Robert Foltin - Soziale Bewegungen in Österreich: Die Autonomen

Dieser Abschnitt behandelt nur einen Teil der Bewegungen der zweiten Hälfte der 1980er (z.B. gab es auch die Studierendenproteste 1987 und die Anti-Waldheim-Bewegung ab 1986). Daß dieser Abschnitt mit “Die Autonomen” betitelt wird, hat mit dem Widerschein dieser Bewegung in der medialen Öffentlichkeit zu tun. Aber auch innerhalb dieser Bewegung wird nur jener Bereich behandelt, der besonders mit Hausbesetzungen und den Anti-Opernball-Demonstrationen dieser Zeit zu tun hatte. Ortsangaben beziehen sich, wenn nicht ausdrücklich anders erwähnt, auf Wien.

In der zweiten Hälfte der 1980er tauchten die “Autonomen” auch in den Medien außerhalb der Szene auf. Immer wenn es Krawalle gab, waren es die Autonomen. Waren dieselben TeilnehmerInnen involviert, ohne daß es zu Krawallen kam, wurde von “Jugendlichen” gesprochen. Natürlich haben die ProtagonistInnen, die als Autonome bezeichnet wurden, mit dem Mythos der Militanz gespielt, tatsächlich stand und steht aber mehr dahinter, insbesonders der Anspruch, die Veränderung des eigenen Lebens mit der Umgestaltung der Gesellschaft zu verbinden. Während ein Teil der sozialrevolutionären Ideen, die 1968 gemeinsam mit einer Subkultur aufkamen, über die “neuen sozialen Bewegungen” (Alternativbewegung, Frauenbewegung etc.) in den sich umstrukturierenden Kapitalismus integriert wurde oder zumindest auf dem besten Wege dahin war, versuchten die Autonomen, das militante, vorwärtstreibende, umstürzende Element beizubehalten. Neben den trotzkistischen Sekten, die in ihrer Fixiertheit auf Machtübernahme im Staat und auf die fordistische ArbeiterInnenklasse vollkommen daneben lagen, blieb für sie als Einzige der Traum von einer Revolution. Es gab keine Bezugnahme auf revolutionäre Staaten, es waren Unruhen und Guerillakriege im Trikont und teilweise auch in Europa, die in ihrer Bedeutung überhöht wurden, um für sich selbst die Gewissheit zu schaffen, daß der herrschende Imperialismus schon in die Enge getrieben sei. Zugleich waren viele Texte voll von Katastrophismus und Beschreibung der Repression, wie sie (natürlich) gegen revolutionäre Bewegungen eingesetzt wurde und wird. Kulturell waren die Autonomen mit der Punkszene verbunden, u.a. weil diese am stärksten mit ihrem ganzen Leben die Ablehnung des herrschenden Systems ausdrückten. Aber es handelte sich auch um ein gespanntes Verhältnis: die unpolitischen Punks (oft “Suffpunks“) hatten ein offenes Verhältnis zur entstehenden Skinhead-Kultur, die zu einem großem Teil die harte Musik übernommen hatte und genauso auf Leben und Vergnügen standen. Die meisten Auseinandersetzungen gab es aber wegen sexistischem Verhalten von Teilen der Punkszene, die sich dann auch von den “politisch korrekten” Autonomen (von diesen manchmal “Automaten” genannt) abgrenzten.

Das soziale Feld der Autonomen war ein Netz von Treffpunkten, WGs und Einzelpersonen, die in vielen (meist kurzfristigen) Initiativen aktiv wurden. Ein Teil von ihnen zog es vor, sich als AnarchistInnen zu bezeichnen, andere sahen sich als “AntiimperialistInnen”, die mit dem bewaffneten Kampf der Metropolenguerilla, besonders der RAF (Rote Armee Fraktion) sympathisierten, wieder andere wollten sich gar nicht einordnen lassen, waren nur (Polit-)Punks oder HausbesetzerInnen. Entstanden ist diese Struktur aus den Spontis, aus der Jugend- und HausbesetzerInnenbewegung und AktivistInnen aus dem Umfeld des Kultur- und Kommunikationszentrums Gassergasse (GAGA), das 1983 geräumt wurde. Immer mehr setzte sich auch die Vermummung durch, nicht unbedingt wegen illegaler Aktionen, sondern auch, weil die Gefahr bestand, von Nazis und Stapo erkannt und gefilmt zu werden. Von einem Teil der Szene wurde ein Fetisch daraus gemacht, weil mensch in der Gruppe vermummt gefährlicher ausschaut als mensch ist.

Bis auf die schon erwähnten AnarchistInnen und AntiimperialistInnen gab es kaum politische Identitätsbildung. Mensch traf sich in Lokalen und auf Konzerten und Demonstrationen, besetzte Häuser oder beteiligte sich an Plenas. Politische Diskussionen wurden durch eine Strukturdebatte ergänzt. Das betraf technische Elemente von Rechtshilfe und Demosanis bis hin zu HandwerkerInnen, die Reparaturen durchführten oder die Häuser verbarrikadierten. Ein Teil der Szene war beschäftigt, Plenas durchzuführen, die es auf verschiedenen Ebenen gab (von Hausplenas und Autonomenplenas bis zu offenen Treffen, wo aber meistens auch die gleichen Leute anwesend waren). Oft blieb keine Zeit für theoretische Diskussionen.

