Keine Maskeraden! Aktionen!
In der deutschen Arbeiterbewegung war alles Maskerade. In der Veranstaltung von Aufmärschen war man Meister. Alles klappte wie beim Militär. An Fahnen, Transparenten, Uniformen fehlte es nicht. Eine Lustgartendemonstration der Berliner Kommunisten zum Beispiel war ein Meisterwerk von Organisationstechnik. Von den Sammelplätzen über die Durchmarschstrassen bis zur Aufstellung am Treffplatz war alles bis ins Kleinste vorbedacht. Die Arbeiter machten willig mit, es war eine glänzend disziplinierte Masse. Alles ging gut, nur — im Ernstfall klappte es nicht. Hitler kam, die deutschen Arbeiter wählten noch einmal, und alles war vorbei.
Von den katalonischen Anarchosyndikalisten hingegen war in Barcelona (zum Beispiel) überhaupt nichts zu sehen. Strassendemonstrationen fanden nicht statt, uniformiert gingen sie nicht, Sprechchöre, Fahnen usw. lehnten sie ab. Wenn zu den grossen Massenmeetings der CNT in Barcelona aufgerufen wurde, geschah das durch Anzeige in "Solidaridad Obrera" und einige wenige Plakate. Es gab keine Sammelplätze, keinen gemeinsamen Anmarsch von Betrieben oder Bezirken. Jeder Teilnehmer kam auf eigene Rechnung. Immerhin, es waren stets 40, 50, 80.000 Menschen da. In der riesigen Arena — keine Fahne, keine Kapelle, kein Sprechchor. Beifallsklatschen war verpönt. So ein Meeting — die ganze spanische anarchistische Bewegung — war die untheatralischste Angelegenheit der Welt. Aber als der Bürger am 19. Juli 1936 früh aus den Federn kroch, vom Donner der Kanonen und dem Knattern der Maschinengewehre geweckt, fand er die Stadt von den Arbeitern besetzt. Viva la CNT! Viva la FAI! Von diesen Rufen waren die Strassen erfüllt. CNT-FAI stand auf den Autos mit bewaffneten Arbeitern, die alle Strassen bewachten. Auch auf den Autos der Polizei. Alles, was auf äusseren Effekt und Mitgliederfang durch Theaterdonner hinauslief, lehnte die CNT stets ab — von der FAI garnicht erst zu reden, in die einzutreten überhaupt schwer war. Dieser Haltung blieb die Bewegung auch nach dem 19. Juli treu.
Dafür ein Beispiel: Unmittelbar nach der Niederschlagung des Putsches auf den Strassen Barcelonas gab der POUM eine Liste von Forderungen heraus: soundsoviel Prozent Lohnerhöhung, Mietsenkung, Arbeitszeitverkürzung usw. Die übrigen Linksorganisationen neigten diesen Forderungen zu, es wurde auch ein Dekret der Generalidad von Katalonien in diesem Sinne herausgebracht. Die CNT hingegen veröffentlichte eine Proklamation, in der, sinngemäss, gesagt wurde : "Wir lehnen die Aufstellung von Forderungen ab. Dies bleibe Organisationen überlassen, die Mitglieder fangen wollen. Wer wir sind, weiss das Proletariat. Wir fordern heute weder Lohnerhöhung noch kürzere Arbeitszeit. Wenn nötig, werden wir in der nächsten Zeit mehr arbeiten und für weniger Lohn als bisher."
Die CNT hatte klar vorausgesehen, was notwendig war. Sie hatte gekämpft solange sie bestand, solidarisches Füreinandereinstehen der Arbeiter war ihr Programm, und für die Erreichung ihrer Ziele hatte sie von den Arbeitern Opfer gefordert und unerhörte Opfer gebracht. Sie blieb sich auch in der Revolution treu. Später, nach dem 19. Juli, machten sich in der antifaschistiscnen Bewegung die politischen Parteien stärker bemerkbar. Es gab Demonstrationen, Fahnen, Musik. Die CNT-FAI ging mit, soweit sie es für propagandistisch unerlässlich hielt. Seit einigen Wochen aber nimmt die Tendenz zu Strassenmanifestationen usw. auch in Barcelona immer mehr zu. Die marxistischen Organisationen, besonders die Angestelltenverbände usw. veranstalten mitten in der Stadt Schau-Exerzieren, um ihre kriegerische Bereitschaft zu demonstrieren, unter Trommelwirbel werden Fahnen spazieren getragen usw. Gegen diese Tendenz wandte sich jetzt die anarchistische Jugend Barcelonas in einem Manifest, dem wir folgendes entnehmen.
Mehr Aktion und weniger Maskeraden!
"Keine Paraden mehr, keine Schaustellungen und ähnliches Theater! Wir haben genug von diesem merkwürdigen und ewigen Festefeiern im Hinterland, Genossen! Diese Bestrebungen nehmen Formen an wie im Karneval. Wir verlieren auf diese Weise langsam aber sicher die revolutionäre Physiognomie die charakteristisch sein sollte für ein Volk, das leidet, das kämpft und arbeitet, und das mit Erstaunen eine derartige pseudo-rote Hysterie sich ansieht. Raupentanks und moderne Flugzeuge, wie sie uns der Feind entgegenstellt, hält man nicht mit grossartigen Paraden auf; und durch die Strassen Barcelonas in Reih und Glied zu marschieren nützt garnichts.
Weniger Versprechungen und mehr Tatsachen! Mehr Lastautos mit Lebensmitteln für Madrid! Es ist ein Skandal, dass, während Madrid Hunger leidet, in Barcelona in den Vergnügungszentren und in den Luxusrestaurants die lukullischsten Gerichte und die "aristokratischsten" Aperitivs im Überfluss vorhanden sind zum Plaisir der alten und neuen Reichen, der schamlosen Bürokraten, die sich über die Kriegsökonomie kaltlächelnd hinwegsetzen!
Unsere Energien müssen sich auf wirksamere und schlagkräftigere Art durchsetzen. Deshalb hat die "Freiheitliche" Jugend einen umfassenden Plan für militärischen Vorbereitungsdienst für die Jugend organisiert; hier wird man der Jugend eine wirksame Vorbereitung geben für den Krieg und für die Revolution und für die Schaffung eines schlagkräftigen Reserveheeres im Hinterlande, das im Stande ist, jeder Eventualität die Stirn zu bieten. Wir werden deshalb weder am 14. ds. M. an dem "Ehren"-Tage für den unbekannten Soldaten teilnehmen, noch am 21., am sogenannten "Tag der Jugend", den man für dieses Datum vorbereitet. Und wir wenden uns an das Volk und sagen ihm, dass es derartige Zeitvergeudungen nicht mehr zugeben darf, die lediglich Partei-Politische Ziele haben.
Das Volk darf das alles nicht dulden, wenn es nicht will, dass dieses Übermass an politischem Rummel im Hinterlande sich in ein Sammelbecken für antirevolutionäre Strömungen verwandelt!
Das Regionalkomitee der freiheitlichen Jugend Kataloniens."
Aus: Die Soziale Revolution Nr. 10, 1937. Digitalisiert von der Anarchistischen Bibliothek und Archiv Wien. Nachbearbeitet (Scanungenauigkeiten entfernt, ae zu ä, That zu Tat usw.) von www.anarchismus.at.