„In den Jahren 1939 - 1942 wurden vom ehemaligen Aspangbahnhof zehntausende österreichische Juden in Vernichtungslager transportiert  und kehrten nicht mehr zurück“

Niemals vergessen! Nie wieder Faschismus!
Mahnwache und Kundgebung, Freitag, 9. November 2012 • 18 Uhr
Ort des Gedenksteins vor dem ehemaligen Aspangbahnhof (Platz der Opfer der Deportation, 1030 Wien)

Woran gedenken wir am 9. November?

Schon in der Nacht vom 11. zum 12. März 1938, also anläßlich des Einmarsches der deutschen Wehrmacht in Österreich, begannen Ausschreitungen gegen Jüdinnen und Juden in Österreich. Viele wurden von SA- und HJ-Leuten wie von „einfachen“ Parteimitgliedern, die sich ihre Hakenkreuzbinden und Orden angeheftet haben, verhaftet, geschlagen und öffentlich gedemütigt. Fensterscheiben wurden eingeschlagen. Juden und Jüdinnen wurden gezwungen Parolen, welche Anhänger des austrofaschistischen Bundeskanzlers Schuschnigg am Vorabend des „Anschlusses“ auf Wände und Gehsteige geschrieben haben mit Reib- und Zahnbürsten wegzuwaschen. Wiewohl mancher der Schaulustigen ihre Bekannten und FreundInnen unter den Gedemütigten erkannt haben mußte, hat niemand den Mut aufgebracht zu protestieren – was zu diesem Zeitpunkt sowohl möglich als auch sinnvoll hätte sein können. Mit diesen Erniedrigungen begann die systematische Diskriminierung der österreichischen Juden und Jüdinnen. Umso heftiger als im „Altreich“, weil in Österreich die Entwicklung, die in Deutschland fünf Jahre gedauert hatte, in kürzester Zeit über die Betroffenen hereingebrochen ist.


Etwa 200.000 ÖsterreicherInnen wurden nach den „Nürnberger Rassengesetzen“ zu „Juden“ erklärt, wobei etwa 180.000 von ihnen tatsächlich der jüdischen Religion angehörten. Die Nazis begannen mit Berufsverboten und Ausbildungsbeschränkungen, Juden und Jüdinnen wurden in ihrer Bewegungsfreiheit eingeschränkt. Das erste Ziel war es, die jüdische Bevölkerung aus dem öffentlichen Leben zu drängen. Dann sollte ihr die wirtschaftliche Lebensgrundlage entzogen und nicht zuletzt: gleich ob Arm, ob Reich, ihr gesamtes Vermögen geraubt werden und dieses zumindest nach Willen der Nazi-Granden in die Kassen des „Dritten Reiches“ fließen – obwohl sich auch manch anderer dabei „bedient“ hatte.

Adolf Eichmann, ein strebsamer Biedermann im Dienste des Sicherheitsdienstes (SD) der SS, wurde nach Wien beordert, um die „Zentralstelle für jüdische Auswanderung“ aufzubauen. „Auswanderung“ hieß die Beschönigung für das Vorhaben der Nazis, möglichst viele Jüdinnen und Juden aus Österreich zu vertreiben. Doch davor sollte sichergestellt werden, daß diese nicht mehr als die notwendigsten Habseligkeiten mit sich nehmen konnten, der gesamte übrige Besitz wurde beschlagnahmt.

Trotz des stetig zunehmenden Terrors durch die Nazis konnten und wollten viele die Heimat nicht Hals über Kopf verlassen. Besonders älteren Menschen fiel das schwer.

Die führenden Nazis hatten schon lange auf einen Anlaß gewartet, die JüdInnenverfolgung zu verschärfen. Sie brauchten einen Vorwand, mit dem sie diese v. a. auch gegenüber dem Ausland rechtfertigen und gegenüber der eigenen Bevölkerung die Akzeptanz dafür erhöhen konnten.

Der 9. November 1938 - die Bedeutung des Novemberpogroms

Der 17-jährige Herschel Grynszpan schoß am 7. November in Paris als Protest gegen die JüdInnenverfolgung auf den deutschen Diplomaten Ernst v. Rath, nachdem seine Eltern und Geschwister aus Deutschland nach Polen abgeschoben worden waren. Nachdem Rath kurz später starb, organisierte Joseph Goebbels am 9. November 1938 eine reichsweite Aktion gegen die jüdische Bevölkerung, welche als „spontaner Ausbruch des Volkszorns“ getarnt wurde.

