Antimilitarismus und die Frauen (1921)
Militarismus ist Gewalt, Terror, Gemeinheit, Lüge, Verbrechen, Mord, Geistlosigkeit, Unterdrückung, Knechtschaft, Kadavergehorsam, Disziplin.
Der Mann wurde in Deutschland bis zur Novemberrevolution 1918 mit Gewalt zum Militärdienst gezwungen. Er wurde gemessen und gewogen, beschnüffelt von Offizieren, die sich „Ärzte“ nannten, wie das Schlachtvieh innerlich und äußerlich. War er gesund oder wenigstens nicht gerade körperlich ein Krüppel im schlimmsten Sinne des Wortes, so war er reif zum Handwerk des Menschenmordens, des Räubers, des Brandstifters. Der „Friedenskaiser“ und Deserteur Wilhelm II. war nicht zufrieden mit seinen „Ärzten“. Er forderte, dass besser „ausgekämmt“ werden sollte. Der letzte „Drückeberger“ sollte herausgeholt werden aus den Waffen- und Munitionsfabriken, um sein Blut zu verspritzen für seinen „Landesvater“, für seine Unterdrückerkaste, für seine Ausbeuter, für sein „Vaterland“.
Und die Männer lernten das Kriegshandwerk und mordeten. Nur ganz wenige besannen sich auf ihr Menschentum. Nur ganz wenige weigerten sich. Sie gingen fast alle hinaus in „Feindesland“, um zu morden, zu rauben, zu plündern und zu brennen. Je unmenschlicher, kriecherischer und „patriotischer“ sie sich bewegten, um so angesehener waren sie bei ihren Offizieren, um so mehr wurden sie belohnt mit Orden und Ehrenzeichen, mit Emporklettern zum Unteroffizier oder gar Feldwebel. Ach – es gibt viele kaiserliche Feldwebel, die heute sich als knallrote „Kommunisten“ oder gar „Anarchisten“ aufspielen.
Und unsere deutschen Frauen ? Sie drängten sich in die Fabriken für Heeresbedarf, sie schufteten Tag und Nacht, sie drehen Granaten, mischten Pulver und füllten Gasbomben. Sie füllen die Militärbureaus und wurden die Geliebten von Offizieren und Unteroffizieren. Sie verrichteten jede Art Männerarbeit. Sie wehrten sich nicht, dass man ihnen ihre Söhne und ihre Männer wegnahm, sie schufteten nur noch mehr als vorher, um das Leben zu fristen. Sie hungerten im Dienste des „teuren“ Vaterlandes, sparten Papierfetzen und – zeichneten Kriegsanleihe.
Ohne die deutschen Frauen hätte der Weltkrieg kaum ein Jahr lang geführt werden können. Wenn sie sich geweigert hätten, die Männerarbeit zu verrichten, dann lebten viele Tausende gemordeter Männer, viele Tausende Krüppel hätten ihre gesunden Glieder, viele Tausende jugendliche Burschen und Mädel wären nicht sittlich verwahrlost, viele Tausende von jungen Mädchen wären nicht der Prostitution in die Arme gelaufen, die wirtschaftliche und geistige Not der deutschen Arbeiterklasse, die Unmoral hätte nie so krasse Formen annehmen können, als sie heute als Folge eines viereinhalbjährigen Krieges zu verzeichnen ist.
Die Frauen jubelten, wenn ihre Männer und Söhne im „Feindesland“ eine Schlacht gewonnen hatten, wenn andere Mütter weinten und verzweifelten um den Tod ihres geliebten Sohnes oder Mannes. Die Frauen freuten sich, wenn deutsche Soldaten fremde Länder eroberten und sangen das Lied der Volksbetrüger: Deutschland, Deutschland über alles! Die Frauen gebärdeten sich „patriotischer“ als die Militärs, denen „Patriotismus“ ein gutes Geschäft ist.
Die Frauen füllen die Kirchen, um von den Pfaffen sich glatte Lügen einflüstern zu lassen, anstatt ihnen in die Ohren zu schreien, dass sie die Pflicht hätten, das christliche Gebot: Du sollst nicht töten! wahr zu machen
Nur ganz selten hörte man, dass Frauen einmal rebellisch wurden. Dann aber wurden schnell vorübergehend die Lebensmittelpreise um ein Kleines herabgesetzt oder die Unterstützungssätze erhöht, und alles ging wieder wie am Schnürchen.
Und auch heute noch laufen Tausende von Frauen den Reaktionären, den Ausbeutern und Unterdrückern nach, heute noch hindern sie oft ihre Männer und Söhne, wenn diese teilnehmen wollen am aktiven Kampfe um eine bessere Wirtschafts- und Weltordnung.
Das ist an sich bedauerlich und doch wieder verständlich. Die Frau ist doppelt geknechtet als der Mann als Produzentin, Mutter und Hausfrau. Ihre Lasten sind größer noch als die der Männer. Und leider glauben heute noch viele Männer, dass die Frau sich um weitere Dinge als um Kinder und Kochtöpfe nicht zu kümmern habe. Diese Männer sollten dann aber auch nicht klagen über die Dummheit der Frauen. Sie selbst sind die wirklichen Schuldigen. Denn sie haben noch nicht die einfache Wahrheit begriffen, das ein menschlicher Fortschritt ohne die Frauen überhaupt nicht denkbar ist. Die Frauen sind die größere Hälfte der Menschen. Sie sind die Gebärerinnen und Erzieherinnen der Kinder.
