Andreas Krebs - Homosexualität im Knast
In letzter Zeit wurde ich immer öfter gefragt, wie mit Homosexualität im Knast umgegangen wird, gerade im streng katholischen Bayern und ich möchte über ein paar Fälle erzählen, in der Hoffnung, dass auch solche Menschen Gehör finden und dass darüber berichtet wird.
Gerade im Langstrafen-Knast in Bayern ist ein Mensch mit der Neigung zur Homosexualität schweren Repressalien ausgesetzt, die soweit gehen, dass sie aus Schutz vor anderen Gefangenen in Isolationshaft verlegt werden. So beobachtete ich in meiner langjährigen Haftzeit, dass immer wieder Menschen durch Mitgefangenen schweren Misshandlungen ausgesetzt sind. Ich möchte daher nur ein Beispiel von vielen berichten.
Micha, der in der Justizvollzugsanstalt Amberg eine mehrjährige Haftstrafe wegen Betrug verbüßte, 55 Jahre alt war und dessen Neigung nur dadurch bekannt wurde, weil er in seinem Haftraum mehrere Fotografien und Poster von männlichen Models hängen hatte, was unter den Mitgefangenen sofort zu Misstrauen führte. Anfangs wurde er immer sehr nett behandelt. Er alberte mit den Gefangenen herum und war immer hilfsbereit. Da er Nichtraucher war, hatte er beim monatlichen Einkauf immer den ein oder anderen Euro übrig, machte kleine Geschenke an die engsten Freunde, ohne irgendeine Gegenleistung zu erwarten.
Natürlich kamen viele Gefangene und ließen sich das eine oder andere vom Einkauf mitbringen und nutzten die Gutmütigkeit auch oft aus. Bis zu dem Tag, als ein Mitgefangener ihn fragte, was es mit den Fotografien auf sich hat und Micha offen erklärte, dass er homosexuell ist. Ab diesem Tag fingen die Probleme an. Da Micha Hausarbeiter war, also verantwortlich für die Sauberkeit auf der Station und die tägliche Essensausgabe zu Mittag und Abend, kam er automatisch mit allen Gefangenen in Kontakt. Er wurde vor den Bediensteten beleidigt, bespuckt und mit körperlicher Gewalt bedroht.
Die Beamten reagierten kaum und sahen zum größten Teil nur zu, wie Micha eingeschüchtert und mit Äußerungen wie “Du Schwuchtel” und “Arschficker” betitelt wurde. Die Gefangenen weigerten sich, von ihm das Essen entgegen zu nehmen und schlugen Micha einfach mit der flachen Hand ins Gesicht und er wurde offen bespuckt. Micha wurde Tage später in Isolationshaft genommen, getrennt von allen anderen Inhaftierten. Dort verbrachte er seine restliche Haftzeit von noch über einem Jahr bis zur Endstrafe.
Ein anderer Fall war ebenfalls mit einen Homosexuellen, der täglich mit dem Wissen der Beamten geschlagen und misshandelt wurde. So musste dieser Putzarbeiten in den Hafträumen der anderen Inhaftierten verrichten und durfte fast seinen ganzen monatlichen Einkauf abgeben. Seine Blessuren im Gesicht und am Körper waren offen zu sehen. Durch die ständigen Misshandlungen versuchte er sich bereits mehrfach das Leben zu nehmen und wurde von Tag zu Tag depressiver.
Während meiner Erzählungen gegenüber anderen Genossen wurde ich gefragt, warum sich die Gefangenen nicht an das Dienstpersonal wenden oder die Vorfälle ihren Angehörigen berichten. Wenn die Anstaltsleitung und der jeweilige Stations-Beamte überhaupt gewillt ist zu helfen, stehen sie meist selbst machtlos den Misshandlungen gegenüber. In der Regel ist es aber so, dass Bedienstete wegsehen und die Sache den Gefangenen überlassen. Der Beamte möchte seine Schicht so ruhig, wie es nur geht, verbringen und sitzt meist nur in seinem Büro, liest Zeitung oder sitzt mit seinem Privat-PC am Schreibtisch.
Wenn ein betroffener Gefangener sich an die Anstaltsleitung wendet, die eigentlich verpflichtet ist, der Sache sofort nachzugehen und dies auch in der Regel tut, wird der Gefangene sofort in Schutzhaft genommen. Jedoch ist keine Schutzhaft und Isolierung hundertprozentig sicher. Selbst eine Verlegung in eine Schwester-Anstalt schützt denjenigen nicht, da hier sofort Mitgefangene informiert werden und das Spiel von vorne los geht.