Diese Aktion wurde wegen der gelegten Feuer, welche sich in den zerbrochenen Fensterscheiben wie „Kristalle“ spiegelten beschönigend „Reichskristallnacht“ genannt. Diese Nacht dauerte tatsächlich mehrere Tage und Nächte. Nun wurden tausende jüdische Wohnungen und Geschäfte geplündert, zerstört und „arisiert“. 42 Synagogen und Bethäuser wurden in Brand gesteckt und verwüstet. Nicht nur in Wien, auch in den kleineren österreichischen Städten wie Innsbruck kam es zu blutigen Übergriffen. Zahlreiche Menschen starben in Österreich während des und nach dem Novemberpogrom an den Folgen der Mißhandlungen oder nahmen sich aus Verzweiflung das Leben.

6547 Juden wurden in Wien im Zuge des Novemberpogroms verhaftet, 3700 davon ins KZ Dachau deportiert. Und: Die jüdische Bevölkerung wurde dazu verpflichtet für alle Schäden des gegen sie gerichteten Pogroms aufzukommen!

Das Novemberpogrom war der entscheidende Schritt, die begonnenen Entrechtungs- und Beraubungsmaßnahmen gegen Juden und Jüdinnen zu vollenden. Es war aber auch eine Art „Testlauf“ der Nazis, wieviel JüdInnenverfolgung der Bevölkerung zuzumuten sei, ohne daß es zu nennenswertem Widerstand dagegen kommt.

Der Aspangbahnhof

Mit dem deutschen Überfall auf Polen begann  offiziell der 2. Weltkrieg in Europa. Zu diesem Zeitpunkt lebten noch etwa 70.000 Jüdinnen und Juden in Wien. Alle verbliebenen österreichischen Jüdinnen und Juden waren mittlerweile nach Wien geschickt worden. Dort lebten sie zusammengepfercht in Sammelwohnungen und -lager, unter schlechten Bedingungen und schlecht versorgt. Sie wurden registriert und mußten ab September 1941 einen gelben Davidstern tragen, wie auch die noch von Jüdinnen und Juden bewohnten Wohnungen mit einem solchen gekennzeichnet wurden, um den Behörden die Verfolgung bzw. Aushebung für die Deportationen zu erleichtern.

Die ersten Deportationen sollten noch dem zumindest vorgeblichen Ziel dienen, deutsche bzw. österreichische Jüdinnen und Juden in einem „Judenreservat“ in Polen anzusiedeln. Dieser Plan wurde aber nie verwirklicht.

Im Frühjahr 1941 forderte der neue Gauleiter von Wien, Baldur von Schirach, die Deportationen wieder aufzunehmen, um die verbliebenen jüdischen Wohnungen „freimachen“ zu können. Juden und Jüdinnen wurden erfaßt und registriert und in der Folge Listen für die Deportationen zusammengestellt.

Die Deportationen erfolgten vom Aspangbahnhof. Diese wurden zuerst mit normalen Personenwaggons der 3. Klasse, später dann mit Viehwaggons, durchgeführt und „nur“ von normaler Polizei bewacht, nicht von der SS. Zum einen wollten die Nazis wohl die Illusion einer „Auswanderung“ für die Betroffenen und die beobachtetende Bevölkerung aufrechterhalten, zum andern rechneten sie nicht mit nennenswertem Widerstand durch die Betroffenen, weil viele der aus Wien Deportierten ältere Menschen bzw. Frauen waren. Die Opfer der ersten Deportationen im Jahr 1941 wurden auf die Ghettos im besetzten Rest-Polen aufgeteilt. Arbeitsfähige kamen meist in die Zwangsarbeitslager der SS. Die meisten dieser am Anfang 1941 Deportierten sollten im Frühjahr und Sommer 1942 „Auskämmaktionen“ der SS zum Opfer fallen oder wurden zusammen mit den polnischen Jüdinnen und Juden in die Vernichtungslager gebracht. Tausende österreichische Juden und Jüdinnen wurden in Lagern wie Maly Trostinez massenhaft erschossen oder in Gaswagen ermordet.

Später führten die Deportationszüge vom Aspangbahnhof in das Ghetto Theresienstadt in der Nähe von Prag, von wo aus die Züge Richtung Vernichtungslager Treblinka, Sobibor, Auschwitz bzw. Auschwitz/Birkenau gingen, welche mittlerweile schon mit riesigen Gaskammern ausgestattet waren. Mit dem Zweck möglichst viele Menschen in möglichst kurzer Zeit und – für die Mörder – möglichst „schonend“ umzubringen.

