Anarchafeminismus? (1992)

Der Begriff des Anarchafeminismus kommt ursprünglich aus den us-amerikanischen feministischen Diskussionen und wurde Mitte der siebziger Jahre durch die Übersetzung von Beiträgen von Peggy Kornegger und Carol Ehrlich auch in der Bundesrepublik bekannt. Radikale Feministinnen waren bei der suche nach einem Gerüst für die feministische Revolutionierung der Gesellschaft auf die Prinzipien des kommunistischen Anarchismus im Sinne Kropotkins gestossen. Sie meinten, hier im wesentlichen ihre eigenen Ansätze wiederzufinden. So kamen sie zu den Thesen von der wechselseitigen Ergänzung und Entsprechung von Anarchismus und Feminismus, was vor allem daraus deutlich werde, dass beide Bewegungen nicht-hierarchische Beziehungen und kleine Gruppen bevorzugten, sowie in der Lage seien, "aus der Kraft der Massen einen Nutzen zu ziehen". Während der Anarchismus dem Feminismus "ein klares Verständnis von Hierarchie und Autorität" liefere, habe der Feminismus die Verquickung aller Arten von Unterdrückung erkannt und biete "den anarchistischen Männern Aufschluss über ihr maskulines Erbe".

Carol Ehrlich, die Mitbegründerin des Anarchafeminismus, betont besonders die Konvergenz von Feminismus und Anarchismus bzgl. des Politikverständnisses. Beide teilen den Grundsatz, dass das Private das Politische ist. Für beide kann es keine politische Aktion geben, die nicht in der Sphäre des scheinbar privaten Alltags verankert wäre. "People are not free just because they are surviving, or even economically comfortable. They are free only they have power over their own lives". Ziel sei es, die Autonomie über das eigene Leben wiederzuerlangen. Ein Berufspolitikertum wird abgelehnt. Revolutionäre Praxis bedeute stets eine Revolutionierung des Alltags, die Etablierung von Alternativen. Im Bewusstsein, dass in einer hierarchischen Gesellschaft nur hierarchische Modelle gefördert werden, müsse besonders die antiautoritäre Bewegung sensibler für immanente Hierarchien in Denken und Organisierung werden. Die unterschwelligen Strukturen seien offenzulegen und durch sichtbare und diskutierbare zu ersetzen. Nur so könne dem Vorwurf von der angeblichen "Tyrranei der Strukturlosigkeit" begegnet werden, der von den verfechtern rigider Organisationsmodelle, die das endgültige Scheitern der antiautoritären Bewegung behaupten, häufig vorgebracht wird.

In ihren Vorschlägen zur anarchafeministischen Praxis macht Carol Ehrlich Anleihen bei den Situationisten. Ausdrücklich bezieht sie sich auf deren Theorien von der "Gesellschaft des Spektakels" und fordert subversive Aktionen, "Guerilla-Taktik", die aus dem Rahmen programmierter Rebellion und den klischees politischen Handelns ausbrechen. Solche Aktionen müssen provozieren und sind nicht zu vermarkten. Die Akteurinnen müssen sich der entfremdenden Wirkung des kapitalistischen Medienmarktes bewusst sein, der sie zu Zuschauerinnen ihrer selbst werden lässt. Nur einzigartige, mutige und spektakuläre Aktionen, die den Alltag neu erfinden, können diesen so thematisieren, dass den Menschen die Augen aufgehen. Für Frauen bedeute dies vor allem, die gesellschaftlichen Klischees von der Frau zu durchbrechen. Carol Ehrlichs Vorstellungen gehen also in eine Art "feministische Spassguerilla".

Den aktuellsten (1991) und umfassendsten anarchafeministischen Ansatz stellen die Ausführungen von Janet Biehl zu ihrem Konzept eines sozialen "Ökofeminismus" dar. Ausgehend von der Kritik am Ökofeminismus, als den patriachalen Rollenzuweisungen und Wertigkeiten verhaftet, fordert sie die Aufsprengung der geschlechtsspezifischen Sphähren des "privaten" und dem "politischen" und ihre gegenseitige Durchdringung.