Die nicht vorhandene politische Identität förderte ein ausgeprägtes Wir-Bewußtsein auf einer anderen Ebene. Da das Autonom-Sein auch kulturellen Ausdruck fand, wurde oft bereits durch die Äußerlichkeit der Bekleidung gezeigt, daß mensch dazugehört (und andere nicht). Durch die permanente Bedrohung durch Repression entstand zeitweise ein Klima der Paranoia, das die Abgrenzung nach außen noch verstärkte. Oberflächlich gesehen war es erstaunlich, daß immer wieder und zeitweise sehr viele neue Leute dazukamen. Die Abgrenzungen wirkten sich aber auch teilweise untereinander aus. So gab es Rivalitäten zwischen den sozialen Umfeldern der verschiedenen Treffpunkte (so gab es die Rotstilzchens, die Aegidis, die vom TU-Club).

Immer wieder gab es die Erfahrung der eigenen Schwäche. So tauchte immer der Anspuch auf, noch besser organisiert, noch militanter zu werden, was aber für die entsprechenden Personen dann wieder stärkere Abgrenzung nach außen bedeutete. So ist es auch nicht verwunderlich, daß insbesonders der Teil der Szene, der sich auf den Antiimperialismus berief, den Leninismus wiederentdeckte, damit die Organisation in einer kaderartigen Avantgarde-Partei. Die AntiimperialistInnen sahen sich in Zusammenhang mit den bewaffneten Kämpfen in Westeuropa (und der ganzen Welt), ihr Orientierungspunkt war die RAF. Eine Lieblingsmetapher dieser sozialen Zusammenhänge war immer “eine Front (mit der Guerilla)”, was die eigenen, als unwichtig empfundenen Aktionen aufwertete. Durch die Gemeinsamkeit gegen den Imperialismus wurde die Sowjetunion positiver bewerteten als von “anderen” Autonomen oder die AnarchistInnen. Der kleine Teil, der nach dem Zusammenbruch des “Kommunismus” in Osteuropa diese Ideologie beibehielt, orientierte sich an bewaffneten Kämpfen wie den der PKK, die in der Türkei für ein unabhängiges Kurdistan kämpfte, oder an den maoistischen Gruppen, die sich um den Sendero Luminoso in Peru in der RIM (Revolutionary International Movement) zusammengeschlossen hatten. Sie blieben aber Einzelpersonen, die als die aktivsten Teile Plenas mit ihrem neu entdeckten Stalinismus oder der Verherrlichung jedes reaktionären antiimperialistischen Kampfes nervten, aber für die technische Organisation Bedeutung gewannen.

Eine Diskussion, die immer wieder aufbrach, war die des Antisexismus. Wobei es (so wie überall) keine echte Diskussion gab. Wenn es sexuelle Übergriffe gab, wurden die entsprechenden Männer ausgeschlossen, es ging selten um die Diskussion der Machtverhältnisse, sondern nur um Aus- und Abgrenzungen. Teilweise wurde das auch für interne Machtkämpfe benutzt. Es war klar, daß sich mann (und frau) gegen Sexismus und Patriarchat aussprach, aber die realen Machtverhältnisse zwischen Männern und Frauen wurden nur am Rande (und wenn, dann eher unter Frauen) diskutiert. Das war mit ein Grund dafür, warum sich ein Teil der Frauen in Frauenzusammenhänge zurückzog. Ein Versuch, sich mit Sexismus auseinanderzusetzen, bildete die Diskussion um die triple oppression. Einerseits wurden in diesem Modell die netzwerkartigen Verknüpfungen der Macht reflektiert: die Macht ist überall und geht bis in unsere Körper. Andererseits wurde die Unterdrückung in den drei Hauptelementen Klassismus, Rassismus und Sexismus gesehen, gegen die gleichwertig gekämpft werden müsse.

“Autonome” gab es schon in Bewegungen in der ersten Hälfte der 1980er, u.a. in der Beteiligung als “autonomer und internationalistischer Block” bei der zweiten Friedensdemonstration im Oktober 1983 oder beim Barrikadenbau in Hainburg im Dezember 1984. Gerade in dieser Zeit erschienen sie als der militante Flügel der sozialen Bewegungen. Wobei diese zu einem gewissen Teil nur durch die “gewalttätigen Auseinandersetzungen” ihre mediale und gesellschaftliche Relevanz bekamen. Auch später beteiligten sich “autonome” AktivistInnen an allen sozialen Auseinandersetzungen, die in den 1980ern eine Rolle spielten – von den antiimperialistischen Demonstrationen gegen den Militärschlag der USA gegen Libyen 1986 bis zum Widerstand gegen Abfangjäger, aber auch im Kampf gegen Sozialabbau im Zusammenhang mit der Studierendenbewegung 1987.

Immer wieder erschienen kurzlebige Zeitungen (Diskussionbulletin Autonomie 1983, Autonom 1984, notkühlung Ende 1984, Anfang 1985, Permanente Eskalation 1986, Autonomes Stadtinfo 1987, einen kurzfristigen Höhepunkt erreichte die Zeitungsproduktion nach der Räumung der Aegidi im Herbst 1988: BesetzerInneninfo, Anti). Im Herbst 1988 wurde auch das TATblatt mit der Nummer minus 101 gegründet, geplant als Zweitageszeitung. Das war allerdings doch ein bißchen zu hoch gegriffen, das TATblatt wurde zu einem zweiwöchigem Informationsblatt der autonomen Szene, weniger sporadisch produziert als die früheren Zeitschriften und besteht bis heute. Die Szene war auch mit einigen Treffpunkten verbunden, einer davon war das Rotstilzchen, das nach dem Abriß der GAGA ein wichtiger Kommunikationsknoten wurde und ab 1986 ein expliziter Treffpunkt der Autonomen. Ein weiterer Kommunikationsraum war der TU-Club, der zwar offiziell von der HochschülerInnenschaft der TU organisiert wurde, tatsächlich aber von einem Kollektiv, das diesen Treffpunkt als Lokal und Kommunikationszentrum in Selbstverwaltung führte. Ab November 1988 gab es auch einen bis 1994 existierenden Infoladen am Margaretengürtel. Der wichtigste Brennpunkt wurde aber für einige Jahre das besetzte Haus in der Aegidigasse 13 (vgl. unten).

