Hit me with music - Homophobie und Reggae als Exportschlager
„Die emanzipatorischen, zum Teil anarchistisch libertären Züge, die die Rasta-Bewegung dank ihrer Mischung – heute heißt es Hybridität – auszeichnet, insofern es ihr um die Umsetzung ihrer antihierarchischen Ziele im Hier & Jetzt geht, werden durch den Sexismus konterkariert.“ (J.P. Kastner: Der Mythos von Reggae als schwarzer Kultur der Befreiung, testcard Nr. 12: Linke Mythen)
Die ständigen verbalen Diskriminierungen Homosexueller durch viele Reggae-MusikerInnen sowie Bemühungen um Zensur bzw. Auftrittsverbote dieser durch Lesben- und Schwulenverbände sind die Frontpositionen eines komplizierten Konfliktes entlang kultureller Linien, dessen Analyse dem Geschehen entsprechend nur vorläufig und unvollständig sein kann. Jamaikanische Verhältnisse und ihre Sprache werden nur am Rande beleuchtet (S.13). Es geht v. a. um „Entspannungsmusik“ – bzw. das Konsumieren dieser hier.
Ich mag Reggae nicht
Damit das gleich klar ist: in jedem Leipziger Club, in dem hin und wieder Reggae-Partys stattfinden, lief schon homophobe Musik, von der Gießer bis zur Tille, auch im Eiskeller und auf der Wiese. Diverse Soundbwoys und -gyals (gemeint sind die lokalen Reggae-Crews) antworten auf diesbezügliche Nachfragen, dass sie dieser Debatte überdrüssig geworden seien (1), können aber wenigstens noch zugeben, dass Homophobie (2) Blödsinn ist. Ein beachtlicher Teil bekennt allerdings, dass sie „Schwule nicht gerade mögen“. Persönliche Unsympathiebekundungen aufgrund sexueller Vorlieben anderer sind zwar nicht gerade politisch korrekt, aber – für mich – gerade so noch akzeptierbar. Wenn dann jedoch diese Ressentiments öffentlich verbreitet werden – wenn etwa bei einer Tanzveranstaltung bewusst und wiederholt solche Lieder gespielt werden, in denen es gegen Schwule und Lesben geht (3) – so hat das nichts mehr mit persönlichen Vorlieben zu tun, sondern ist ganz klar eine politisch relevante und zu bekämpfende Tatsache. Aufgeregt wird sich darüber, zumindest „in der Dancehall“, jedoch so gut wie nie. Woran liegt das? In Italien z.B. werden homophobe Inhalte bei Konzerten und Partys oft mit Buh-Rufen quittiert, auch in den USA und Großbritannien gibt es mehr „teilnehmenden Widerstand“. Zum einen können oder wollen die meisten Leute einfach die Texte nicht verstehen, z.B. Wörter wie batty-boy und chichi-man, die abfällig für Schwule verwendet werden (4). Mangelnde Courage bzw. Politisierung, aber auch andere Prioritäten bei der Party oder gar Zustimmung können auch Gründe sein.
Oh Nein!
Auf der anderen Seite führt die inhaltliche Auseinandersetzung (5) für so manche emanzipations-motivierte Linke zu einer Ablehnung der Subkultur Reggae. Der massive Sexismus z.B. hängt jedoch nicht zuletzt eng mit der Kulturindustrie zusammen: Shabba Ranks musizierte jahrzehntelang „cultural“, bevor er mit laxer „slackness“ (im Kasten erläutert) 1992 den Grammy gewann. Lady Saw, eine auf sexistische Art feministische (Geht das?) „Königin des Dancehall“, muss sich hingegen heute noch rechtfertigen, warum sie z. B. auch mal einen sauberen Schrittgriff hinlegt; ohne wäre sie wiederum nur halb so erfolgreich. Der Kulturwissenschaftler Stuart Hall spricht von einer „sexuellen Ökonomie“, die außerdem ethnische Verhältnismäßigkeiten untermauere. Potenzgehabe kommt in der Musik genuaso vor, wie harmonische Harmlosigkeiten und düstere Härtefälle – jeder Hit ein Hit und nichts weiter.
Zweiter Brennpunkt ist die Kritik an Babylon, die meist ziemlich kurz und bündig in widerständig-feurigen Zeilen geäußert wird. Das System Babylon steht in der Rasta-Philosophie sowohl für den biblisch-historischen Ort der menschlichen Selbstüberschätzung (Turmbau zu Babel), als auch für Imperialismus, Kapitalismus und prekäre Lebensrealitäten insgesamt. „Verkürzte Verschwörungstheorien!“ heißt dann, aus völlig anderen Verhältnissen kommend, die Diagnose, wo MusikerInnen ohne analytischen Anspruch über ihre Geschichte, ihren Glauben und ihr unprivilegiertes Leben erzählen.
