Itsue Takemure - Die Frauenfront (1930)

Die Geschichte der japanischen Frauenbewegung datiert seit der "Blau-Strumpfbewegung" (Blue-Stocking), die ihren Ursprung in einem Erwachen des individuellen Selbstbewusstseins der gebildeten Frauen hatte. Gegenwärtig kann man zwei Formen dieser Bewegung unterscheiden, die Epoche der Gründung der Frauenbewegung und das Erwachen der Frau zum Sozialismus. Wir sind die Vorboten einer grossen Frauenbewegung in Japan, da wir mit vollen Bewusstsein jede Autorität verachten und wissen, dass nur die Anarchie die gänzliche Befreiung der Frau vom Joch der Unterdrückung bringen kann. In dieser Überzeugung führen wir einen Kampf auf Leben und Tod gegen jede Art von Autorität.

In der autoritären Gesellschaft ist die Lage der Frau eine besonders elende, weil diese die Eigenheiten der Frau, wie Menstruation, Konzeption, Geburt und Erziehung der Kinder, die sie als eine angeborene Last trägt, nicht richtig einschätzt. In der gegenwärtigen Gesellschaft werden diese Dinge als eine "private" Angelegenheit betrachtet und der Wert des Menschen richtet sich einzig und allein nach seiner Teilnahme an den sogenannten "öffentlichen" Angelegenheiten. Heute versuchen die Autoritären und speziell die autoritären Sozialisten, die Not der Frauen mit untauglichen Mitteln zu lindern, indem sie Institute wie Geburtskliniken und Findelhäuser gründen, um die Gesellschaft zu retten. Die Stellung der Frau im öffentlichen Leben wird durch diese Institutionen aber nur herabgesetzt. Man kann ihre geistige und physische Eigenheit nicht länger leugnen. Die Stellung der Frau innerhalb der autoritären Gesellschaft wird immer eine niedere sein als die des Mannes.

Es ist ein hartes Los, in der autoritären Gesellschaft als Frau geboren zu sein. Der Kapitalist, der der Frau den gleichen Lohn als dem Manne verweigert sagt: "Ihr Frauen habt als Arbeiter Mängel, denn ihr habt Menstruation, gebärt Kinder und eure Aufgabe ist es, diese zu stillen. Eure Kraft ist mithin nicht gleich der des Mannes und daher muss euer Lohn ein niedrigerer sein? In Sowjetrussland antworten die Bolschewiki den Frauen, die nach denselben "offiziellen Stellungen" wie der Mann verlangen: "Wenn ihr eure Mängel als Frau abwerfen könnt, dann wollen wir euch zu den "offiziellen Stellungen" zulassen." Sie sehen also in dem der Frau angeborenen Amt einen Fehler. Obzwar ihre Wirksamkeit bei öffentlichen Arbeiten nicht von der des Mannes abweicht, wird die Handlungstätigkeit einer Frau immer beschränkt. In der autoritären Gesellschaft ist immer der Mann, der Herr und die Frau seine Dienerin.

Die Teilung der menschlichen Angelegenheiten in private und öffentliche charakterisiert jede Autorität. Da aber die Frau die ihre angeborenen physischen und geistigen Eigenheiten nicht beseitigen kann, muss sie, solange diese Teilung existiert, in permanenter Sklaverei verbleiben und ist ihre Emanzipation hoffnungslos. Unter dem Druck dieser Zweiteilung haben wir uns empört und bekämpfen die Autorität. Die meisten Marxisten unterstützen diese Teilung und behandeln die Liebe zwischen den Geschlechtern als Privatangelegenheit. Für sie richtet sich der Wert der Frau nach der "öffentlichen" Laufbahn und bleiben autoritär bis in die Knochen. Was ist in Wahrheit eine öffentliche Angelegenheit? Sie ist das Werk, die Vertretung der Interessen der herrschenden Klasse. Was ist private Angelegenheit? Die natürlichen Mängel und Lasten im menschlichen Dasein. In der kapitalistischen Gesellschaft erscheinen diese Mängel und Lasten als nachteilig. Sie können unter Umständen den Profit des Herrn vermindern. Der Herr braucht notwendiger einen Robboter, einen Knecht, einen Neger. Die menschlichen Angelegenheiten zweiteilig zu betrachten, ist vom Standpunkte der Frau aus unmöglich. Das Individuum und die Gesellschaft sind keine gegensätzlichen Dinge, sie sind und müssen eins sein. Die Gesellschaft, die Kooperation ist die Garantie in Freiheit zu leben, bildet die Freiheit der Existenz, der Produktion, der gegenseitigen Hilfe, der Entwicklung der menschlichen Bedürfnisse für alle Individuen. Die Autorität hat diese Lebensharmonie zerstört.

