Einige Gedanken über das derzeitige Wiederaufleben der Wobblies, über ihre aktuellen Kampagnen und ihre Rolle in der grundlegenden Erneuerung der Gewerkschaftsbewegung und im Wiederaufleben des Widerstands von ArbeiterInnen gegen die kapitalistische Ausbeutung. Von einem Organiser der Industrial Workers of the World, London / Übernommen von libcom.org (26. November 2012), übersetzt von einem IWW-Kollegen aus München
Mut und Kreativität in der Krise - wie es ein Organiser der Wobblies sieht
Die IWW betreibt momentan zwei vorrangige Kampagnen in London. Zum einen den Arbeitskampf bei John Lewis, der gerade eben einen bedeutenden Erfolg errungen hat. Mit der Androhung von Streiks haben die KollegInnen eine sofortige und rückwirkende Lohnerhöhung von neun Prozent gewonnen.
John Lewis zieht großes ethisches Kapital aus der Tatsache eine Kooperative zu sein in der sich alle "Partner" den Profit und die Leitung des Betriebes teilen. Aber die Cleaner arbeiten für eine Subkontraktfirma und sind von dieser Beteiligung ausgeschlossen (John Lewis macht das mit MML, die wiederum ICM unter Vertrag hat, die jetzt zur Compass Gruppe gehört). Sie verdienen den Mindestlohn, auch die Supervisoren erhalten nicht das Living Wage.
Früher in 2012 organisierte die IWW den allerersten Streik bei John Lewis: Cleaner in der Filiale in der Oxford Street gingen raus für das Living Wage und gegen Stellenstreichungen. Sie erreichten eine Ende der Stellenstreichungen und eine kleine Lohnerhöhung auf £6.72 p/h, was keinesfalls dem Living Wage entspricht, das sie brauchen und das ihnen zusteht. 100% der Cleaner und Supervisoren von vier anderen John Lewis Filialen, darunter das Hauptgeschäft in der Victoria Street und der Peter Jones Store am Sloane Square, haben sich mittlerweile der IWW angeschlossen. Wegen krasser Zunahme des Arbeitspensums haben sie sehr schlechte Arbeitsbedingungen, sie können nicht zuhause bleiben wenn sie das krank macht weil sie keine Lohnfortzahlung bekommen, und sie kämpfen mit dem Mindestlohn ums Überleben.
Zweitens die Kampagne im BMA House, dem Hauptquartier der British Medical Association. Die Cleaner sind hier angestellt bei einem Subkontraktor namens Interserve, einem bedeutenden multinationalen Unternehmen, und werden mit dem Mindestlohn bezahlt, der jetzt bei £6.19 p/h liegt. Ihr Ziel ist die Erkämpfung des Living Wage.
In den Medien und politischen Kreisen gab es viel Gerede als Boris Johnson (Bürgermeister von London) kürzlich das “London Living Wage” auf £8.55 p/h (£7.45 außerhalb Londons) festsetzte. [Das London Living Wage ist eine institutionalisierte aber freiwillige Marke des Mindestlohns, siehe http://www.livingwage.org.uk/employers, A.d.Ü.] In derselben Woche wurde bekannt gegeben, dass etwa fünf Millionen ArbeiterInnen (das sind ein Fünftel aller) nicht das “bare minimum necessary to live on” – das heißt das Living Wage verdienen.
Die Cleaner im BMA House haben sich mit dem Interserve-Management getroffen und ein Treffen mit dem BMA-Management verlangt (das abgesagt wurde) und haben mehrere Aufsehen erregende Kundgebungen vor dem BMA-Gebäude durchgeführt. Das brachte große Reaktionen hervor, darunter fantastische Unterstützung durch die Gewerkschaft GMB (Britain's General Union, die die BMA-Beschäftigten organisiert), und ebenso von Mitgliedern des Councils der BMA [etwas Ähnliches wie Personalrat].
Das Council der BMA tritt am 28. November zusammen und wir hoffen sehr, dass die gewerkschaftlich organisierten und relativ gutverdienenden Fachleute die schlecht bezahlten Reinigungskräfte in ihrem Haus unterstützen. Die Cleaner selber sind dabei die Gelduld zu verlieren. Mit derart geringen Löhnen ist es wirklich schwierig zu leben, sowohl praktisch was den Lebensstandard betrifft, wie emotional und moralisch in Bezug auf die damit ausgedrückte Zurücksetzung, und die KollegInnen sind entschlossen, jede notwendige Aktion zu ergreifen um an das Living Wage zu kommen.
