Das Private ist das Politische - AnarchaFeminismus gestern und heute
„Ich glaube, Männer müssen zumeist erst lernen, Anarchisten zu sein. Frauen brauchen das nicht zu lernen.“ (Ursula K. LeGuin, feministische Science-Fiction-Autorin, 1981.)
Im deutschsprachigen Raum wurde der Begriff AnarchaFeminismus Ende der 70er Jahre durch Übersetzungen der radikalfeministischen US- Amerikanerinnen Peggy Kornegger und Carol Ehrlich bekannt (1). Für Radikalfeministinnen liegt im Patriarchat die Wurzel aller Zwangsverhältnisse. Kornegger und Ehrlich umrahmten ihren Ansatz mit der Theorie des kommunistischen Anarchismus im Sinne Alexander Kropotkins. Diese liefert eine umfassende Kritik der gesellschaftlichen Herrschaftsverhältnisse und ein klares Verständnis von Hierarchie und Autorität. Der radikale Feminismus seinerseits hat den Zusammenhang aller Arten von Unterdrückung erkannt und zwingt die männlichen Teile der Bewegung zu einer kritischen Reflektion ihres Rollenverständnisses. Der von Emma Goldman geprägte Grundsatz „das Private ist das Politische“ (2), sowie die Bevorzugung von nicht hierarchischen Beziehungen und dem Arbeiten in Kleinstgruppen, sind beide Ansätze verpflichtet. Stellenweise entsprechen bzw. ergänzen sich also Anarchismus und radikaler Feminismus. Für viele Feministinnen galt aber ausschließlich der Sexismus als Wurzel der Unterdrückung und so sind und waren die Handlungskonsequenzen alles andere als anarchistisch, wie mensch zum Beispiel an der weit verbreiteten Matriarchatstheorie innerhalb der feministischen Bewegung sehen kann. Für den AnarchaFeminismus kann die Beendigung des Patriarchats nur ein Ziel im Kampf um Herrschaftsfreiheit sein.
Frühe Wurzeln
Mit der Entstehung der anarchistischen Bewegung in den 60er und 70er Jahren des 19. Jahrhunderts wendeten sich auch viele Frauen den neuen Ideen und Idealen zu. Die Mehrzahl der anarchistischen Männer waren Antifeministen und standen der traditionellen Rollenverteilung völlig unkritisch gegenüber. Die anarchistischen Frauen machten daher auf die Bedeutung des Feminismus innerhalb der anarchistischen Theorie aufmerksam. Besonders hervorzuheben ist dabei Louise Michel, die führende Feministin und Sozial-Revolutionärin zur Zeit der Pariser Kommune (3) und die damals wohl populärste Wortführerin des anarchistischen Sozialismus. Im bewaffneten Kampf um die Kommune zeigte sich ihr deutlich, dass die Frauen in Sachen Mut, Entschlossenheit und Fähigkeiten ihren männlichen Mitstreitern in nichts nachstanden. Dies bestätigte sie in ihrer Ansicht, dass die Frau nicht von Natur aus dem Manne unterworfen ist, sondern bereits in der Kindheit zur Unterwürfigkeit erzogen wird. Deshalb gründete sie auch mehrere autonome selbstverwaltete Schulen. Trotzdem blieb der Kampf der Frauen innerhalb der anarchistischen Bewegung von untergeordneter Priorität, da er sich mit der Ablösung des bürgerlich-kapitalistischen Systems, nach ihrer Überzeugung, von selbst erledigen würde.