Das nächste Unrecht der Autorität an der Frau betrifft die Mutterschaft. Das Erwachen der Frau ist immer begleitet vom Bewusstsein der Mütterlichkeit, von Respekt für Freiheit und Recht des Kindes. Denn jedes Wesen, das wegen seiner Mutterschaft misshandelt wird, dessen Kinder werden auch misshandelt. Die Geburt eines Kindes wird in der autoritären Gesellschaft als ein Zuwachs der Sklavenanzahl betrachtet. Die Verteidiger der Autorität nehmen der Mutter die Kinder weg, um sie zu "Bürgern" in den öffentlichen Schulen zu erziehen. Die Kinder sind Staatseigentum. Das ist die Meinung aller Autoritären, von Platon bis Marx, von Lenin bis Mussolini. Sie erwarten die Geburt eines Kindes mit verschiedenen Kalkulationen, setzen seine Erziehung fest und verhöhnen die natürliche Entwicklung des Kindes.

Was muss eine Frau tun, wem sie sich der wahren Natur ihres sozialen Erwachens bewusst wird? Sie muss der Autorität mit der Faust ins Antlitz schlagen! Ihr sagen, es ist keine Schande, Frau zu sein.

Das Erwachen zur bewussten Mutterschaft ist ein Protest gegen die Unterdrückung und Versklavung. Das Zeichen der Mutterschaft ist nicht allein die Milde, man muss auch für sie unerschrocken kämpfen.

In der neuesten Zeit sind die Menschen dahingelangt, die Grundlagen der Regierung anzuzweifeln. Der Zweifel an diesen Grundlagen selbst ist schon Nicht-Regierung. Heute ist es bereits klar, dass die politische Organisation sich auf Raub, Privateigentum und Ungerechtigkeit gründet.

Die Erkenntnis, dass alles Uebel, das die Menschheit zu erdulden hat, seine Ursache in den Anmassungen der herrschenden Klasse hat, wird immer grösser. Jedermann denkt darüber nach, wie diese Ungerechtigkeit abzuschaffen sei. Viele Köpfe in der Welt sind gleich uns damit beschäftigt, aus unserer Not einen Ausweg zu finden. Die Vereinigungen der Arbeiter und landlosen Bauern, der Syndikalismus, sind gegen jede Ausbeutung und gegen jede Anmassung, die Herrschaft der Regierenden zu verewigen. Ihr Ziel besteht in der Beseitigung aller Privilege und jeder Autorität, in Verrichtung der Freiheit für Alle, einschliesslich der Frauen. Die Organisation gründet sich auf das Prinzip der gegenseitigen Hilfe und nicht, wie den politischen Parteien, auf die bürgerliche Demokratie. Sie ist sich der wahren Kraft aller Gesellschaft bewusst, der Fähigkeit, die Produktion und Konsumation ohne irgend eine Intervention von Regierungen, zu regeln. Wir sehen in dieser Bewegung die Garantie für unsere endgültige Befreiung und für die Errichtung der Anarchie. – Das Journal "Frauen-Front" will die Freiheit der Mutterschaft und weiterhin ein nützliches Glied der sozialen Befreiungsbewegung der Arbeiter und Bauern in Japan, nein, der ganzen Welt sein.

Quelle: Aus der Zeitschrift “Frauen-Front“, Tokio, Japan. In contra. Anarchistische Monatsschrift. Jahrgang 1, Wien, 25. Juli 1930, Nr. 4.

Originaltext: http://anarchistischebibliothek.org/library/itsue-takemure-die-frauenfront


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