Das sind nur zwei unserer laufenden Kampagnen; Cleaner aus der ganzen Metropole kommen zur IWW, mit mehreren Kampagnen in verschiedenen Stufen des Vorgehens. In letzter Zeit gab es einen sprunghafte Zunahme der Aktionen von Reinigungskräften in vielen verschiedenen Gewerkschaften, und Aktive der IWW unterstützen genauso diese Kämpfe, die von Gewerkschaften wie Unison, PCS, GMB, RMT und IWGB getragen werden. Die IWW arbeitet auch in anderen Sektoren wie Einzelhandel, Bars und Restaurants.
Viele Faktoren stehen hinter dieser Rebellion der Reinigungskräfte. Die Living Wage-Kampagnen gehen auf 2005 zurück, angestoßen von Zivilorganisationen wie Citizens UK und einigen Gewerkschaften mit dieser Art von geschickten Medien-Kampagnen, denen kaum jemand seine Zustimmung verweigern kann. Sogar dieses “it’s-good-for-business’”-Argument, nebenbei gesagt definitv nicht mein Hauptargument, macht es schwer sich auf sozialer oder moralischer Ebene gegen die Forderung nach einem Living Wage zu sperren. Das Living Wage ist nicht nur eine Ziffer, sondern mehr die Vorstellung von Würde bei der Arbeit als eine bestimmte Lohnrate. Mit der Forderung nach einem Lohn, von dem man einigermaßen anständig leben kann statt herumzukratzen sagen die KollegInnen: “wir haben soviel Recht auf ein vernünftiges Leben wie jeder andere Mensch”.
Wenn es ums Organisieren geht, liegt der Schlüssel oft darin, spezifische, praktikable und gewinnbare Forderungen zu finden um die herum sich eine Kampagne entwickeln kann und ebenso mit womöglich mehr vagen aber tief-empfundenen Wertvorstellungen von Würde und Gleichheit zu mobilisieren.
Es gab eine beträchtliche Anzahl von Erfolgen. In Zusammenhang mit einem politischen Zeitpunkt, in dem die Klasse der Unternehmer Amok läuft während die Arbeiterklasse nicht zum Kampf gerüstet ist, sind diese Siege ziemlich inspirierend. Den KollegInnen muss meistens nicht gesagt werden dass das Leben hart ist oder dass die Reichen sie bescheißen; Negatives war noch nie sehr motivierend. Sie brauchen eine bestimmte Hoffnung und die war lange spärlich gesät, weshalb die gewonnenen Arbeitskämpfe der Cleaner sehr anregend wirken können.
Und es inspiriert nicht nur die Reinigungskräfte. Ich glaube dass die romantische “David versus Goliath”-Geschichte einen ziemlichen Teil der Linken und der studentischen Bewegung anspricht. Es gab eine breite Unterstützung für die Cleaner, und das hilft immer dabei sich nicht allein auf weiter Flur zu fühlen.
Die Kämpfe der Cleaner sind dabei, die kapitalistische Logik auf den Kopf zu stellen. Die Ökonomie ist auf dem Hund, wir sind in einer Rezession, wir stecken alle miteinander da drin, die Zahlen gehen dieses Jahr nach unten – blah blah. Aber die große Mehrheit weiß, dass das aus der Perspektive der Arbeiterklasse gesehen Nonsens ist. Die massiven Erhöhungen der Direktorengehälter (teilweise 39% in den vergangenen Jahren!), die zunehmende Kluft zwischen den Reichen und den Armen, die Steuerhinterziehungen, all das ist wohlbekannt. So zum Beispiel bei der Firma Interserve, die die Vorstandsgehälter dieses Jahr um elf Prozent erhöht hat, bis auf £900,000, und dann sagen sie: es ist eine schwierige Zeit, wir sind alle davon betroffen.
Zu sehen, dass Menschen am ganz unteren Ende wagemutige Aktionen starten und hohe Forderungen für ihre 11% Lohnerhöhung stellen, ist wie ein Licht im Tunnel. Ich denke auch dass der arabische Aufstand und die Occupy-Bewegung zu einem allgemeinen Klima der Verärgerung und des Gefühls, dass wir große, starke und mutige Aktionen in Angriff nehmen können, beigetragen haben.