Und: Genauso wenig, wie mensch erwarten kann, dass diese sich in ihren Inhalten kulturindustriell an unsere KonsumentInnenansprüche anpassen, lässt sich die verbreitete „Illusion einer Eins-zu-Eins-Aneignung von jamaikanischer Musik und Kultur“ (6) aufrecht erhalten. Für die kulturelle Kommunikation sollte aber zumindest eine Erinnerung überall immer wieder wach gerufen werden: Vor 60 Jahren sind hier u. a. Homosexuelle (und im Mittelalter „Hexen“) tatsächlich verbrannt worden.
Ich liebe es
Was positiv rüberkommt: bei fugenartigem, spielerischen Kontrastreichtum kann mensch seine Hörgewohnheiten entspannen, irie (glücklich) werden, sogar in Trance oder revolutionäre (6) Stimmung kommen – auch wenn das politisch nicht verständlich ist, kann es gut sein. Die DJs, die zumindest versuchen, homophobe Musik heraus zuselektierenden, sind dabei natürlich vorzuziehen, doch leider auch rar. MusikerInnen ohne jamaikanische Nationalität und Homophobie gibt es dagegen recht viele, nur werden die selten gespielt, wegen der Authentizität. Und ohne hier so zu tun, als ob im ach so aufgeklärten Deutschland der bessere, weil politisch korrekte Reggae produziert würde, erheben sich sehr wohl kritische Stimmen: „Wer Chi-Chi-Man spielt, bekennt sich zur Schwulenfeindlichkeit oder verabschiedet sich von jedem politischen Anspruch.“ So Oliver Schrader von Silly Walks Movement in einer Diskusion des Riddim-Magazin. Im Internetauftritt der Berliner Band Culcha Candela heißt es: „Es gibt Interessanteres und Wichtigeres im Leben, als die Menschen permanent mit seiner Penisgröße, seinem Hodengewicht und einer scheinbar angeborenen Homophobie zu unterhalten“. Viele junge Dancehall-MusikerInnen haben explizite politische Ambitionen (z.B. Mono und Nikitaman). Der süddeutsche Raggabund wendet sich ebenfalls konkret an die eigene Szene: „Batty Man Tunes sind Hass-Propaganda!“
Realise it!
Eine andere Frage betrifft z.T. durchgesetzte Zensurforderungen bzw. Auftrittsverbote z.B. durch den deutschen Lesben- und Schwulenverband oder die britischen Outrage. Was hat das mit Emanzipation zu tun? Wiederum muss mensch nicht nur der Geschichte wegen Vorsicht üben, kulturelle Güter verbannen zu wollen. Ist Bob Marleys „I shot the Sheriff“ schon Anstiftung zu „unspezifischem Mord“? Mehr als positionsverhärtende Verbote würde doch die gute alte direkte Aktion helfen. Ob „überaffirmative Partyinfiltration“ (7), lautstarke Unmutsbekundungen, spielerische Bloßstellungen – das Publikum muss nicht nur in Jamaika die Partyhoheit haben, denn die ohnehin sehr dynamische Musik wird ja für die Leute gemacht und „live“ verhandelt. (Übel nur, wenn mir, wie einst in der Distillery, auf meinen mit Hilfe der Zeichensprache geäußerten Unmut von dem Leipziger Iggla über das Mikro geantwortet wird, dass auch alle Lesben (8) brennen sollen.) „Culture jamming“ nennen manche die subversive Veränderung kulturell festgelegter Codes; manchmal wird z.B. die homophobe Aussage mit anderen Geräuschen überspielt oder sogar eine neue kreiert. Auch Partys mit Reggae-Soundsystems und Queer-DJ´s sind denkbar. Ich möchte jedenfalls irgendwann nicht mehr alleine frei auf der Tanzfläche sein. Wenn nicht alle tanzen können, ist es auch nicht meine Emanzipation!
clara
Buchtipps:
- Volker Barsch: Rastafari: Von Babylon nach Afrika, 2003.
- Stuart Hall: Rassismus & kulturelle Identität, Hamburg 1994.
Fußnoten:
(1) Z.B. durch die gescheiterten Diskusionen im Cee Ieh 2001.
(2) Homophobie bezeichnet eine soziale, gegen Homosexuelle gerichtete Aversion bzw. Feindseligkeit.