Ein erster Versuch eines eigenständigen Auftretens der Autonomen war gemeinsam mit anderen Gruppen die Störung einer Angelobung des Bundesheeres im Karl-Marx-Hofes zum Jahrestag der Februarkämpfe 1934 am 12. Februar 1984. Während VertreterInnen der Zivildiener ein Transparent mit der Parole “Gehorsam bis zum Bürgerkrieg” entfalteten (1934 wurde das Bundesheer gegen sozialdemokratisch organisierte ArbeiterInnen eingesetzt, u.a. wurde der Karl-Marx-Hof mit Kanonen beschossen), wurde die Bundeshymne durch Pfeifen und mit Knallkörpern gestört. Zivile Polizisten zertraten einem Teilnehmer die Hoden. (vgl. linke Nr. 4, 29.2.1984). In den nächsten Wochen kam es zu zahlreichen Vorladungen bei der Polizei anhand von Filmmaterial, das von BeamtInnen in Zivil gemacht wurde, und zu einer Reihe von Anzeigen. Ein Grund mehr für die Verwendung von Vermummung.

Anfang 1985 war das Bild der Polizei in der Öffentlichkeit etwas angeknackst. Im Dezember 1984 hatten sie in Hainburg geprügelt, wo es sich doch nur um brave StaatsbürgerInnen handelte. Im Jänner 1985 fand dann der Prozeß wegen der Räumung der GAGA statt. Ein Teil der Angeklagten wurde freigesprochen, nur die, die Aussagen bei der Polizei gemacht hatten, konnten verurteilt werden. In der Szene wurde das als eine Bestätigung der Kampagne für Aussageverweigerung gesehen (linke Nr. 3, 13.2.1985). Die Reaktion der Polizei folgte im März 1985. Ein Sprayer wurde erwischt und daraufhin gleich wieder freigelassen. Im Anschluß an eine neuerliche Festnahme wurde eine ganze WG in Haft genommen, ab dem 14. März wurde über zehn Personen die U-Haft verhängt. Die meisten Festgenommenen waren schon bei einer Hausbesetzung am 22. Jänner 1984 in der Tigergasse aufgefallen. Ungewöhnlich für die damalige Situation war, daß die Beschuldigten so lange festgehalten wurden. Vermutlich passierte das, um Rache zu nehmen für Hainburg und um Aussagen zu bekommen. Am 16. März fand eine Solidaritätsdemonstration statt, bei der in der Florianigasse wasserlösliche Farbe verschüttet wurde. Beim Einsatz der Staatspolizei wurden zwei Frauen festgenommen, die ebenfalls sofort in U-Haft genommen wurden. Die Auswahl der Frauen war auffällig: es handelte sich um eine Vorbestrafte, die dann auch fünf Monate in U-Haft verbringen mußte und die “Frau Club 2”.: Sie war als Verletzte auf dem Titelcover des Profil, des österreichischen Politmagazins, über den Polizeieinsatz in der Hainburger Au zu sehen und trat in einem “Club 2” (legendäre Spätabends-Diskussionssendung des ORF) auf und berichtete dort über den Polizeieinsatz. In den linken Medien erschien ein Foto, auf dem zu erkennen ist, daß ein Funkgerät eines Staatspolizisten “zufällig Manuelas Kopf berührt”, anders gesagt, ihr auf den Kopf gedroschen wurde. Nach drei Wochen wurden alle bis auf E. (die vorbestrafte Frau) freigelassen. Es kam zu Freisprüchen der bei der Demonstration festgenommenen Frauen, nicht einmal der übliche Gummiparagraph “Widerstand gegen die Staatsgewalt” konnte nachgewiesen werden, weil der Polizeieinsatz durch Fotos gut dokumentiert war. Die vorbestrafte E. wurde wegen Sachbeschädigung (durch wasserlösliche Farbe auf der Straße!) verurteilt, damit keine Haftentschädigung für die fünfmonatige U-Haft bezahlt werden mußte. Die SprayerInnen wurden in unterschiedlichem Ausmaß verurteilt, u.a. auch wieder abhängig von den durch die lange Haft erzwungenen Aussagen.

Die Krawalle zum Opernball waren ein jährlicher Höhepunkt im autonomen Kalender. Der erste Krawall hatte indirekt mit Wackersdorf zu tun. Nach dem GAU in Tschernobyl Ende April 1986 hatten sich auch die österreichischen Eliten – bis auf Ausnahmen in der Wirtschaftskammer – gegen eine Wiederaufbereitungsanlage für Kernbrennstoffe im bayrischen Wackersdorf ausgesprochen. Zu Pfingsten desselben Jahres fanden militante Demonstrationen statt, getragen von der regionalen Bevölkerung und Autonomen aus der ganzen Bundesrepublik, aber auch aus Österreich. Zeitweise konnte dort sogar die Polizei in die Flucht geschlagen werden. Diese Auseinandersetzungen wurden auch in Östereich mit Sympathie verfolgt. Und dann war ausgerechnet der bayrische Ministerpräsident, Franz Josef Strauß, überhaupt ein Feindbild der Linken, zu Gast beim Opernball 1987 und das noch beim Pflichterfüller Waldheim. Die Grüne Alternative Wien kündigte aus diesem Grund eine Kundgebung am Tag des Balles, dem 26. Februar 1987 vor der Oper an. Zugleich wollte ein Salzburger Bürgerinitiativmensch einen symbolischen Wackersdorfzaun aufstellen, was von der Polizei verboten wurde. Nachdem der Wackersdorfzaun wieder abtransportiert war, kam es nach 22 Uhr zum Polizeieinsatz. Als Vorwand diente der Abschuß von Leuchtkugeln und der Wurf von Eiern und angeblich auch von Bierflaschen. Die Polizei versuchte, die 500 Menschen wegzuräumen, was aber wegen dem ungünstig aufgestellten Demonstrationswagen nicht schnell genug erfolgte, so daß es zu polizeilichen Prügelorgien kam. Erst jetzt wurde auch von den DemonstrantInnen mehr Gegenwehr geleistet. Am nächsten Tag waren die Medien voll von den Krawallen. Freda Meissner-Blau (Parteigründungs-Leitfigur) distanzierte sich im Namen der Grünen sofort von den Ausschreitungen, war aber in der Folge mit Protesten von grünen MitstreiterInnen konfrontiert, die selbst vor der Oper von der Polizei verprügelt worden waren.