Emma Goldman
Emma Goldman (1869-1940) versuchte in ihrem Leben ihren Grundsatz “Das Private ist das Politische“ konsequent umzusetzen. So verzichtete sie aus Protest gegen die herrschenden Rollenvorstellungen auf die Möglichkeit Kinder zu bekommen, indem sie eine notwendige medizinische Behandlung unterließ. Diese Konsequenz, die ihre politischen Positionen begleitete, stieß bei fast allen männlichen Mitstreitern und sogar in der feministischen Bewegung auf Befremdung. In ihrem Werk entwickelte sie revolutionäre Vorstellungen zur Geschlechtsrollenzuweisung und freier Liebe. Leider war es ihr unmöglich, die alternativen Rollenmuster zu leben, die sie in ihrer Utopie entwickelte, da diese sogar von den anarchistischen Männern in ihrem direkten Umfeld abgelehnt wurden. In ihrer Schrift „Das Tragische an der Emanzipation der Frau“ (1911) kritisiert Goldman die damalige Emanzipationsbewegung. Für diese Bewegung war der Kampf um Gleichberechtigung, ein Kampf um eine Gleichmachung von Frau und Mann. Dessen Ziel war es, die Frau dem Mann politisch und ökonomisch anzugleichen; der Mann wurde dabei vor allem als ein Konkurrent gesehen. (4)
Doch am Wesen der Politik und dem Kampf um Macht änderte sich schon damals auch mit Beteiligung der Frauen nichts. Im ökonomischen Bereich waren die Frauen ihren männlichen Kollegen oft körperlich unterlegen und mussten sich physisch verausgaben, um gleiche Leistungen zu erreichen. Auch das Vertrauen in die Fähigkeiten der Frauen und ihre Bezahlung lagen weit unter denen der Männer. Außerdem musste sich die Frau oft auch zusätzlich mit den Pflichten im Haushalt und der Kindererziehung auseinandersetzen. So war es für viele arbeitende Mädchen sogar angenehm, in die Ehe zu flüchten und sich ausschließlich der Heimarbeit zu widmen. Die Frauen, die sich ausschließlich auf einen Beruf konzentrierten und sogar eine hohe Stellung erreicht hatten, opferten dafür ihr Gefühls- und Liebesleben. Die Medien ihrer Zeit entwarfen von der emanzipierten Frau ein moralisch anrüchiges Bild: „…Emanzipation war ein Synonym für leichtsinniges Leben voller Lust und Sünde, ohne Rücksicht auf Gesellschaft, Religion und Moral.“(5) Die Frauenrechtlerinnen taten darum alles, um diesem Bild nicht zu entsprechen und legten sich selbst neue Fesseln an. Der Mann wurde generell abgelehnt und nur notwendigerweise als Vater ihrer Kinder akzeptiert.
Nach Goldman unterdrückten sie damit ihr Innerstes, das sich nach Liebe sehne, anstatt gegen diese spießbürgerlichen Moralvorstellungen zu kämpfen. Der Kampf für eine freie Gesellschaft könne nur zusammen mit den Männern geführt werden und sei ohne das Ziel der Befreiung beider Geschlechter nicht möglich.
Neuere Theorien
Auf der Suche nach einer anarchistischen Theorie, die den Rahmen für eine Analyse der gesellschaftlichen Bedingungen und deren Veränderung darstellt, stieß die anfangs erwähnte Carol Ehrlich auf den Situationismus. Für die Situationisten leben wir alle in einem “Welttheater“, in dem wir als passive Zuschauer teilnehmen.(6) Hierbei interessierte sie sich vor allem für die auch auf zwischenmenschliche Beziehungen ausgedehnten Begriffe Ware und Schauspiel, die sich besonders treffend auf das Leben der Frauen beziehen ließen: In der Warenwirtschaft treten Frauen sowohl in der Rolle der Konsumentinnen als auch in der Rolle der Konsumierten auf. Sie werden zu sexuellen Objekten, die von Männern konsumiert werden können oder zu “Supermüttern“, die sich selbstlos und aufopferungsvoll von ihren Kindern konsumieren lassen. Ehrlich meint, dass wir in ein Leben hineingeboren werden, in dem wir nur passive Zuschauer sind. Rebellisches Verhalten gegen das Schauspiel der Gesellschaft könne als eine Art Sicherungsventil angesehen werden und stelle meistens nur das Gegenteil des erwarteten Verhaltens dar. Eine Frau, die viele Affären hat und sich so der vorherrschenden Moral widersetzt, kann sicherlich bei den Konservativen für Aufruhr sorgen, wird aber nicht eine Veränderung der Gesellschaft ermöglichen. Das Schauspiel ist nur zu zerstören, indem mensch es durchschaut und greifbar macht.
Der soziale Ökofeminismus von Janet Biehl (1991) stellt wohl den umfassendsten Ansatz des AnarchaFeminismus dar und bezieht sich u.a. auf Ynestra King. Diese ging davon aus, dass die Frauen aufgrund ihrer weiblichen Werte und feinfühligen Moral besonders geeignet sind, das bedrohte Leben auf der Erde zu retten. Für Biehl lenkt jedoch die Gleichsetzung von Natur und Frau davon ab, dass die “typischen“ Eigenschaften der Geschlechter kulturell produziert sind, und somit auf einem patriarchalen Konstrukt basieren. Sie propagiert eine “Ethik des Sorgens“ als Verantwortung gegenüber der Natur und die “Ethik des Rechts“, also eine Besinnung auf Gerechtigkeit und Menschenrechte. Auch sie fordert die Aufhebung der Trennung vom Privaten und Politischen, sodass beide Geschlechter die Möglichkeit zur freien Entfaltung haben. (7) Dies solle mit Hilfe des libertären Kommunalismus Murray Bookchins geschehen: „Der soziale Ökofeminismus strebt nichts anderes an, als die Abschaffung von Kapitalismus und Nationalstaat und die Restrukturierung der Gesellschaft auf eine dezentralisierte, gemeinschaftliche Weise, so dass für alle ein ausgefülltes öffentliches und privates Leben möglich wird.“(8) Bookchin führt aus, dass die urbanen Gebiete an die spezifischen Ökosysteme angepasst werden müssen um die Vorraussetzung für Ökogemeinschaften zu bieten. Moderne Technik, sogenannte Ökotechnologie, muss eingesetzt werden, um in einem gehaltvollen Maß mit und von der natürlichen Umwelt zu leben. Damit bereichert der soziale Ökofeminismus den AnarchaFeminismus um eine ökologische Komponente und bietet durch den ökologischen Anarchismus Bookchins eine konkrete Alternative.