Viele Gefangene haben auch ein Schamgefühl, dies ihren Angehörigen, ob beim Besuch oder im Brief, zu berichten. Wohl auch deswegen, weil auch Vollzugsbeamte gegenüber anderen Gefangenen gerne aus dem Nähkästchen plaudern und Informationen an andere zukommen lassen. Die Konsequenzen wären noch weit schlimmer, würde sich der Mensch anderen anvertrauen.
Ich lernte zum Beispiel einen lieben Menschen in Amberg auf meiner Station kennen, der homosexuell war und auch sonst von seiner Statur und seinem Auftreten keine Chance gehabt hätte, sich zu wehren. Dieser Mensch wurde über die Zeit hinweg ein toller Weggefährte für mich und ich unterhielt mich offen vor allen anderen Gefangenen mit ihm. Natürlich kamen der ein oder andere zu mir und sagten, was ich denn mit der Schwuchtel möchte und so manche mieden auch mich. Da ich jedoch einen gewissen Ruf hatte was Schlägereien betrifft und auch sonst wegen meinem Kampf gegen das System, hatte man sehr großen Respekt vor mir, so dass man meinen Weggefährten in Ruhe ließ.
Dieser Mensch hatte allerdings sehr große Angst, dass wenn ich nicht mehr da bin, aus welchen Gründen auch immer, er wieder das Opfer wird und wieder so behandelt wird, wie bevor wir uns kennenlernten. Er kam zum Beispiel zu mir in die Zelle, brachte täglich kleine Geschenke zu mir oder wollte immer mein Geschirr im Waschbecken abspülen, oder meine private Sportkleidung im Eimer waschen. Selbst meinen Haftraum wollte er wischen. Alles nur, weil er Angst hatte, dass ich ihn fallen lassen könnte. Selbst Beamte sahen mich dumm an oder verdrehten die Augen, weil ich mich mit „diesen“ abgegeben habe. Dieser Gefangene ist auch nie in den täglichen Hofgang gegangen, immer aus Angst vor Beschimpfungen und so weiter. Natürlich versuchte ich ihm jedes mal zu erklären, dass er sich keine Sorgen machen muss und doch bitte die ständigen Geschenke vom Einkauf und Putzarbeit lassen soll.
Um ehrlich zu sein, ich wurde ihn schon nicht mehr los. Denn wann immer auf der Station Aufschluss war, war er ständig in meiner Nähe und ging auch nie von meiner Zellentüre weg. Interessant war aber dann auch zu beobachten, dass wenn ich nicht in der Nähe war, Mitgefangene plötzlich zu ihm gingen und sich Dinge vom Einkauf ausliehen oder ihn bequatschten, dass er ihnen doch Tabak vom nächsten Einkauf mitbringen soll. Da er Nichtraucher ist, hatte er natürlich den ein oder anderen Euro übrig und das nützten die Leute aus. Natürlich bekam er die verliehenen Sachen nie zurück und trotzdem verschenkte er weiter. Ich versuchte immer, auf ihn einzureden, den Leuten nichts zu geben und das sie ihm nur ein schönes Gesicht machen, weil sie Schiss vor mir haben und weil sie ihn benutzen. Einige Giftler ließen sich so auch ihre Drogen finanzieren, oder beglichen so ihre Schulden bei ihrem Dealer. Aber sobald er doch einmal zu jemanden „Nein“ sagte, wurde er im gleichen Zug wieder aufs übelste beschimpft.
Als ich selbst dann wegen einem gefundenen Handy und Aussagen von Ratten bezüglich einer vermeintlich im Besitz befindlichen Stichwaffe verlegt und in Isolationshaft genommen wurde, ist der Kontakt abgebrochen und er wurde wieder so behandelt wie vorher, mit ständigen Schikanen und Beleidigungen.
Ich habe ihn dann nie wieder gesehen. Lediglich durch Berichte von anderen habe ich erfahren, was er wieder durchleben musste.
Mir ist es ein sehr großes Anliegen gerade über solche Menschen zu berichten, was sie ertragen müssen, alles nur weil sie sich zu dem anderen Geschlecht hingezogen fühlen. Und dass ich es als notwendig ansehe, dass auch schwule Menschen von draußen Solidarität und Anteilnahme erfahren sollten und dass sie nicht alleine sind. Sicher werde ich mir keine Freunde mit meinen Berichten bei anderen Gefangenen machen, aber das ist mir egal.
Homosexualität im Knast – ein brisantes und heikles Thema, das wir nicht einfach so abschreiben sollten. Und diese Menschen dürfen wir nicht vergessen.
Andreas Krebs
Originaltext: http://www.abc-berlin.net/homosexualitaet-im-knast