Eine katalonische Schule

Wir besuchen eine Schule in einem der Arbeiterviertel Barcelonas. Rings um das mächtige Gebäude sind Gärten, worin sich die Palmen im Winde wiegen. Zwischen den Gartenanlagen liegen die kleinen, abgezirkelten Spielplätze für die Kinder. Die Stilkunst der katalonischen Architekten hat im architektoni­schen Aufbau der Schule neue Linien gesucht und gefunden. In den Korrido­ren und Schulräumen flutet das Licht wie in einem Treibhause. Hier können sich die Kinder wirklich wohl fühlen. Die Bänke sind bereits von den schwarzköpfigen Kindern besetzt. Wir begrüssen den freundlichen Lehrer und bitten ihn, uns einige Fragen über das neue Schulwesen in Katalonien zu beantworten.

"Wir sehen, dass in den Klassen die beiden Geschlechter zusammensitzen und lernen. Denken Sie, dass dies für die geistige und moralische Entwicklung des Kindes gut und vorteilhaft ist?" Der Lehrer staunt ein wenig über diese Frage, aber als wir erklärten, dass man in Deutschland beispielsweise die Ge­schlechter in Schule und Schwimman­stalt, etc. streng voneinander getrennt halte, geht er lebhaft auf die Frage ein und erklärt: "Die Kinder sind doch auch in der Familie, auf der Strasse usw. zusammen. Durch eine künstliche Tren­nung in der Schule würden die Kinder nur geistig gehemmt".

"Ist durch die Einführung des obliga­torischen Unterrichts kein Mangel an Lehrkräften eingetreten?" "Katalonien hat ca. 200.000 Kinder zu unterrichten. Die kulturellen Abteilun­gen der Gewerkschaften und die Lehrer­gewerkschaft können mit Mühe und Not 4.000 Lehrer zur Verfügung stellen. Nicht infolge des obligatorischen Schul­unterrichts mangelt es in Katalonien an Lehrpersonen; sondern durch den unglücklichen Krieg, den uns die Faschi­sten aufzwingen, werden uns viele und gute pädagogische Kräfte entzogen"...

"In wieviel Fächern werden die Kinder unterrichtet?" "Der Unterricht erstreckt sich auf die Grundfächer: Lesen, Schreiben, Rech­nen, Grammatik, usw. Wir machen Ausflüge, um die Kinder durch das Wan­dern und Spielen in die Naturwissen­schaft einzuführen"...

"Gibt die Schule dem Kinde einen de­mokratischen, patriotischen Unterricht oder sind die Lehrprinzipien auf inter­nationalen Humanismus aufgebaut?" Wir unterrichten die Kinder in der ka­talonischen und in der kastilischen Sprache, weil wir die Sitten und Gebräuche unserer Heimat lieben. Aber für die ethische Erziehung ziehen wir nicht die Heimatgrenzen. Bleibt doch auch die Solidarität, die unser Volk in seinem Abwehrkampf gegen den kin­dermordenden Faschismus erwiesen be­kommt, nicht auf unsere Grenzen beschränkt. Die internationale Solidari­tät der Arbeiterschaft und der demokra­tisch Denkenden weist uns daraufhin, den Kindern eine internationale humani­stische Erziehung zu geben."

"Hat das neue Schulwesen tatsächlich die Volksschulen zu "Universitäten des Volkes" umgewandelt?" "Unser Hauptgewicht legen wir auf eine stark ethische Erziehung gemäss den pädagogischen Grundlagen Franzisko Ferrers. Uns bleibt Franzisko Ferrer kein Name für Strassen und Denkmäler wie in gewissen Ländern, sondern wir setzen sein Werk fort. Durch die ethische Erziehung des Kindes in Ver­bindung mit einer rationalistischen Grundlage des Wissens kann sich das Kind zu einer Persönlichkeit entwickeln, die geeignet ist, sich selbst zu regieren. In erster Linie wollen wir den auf sich selbst gestellten Menschen, weil er der sozialste Mensch ist. Dies ist die beste Basis, um, falls Fähigkeiten und Interesse vorhanden sind, ein techni­sches oder wissenschaftliches Studium zu ergreifen"...

Unterdessen kommen noch einige schwarzköpfige Nachzügler. Freund­lich redet der Lehrer ihnen ins Gewis­sen, spricht zu ihnen über die Wichtig­keit der Schule. Keine Schläge wie in den Schulen Deutschlands! Es wäre das grösste Verbrechen, Kinder zu schla­gen. Wir wenden uns wieder zum Lehrer: "In Deutschland schaut man stark auf Pünktlichkeit, aber in Spanien hat man anscheinend Zeit im überfluss. Ist dies nicht ein Nachteil".

"Warum Nachteil? Unsere kulturelle Wirkung ist langsam, aber durchdrin­gend und mit der Zeit überzeugend. Die deutsche Erziehung will sich schnell durchsetzen, indem sie einen rein mechanischen, innerlich zerrissenen Menschen, der nur nach äusserlichkeiten hascht, schafft. Ausserdem ist unser Volk sehr intelligent und aufnahmefähig. Wenn es nötig ist und die Zeit und Umstände es erfordern, dann weiss unser Volk die Zeit sehr wohl zu schätzen und auszunutzen"...

Wir gehen nachdenklich aus der Schule und schauen uns nochmals das Schulgebäude an. Die Architektur des Baues, die Palmen, die Zitronen- und Orangenbäume, die duftenden Mimosen, — alles versetzt uns nach Arabien, dort wo der Mensch auch die Zeit im Überfluss besitzt, nach Arabien, das Spanien in einem blühenden, reichen Garten ver­wandelte und der industriellen Entwick­lung in Europa den Weg bahnte, und wir fühlen und wissen: Die höhere Kultur braucht Zeit, um sich durchzuset­zen, aber sie wird siegen wie China nach einigen Jahrzehnten die Horden Dschingis Chan besiegte und kultivierte.

Aus: Die Soziale Revolution Nr. 10, 1937. Digitalisiert von der Anarchistischen Bibliothek und Archiv Wien. Nachbearbeitet (Scanungenauigkeiten entfernt, ä zu ä, That zu Tat usw.) von www.anarchismus.at.


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