Einer Gruppe von Autonomen gelang dann noch ein Coup im Sinne der Kommunikationsguerilla. Das profil vom 2. März 1987 erschien mit einem Titel über die Autonomen. Darin gab es ein Interview mit (angeblichen?) Autonomen, die sowohl Straßenmilitanz befürworteten wie auch die Militanz klandestiner Gruppen. Außerdem wurde indirekt behauptet, daß das Steyr-Hauptgebäude von Autonomen angezündet worden sei (diese Brandstiftung war ziemlich sicher Versicherungsbetrug). Hat es bis dahin die Autonomen nur in der BRD gegeben, so gab es sie für die Medien jetzt auch in Österreich, auch wenn die Polizei bei allen Anlässen immer wieder nach “deutschen RädelsführerInnen” suchte.

Mit dem Auftreten der Autonomen war immer wieder die Gewaltdiskussion verbunden. Manchmal waren es krude Kampfmetaphern, die verbreitet wurden, aber es war immer auch ein Spiel mit den Medien. Diffizilere Argumentationen in autonomen Texten begründen die Ausübung von Gegengewalt auf der Gewalttätigkeit des herrschenden Systems oder struktureller Gewalt. Ein wichtiges Element ist das Spektakel der Gewalt. Ohne das werden Bewegungen nicht oder kaum beachtet. So war es bei der HausbesetzerInnenbewegung, in Hainburg und eben jetzt beim Opernball. Es gibt keine wirksame soziale Bewegung, an deren Rändern nicht auch Gewalt und / oder Straßenmilitanz vorkommt. So ist die Gewalttätigkeit auf der Straße auch als eine Form des Diskurses zu sehen. Menschen, die im elaborierten Diskurs der herrschenden Strukturen nicht vorkommen, finden andere Wege, um sich bemerkbar zu machen. Das macht ein zweites Element der Straßenmilitanz sichtbar. Gewalttätigkeit ist eine Kommunikationsform der Unterklassen (“proletarisch”). Auch wenn im autonomen Diskurs die Beteiligung aus den “Vorstädten” bei den Opernballdemos sicherlich überbewertet wurde, die Beteiligung von “unpolitischen” (männlichen) Jugendlichen in ihrem Hass auf die sichtbare Ungleichheit durch das Protzen am Opernball wurde von Jahr zu Jahr bedeutender. Die Diskussion innerhalb der Autonomen, daß Inhalte vermittelt werden müssten, wäre auf jeden Fall ins Leere gegangen. Auch die Medien steigen normalerweise nicht auf inhaltliche Argumente ein, sondern interessieren sich hauptsächlich für das (Gewalt-)Spektakel. Ein drittes Element wurde oder wird kaum diskutiert: Als Sozialrevolutionäre wollen die Autonomen den Aufstandscharakter von Demonstrationen beibehalten. Das Demonstrationsrecht wurde eingführt, um Revolten und Aufstände in geregelte Bahnen zu lenken, um ungewollte – oft von der Polizei provozierte – Eskalationen zu vermeiden. Die staatsbezogene Linke hat mit dem Aufstieg der ArbeiterInnenbewegung und der Aufteilung der Welt zwischen Kommunismus und Kapitalismus den Aufstand zur Machtübernahme im Staat zugunsten demokratischer Rituale aufgegeben. Die Autonomen brauchten sich auch auf keine Siege berufen, der Aufstand hat als Ziel keine Machtübernahme (im Staat), sondern soll zur Selbstorganisation der Unterdrückten und Ausgebeuteten in der Auseinandersetzung führen.

Für das nächste Jahr (11. Februar 1988) versuchte ein Personenkomitee “Anti-Obern-Ball” eine Kundgebung anzumelden, die aber untersagt wurde. Schon am Vormittag wurde eine Kette über den Ring (innerstädtische Hauptverkehrsader) gespannt, um den Autoverkehr zu blockieren und auf die Demonstration aufmerksam zu machen. U.a. wegen der durch die Medienberichterstattung angekündigten Krawalle kamen über 3000 DemonstrantInnen. Sie wurden nicht mehr auf den Ring gelassen wurden, wie auch in den nächsten Jahren üblich, wie es hieß, in Steinwurfdistanz. Bis nach 22 Uhr verlief die Demonstration weitgehend friedlich, danach fuhr ein Polizeiauto in eine Gruppe DemonstrantInnen und überfuhr eine Frau, die verletzt unter dem Auto zu liegen kam. Erst um diese Zeit kam es zu vereinzelten Flaschen- und Steinwürfen.