Unterdessen wurden auch österreichische Roma und Sinti (sie wurden zuerst als „Asoziale“, später als „Zigeuner“ verfolgt) von der Kriminalpolizei bzw. Gestapo beraubt und in den Lagern Lackenbach/Burgenland, Maxglan/Salzburg und St. Pantaleon/OÖ interniert. Sie wurden immer wieder zu Zwangsarbeit herangezogen. Etwa 5000 Roma und Sinti, in der Regel ganze Familien, wurden 1941 in das Ghetto Lodz deportiert und letztlich im Vernichtungslager Kulmhof/Chelmo ermordet. Ein großer Teil der verbliebenen Roma und Sinti aus Österreich wurde nach Auschwitz/Birkenau gebracht und ermordet, nur wenige überlebten. Bei der Befreiung des Lagers Lackenbach durch die Rote Armee waren dort noch höchstens 400 Häftlinge.

Nach 40 großen und vielen kleineren Transporten aus Wien lebten von 200.000 österreichischen Jüdinnen und Juden 1945 noch etwa 5000 in Wien. Sogar noch in den letzten Tagen der Kämpfe um Wien verübte eine SS-Einheit ein Massaker an neun hier verbliebenen Juden.

15 bis 20.000 österreichische Jüdinnen und Juden, welche sich nach der Flucht in die Tschechoslowakei, nach Belgien und Frankreich schon in Sicherheit geglaubt haben, fielen nach der Eroberung dieser Länder durch die deutsche Wehrmacht ihren Mördern in die Hände.

6 Millionen europäische Juden und Jüdinnen sind der Shoa, auch „Holocaust“ genannt, zum Opfer gefallen, mindestens 65.500 davon stammten aus Österreich. Diese Zahl ist eine Mindestzahl, da viele Ermordete namenlos oder auch „staatenlos“ waren und deshalb nicht als österreichische StaatsbürgerInnen erfasst wurden. Von den 11 bis 12.000 österreichischen „Zigeunern“ wurden zwischen 1938 und 1945 schätzungsweise 9500 ermordet, etwa 2000 überlebten die Deportationen. Zudem sind zigtausende „Erbkranke“ (Behinderte), „Asoziale“, ZeugInnen Jehovas, ZwangsarbeiterInnen, Deserteure und „Wehrkraftzersetzer“, Homosexuelle, Kriminelle und politische GegnerInnen bzw. WiderstandskämpferInnen aus Österreich der Mordmaschinerie der Nazis zum Opfer gefallen.

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Zu dieser Kundgebung rufen auf: Abg. z. LT Madeleine Petrovic; Abg. z. NR Karl Öllinger; Alternative und Grüne GewerkschafterInnen (AUGE/UG); Bund Sozialdemokratischer Freiheitskämpfer/innen, Opfer des Faschismus und aktiver Antifaschist/inn/en; Deserteurs- und Flüchtlingsberatung; Doron Rabinovici (Republikanischer Club); Föderation der ArbeiterInnen Syndikate (FAS); Gedenkdienst; Gewerkschaftlicher Linksblock (GLB); Grüne Alternative Wien; Infoladen Wels; Initiative Aspangbahnhof; Israelitische Kultusgemeinde Wien (IKG Wien); Kommunistische Partei Österreichs – Wien (KPÖ-Wien); KZ-Verband (VdA); Landesverband NÖ KZ-Verband (VdA); Landesverband Wien KZ-Verband (VdA); Mauthausen Komitee Österreich (MKÖ); Niki Kunrath – Grüne Alternative Wien; Österreichische KZ-Vereinigung Buchenwald; Peter Menasse – Chefredakteur „Nu“; Pierre Ramus Gesellschaft; Redaktion „Akin“; Republikanischer Club Wien – Neues Österreich; Romano Centro – Verein für Roma; Sozialistische Jugend Wien (SJ-Wien); Sozialistische LinksPartei (SLP); Stv. BV Eva Lachkovics – Grüne Alternative Landstraße; Unabhängiges Antifaschistisches Personenkomitee Burgenland; Verein Die Bunten – The Global Player; Verein Internationaler Zivildienst

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Wien – „Welthauptstadt des Antisemitismus“ um 1900

Von Dr. Gerhard Senft, Pierre Ramus Gesellschaft

Das Bild von Wien um 1900 ist nach wie vor Gegenstand romantischer Verklärung. Die Fülle großartiger Schöpfungen auf den Gebieten der Kunst und der Wissenschaften lässt positive gedankliche Verbindungen durchaus zu. Doch das Wien der Jahrhundertwende ist nicht nur das Wien bedeutender kultureller und geistiger Strömungen, es ist auch jenes Wien, in dem der junge Adolf Hitler um wenige Heller seine ersten antisemitischen Broschüren erstanden hat.