Gender-trouble
„Sex meint das biologische Geschlecht, gender das soziale oder kulturelle Geschlecht, also die in einer Kultur mit dem biologischen Geschlecht verknüpften Erwartungen und Handlungsmöglichkeiten.“ (9) Hierbei soll deutlich werden, dass Geschlechterrollen nicht auf biologischen Ursachen basieren, sondern das sie soziale Konstrukte sind. Wenn dies erkannt ist, kann mensch diese Konstrukte auch dekonstruieren und sich und sein/ihr Leben je nach Bedürfnissen und Fähigkeiten individuell gestalten.
Für Jürgen Mümken kommt dabei die Debatte um die Dekonstruktion von Geschlecht und die Zweigeschlechtlichkeit der Gesellschaft zu kurz. Er versteht seinen Text “Gender trouble im Anarchismus und Anarchafeminismus?“ (10) als Ergänzung zum allgemeinen anarchistischen gender- Diskurs. Für Mümken sind dabei die Gleichheits- und die Differenztheorie zentral: GleichheitstheoretikerInnen behalten die binäre Ordnung Mann und Frau bei, jedoch keineswegs die unterschiedlichen Rollenerwartungen. Die DifferenztheoretikerInnen gehen hingegen davon aus, dass auch das soziale Geschlecht biologischen Ursprungs ist. Für sie gibt es ein typisches Frau-Sein, dass vom Patriarchat unterdrückt wird. Für Mümken wird in beiden Theorien der Dualismus Kultur-Natur und das Konzept einer natürlichen sexuellen Differenz übernommen, wodurch „die naturalisierende, biologische Konzeption von der Kategorie Geschlecht nicht aufgehoben sondern lediglich in sex verlagert wird.“ (11) Historische Forschungen haben aber bewiesen, dass die gegenwärtigen Geschlechtskörper und die binäre Ordnung der Geschlechter das Ergebnis historischer Prozesse sind. So wurde der bürgerliche Mann erst durch die Entwicklung einer weiblichen Sonderanthropologie im 18. Jh. konstruiert.
Für Judith Butler ist der Körper eine „kulturelle Situation“ und als „Ort kultureller Interpretation ist der Körper eine materielle Realität.“ Der Mensch kann aus bestimmten Geschlechtsnormen und Körperstilen wählen, auf welche Art er/sie seinen/ihren Körper annimmt und “trägt“. Die Normenspielräume werden dabei von regulativen Diskursen festgelegt, die gegebene Machtverhältnisse innerhalb der Gesellschaft wiederspiegeln. Jede „Rede von Natur dient vor allem dazu, jene Zwänge, Disziplinierungstechniken und Diskursstrategien unkenntlich zu machen, die die alternativlose Unterwerfung unter das Zweigeschlechtermodell in jeder konkreten Subjektwerdung neu erzwingt.“ (12)
Schön und gut...
Durch die Dekonstruktion von sex als natürlich gegebener Tatsache würde auch die Einteilung in homo- oder heterosexuell ihre Basis verlieren und somit Raum für weitere Formen von zwischenmenschlichem Sich-aufeinander-beziehen geschaffen werden.