Nicht nur körperliche Krankheiten, sondern auch geistige Schwachheiten sind erblich. Dumme Mütter werden keine klugen Kinder in die Welt setzen. Und dumme Mütter können ganz und gar nicht als Erzieherinnen der Kinder wirken. Wie die Kinder aber, so unsere Zukunft. Die Männer müssen also sich selbst anklagen, anstatt zu schimpfen über die Dummheit der Frauen und Kinder.
Und wie die Verhältnisse liegen, wird die Dummheit der Frauen und Kinder fast immer in den Arbeiterfamilien zu finden sein, wo der „Kindersegen“ am reichsten ist. Wie soll auch eine Proletarierin sich geistig entwickeln, wenn sie jahraus, jahrein mit dem Gebärgeschäft zu tun hat ? Die Not in der Familie lässt es nicht zu, dass sie ein gutes Buch lese, dass sie Konzerte oder Theater besuchte, dass sie Herz und Hirn gleichzeitig entwickle. Sie hat alle Hände voll zu tun, um die hungrigen Mäuler zu stopfen, sie hat zu waschen, zu flicken und zu nähen Tag und Nacht. Und dennoch muss sie zusehen, wie sie selbst und die Kinder dahinsiechen.
Und da sie selbst nicht weiß von den Dingen ringsrum, so kann sie jeder Lump missbrauchen, so kann sie ihren Kindern keine Führerin sein. So kann sie sich auch nicht revolutionär betätigen. Denn sie begreift ja die einfachsten Dinge nicht.
Und doch muß den Frauen ins Gehirn gehämmert werden: Wehrt euch gegen allzureichen „Kindersegen“. Nur das große Raubtier „Staat“ hat ein Interesse daran, dass es kribbelt in den Proletarierfamilien. Ohne große Menschenmassen kann „Vater“ Staat keine Kriege führen. Wollt ihr einen neuen Krieg ? Nein ? Gut ! So verweigert dem Staat euren Mutterschoß ! Streikt als Mutter ! Jedenfalls gebt nur so vielen Kindern das Leben, als ihr gut ernähren, kleiden und erziehen könnt. In unseren Tagen wird es jedem Vater und jeder Mutter schon schwer fallen, ein einziges Kind gut nähren, kleiden und erziehen zu können. Solange diese Verhältnisse dauern, solange müssen Mann und Frau die revolutionär wirkende Konsequenz ziehen: Schwangerschaften zu verhüten ! Kein Lohnstreik wirkt so revolutionär wie der Gebärstreik.
Kein Staat kann Kriege führen, wenn nicht Massen von jungen Proletariern da sind, die sich willig abschlachten lassen. Männer und Frauen also, die nicht Massenmenschen, sondern nur wenige Qualitätsmenschen zeugen, handeln bewusst oder unbewusst antimilitaristisch. Danach sind die Bourgeois antimilitaristischer als die Proletarier ? Jawohl ! Sie danken persönlich dafür, selbst Schlächter zu sein und sich abschlachten zu lassen. Das überlassen sie euch Proletariern. Sie saufen und prassen indessen und streichen Dividenden ein. Lasst die Bourgeoisie selbst ihre Kriege führen. Weigert euch für Sold Menschenschlächter zu werden!
Der Kapitalist kann nur wenig Rücksicht nehmen auf Väter starker Familien. Er entlohnt nicht nach der Zahl der Kinder, sondern danach, wie viel Profit der Arbeiter ihm einbringt und je nach der Konjunktur. Aber wir können heute sogar schon oft die Erfahrung machen, dass Proletarier kapitalistischer empfinden, als die Kapitalisten. Wenn wirklich eine Arbeitergruppe sich Kinderzulagen erkämpft hat, dann missgönnt oft der ledige oder kinderlose Proletarier die paar Mark, die der Arbeitsbruder mit starker Familie mehr erhält als er. Neid ist eine echt kapitalistische Empfindungsweise. Jedes Menschenkind, das da ist, hat das Recht zum Leben.
Dennoch muss den Arbeitern begreiflich gemacht werden, dass Beschränkung der Kinderzahl sittliche Pflicht ist. Weniger Kinder, aber gesunde Kinder! Das sei in Zukunft Richtschnur für alle sozialistischen Arbeiter. Dann erst wird sich Mann und Frau der großen sozialistischen Bewegung widmen können. Dann erst haben sie die Möglichkeit, teilzunehmen an allen wirklichen Kulturgütern. Dann erst werden sie ihren Kindern wirkliche Erzieher sein können. Dann werden sie sich selbst und ihre Kinder zu Menschen entwickeln können, die jeden Menschenmord ablehnen, die aber auch jede Tätigkeit ablehnen, die dem Krieg, dem Militarismus irgendwie dienlich ist.“
Aus: „Der Syndikalist“ Nr. 5, 1921
Originaltext: www.fau-bremen.de.vu