Die krisenhafte ökonomische Entwicklung im Gefolge des Wiener Börsenkrachs von 1873 hatte eine politische Wende in Richtung Feudalkonservativismus und Nationalismus herbeigeführt. Damit einher ging eine wachsende Judenfeindlichkeit, die sich vor allem gegen die Zuwanderung aus den östlichen Provinzen der Monarchie richtete. An der Universität Wien, die sich als ein „deutscher Tempel der Wissenschaften“ zu gerieren versuchte, kam es im Dezember 1875 im Zuge einer Vorlesung des bekannten Mediziners Theodor Billroth zu ersten antisemitischen Ausschreitungen. Dessen Thesen „gegen schlimme galizische und ungarische jüdische Elemente“ wurden von einer deutschnational gesinnten Studentenschaft begeistert aufgenommen.

Ein fruchtbarer Boden für rassistisches Gedankengut fand sich auch im kleingewerblichen Milieu, in dem neben der katholischen Tradition auch ein tief verwurzelter Antijudaismus nachwirkte. Die Empfänglichkeit gegenüber der Hetzpropaganda eines Karl Lueger war hier besonders ausgeprägt. Geschickt verstand es der Wiener Bürgermeister und Führer der Christlichsozialen Partei, die mit der kapitalistischen Entwicklung aufkommenden Existenzängste zu instrumentalisieren und damit einem wirtschaftlichen Antisemitismus Auftrieb zu verleihen. Nicht zufällig waren es überwiegend Gewerbetreibende, die die Aufnahme der Geschäftstätigkeit der Wiener Backwarenfabrik Ankerbrot durch die Brüder Heinrich und Fritz Mendl 1891 mit antisemitischen Kundgebungen begleiteten.

Zum engeren Personenkreis um Lueger zählte der Politiker und Hochschullehrer Josef Schlesinger, der sich im Jahr 1898 mit folgenden Worten an den österreichischen Reichsrat wandte: „Ein offener Blick in das praktische Leben zeigt uns die Thatsache, daß insbesondere das wirthschaftliche Leben unserer Zeit von den Juden beherrscht wird. ... Wo einstens die Juden nur geduldet wurden, sind sie jetzt die Herren, und  die Nachkommen der Christen sind jetzt ihre Knechte; ja soweit ist es gekommen, daß Juden als Herrschaftsbesitzer zu Patronatsherren christlicher Pfarren geworden sind. ... Schaffen wir ein Gegengewicht dem Bunde der Juden, der Alliance Israelite, schaffen wir einen Bund der Arier, der uns Arier Alle ... zu einer großen Volksmacht zusammen-führt; ... streiten und kämpfen wir doch lieber vereint gegen die uns unterjochende jüdische Geldherrschaft, gegen den volkswirthschaftlichen, unsere arische Cultur vernichtenden semitischen Ring ...“ Schlesinger schloss mit den Worten: „Also hoher Reichsrath, erkenne Deine Mission und führe uns Arier zum Siege!“

Auffällig ist im gegebenen Zusammenhang, dass Schlesingers Denken über den religiös und wirtschaftlich fundierten Antisemitismus seiner Zeit hinausgehend eine deutliche rassenideologische Orientierung enthielt. Es war kein geringerer als Karl Kraus, der die Quelle, aus der Schlesinger seine ungeistigen Anregungen bezog, aufgedeckte: „Herr Abgeordneter Schlesinger“, schrieb Kraus in der November-Ausgabe der Fackel 1899, „ich bat Sie neulich, bei Ihren Interpellationen im Abgeordnetenhaus und bei Ihren Citaten im Deutschen Volksblatt die Quelle nie zu vergessen und geradeheraus zu sagen, daß Sie Ihre Wissenschaftlichkeit aus Houston Stewart Chamberlain beziehen, dessen ‘Grundlagen’ soeben vollständig erschienen sind.“ Für Kraus war Schlesinger in erster Linie ein Plagiator Chamberlains (Die Grundlagen des 19. Jahrhunderts, 1898). Für die Geschichtswissenschaft gilt Chamberlain heute als einer der Einpeitscher des Rassen-Antisemitismus, der in familiärer und ideologischer Nähe zu Richard Wagner den Hitler-Faschismus mit vorbereiten half.