Und hier kommt die IWW dazu: Dreistigkeit. Ich glaube dass die IWW der perfekte nächste Schritt in dieser Bewegung war und ein großer Teil des Aufbegehrens in diesem Jahr. Zu sehen, dass eine viel kleinere, radikalere (lies "crazy" in den Augen von vielen) Gewerkschaft ohne Geld und bezahlte FunktionsträgerInnen die kühneren Aktionen macht – und gewinnt. Ich vermute dass das eine große Inspiration war für eine Menge von GewerkschaftsaktivistInnen in viel größeren, besser ausgestatteten Gewerkschaften, wenn es auch nur im Unterbewußtsein sein mag.
Der Mut und die Kreativität unserer Kampagnen geben wichtige Lehren, die verallgemeinert werden können. Mut ist notwendig sowohl von den Organisern wie von der breiteren Mitgliederschaft (ein unscharfer Unterschied in der IWW). Organiser müssen mutiger sein in Hinsicht darauf, wie sie die KollegInnen ansprechen. Direkte Aktionen vorzuschlagen muss man mit Vorsicht tun. Wie kann man von den KollegInnen erwarten mutig zu sein und eine naturgemäß riskante Sache anzugehen, wenn man selber sich nicht sicher dabei ist? Aber solche Aktionen kann man vorschlagen. Nur zu oft fassen wir Organiser, Aktive oder Linke die KollegInnen mit dem Samthandschuh an. Wir schlagen alle Arten von ineffektiven Optionen vor auf der Basis von "Die KollegInnen sind noch nicht soweit", "alle sind verunsichert” bis hin zu "Wir wissen nicht, ob wir das gewinnen können". Aber ich denke, dass wenn es so scheint, dass die KollegInnen nicht soweit sind, es zur Hälfte deswegen ist, weil sie nicht dumm sind und nichts von der ineffektiven Aktion halten, die wir vorschlagen. sag das was du für wahr hältst. Wenn es einen Streik von sechs Monaten braucht um uns Ziel zu kommen, dann sag es so. Die Leute wollen keine halben Sachen aber wenn sie glauben, dass du dazu stehst und die Aktion vorschlägst, die es braucht um zu gewinnen, dann werden sie manchmal dafür sein.
Die Einstellung der KollegInnen gerade jetzt ist interessant. Millionen sind in Schrecken versetzt, wie sie ihren Kopf irgendwie über Wasser halten müssen, aber dann schlägt eine große Zahl anderer die Vorsicht in den Wind und sagt, lass es uns machen. Migration hat vielleicht auch damit zu tun. Da sind definitiv Menschen einiger Nationalitäten, wo wir mehr Militanz und weniger Furcht sehen, oft solche, in deren Herkunftsländern Gewerkschaften mehr unterdrückt werden. Viel unseres Organisings am Anfang war verlinkt mit der Latin American Workers Association (und ist es noch). Aber dann sagten mir vor kurzem einige afrikanische Cleaner dass die Bosse mit den Lateinamerikanern nicht mehr klar kommen, weshalb sie jetzt Afrikaner ausbeuten weil sie denken, Afrikaner kämpfen nicht. So werden diese Frauen und Männer ihnen zeigen, dass AfrikanerInnen genauso hart kämpfen. Wir haben auch Engländer, Polen, Portugiesen, viele verschiedene Nationalitäten stehen auf und organisieren sich. Deshalb hat die Nationalität einen Einfluß, aber – was ich auch vorher an meinen Arbeitsstätten bemerkt habe – es hat auch viel mit Individuen zu tun, jene ArbeiterInnen-Führungspersönlichkeiten die die KollegInnen zum Mitmachen motivieren. Alle Gewerkschaften versuchen jetzt, ihre Organiser und Vertrauensleute zu schulen um diese "AnführerInnen" herauszufinden, es ist lebenswichtig.
