"Symbole", "Rituale" "Direkte Aktion" (1988)
Das Plenum in Zelt neben "den Häusern" kam nur zäh voran. Es ging hier weniger um Inhaltliches, mehr um das, was "alle" interessiert: Taktik und Strategie zur "Verteidigung der Häuser". Zwischen denen, die die Barrikaden am liebsten schon gestern gebaut hätten, und denen, die sich Gedanken um die Öffentlichkeit, um Anwohnerinnen der Hafen-/Bernhard-Nocht-Straße machten, schälte sich mühsam ein Kompromiss heraus. Da platzte jäh eine "Eilbotschaft" in's Plenum: Die Bullen ziehen sich um die Hafenstraße zusammen. Schlagartig war Tumult, waren stundenlange Diskussionen vergessen, quetschten und stießen sich Leute aus dem überfüllten Zelt heraus, um unmittelbar mit dem Barrikadenbau zu beginnen. Wahllos wurden alle verfügbaren Gegenstände aufgetürmt und entflammt. Aber die Bullen wollten gar nicht räumen, sondern "nur" Präsenz zeigen, "nur" ein bisschen einheizen, provozieren. Der Druck auf die BarrikadenbauerInnen wurde immer unerträglicher. Sie wollten jetzt die "Entscheidungsschlacht" hinter sich bringen, versuchten es mit kleinen Offensiven. Die Staatsmacht behielt sich jedoch vor, selbst den Zeitpunkt der "Schlacht" zu bestimmen. Die Zeit war auf ihrer Seite. Angereiste UnterstützerInnen konnten nicht ewig bleiben. Zudem zermürbte das Warten die "VerteidigerInnen" zusehens, während der Senat erstmal reibungslos die vorweihnachtliche Konsumorgie sichern wollte. So blieb den "Verteidigerlnnen" in den folgenden Tagen die undankbare Aufgabe, sich bei den AnwohnerInnen für entstandene Schäden zu entschuldigen und Geld für die Entschädigung zu sammeln.
Für alle, die der Staatslogik der "repressiven Integration", des Austausches von "Widerstand" gegen staatsloyalen "Protest" nicht folgen wollen, muss die Unterschrift der Hafenstraße unter den Knebelvertrag allen, die jetzt von außen den Vertragsabschluß geisseln wollen, sei gesagt, dass es in dieser Situation keine sinnvollere Alternative gab. Eine militärische Auseinandersetzung war nicht zu gewinnen, war für den Preis von Toten auch nicht wünschenswert . Außer ein paar Mythen um "gefallene WiderstandskämpferInnen" und einer noch größeren Belastung der Knasthilfe konnte da nichts rauskommen.
Hafenstraße sei hier nur der Aufhänger. Ebenso gut könnte ich Erfahrungen von der Startbahn West oder Brokdorfdemos oder Wackersdorf zugrunde legen. All diese Orte sind zu umkämpften Symbolen eines "Widerstandes" geworden, dem es längst nicht mehr nur um "Erhalt der Umwelt" oder "schöner Wohnen" geht, sondern um die Durchbrechung der "Logik der Herrschenden" , um systemsprengendes. Faktisch endeten all diese Kämpfe um Symbole letztlich mit Niederlagen, auch wenn in Überraschungsmomenten hier und da mal ein "militärischer Erfolg" des "Widerstandes" zu verzeichnen war. Die Symbole können (bis auf weiteres) nicht gegen die Staatsmacht gehalten werden. Ihre Gleichsetzung mit "befreiten Gebieten" beispielsweise in El Salvador bleibt nichts als Fiktion.
Die Orte, an denen sich antistaatlicher Widerstand entwickelt, sind keineswegs "Knackpunkte" des Systems. Sie werden ja auch nicht bewusst, aus einer strategischen Überlegung der radikalen Linken heraus, zu Symbolen gemacht, an denen sich revolutionäre Entwicklungen entscheiden. Vielmehr werden die Orte zu Widerstandssymbolen, an denen radikale Ansätze überhaupt erstmal auf fruchtbaren Boden fallen. Die Auswahl, welcher Ort zum Symbol wird, welcher nicht, erscheint ein gutes Stück weit dem Zufall überlassen, einem zufälligen Zusammentreffen bestimmter Bedingungen. Darin ist zum Teil schon die Ursache dafür zu suchen, dass die Kämpfe um diese Symbole immer wieder in die Defensive kommen: "Verteidigung der Häuser", "Erhaltung des Waldes, Aufhalten des Ausbaus an der Startbahn West", "Das AKW muss wieder zur Wiese werden", "Stoppt die Atomraketen". Der defensive Widerstand um Symbole kommt immer wieder ein Stück weit, und dann kommt er nicht weiter, verkommt zum militanten Ritual oder gerät wieder in die Hände von Parlamentariern und Juristen. So es der radikalen Linken gelingt, trotz der Defensive eine Kontinuität des Widerstandes zu entwickeln, erschöpft sich ihre Strategie zunehmend in militär-taktischen Überlegungen, die immer weniger mit einer politischen Strategie zusammenkommt. Politische Strategie wird durch Rituale ersetzt.
