern lassen können. Die als Generäle amtierenden Anarchisten würden gut tun, sich an ihre eigenen Erfahrungen als Revolutionäre zu erinnern.

4. Wenn die Madrider CNT erklärt, daß "die Regierung in Madrid es nicht verstehe, den Krieg zu führen", stellt sich damit unvermeidlich das Problem nicht nur des Eingriffs der CNT in die Kriegsführung, sondern auch der Bedingungen und der Formen eines solchen Eingriffs. Es handelt sich dabei nicht um übermenschliche Reformen, sondern bloß um eine umfangreiche, tiefe und schnelle Reform der Führungskader und der Verbindungsorgane bzw. Mittel zwischen den verschiedenen Kolonnen. Die Militarisierung der Milizen ist keine Lösung bloßer technischer Art und es ist ein politischer Irrtum, sie friedlich angenommen zu haben, ohne Absichten aufzuklären, unklare Punkte zu erläutern und ohne Hauptlinien diskutiert zu haben. Der "Kolonnengeist" und die Verwechslung zwischen der Macht der politischen Kontrolle und der des militärischen Kommandos mögen den Erlaß der katalanischen Generalität zum Teil rechtfertigen, aber ein solcher Erlaß führt auf keinen Fall weiter auf dem Weg zur Lösung der lebenswichtigen Fragen eines militärischen Sieges der Revolution.

5. Eine Lösung des Problems der Kriegsbedürfnisse kann erst gefunden werden, wenn die Frage der spanischen Politik selbst gelöst worden ist. Der Finanzrat Kataloniens konnte sagen: "Wir hatten eine Komission nach Madrid geschickt, um die Regierung um einen Kredit von 300 Mio. Franken für den Kauf von Kriegsmaterial zu bitten. Als Garantie hatten wir 1 Milliarde Peseten in Rentenbriefen angeboten, die zu unseren Sparkassen gehörten und in der Bank von Spanien deponiert waren. All das ist abgelehnt worden." ("Solidaridad Obrera" vom 29.9.)

Madrid gibt sich nicht damit zufrieden, zu herrschen - es will noch dazu regieren. Insgesamt steht die spanische Regierung der sozialen Revolution genauso feindlich gegenüber wie dem monarchistischen und klerikalen Faschismus. Was Madrid wünscht, ist die Rückkehr zur Legalität und nichts anderes. Katalonien zu bewaffnen und zu finanzieren - das hieße für Madrid, Kolonnen zu bewaffnen, die die Revolution an der Spitze ihrer Bajonette mittragen und die neue egalitäre Wirtschaft versorgen. Wenn wir uns also an die Madrider Regierung wenden, müssen wir sie vor die Wahl zwischen der Niederlage im Krieg oder dem Sieg der Revolution stellen.

6. Da es völlig klar ist, daß die Madrider Regierung weiter eine "Kriegspolitik" treiben wird, die ihr die politische Vormachtstellung sichern und zugleich die Entwicklung der sozialen Revolution eindämmen soll; daß zudem die KP - den Anweisungen aus Moskau folgend - dazu neigt, zur Fremdenlegion der Demokratie und des spanischen Liberalismus zu werden und die spanische Sozialdemokratie (oder wenigstens ihre Führungskader) Revolutionäre a la Largo Caballero sind, muß unsere Presse von dem unheilvollen Geist der "Heiligen Allianz", der die politische Kritik schließlich bis zu einem verschwindend kleinen Minimum eingeschränkt hat, zumindest entgiftet werden - und das ohne mit einem Krieg bzw. einem "Marsch auf Madrid" zu drohen, sogar ohne sich in eine Polemik mit den Kommunisten und den Sozialisten einzulassen und die Festigkeit eines Bündnisses zwischen CNT und der UGT anzugreifen. Indem sie dagegen die bolschewistische Regierung in der UDSSR hochpreist, erreicht "Solidaridad Obrera" - das sei nebenbei gesagt - den höchsten Grad an politischer Naivität.

7. Die Säuberung der inneren Front wird von nun an durch die politische und rechtliche "Normalisierung" des Kampfes gegen den Faschismus gefesselt. Durch die Tatsache, daß CNT- und FAI-Elemente in die Polizeiorgane eingetreten sind, wird die Autonomie nicht genügend ausgeglichen, die Schnelligkeit und Diskretion der Dienste und Aufträge ermöglicht hätte. Dazu muß noch hinzugefügt werden, daß gewisse unsinnige Bestimmungen sowie bürokratischer Formkram, die von den CNT- und FAI-Vertretern hätten abgeschafft werden sollen, weiter bestehen und unheilvolle Folgen haben.