Auch Kreativität ist wichtig. Wenn Aktionsformen Spaß machen, verbreite sie. Gegenseitige Sprachkurse, Weiterbildungsveranstaltungen, Tanzabende… wir müssen den “union way of life” wieder zurückbringen. Und hört auf, Euch anzuhören wie die Bosse! Ich denke dass eine feine Balance gehalten werden muss zwischen dem Erwecken von Vertrauen durch professionelles, erfahrenes Auftreten, und natürlich ernsthaft zu wissen was du machst ohne dich in den Vorschriften zu verfangen – aber gleichzeitig wirklich verständlich zu sprechen und die Dinge nicht zu mystifizieren. Die KollegInnen müssen sowohl die Gewerkschaft und ihren Kampf verstehen, oder wie sollen sie ihn sonst führen? Patronisiere nicht, gib Wissen weiter, aber werde nicht “wie der Gegner”.
Eine “Cleaners’ Charter” als Modell für positive Forderungen um die Kämpfe zu vereinigen hat eine menge gemeinsam mit den naheliegenden Forderungen in anderen Bereichen mit Dienstleistungsarbeitsplätzen. Wir sprechen dabei über die Punkte Niedriglohn, Arbeitsplatzsicherheit, Lohnfortzahlung im Krankheitsfall, Urlaub, Flexibilisierung der Arbeit. Wir sprechen gewiss auch von Punkten wie Schikanen durch das Management, Respekt, und menschliche Würde am Arbeitsplatz.
Einige dieser Punkte sind mit der “Unsichtbarkeit” der Reinigungskräfte innerhalb der breiteren Arbeiterklasse verbunden. Reinigungskräfte haben oft andere "Arbeitgeber" als der Rest der ArbeiterInnen im Betrieb, und oft sind sie im wahrsten Sinne des Wortes “unsichtbar” für ihre KollegInnen weil sie eine sehr frühe oder späte Schicht haben und so nicht gesehen werden und nicht mit den anderen zusammenarbeiten. Daneben gibt es viele Punkte, die mit Migration zu tun haben, eingeschlossen das Zusammenspielen der unternehmen mit UK Border Agencies um Ausweisungen oder deren Androhung als Hilfsmittel gegen die Organisierung auszunützen.
Das Living Wage ist eine Schlüsselforderung in dem gesamten Sektor, aber es muss gewonnen werden unter gleichzeitiger Sicherung der Arbeitsplätze und der Arbeitsstundenanzahl und ohne eine korrespondierende Zunahme des Arbeitsumfangs.
Bezahlung der Krankheitstage, Urlaubsanspruch und flexible Arbeitszeitregelungen müssen mindestens in einer Linie sein mit den Bedingungen für die direkt Angestellten im jeweiligen Betrieb, in dem die Cleaner beschäftigt sind. Richtlinien für die flexible Arbeitszeit sind besonders wichtig, da viele Frauen und junge Erziehende in diesem Bereich arbeiten.
Was Schikanen und den gebührenden Respekt betrifft, liegt die Hauptsache in der Präsenz der Gewerkschaft und der Bekanntmachung der Rechte die die Beschäftigten haben. Wenn es zu einem Vorfall kommt, wird eine gut vorbereitete Gewerkschaft gebraucht, die in der Lage ist, schnell zu reagieren um die Rechte der Kolleginnen einzufordern. Das sollte in niedergeschriebenen Vereinbarungen gegen Schikanen resultieren und in disziplinarischen Folgen und Beschwerdeverfahren, die dann angestrengt werden können. Eine langfristige Forderung wäre die nach Branchenstandards um das Management darüber zu unterweisen. Es gibt sehr viele Vorgesetzte auf der unteren Ebene die Reinigungskräfte als Menschen zweiter Klasse behandeln und sich ständig ruppig, aggressiv, diskriminierend und abwertend aufführen. Wir brauchen die Anerkennung der Gewerkschaft im Betrieb, gewerkschaftliche Stärke und unmittelbare Aktion um diese durchzusetzen, und dann brauchen wir die Unterstützung in der ganzen Branche um Standards zu setzen für die allgemeine Verbesserung der Umgangsformen am Arbeitsplatz.
Das ist eigentlich ein gesellschaftsweites Thema. Firmen und Manager können sich das erlauben, weil es viele Leute (darunter eine Menge aus der Arbeiterklasse) gibt, die Reinigungsarbeiten und Reinigungskräfte als unterlegen und als niedriger stehend ansehen. Ich denke wir sollten für die Reinigungskräfte fordern, dass sie ihre Arbeit in der normalen Betriebszeit machen und und die Sozialisation mit den “regulär” Beschäftigten gefördert wird. Die logische Konsequenz daraus für die Reinigungsarbeit ist dann die Wiedereingliederung in den Betrieb statt der Vergabe an externe Reinigungsfirmen.