Neben den Opernballkrawallen waren es immer wieder Hausbesetzungen, die mit den Autonomen verbunden wurden. So wurde im Mai 1984 ein Haus in der Westbahnstraße im 7. Bezirk scheinbesetzt, am 22. September 1984 ein Haus in der Tigergasse. Dieses wurde erst nach neunstündigen Verhandlungen geräumt. Ein Haus in der Turnergasse im 15. Bezirk war von der Gemeinde angekauft worden, um es “Jugendlichen” zu übergeben. Am 14. Dezember 1985 wurde es besetzt, um Druck auszuübern, aber auch zur Selbstverständigung der autonomen Szene. Die Polizei räumte die SympatisantInnen von der Straße weg, die Anzahl der Festnahmen betrug mit den BesetzerInnen 30. Das wichtigste besetzte Zentrum war aber die Aegidigasse 13, durch den Innenhof mit dem Haus Spalowskygasse 3 verbunden, ein Haus, das bereits seit Anfang der 1980er an Gruppen aus der Szene übergeben worden war. Nach der Räumung der GAGA waren einige wenige Wohnungen in der Aegidi mit Prekariumsverträgen vergeben worden, während bereits ein Großteil der ursprünglichen MieterInnen ausgezogen war. Ab Herbst 1983 wurde damit begonnen, weitere leerstehende Wohnungen zu besiedeln (das folgende nach Anti Nr 6, Februar 1989). Neben dem Bewohnen gab es auch eine Reihe von kulturellen Aktivitäten, besonders Konzerte in der Culture Hall, aber auch Straßenfeste sowie Wand- und andere Malereien. Im Juli 1986 wurden die letzten noch bestehenden Verträge von der Gemeinde gekündigt. Teilweise herrschte Bunkerstimmung, u.a. wurden Teile des Hauses verbarrikadiert. Im Herbst 1987 wurde versucht, das noch nicht ganz abgesiedelte Haus im gleichen Block, in der Mittelgasse, zu erobern. Daraufhin wurden die RestmieterInnen innerhalb von wenigen Tagen abgesiedelt und das Haus abgerissen. Immer wieder gab es Auseinandersetzungen u.a. zwischen Punks und den politischen Leuten, aber auch zwischen Frauen und anderen, die keinen eigenen Frauenbereich akzeptieren wollten. Aus diesem Grund zogen Anfang 1987 ein Teil der Politleute, hauptsächlich Frauen, aus. Immer wieder zogen einzelne Leute aus, eine Gruppe von Punks z.B. in die Turnergasse. Andere blieben, obwohl es Spannungen beim Zusammenwohnen gab. Die Unsicherheit in den beiden Häusern war zwischendurch immer wieder sehr groß, weil immer wieder die Räumung zu drohen schien. Ein Teil der BewohnerInnen der Spalowskygasse hatte inzwischen Verhandlungen für ein Ersatzobjekt aufgenommen. Die BewohnerInnen der Aegidigasse und die verbleibende Reste in der Spalowskygasse beschlossen ein gemeinsames Vorgehen bei einer Räumung. Ende Juni 1988 wurde noch ein fünftägiges Anti-Räumungsfest durchgeführt.

Anfang August 1988, also mitten in den Sommerferien, zogen 16 Personen aus der Spalowskygasse in ein Ersatzobjekt in der Dornbacherstraße (das folgende nach BesetzerInneninfo und Anti 6). Am 11. August versuchte die Polizei die geräumten Wohnungen in der Spalowsky zu besichtigen, und ein großes Aufgebot der Polizei versuchte, das Haus zu stürmen, was mit Kalksäcken, Möbeln und Baumaterial abgewehrt wurde. Von dieser Aktion stammen die bekannten Bilder von flüchtenden Polizisten, die sich mit ihren Schildern über dem Kopf gegen Wurfgeschosse schützen mußten. Versuche, zu verhandeln, scheiterten. Am Nachmittag versuchte die Polizei über das Grundstück in der Mittelgasse einzudringen, was aber an einer brennenden Barrikade scheiterte. Ein Tränengas-Wasser-Gemisch erzwang den Abzug der BesetzerInnen in das Haus in der Aegidigasse. Der Abriß der Spalowskigasse begann gleich anschließend.

Der Häuserblock blieb umstellt, trotzdem war es BewohnerInenn möglich, das Gebäude zu verlassen oder zu betreten. Am Freitag, den 12. August, wurde in der Früh ein Hausdurchsuchungsbefehl für das Haus Aegidigasse 13 erlassen. Bei einem Plenum wurde beschlossen, keinen Widerstand zu leisten. Ein Bagger drückte das verbarrikadierte Haupttor ein und drohte damit das Haus zum Einsturz zu bringen, die BesetzerInnen zogen sich in höhere Stockwerke zurück. Nach drei Stunden hatte die Polizei alle Barrikaden überwunden, die BewohnerInnen wurden aus dem zweitem Stock die Stiegen hinuntergeprügelt. So wurde die Hausdurchsuchung zur Räumung, am nächsten Tag wurde auch mit dem Abriss der Aegidi begonnen. An die 60 Personen blieben zwei Wochen in Untersuchungshaft, die Verfahren wegen der Verteidigung der Spalowsky mussten eingestellt werden, weil niemandem der in der Aegidi Festgenommenen eine Beteiligung nachgewiesen werden konnte.