Lueger und Schlesinger waren durchaus keine Einzelerscheinungen bei den österreichischen Christlichsozialen: Das Programm der Christlichsozialen Partei von 1926 beinhaltete ein klares Bekenntnis zum Antisemitismus. Zudem sah Engelbert Dollfuß, der Österreich 1933 in die austrofaschistische Diktatur führte, die ideologischen Grenzen zwischen Christlichsozialen und Nationalsozialisten alles andere als klar. Dollfuß am 14. März 1933: „Was im Nationalsozialismus und seinen Ideen gesund ist, das ist altes, christlich-soziales Programm ...“ Dollfuß zeigte 1933 zudem hohe Bereitschaft, Nationalsozialisten in seine Regierung aufzunehmen, auch sein Vorgänger im Bundeskanzleramt, Ignaz Seipel, hatte die Nationalsozialisten als potentielle Bündnispartner erachtet.

Der Ständestaat der Austrofaschisten zwischen 1934 und 1938 lief auf eine bedenkenlose Imitation totalitärer/autoritärer Vorbilder hinaus und er leistete eine Grundlagenarbeit, die mit nationalsozialistischem Gedankengut zumindest teilweise kongruent war. Als im Juni 1936 der freidenkerische Philosophieprofessor Moritz Schlick das Opfer eines politisch rechtsgerichteten Attentäters wurde, war es die Presse des Ständestaates, die dem Ermordeten noch Schmähungen ins Grab mitgab. Im Wochenblatt Schönere Zukunft stand zu lesen: „Der Jude ist der geborene Ametaphysiker, er liebt in der Philosophie den Logozismus, den Mathematizismus, den Formalismus und Positivismus, also lauter Eigenschaften, die in höchstem Maße Schlick in sich vereinigte.“ Das Linzer Volksblatt gab die authentischen klerikoautoritären Töne von sich: Schlick habe „Edelporzellan des Volkstums“ verdorben, „heimathörige Schollenkinder, edlen Wuchs aus dem geistigen Kraftreservoir unseres Bauernstandes.“ So wurde Schlick zuletzt noch zum „schuldigen Ermordeten“ gestempelt, dessen Mörder in Wahrheit unschuldig war.

An den Hochschulen war es bereits zuvor zu gehäuften antisemitischen Übergriffen gekommen. Als besonders üble Figur erwies sich in dem Zusammenhang Othmar Spann, seines Zeichens Professor an der Universität Wien, dessen Vorlesungsinhalte sowohl die katholisch-konservative als auch die deutschnationale Studentenschaft ansprachen. Der Zeitzeuge und spätere Wiener Kulturstadtrat Viktor Matejka berichtet in seinen Erinnerungen von Anhängern Spanns, die nach den Vorlesungen ihres Idols aufgeheizt aus dem Hörsaal stürmten, um jüdische Kommilitonen zu verprügeln. Für Spann zeichneten sich die Juden vor allem durch ihre „Verstocktheit“ aus, bar jeder „schöpferischen Begabung“ seien sie nur bestrebt, ihr „Wirtsvolk“ zu „zersetzen“. Spann hatte zunächst die Nähe der faschistischen Heimwehr gesucht, rückte in den 1930er Jahren aber immer stärker in Richtung Nationalsozialismus.

Zu dieser Zeit waren jüdische Mitbürgerinnen und Mitbürger bereits von zahlreichen Organisationen, vom Sportverein bis zur Studentenverbindung, ausgeschlossen. Im ständestaatlichen Österreich beschränkte sich der gewerbliche Antisemitismus auch nicht mehr allein auf verbale Hiebe gegen das „Ost-Judentum“. Juden wurden keine Funktionen im Bund der österreichischen Gewerbetreibenden mehr zugestanden, zu Weihnachten 1937 wurde eine bis dahin in Österreich nahezu beispiellose Kampagne gestartet, mit der die Geschäfte jüdischer Inhaber boykottiert werden sollte.

Als in der ersten Jahreshälfte 1938 der Anschluss Österreichs an das Deutsche Reich vollzogen wurde, war der Boden für kommende Verfolgungs- und Vernichtungsaktionen bereits wesentlich aufbereitet.

Das Gedenken am 9. November im Internet: http://www.initiative-aspangbahnhof.org


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