Dennoch gibt es hier ein Für und Wider. Theoretisch, wenn die Reinigungskräfte normaler Bestandteil der Belegschaft sind, organisiert in der für den Betrieb zuständigen Gewerkschaft, könnte diese Aktionen vorbereiten und im gesamten Betrieb durchziehen um die besonderen Anliegen einer jeweiligen Gruppe von KollegInnen zu unterstützen. Praktisch jedoch geschieht das nur selten. Genauer gesagt, das Wiedereinlagern in den Betrieb bedeutet in vielen Wirtschaftsbereichen wenig für die gewerkschaftliche Stärke, weil meist keine organisierte Gewerkschaft an der Stelle vorhanden ist.
Wirksamkeit im Arbeitskampf in einem Subkontrakt-Gewerbe entsteht mehr dadurch, den Kunden der Reinigungsfirma aufs Korn zu nehmen. Oft ist es für die Reinigungsfirma wichtiger mit diesem bestimmten Kunden einen Vertrag zu haben als umgekehrt. Druck auf den Kunden kann den Vertrag der Reinigungsfirma in Gefahr bringen. Diesen Druck haben wir bei John Lewis eingesetzt.
Es ist auch eine moralische Frage – wir sagen, dass die Kunden verantwortlich sind für die ArbeiterInnen in ihren Gebäuden, ob sie direkt angestellt sind oder auch nicht. Der medienfreundliche “moralische” Aspekt der Cleaner-Kampagnen bringt mehr Rückhalt und das hilft, insbesondere wenn es um Kunden wie John Lewis geht, die auf ihre Marken-Reputation bauen.
Solidarität ist wirklich das Entscheidende. Das betrifft andere Gewerkschaften, KollegInnen aus anderen Berufszweigen aber auch Cleaner aus verschiedenen Sektoren und Betriebsstätten, die sich gegenseitig unterstützen.
Aber vor allem geht es zurück auf die gute alte kreative Direkte Aktion. Einzelhändler reagieren offensichtlich sehr empfindlich auf Demonstrationen und Blockaden – auf jede Aktion, die sich auf den Umsatz auswirkt. Aber andere wie Banken und Büros brauchen vielleicht andere Aktionsformen wie massenhafteTelefonanrufe/Emails oder andere Formen der wirtschaftlichen Sabotage. Oder es können ihre Kunden, Zweigfirmen oder Investoren der schwache Punkt sein. Was auch immer, finde es heraus. Besetzungen wären ein großer weiterer Schritt; sehr effektiv, wenn die Stärke dafür da ist.
Der Vorschlag, eine gewerkschaftsübergreifende, mitgliedergetragene Arbeitsgruppe (caucus) der Cleaner könne dabei helfen, ihre Kämpfe zu verbinden und einen politischen Brennpunkt zu schaffen, ist eine gute Idee. Ich würde eine solche Initiative unterstützen, wenn sie von Aktivisten der Cleaner getragen wird und nicht von Gewerkschaftsoffiziellen oder linken Gruppen.
Für die Analogie zu den “New Unionism”-Kämpfen der 1880er und 90er Jahre spricht einiges, vielleicht mehr als den meisten Leuten klar ist. Sicher, alles sieht anders aus, unser Leben läuft anders, mit viel Technik, modischer Kleidung und all diesen Dingen. Aber grundsätzlich sind wir in einer sehr ähnlichen Situation. Globale Macht und Ausdehnung der Konzerne, massive Ungleichheit, globale Migration, eine rasant wachsende und sich verändernde Ökonomie, niedrige Löhne und Unsicherheit, Geringqualifizierung, schwache Verbreitung der Gewerkschaften (um nicht vom Organisationsgrad zu reden), besonders in niedrig/halbqualifizierten Beschäftigungen – all das sind Parallelen.
Die offensichtliche praktische Aufgabe die sich uns stellt ist ein geradliniger, auf direkte Aktion ausgerichteter Industrieller Unionismus (direct-action-focused industrial unionism), der den Erfahrungen, den Bildungsniveaus und Sprachen unserer Leute entspricht. Ebenso wichtig ist, dass er auf dem täglichen Leben und der Kultur unserer Leute wieder einen gewerkschaftlich geprägten Lebensstil aufbaut. Das ist vielleicht die bedeutendste Lektion des “New Unionism” und nachfolgender syndikalistischer Bewegungen jener Zeit.