Nach zwei Wochen U-Haft konnten die BewohnerInnen kurzfristig in einer Turnhalle eines Alternativprojektes unterkommen (das Folgende meist nach Hausgemeinschaft Aegidi-Spalo 1989), die Gemeinde Wien bot ein Haus am Stadtrand von Wien (beim Alberner Hafen zwischen Friedhof der Namenlosen und Polizeisportplatz), was für die BewohnerInnen nicht in Frage kam. Die fünzig bis hundert ehemaligen BewohnerInnen hatten als kollektives Ziel den Anspruch, gemeinsam zu wohnen, aber auch genügend Räume für Veranstaltungen zu haben. Solidarische Menschen hatten am 26. September ein Haus in der Unteren Augartenstraße im 20. Bezirk besetzt. Da eine Geschäftsräumlichkeit noch regulär vermietet war (die “Vogelhandlung”), konnten sich die BesetzerInnen nach dem Polizeieinsatz dort zurückziehen. Permanente Belästigungen durch die Polizei, aber auch innere Schwierigkeiten führten dazu, daß auch die Vogelhandlung nach zwei Wochen aufgegeben wurde. Im Herbst 1988 und zu Beginn des neuen Jahres führten die Aegidi-Spalos eine Reihe von Aktionen durch. Eine Gruppe von mehr oder weniger prominenten Personen setzte sich dafür ein, den Aegidi-Spalos das ehemalige Arbeitsamt in der Embelgasse zu geben, außerdem bildete sich ein sogenannter Siebenerrat zu Verhandlungen mit der Gemeinde. Am 5. April 1989 ergriffen die Aegidi-Spalos wieder die Initiative und besetzten ein leerstehendes Gebäude der ÖBB in der Oswaldgasse in Meidling (12. Bezirk). Vorerst zog die Polizei wieder ab. Als sich am nächsten Nachmittag abzeichnete, daß es zu einer Räumung kommen würde, zogen die BesetzerInnen freiwillig ab (Nicht schon wieder meier gehen!). Als Argument für den Hinauswurf der BesetzerInnen galt die Sorge des Elternvereins einer naheliegenden Schule vor der angeblichen Bedrohung durch Punks und DrogenbenützerInnen. Sofort begann der Abriß des Gebäudes. Einige wenige blockierten noch den Bagger, indem sie sich davor setzten, wurden aber unsanft von der Polizei entfernt. Die Abwesenheit wurde vom WUK-Vorstand benutzt, die Restbelegschaft der Aegidi-Spalos hinauszuräumen. Außerdem wurde allen Menschen mit bunten Haaren der Eintritt durch einen privaten Sicherheitsdienst verwehrt (Es könnten ja Aegidis sein). U.a bekam auch das dort im Haus befindliche Frauenzentrum Probleme, weil Frauen der Zutritt verwehrt und Schlüssel ausgetauscht wurden. Am 17. April besetzten die Aegidi-Spalos noch einmal kurzfristig das WUK, zogen aber nach Verhandlungen wieder ab. Am 22. April wurde versucht, das Areal zu bewohnen, auf dem in der Aegidigasse die Häuser gestanden waren, aber auch dort wurden die BesetzerInnen nach zwei Tagen von der Polizei vertrieben. Das war das vorläufige Ende des Versuchs, ein gemeinsames Projekt durchzusetzen. Die Frustration brachte immer mehr Menschen dazu, sich in befreundeten WGs einzuquartieren, ein Teil konnte zumindest zeitweise im Rotstilzchen übernachten. Am 15. September (ungefähr zum Jahrestag) demonstrierten dann weniger als 1000 gegen die Sanierungspolitik der Stadt, es kam zu keinen nennenswerten Auseinandersetzungen, nur zum Schluß wurde die Demobusse von der Polizei durchsucht.

Einzelne Leute aus der Aegidi, eher die Kulturfraktion, gründeten Anfang 1990 in der Arndtstraße im 12. Bezirk das Flex als Veranstaltungslokal. Nachdem im Sommer 1991 gegenüber ein Skinheadtreffpunkt aufgemacht wurde, die Holu-Bar, kam es immer wieder zu kleineren Reibereien zwischen BesucherInnen des Flex und den Skinheads (das folgende nach Tatblatt minus 43, 24.9.1991). Am 7. September eskalierte die Situation: FlexbesucherInnen hinderten die Skinheads, eine Frau zu verprügeln und trieben sie zurück in ihr Lokal. Wenig später stürmten zwei einzelne Polizisten das Flex, wobei sie Warnschüsse in die Luft abgaben. Später kam die Alarmabteilung und nahm vier Personen nach Gegenüberstellung mit den Skinheads fest, während das Flex nach “Waffen” wie Mikrophonständer, Holzlatten und einer Gaspistole durchsucht wurde. In der Früh griffen die Skins ein weiteres Mal das Flex an, worauf die Polizei auch die Holu-Bar durchsuchte. Das Ergebnis der Auseinandersetzungen war die Kündigung der Räumlichkeiten. 1994 wurde ein Lokal am Donaukanal gefunden und neu eröffnet, obwohl BürgerInnen vorher noch dagegen mobilisierten, bis hin zu einer Demonstration, die aber nicht einmal hundert eingefleischte FPÖler mobilisieren konnte. Heute ist das Flex ein schon beinahe legendärer Veranstaltungsort, von Teilen der Szene als nur mehr kommerziell beschimpft, aber immer noch mit linken Sympathien, z.B. wenn es um die Organisation von Solidaritätsveranstaltungen geht.