Anhand der oben beschriebenen Ansätze und Ausführungen wird klar, dass,- im Gegensatz zu den älteren anarchafeministischen Theorien,- mit dem Festhalten an einem natürlich gegebenen Geschlecht gebrochen werden muss. Es kann jedoch nicht reichen, nur die patriarchal festgelegten Zuschreibungen zu kritisieren, um Patriarchat und Zwangsheterosexualität zu überwinden. Carol Ehrlich plädiert z.B. für eine Praxis der direkten Aktion; in subversiven Aktionen soll der Alltag neu erfunden, für Aufsehen gesorgt und provoziert werden: „Die AkteurInnen müssen sich der entfremdenden Wirkung des kapitalistischen Medienmarktes bewusst sein, der sie zu ZuschauerInnen ihrer selbst werden lässt.“ (13) Frauen könnten dies am Besten, in dem sie entgegen ihrer Rollenerwartungen und Geschlechterzuweisungen handeln und so die gängigen Klischees brechen. Wichtige Ziele, wie die Zerstörung von Machtverhältnissen und Unterdrückungsmechanismen, die Kontrolle über den eigenen Körper, die Entwicklung von Alternativen zur Kleinfamilie und Heterosexualität, eine gleichberechtigte Kinderbetreuung, ökonomische Unabhängigkeit, die Abschaffung repressiver Gesetze, geschlechtsabhängige Rollenzuweisungen in der Familie, den Medien und am Arbeitsplatz und die Überwindung von Beziehungen mit emotionaler Zwangsabhängigkeit werden nur erreicht, wenn Menschen bereit sind, sich ihr anerzogenes bzw. ansozialisiertes Verhalten bewusst zu machen und die Möglichkeit und Notwendigkeit dieser Handlungsmöglichkeiten erkennen. Dies ist ein, wie ich denke, langwieriger, überwiegend individueller und oft schwieriger Weg, der häufig an seine praktischen Grenzen stößt und innere und äußere Konflikte provoziert, da Rollenvorstellungen und Machtverhältnisse tief verwurzelte gesamtgesellschaftliche Konstrukte darstellen. Die Hinterfragung und Auflösung eigener und gesellschaftlicher Kategorien kann sehr befreiend aber auch sehr verunsichernd auf den/die EinzelneN wirken, da Geschlecht und Sexualität stark auf die Identitätsbildung einwirken . Deshalb sehe ich es für den/die EinzelneN als hilfreich, sich innerhalb des vertrauten privaten Umfeldes auszutauschen und über die inneren Konflikte und Widersprüche bezüglich Rollenerwartungen, Rollenvorstellungen, eigenen Rollenbildern, sexuellen Interessen, Machtverhältnissen oder Dominanzen zu diskutieren und zu reflektieren. Dies könnte zumindest ein praktischer Weg sein, um sich des täglichen Schauspiels bewusst zu werden und so vom/von der passiven ZuschauerIn seiner/ihrer festgelegten Rollen, zur aktiven Selbstbestimmung und Ausgestaltung ebendieser zu gelangen. Meiner Meinung nach wird die komplette Auflösung von Geschlecht und den dazugehörenden Zuweisungen und Rollenerwartungen erst in einer, gegenwärtig als Utopie zu bezeichnenden, befreiten Gesellschaft möglich sein. Nichtsdestotrotz halte ich es für sinnvoll, durch zum Beispiel Carol Ehrlichs Vorschlag der subversiven Aktion, am vorherrschenden Bewusstsein zu rütteln und es so öffentlich kritisch zu hinterfragen und gleichzeitig noch ein bisschen Spaß zu haben...!
Qkuck
Fußnoten:
(1) Kornegger, Peggy; Ehrlich, Carol: „Anarcha-Feminismus“. Berlin 1979
(2) Goldman, Emma: „Gelebtes Leben“. Karin Kramer Verlag, Berlin 1978-1980
(3) Anm.: Als Pariser Kommune wird der Pariser Stadtrat von 18. März 1871 bis 28. Mai 1871 bezeichnet, der gegen den Willen der Regierung versuchte, Paris nach sozialistischen Vorstellungen zu verwalten. Die Pariser Kommune gilt als Vorbild für die Rätedemokratie.
(4) Goldman, Emma: „Frauen in der Revolution“. Bd.2, Berlin 1977
(5) Emma Goldman: „Das tragische an der Emanzipation der Frau“, 1911, Seite 19
(6) Guy Debord: „Die Gesellschaft des Spektakels“, Edition Tiamat, Berlin 1996
(7) Biehl, Janet: „Der Soziale Ökofeminismus und andere Aufsätze“. Grafenau 1991
(8) Bookchin, Murray: „Natur und Bewusstsein“. Winddruck Verlag 1982
(9) Lohschelder, Silke u.a.: „AnarchaFeminismus“. Unrast Verlag, Münster 2000, S. 151
(10) Mümken, Jürgen: „Gender trouble in Anarchismus und Anarchafeminismus?“ www.postanarchismus.net/texte/gender_trouble.htm
(11) Mümken, Seite 2
(12) Hauskeller, Christine: „Das paradoxe Geschlecht. Unterwerfung und Widerstand bei Judith Butler und Michel Foucault“. Tübingen 2000, Seite 59
(13) Kornegger/Ehrlich (Berlin 1979), Seite 98
Aus: Feierabend Nr. 25
Originaltext: http://www.feierabendle.net/index.php?id=390