Dann gibt es daraus viel zu lernen über industrieweite und internationale Zusammenschlüsse im Gegensatz zu sektoralen und nationalen Organisationen. Einige Mainstream-Gewerkschaften versuchen das auf ihre Weise – Initiativen wie das Three Companies Project [Eine Kampagne von Unison bei Aramark, Sodexo und Compass], IndustriALL, and USi [Union Solidarity International] sind interessant.
Aber ich denke dass es eine andere Seite zu "New Unionism" und "Great Unrest" [Begriff für die massiven Arbeitskämpfe in Großbritannien von 1910-14] gibt, die oft übersehen wird. Darauf zurückblickend erscheint uns diese Bewegung ziemlich ungehobelt gewesen zu sein, auf der Basis von ungezügelter Militanz und dem Geist der Direkten Aktion. Aber diese Bewegung war auch äußerst modern, wenn nicht futuristisch. Organisationen wie die IWW, damals die Industrial Workers of Great Britain, die Independent Syndicalist Education League und andere brachen in der Tat mit vielem, was die Linke und die Gewerkschaftsbewegung für selbstverständlich hielten und es war sehr kontrovers. Gerade jetzt denke ich – vielleicht klingt es sonderlich – dass die radikalen Linken viel zu konservativ sind, gefangen in Ideen und Traditionen, die wir ohne weiteres Überdenken für gegeben halten. Ich möchte nicht ins Einzelne gehen, ich habe darüber nachgedacht, aber das mag alles falsch sein und sicher haben andere ihre eigenen Ideen, aber die Arbeiterbewegung ist in einer Krise, die Gewerkschaften sind gelähmt und es wird Zeit für eine radikale und futuristische Sichtweise. Die zugrundeliegenden sozialen Beziehungen des Kapitalismus bleiben gleich aber die Gesellschaft und viele kapitalistische Unternehmen sind sehr verschieden sogar gegenüber von vor 20 Jahren. Scheiß Hinterherlaufen – wir sollten die neue Agenda aufstellen!
Auf die genaue Frage, wie die heutige IWW in die breitere Gewerkschaftsbewegung passt – und ob sie ein Katalysator zur Umformung der existierenden Gewerkschaften oder der Embryo einer Alternative dazu ist – ich kann es ehrlicherweise nicht sagen. In den letzten 5-10 Jahren, habe ich meine Ansicht immer wieder von einer auf die andere Seite gewechselt. Ich war Vertrauensmann (shop steward), ein laienhafter Aktivist und angestellter Organiser für drei TUC-Gewerkschaften, daneben aktiv im National Shop Stewards Network, in Anti-Cuts Kampagnen und mehr. Alles was ich weiß ist, dass das Organisieren, Kämpfen und sogar das Gewinnen im Moment mit der IWW viel leichter ist.
Die Mainstream-Gewerkschaften sehe ich in einer Krise. Vielleicht nicht wegen der Mitgliederzahlen, sondern wegen der Struktur, Zielrichtung, Kultur, und Effizienz. Das bleibt auch dann wahr, wenn man keine radikale oder revolutionäre Mentalität hat. Das auf Serviceleistung und “Versicherung” begründete Modell steht in direktem Gegensatz zu einem organisierenden und kollektiven Modell; und es gibt Gewerkschaften, die versuchen, beides zu tun.
Möglicherweise können einige neue, wirklich radikale und mutige GewerkschaftsführerInnen das einigermaßen hinbekommen. Vielleicht könnten einige sehr effektive und effiziente Propagandagruppen, die mit qualifizierten Organiserinnen zusammenarbeiten, den Standpunkt und die Kultur der breiten Mitgliedschaft erhöhen und etwas verändern. Vielleicht, ich bin mir da nicht sicher.
Mittlerweile sind das Wachstum und die Erfolge der IWW und ihre Rolle als Experimentierfeld schon aufregend. Wir werden geschlachtet, deshalb müssen wir etwas tun und die Zustände aufrütteln. Was immer die Zukunft bereithält, gerade jetzt sind die Wobblies zurück...
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