Die HausbesetzerInnenszene strahlte auch auf die Bundesländer aus. Am 13. Jänner 1989 wurde in Graz das Haus Aegydigasse 14-16 besetzt. Die Feuerwehr nagelte Türen und Fenster zu und die Polizei beschränkte den Zugang. Am 19. Jänner wurde das Haus freiwillig verlassen. Seither gab es Verhandlungen um ein Ersatzobjekt (TATblatt minus 97, 27.1.1989). Im Frühjahr 1989 wurde kurzfristig das Büro des Bürgermeisters besetzt, als Übergangslösung wurden die Häuser Körösistraße 26 und 28 zur Verfügung gestellt. Aufgrund des baulichen Zustandes war es unmöglich, in diesen Gebäuden zu überwintern. So wurden sie abgerissen, die Korösistraße 28 versiegelt. Die Obdachlosen waren inzwischen, teilweise nach Wien, weggezogen (TATblatt minus 57, 15.1.1991). Am 19. März 1991 besetzten Frauen ein ehemaliges Tierspital in der Zimmermanngasse und gründeten ein autonomes Frauenzentrum. Nach zwei Tagen Belagerung durch die Polizei wurde das Frauenzentrum vorerst in Ruhe gelassen. Um die Frauen rauszukriegen, wurde aber eine Räumungsklage eingebracht. Mitte April sollte ein Lokalaugenschein im Haus stattfinden, die Frauen wollten aber die Männer des Gerichts nicht einlassen, sondern machten davor eine Kundgebung. Am 19. April 1991 kamen BauarbeiterInnen und begannen mit dem Abriß, die Frauen konnten gerade noch das Notwendigste aus dem Haus retten. In Linz und Wien kam es am 20. März zu solidarischen Scheinbesetzungen mit den Frauen in Graz (TATblatt minus 52, minus 51, minus 50). Selbst in Salzburg kam es zu einer kleinen (Punk)-HausbesetzerInnenbewegung. Seit Ostern 1990 gab es jeden Freitag Renn- und Krachdemos des Komitees “Stadtlauf gegen Wohnungsnot”. Am 13. April wurde im Rahmen des Stadtlaufes die Unterführung bei der Staatsbrücke besetzt, was für mediale Aufregung sorgte. Als die Stadt für Anfang Juli ein Haus in der Innsbrucker Bundesstraße anbot, wurde das am 25. April besetzt (TATblatt minus 67, 19.6.90). Am 25. September gab es eine Hausdurchsuchung wegen angeblicher deutscher Autonomer, die natürlich nicht gefunden wurden. Ein Monat später, am 21. Oktober übergoss sich ein Bewohner (“Giuseppe” – Helmut Kofler) mit Benzin und zündete sich an. Die resignierenden anderen BewohnerInnen wurden in ein anderes Haus übersiedelt, das Haus in der Innsbruckerstraße abgerissen (TATblatt minus 61, 6.11.1990). Im April 1991 wurde aus Protest gegen die Wohnungsnot für eine Stunde Mozarts Geburtshaus in der Getreidegasse besetzt (TATblatt minus 49, 7.5.1991)

Während das Rotstilzchen am 28. September 1990 nach vierjährigem Prozessieren geräumt werden mußte (mit einem Straßenfest und danach mit einer illegalen Demonstration, bei der das Buffet eines Hotels besucht wurde und einige Scheiben von Banken kaputtgingen), gab es inzwischen ein neues besetztes Haus. Die Krise der KPÖ und ihre Ankündigung einer Öffnung zur übrigen Linken hin wurde benutzt, um das Haus in der Wielandgasse 2-4 (“Wielandschule”) zu besetzen, weil es von der KPÖ nur zum Teil und sporadisch benutzt wurde. Ein weiteres Motiv war natürlich die Hoffnung, daß es sich die KPÖ nicht leisten könne, die Polizei zu holen. Das Haus wurde in Ernst-Kirchweger-Haus (EKH) umbenannt, nach einem Kommunisten, der 1965 bei einer antifaschistischen Demonstration von einem Burschenschafter erschlagen wurde. Es gab eine Reihe von Auseinandersetzungen, die KPÖ versuchte eine Gegenbesetzung, es wurde mit hunderten steirischen BergarbeiterInnen gedroht. Über den Sommer 1990 beruhigte sich dann die Lage, die KPÖ fügte sich (vorerst) dem Unvermeidlichen (TATblatt minus 66 / 65). Bevor die ReformerInnen wegen interner Auseinandersetzungen vom Vorsitz der KPÖ zurücktraten, unterzeichneten sie am 15.3.1991 einen akzeptablen Mietvertrag bis März 2001. Das EKH blieb das wichtigste soziale Zentrum in Wien, von wo eine Reihe von Aktivitäten ausgingen, von der Antifa 10 bis zur Volxtheaterkarawane.

Nach der Räumung der Aegidi steigerte sich noch die Militanz bei den Opernballdemos und überraschte 1989 (2. Februar) und 1990 (22. Februar) sowohl Polizei wie Autonome. Obwohl keine etablierten Gruppen für die Demonstration mobilisierten, kamen 1989 wieder tausende. Die Autonomen stellten Strukturen zur Verfügung: Sanigruppe, Rechtshilfe und eine Gruppe, die sich für den Schutz der Demonstration verantwortlich fühlte. Aber: Die OrganisatorInnen [...] konnten so auch nicht mit der konkreten Situation umgehen. So standen die Leute, die sich für den Schutz dieser Demonstration verantwortlich erklärt hatten, mit – unter ihrer Vermummung ratlosen – Gesichtern da, und schauten den “unvermummten ChaotInnen” nach, die wie wild auf die Polizeisperre in der Kärntnerstraße zurasten. (TATblatt minus 96, 10.2.1989). Bei dieser Demonstration wurde von DemonstrantInnen ein Mercedes gekapert, der dann gegen die Absperrung geschoben wurde. Von vielen wurde die Demonstration auch als Antwort auf die ein halbes Jahr vorher erfolgte Aegidi-Räumung gesehen, aber wie schon erwähnt, ging es auch um die Randale der “Vorstadtjugendlichen“. Die Polizei setzte neben Knüppeln Feuerlöscher und Wasserwerfer ein, ca. 60 Personen mussten ins Krankenhaus eingeliefert werden, viele andere wurden von den Demosanis verarztet. Der Demonstration-LKW wurde von der Polizei angehalten, der Fahrer mehrere Wochen in U-Haft genommen.