Diese Überlegungen beziehen sich allerdings nur auf die Symbole an sich. Die immer wieder erstaunliche Zahl von Menschen, die sich für den Kampf um Symbole mobilisieren lassen, verweist auf eine andere Dimension, die mit den konkreten Symbol wenig zu tun hat: Die Bewegung in unseren Köpfen. Die Anziehungskraft der Hafenstraße lag wohl am wenigsten in den Bruchbuden gegenüber von Blohm & Voss, sondern viel mehr in der Kompromisslosigkeit, mit der die Leute dort mit dem Kopf gegen die Wand liefen, in der Unbeirrbarkeit, in der sie trotz massivster Repressionen kaum eine Gelegenheit ausließen, den Staat zu provozieren. Die politische Qualität der einzelnen Aktionen aus den Häusern spielte dafür keine Rolle, zumal selten eine einheitliche politische Konzeption erkennbar wurde. Nein, die Faszination, die die Hafenstraße für viele, auch Nicht-Linke, bisher hatte, war die eines Walter Stürm, der aufgrund seiner unbeirrbaren Bankein- und Knastausbrüche zum Volkshelden wurde. An den Symbolen manifestieren sich Beispiele eines nicht-konformen, nicht- integrierbaren Denkens. In ihrer unvermittelten Direktheit können sie zur Aufsässigkeit ermutigen, zur direkten Aktion. Darin liegt die Hoffnung der Kämpfe um Symbole! Ihre Perspektive kann dabei nur die Überwindung der Symbole sein, der massenhafte Kampf für eine neue Welt, der keine Symbole zur Transmission seiner Inhalte mehr braucht, sondern direkt an's Herz der Bestie geht, auf allen Ebenen, aus allen Lebensbereichen der Klasse heraus.
Aber bringen wir durch unsere ritualisierten Kämpfe um Symbole tatsächlich Bewegung in die Köpfe der Menschen, die wir erreichen wollen? Die "Solidarität" mit der Hafenstraße war breit! Sie orientierte sich jedoch weitgehend an der Ablehnung der Repression gegen die Bewohner, am Mitleid mit ihnen. "Ihr seid unsere Jugend! Wir wollen nicht zusehen, wie ihr verheizt werdet!..." war eine der typischen Solidaritätsbekundungen "normaler BürgerInnen". Auch die Heilsarmee vom Kiez solidarisierte sich mit einer Gulaschkanone und die Kirche konnte ihrer Mission, Bedrängten zu helfen, nachkommen. Alles an sich vollkommen O.K.! Nur wo transportieren wir da "revolutionäres Bewusstsein", wo animieren wir zu selbstbestimmtem Denken und Handeln gegen die herrschende Logik und Unterwerfung? Ja, der militante Widerstand ist in den letzten Jahren gewachsen: Auch qualitativ.
Die ritualisierten Kämpfe um Symbole sind begrenzt. Sie können daher auch nur begrenzt Aufforderungen zu Selbstbestimmung, Hoffnungen, Utopien transportieren.
Wir werden mit ihnen nicht mehr vermitteln können, als unsere eigenen Erfahrungen mit ihnen. Nach außen ist ihre Geschichte im Großen und Ganzen eine Geschichte von Niederlagen. Wir vermitteln also nicht nur die Erfahrung des "Aufbegehrens", sondern auch die der "Niederlagen" und der "massiven Fremdbestimmung" durch staatliche Repression. Niederlagen können angesichts des Kräfteverhältnisses nicht ausbleiben. Die Frage ist nur, ob sie nicht in den verbissenen Auseinandersetzungen um Symbole schon vorprogrammiert sind? Und nach Innen setzt sich diese Begrenztheit fort: in der absoluten Fixierung auf das jeweilige Symbol! Wer hier in Hamburg in den Tagen vor dem Vertragsabschluß nicht alle Kräfte auf die Hafenstraße konzentrierte, durfte sich kaum noch revolutionär nennen! Das Symbol wird nach Innen, in unserem Bewusstsein, zum Nabel der Welt. Und zwischen den Ritualen um jeweils aktuelle Symbole findet Alltag statt: die Privatisierung unserer realen Situation. Darin liegt wahrscheinlich die wesentlichste Ursache für das viel zitierte und viel geschmähte "Scene Getto". Solange wir uns ausschließlich an Symbolen orientieren, die zudem noch oft genug nur unsere Symbole sind, werden alle moralischen Appelle, auszubrechen aus dem Getto, vergeblich sein.