Der Ökofeminismus, wie ihn z.B. Ynestra King in die anarchistische Diskussion eingebracht hat, geht von einer besonderen Verantwortung und Befähigung der Frauen zur Rettung des bedrohten Lebens auf der Erde vor der ökologischen Katastrophe aus. Durch die besondere Verbindung zwischen Frau und Natur, die auf der gemeinsamen und parallelen Unterdrückung beruhe, seien Frauen geradezu prädestiniert, durch 'ihre' weiblichen Werte und eine am 'Leben' orientierte Moral, eine Wende herbeizuführen. Die Frau stehe als "Vermittlerin zwischen Natur und Kultur". Zwar weiß auch Ynestra King um den kulturellen Ursprung dieser Konstruktion, doch will sie ihn benutzen. Frauen als Bewahrerinnen eines ursprünglichen Bewußtseins von z.B. Spiritualität und Magie könnten diese in die rational dominierte Politik einbringen und damit neue Lebenszusammenhänge anregen. Bestes Beispiel sind ihr die Frauen von Greenham common.

Janet Biehl nimmt von diesem Ansatz den ökologischen Akzent auf, sie weist jedoch die immanente affirmation patriachalischer Rollenzuweisungen zurück. Ein patriarchalisches Konstrukt könne nicht für die Emanzipation instrumentalisiert werden. "Das »Frau=Natur«, ob es sich nun biologisch oder sozial herleitet, hat für Frauen, die sich von kulturellen Definitionen zu befreien suchen, eindeutig ein eher regressives Potential. Für linke Frauen sollte es doch möglich sein, sich ohne beständige Last des »Frau=Natur« für die Befreiung sowohl von Frauen wie der Natur, einzusetzen."

Janet Biehl propagiert die »Ethik des Sorgens«, die die gesellschaftliche Sphäre des Privaten kennzeichnet, auch für den politischen Bereich, aber nicht als alleiniges Prinzip. "Bei den anstehenden Entscheidungen im öffentlichen Bereich entstehen zwischen den Menschen unausweichlich Differenzen, die argumentativ geklärt werden müssen, rational und leidenschaftlich." Daher sei die »Ethik der Rechte« (Gerechtigkeit, Menschenrechte) als Erbe der aufklärung ebenso wichtig.

Auf der Basis eines libertären Kommunalismus, wie ihn Murray Bookchin vertritt, mit dem sie am Institut für soziale Ökologie in Vermont, USA, zusammenarbeitet, sollen sich öffentliches und privates verzahnen. Durch eine »kommunalisierte Ökonomie«, die den Menschen, Männern wie Frauen, beide - heute getrennten - Lebensbereiche eröffnet, soll sich das gesellschaftliche Zusammenleben vollstãndig neu gestalten. Wenn zwischen Arbeitsplatz und Lebensbereich keine großen Entfernungen mehr liegen, sei sowohl eine gemeinschaftliche Fürsorge für Alte und Kinder, wie auch das Heraustreten der Frauen aus dem privaten Bereich möglich. Frauen und Männer könnten an allen Aspekten des gesellschaftlichen Lebens teilnehmen. Dies bedeute aber nicht nur einen Angriff auf die patriarchalischen Sozialcharaktere, sondern auch auf Kapitalismus und Nationalstaat als Quellen von HERRschaft. Der soziale Ökofeminismus zielt deshalb auf eine Verzahnung mit der Linksradikalen, anarchistischen Theorie und Bewegung.

Die Befreiung der Frauen könne nur im Rahmen einer allgemeinen Befreiung der Gesellschaft erfolgen.

Originaltext: http://gib.squat.net/blues/twh/anarchafem/inismus.html (vermutlich aus dem Schwarzen Kalender 1992)


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