Am 22. Februar 1990 versuchte eine kleine Gruppe Prominenter um den Schriftsteller Gerhard Ruiss einen “runden Tisch” in der Kärntnerstraße durchzuführen, um die Situation zu deeskalieren. Zugleich wurden Teile der Demonstration schon den ganzen Abend von Hooligans und Skinheads mit Schlagstöcken, Leuchtraketen und Messern angegriffen (das folgende TATblatt minus 75, 27.2.1990). Pünktlich um 22 Uhr begann dann wieder die Räumung durch die Polizei, diesmal war der Pulk der DemonstrantInnen nicht in der Kärntnerstraße, sondern in der daneben liegenden Operngasse. Daraufhin kam es zu stundenlangen Scharmützeln zwischen Polizei und Anti-Opernball-DemonstrantInnen, die Nazis hatten sich zurückgezogen. An diesem Abend wurden die Scheiben einer Billa-Filiale auf der Wienzeile eingeschlagen und der Supermarkt teilweise geplündert. Neben dutzenden Verletzten gab es über dreißig Festnahmen, drei Personen wurden länger in Haft gehalten.

Die Bereitschaft zur Militanz wuchs einem Teil der Autonomen schon 1990 über den Kopf, außerdem tauchte vorsichtige Kritik auf, daß die Krawalle zu einem jährlichen Ritual werden. So wurde für 1991 vorgeschlagen, sich am Südtirolerplatz zu treffen, um eine Demonstration durchzuführen und die ritualisierte Schlacht bei der Oper zu vermeiden. Wegen dem Irakkrieg wurde der Opernball zwar abgesagt, aber die Demonstration trotzdem durchgeführt. Sie konzentrierte sich auf das Thema Irakkrieg. Ein Häuflein von gut 300 DemonstrantInnen wurde von der Polizei eingekesselt und jedeR Einzelne wurde perlustriert. In den folgenden Jahren wurden zwar immer wieder Demonstrationen angemeldet und angekündigt, die Beteiligung beschränkte sich im besten Fall auf ein paar hundert Schaulustige und es kam zu keinen militanten Auseinandersetzungen mehr.

Das Umfeld der Autonomen änderte und erweiterte sich immer wieder, dazwischen gab es Phasen, in denen interne Streitereien und Abgrenzungen dominierten. Den Höhepunkt erreichte diese politische Strömung zu Beginn der 1990er Jahre. 1990 erreichte das TATblatt einen ersten Höhepunkt in seiner Verbreitung (der zweite Höhepunkt war nur kurzfristig und hat mit den Toten von Ebergassing beim Versuch, einen Starkstrommasten zu sprengen, zu tun). In dieser Zeit bildeten die Autonomen den Kern verschiedener Bewegungen, die früher stärker von “braveren” Gruppen dominiert wurden. Insbesondere das TATblatt erfüllte eine wichtige Kommunikationsfunktion, weil es zwar hauptsächlich von sich selbst so bezeichnenden Autonomen gemacht wurde, sich aber als offene Zeitung sah. Sie war damit ein Kristallisationspunkt für alle, die Aktivitäten nicht in einem institutionellen Rahmen durchführen wollten, wobei es sich zu einem großem Teil um “gewaltfreie” Aktionen wie Besetzungen und Verweigerungen handelte. Bis auf die wenigen spektakulären Ereignisse wie die Opernballdemos handelte es sich um direkte Aktionen im Sinne des sozialen Ungehorsams, keinesfalls gewalttätig, meist aber illegal und Normen und Regeln überschreitend. So fanden in dieser Zeit eine Reihe von Besetzungen statt, um umweltzerstörende Bauprojekte zu verhindern, wie die Pyhrnautobahn und eine Ölbohrstelle bei Kleinreifling in Oberösterreich, ein Kraftwerk an der Mur bei Fisching und die ennsnahe Trasse in der Steiermark oder die Autobahnbaustelle für die A4, die Ostautobahn, und einige Bäume in Hetzendorf in Wien. In vielen BIs waren in dieser Zeit SympathisantInnen der Autonomen wichtiger als die Grünalternativen, die schon von Anfang an im Parlamentarismus gefangen waren. Auch der Antimilitarismus erreichte neue Höhepunkte: Nach dem Widerstand gegen den Kauf neuer Abfangjäger, der nicht erfolgreich war, erreichte die Zahl der Totalverweigerer um 1990 seinen Höchststand. Viele junge Männer verweigerten auch den Zivildienst, weil er in die Landesverteidigung integriert ist, und waren dafür auch bereit, ins Gefängnis zu gehen. Wobei die Verurteilungen teilweise skurrile Züge annahmen, so z.B. wenn jemand wegen “listiger Umtriebe” verurteilt wurde, weil es nicht zumutbar sei, die Formulare für die Stellungspflicht in das besetzte Haus in der Aegidiggasse zuzustellen. In dieser Zeit wurde auch der “Aufruf zur Nichtbefolgung von Militärgesetzen” mit hunderten Unterschriften in der AZ (Arbeiterzeitung, Parteiblatt der SPÖ), im TATblatt und in der akin (Aktuelle Information) veröffentlicht. Noch die ganzen 1990er über wurden Verfahren gegen die UnterzeichnerInnen durchgeführt und unterschiedliche Urteile gefällt. Daneben gab es noch den Boykott der Volkszählung 1991 und den Widerstand gegen die Durchführung der Expo, der Weltausstellung, in Wien (die in einer Volksabstimmung abgelehnt wurde). Auch im Widerstand gegen die rassistischen Verschärfungen der Fremden- und Asylgesetze, gegen das verstärkte Auftreten von Rechtsradikalen, gegen die FPÖ wie auch gegen Gen-und Reproduktionstechnologien waren die Autonomen aktiv. Sie bildeten auch einen wichtigen Teil der Bewegung gegen den Golfkrieg, die direkten Ungehorsam wie die Blockade der Panzertransporte durch das Inntal ausübte.

Originaltext: http://www.unet.univie.ac.at/~a9709070/9autonome.htm (www.grundrisse.net)


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