8. Die Auswahl des Personals in der Armee, im Krankenwesen und in den Büros ist sehr ungenügend. Sie hätte derart vorgenommen werden sollen, daß die unfähigen und weniger sicheren Elemente sofort und in vernünftigem Verhältnis durch zwar fremde Elemente ersetzt werden, die dafür aber der Sache der spanischen Revolution treu sind, oder zumindest erprobte Antifaschisten. Das ist nicht einmal versucht worden.

Gleichfalls benutzt die CNT die Techniker ungenügend, die die Unfähigen und Verdächtigen heute ersetzen und morgen die Führungsschicht des libertären Kommunismus bilden könnten.

9. Seit einiger Zeit haben die CNT und die FAI eine Verzichthaltung der "Normalisierung" der spanischen Revolution gegenüber angenommen. "Das antifaschistische Spanien" hat dieses Phänomen mit viel Mut und Scharfsinn denunziert - ich will also nicht dabei verweilen. Zusammenfassend kann man sagen, daß die Abschaffung des Zentralkomitees der Milizen sowie die Beseitigung der Macht der Arbeiter- und Soldatenräte einen Anschlag auf die gewerkschaftliche Kontrolle der Milizen darstellen. Nicht ohne Grund also kann meiner Meinung nach die "Temps" erleichtert aufseufzen, indem sie feststellt, daß "die soziale Revolution in Katalonien immer gesetzmäßiger wird".

10. Der "Rat für Wirtschaft" ist im Grunde genommen nichts anderes als der durch die französische Regierung gebildete "Wirtschaftsrat". Er scheint mir den Ministerialismus der CNT und der FAI sogar durch seine praktische Anwendung nicht genügend ausgleichen zu können. Bedauerlich ist es außerdem, einen Fortschritt der Bolschewisierung innerhalb der CNT feststellen zu müssen, der durch die Tatsache zum Vorschein kommt, daß die Elemente der Basis immer weniger eine wachsame, aktive und unmittelbare Kontrolle über die Arbeit der Organisationsvertreter in den Regierungskomitees bzw. der Räte ausüben können. Man sollte einer Reihe von Kommissionen bilden, die durch die CNT und die FAI gewählt und dafür sorgen würden, das Werk unserer Vertreter im Kriegs- und Wirtschaftsrat zu erleichtern und nötigenfalls auch zu berichtigen. Das würde auch dazu notwendig sein, Kontrapunkte zwischen der persönlichen Arbeit dieser Vertreter und den Bedürfnissen bzw. Möglichkeiten der CNT-und FAI-Initiativen herzustellen.

11. Ich habe mich hier bemüht, die "jetzigen", den Notwendigkeiten des historischen Augenblicks innewohnenden Betrachtungen mit den "Tendenz"linien zu vereinbaren, die meines Erachtens jenen Notwendigkeiten nicht gegensätzlich sind. Ich schlage den Lotsen, die zwischen Klippen auf der Wasseroberfläche und auf reißenden Strömen schiffen, keine "gerade Linie" vor. Die Politik hat ihre eigenen Bedürfnisse und der historische Augenblick drängt den spanischen Anarchisten die Bedürfnisse einer Politik auf. Man muß aber der historischen Rolle gewachsen sein, die man zu übernehmen für nützlich gehalten hat. Andererseits ist es auch notwendig, die Tendenzlinien nicht grundlegend zu unterbrechen.

Die "Bedürfnisse" des Krieges, den "Willen" zur Revolution und die "Bestrebungen" des Anarchismus zu vereinbaren - das ist das Problem und es muß gelöst werden. Von seiner Lösung hängen der militärische Sieg des Antifaschismus ab, die Schaffung einer neuen Wirtschaft, die soziale Befreiung Spaniens und die Aufwertung der Theorie und der Praxis der Anarchisten - drei edle Dinge also, die jedes Opfer wert sind und einem die Pflicht auferlegen, den Mut zu haben, um das auszusprechen, was man denkt.

November 1936

Aus: H. Auweder / M. Schumann: A las barricadas. Triumph und Scheitern des Anarchismus im spanischen Bürgerkrieg. Trotzdem-Verlag, 1999. Digitalisiert von www.anarchismus.at mit freundlicher Genehmigung des Trotzdem-Verlags.


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