Auch ohne die faschistoide Hetze der Bild-Zeitung, und ohne die massive staatliche Repression, werden die einzelnen Symbole inner nur Sache der unmittelbar Betroffenen und Beteiligten sein. Die Masse der Übrigen werden unbeteiligte Zuschauerinnen bleiben. Solange es ausschließlich darum geht, ob den Leuten am Hafen "alternatives Leben" - was immer das auch heißen mag- ermöglicht wird, und eben nicht die Wohn- und Mietsituation hier und anderswo thematisiert wird, lässt sich die Spaltung in Beteiligte und Zuschauer, in "Radikale" und "Normalos" schwerlich aufheben.
Wir haben hier in der Hamburger FAU von Anfang an versucht, die Sache andersherum anzugehen, uns nicht an den jeweils aktuellen Symbolen zu orientieren, sondern an unserer täglichen Situation. Wir haben damit ein paar gute Erfahrungen gemacht: Kollektivierung persönlicher Erfahrungen, Bildung einer ersten Betriebsgruppe, Entwicklung kollektiver Handlungsfähigkeit ohne den Aufhänger eines vergänglichen Symbols , kontinuierliche Organisierung auf der Grundlage freier Vereinbarungen. Aber auch bei uns steckt der Teufel im Detail. Das Zusammenkommen verschiedener Menschen aus teilweise ganz unterschiedlichen persönlichen Situationen führt erstmal zu einem eher zufälligen Konglomerat von Erfahrungen und kleinen Kämpfen. Die Erfahrungen können zwar innerhalb der Gruppe verallgemeinert werden. Aber das führt noch keineswegs zu einer gemeinsamen Praxis, zur direkten Aktion als unmittelbarer Eingriff aus der persönlichen Situation heraus. Die kollektive Praxis entwickelt sich weitgehend aus Aktivitäten jenseits unseres Alltags. Wir können dann da noch sozusagen im Nachhinein unsere persönlichen Erfahrungen hineintransportieren. Darüber hinaus gelingt es uns selten, kollektive Prozesse über den verhältnismäßig kleinen Kreis der Gruppe hinauszubringen. Wir müssen also auch für die Praxis unserer Gruppe von einer "diffusen Vereinzelung" ausgehen, die erst an "übergeordneten Themen" aufgebrochen wird.
Dies ist nicht unser individuelles Problem, sondern ein Kernproblem. Darin wird nämlich deutlich, warum Symbole eine derartige Faszination auf die radikale Linke ausstrahlen. In ihrer Abgelöstheit von unserer alltäglichen Situation können sie erheblich leichter zum Fixpunkt gemeinsamer Anstrengungen werden. Die Notwendigkeit, aus unserer diffusen, persönlichen Vereinzelung herauszukommen, ist damit natürlich noch keineswegs aufgehoben, sondern schlicht umgangen. Ein Umstand, der die qualitative Ausdehnung der Kämpfe behindert.
Der Ansatz der "wildcat" geht da schon ein Stück weiter in die Tiefe. Er versucht, über die diffuse Subjektivität des Einzelnen hinwegzukommen, indem er sich auf die Suche macht nach einem "objektiven Klassenkern", nach dem Ort, an dem die objektiven Bedingungen die subjektiven vereinheitlichen, von dem aus der Klassenkampf ausgelöst werden kann.
Wolfgang Haug kritisiert diesen Ansatz im "Schwarzen Faden"(Nr. 4/87). Er konstatiert zwar die objektive Existenz einer Klassengesellschaft, spricht aber der Klasse ein subjektives Klassenbewusstsein ab. Deshalb hält er es für die dringlichste Aufgabe, nicht von der Klasse, sondern vom Bewusstsein auszugehen: "revolutionäres Bewusstsein" zu entwickeln. Das Bewusstsein also als die Basis, auf der sich die subjektive Vereinzelung zum revolutionären Prozess vereinheitlichen soll.
Ich habe meine Zweifel daran, ob kollektive Kämpfe jenseits der Symbole sich nur aus der Analyse der "technischen Klassenzusammensetzung" (wildcat) entwickeln lassen. Das wird unserer subjektiven Realität zu wenig gerecht. Ebenso wenig glaube ich an die alleinige Kraft des Bewusstseins, wenn sie sich nicht auf eine gemeinsame (Klassen-)Erfahrung bezieht. Das Zusammenkommen gemeinsamer Erfahrungen mit einem kollektiven Bewusstseinsprozess, der bei uns anfängt, scheint mir als gangbarer Weg, wenn auch als mühsamer. Ein Weg weg von den Ritualen um Symbole! Das heißt allerdings auf keinen Fall, jetzt Hafenstraße Hafenstraße, und Startbahn Startbahn sein zu lassen. Nicht Rückzug aus diesem Widerstand, sondern Entmystifizierung! Rituale und Symbole als solche überwinden, um unsere Kämpfe auszuweiten!
B.M.
Aus: "Direkte Aktion" Nr.67 (Februar 88)
Originaltext: www.free.de/schwarze-katze/texte/haus06.html