(3) Sog.“Batty-Boy-Runden“. Auch Aufforderungen zur Abstimmung per Hand gegen Schwule, wie sie auf jamaikanischen Dances oft praktiziert werden, habe ich hier schon erlebt (und unherzlich gelacht, weil diese zwanghaften Unterhaltungsversuche sowieso fast niemand mehr versteht).
(4) Batty boy meint im jamaikanischen Englisch (dem Patois) wörtlich einen sich beugenden Typen. Chi chi heißt ebenfalls „Termite“ und wird auch gegen „böse“Menschen verwendet.
(5) z.B. Daniel Kulla: Die Hure muss brennen, Cee Ieh 10/06 oder Radio Island Nr.8.
(6) Siehe z.B. Titus Engelschall: Babylon by bus, Neuroticker 8/06.
(7+8) Olaf Karnik: Homophobie hier - Der dritte Weg, Riddim 06/04.
(9) Auch ohne betroffen zu sein was dagegen haben zukönnen, das kennt er hierbei wohl nicht.
Notizen zu Leben und Musik auf Jamaika
„Sodomie“ (gemeint sind vom heterosexuellen Geschlechtsakt abweichende Praktiken) ist seit 1864 gesetzlich verboten.
Sklaverei, Kolonialherrschaft und christliche Missionierung sind auch die frühen, die heutige (korrupte und weiterhin ausbeuterische) Politik und Manipulation aktuelle Ursachen für die hohe Armut und Kriminalität: 1000 Morde pro Jahr bei 2,6 Mio. EinwohnerInnen, davon seit ´97 600 durch Polizisten und 30 an Homosexuellen; 20% leben unter der Armutsgrenze; 2,5 Mio. TouristInnen jährlich.
Den Entwürdigungen von oben wird kulturell das positive Bild des einfachen und starken schwarzen Mannes gegenübergestellt, das sich bis zum bad man, dem Helden des Ghettos, steigern kann.
Aids breitet sich zunehmend aus, nicht zuletzt, weil die Bevölkerung glaubt, es sei eine „Schwulenkrankheit“.
Die zu zwei Dritteln christliche Gesellschaft Jamaikas legt die Bibel (als mitunter einziges Buch im Haushalt) in bester missionarischer Tradition sehr konservativ aus, Homosexualität (oft auch Masturbation und Oralverkehr) wird dabei, wie u. a. auch in vielen christlichen Gesellschaften Afrikas, als Sünde angesehen. Auch der Anfang des 20. Jh. entstandene Rastafari-Glauben, dessen Sprachrohr seit den 70ern Reggae-Musik ist, propagiert Homophobie.
Verkürzt gesagt war Reggae zu Beginn mit spirituellen und politischen Botschaften erfüllt („roots“), in den 80ern wurde ein grober, vulgärer Stil („slackness“) populär und seit den 90ern gibt es wieder mehr Inhalte, z.T. bewußt, z.T. dogmatisch.
Traditionell treten bei einem Dance oft mindestens zwei Soundsystems auf (das sind jeweils mind. ein selecta (der die Platten auflegt, hier heißt er DJ) und ein deejay (der sprechend und singend das Publikum animiert, hier MC)) die sich dann gegenseitig beleidigen, was wie im Hip Hop eine unterhaltende und eine Wettbewerbsfunktion erfüllt. Der deejay sucht meist einen Konsens, um das Publikum auf seine Seite zu ziehen, und dieser besteht nun mal leider u.a. in einer abstrakten Homophobie (laut einer Studie 96% der Bevölkerung). Das unterlegene Soundsystem in so einem theatralisch inszenierten „clash“ ist dann gestorben, d.h. es muss seine nicht mitreißenden Platten und Sprüche einpacken. „Töten“ und „Sterben“ sind also gängige sprachliche Metaphern, wie das „Verbrennen“ von „Bösem“. Der homophobe Musiker Shabba Ranks drückte es einmal so aus: „It´s a lyrical gun for the people to have fun!“ (in etwa: Es sind lyrische Waffen, für die Leute zum Lachen.) Vulgäre Ausdrücke werden als Gefahr aus der „Unterschicht“ im übrigen z.T. gesetzlich bestraft, was PolitikerInnen jedoch nicht von der Instrumentalisierung homophober Songs abhält. Eins noch: Auch wenn es im Text z.B. um Liebe oder Freiheit geht, lässt es sich nicht 1:1 übersetzen!
Aus: Feierabend 24 (2006)
Originalquelle: http://www.feierabendle.net/index.php?id=428