In Ägypten kommt es seit dem 25. Jänner zu einer neuen Welle an Demonstrationen, Protesten und Aufständen, bei denen bislang dutzende Menschen getötet wurden - mehrfach schoss die Polizei in die Menge, so etwa in Port Said.
Bei diesen Protesten tauchte auch ein für den arabischen Raum neues Phänomen auf: AktivistInnen traten als Black Bloc (Teil 1) in Erscheinung, attackierten schwarz vermummt die Polizei und Einrichtungen der regierenden Muslimbruderschaft. Die größtenteils jungen und männlichen Aktivisten beziehen sich dabei auf Protestformen, die bislang hauptsächlich aus "dem Westen" bekannt waren und nutzen soziale Medien wie Facebook und Twitter für die Koordinierung ihrer Aktionen. Auf Youtube finden sich neben Statements und Videos von Gruppen wie "Black Bloc Cairo" auch arabisch untertitelte Videos über Black-Bloc-Taktiken aus Europa oder den USA, die so quasi als "Schulungsmaterial" dienen. Auch erste Musikstücke mit Bezug auf den Black Bloc kursieren im Netz.
Inzwischen wurden die Black Bloc-Taktiken auch von Gruppen übernommen, die der Militärregierung nahestehen und ursprüngliche Black Bloc-Aktivisten distanzieren sich davon (Interview November 2013).
"We are Black Bloc - We are here to fight the Muslims Brotherhood"
Der Black Bloc versteht sich als ein militanter Flügel der ägyptischen Protestbewegungen. Das teilweise martialische Auftreten wird in Videobotschaften u.a. mit der Bereitschaft begründet, Versammlungen der Opposition vor Angriffen durch die Polizei oder von Schlägertrupps zu schützen. So wird die Polizei etwa offen davor gewarnt, die Proteste am Tahrir-Platz in Kairo oder anderswo anzugreifen. Gegründet worden sei die lose organisierte Gruppe in Reaktion auf Zusammenstöße im Dezember 2012, als eine Sitzblockade beim Präsidentenpalast von Schlägern attackiert wurde - bei den folgenden Straßenschlachten kamen mehrere Personen ums Leben.
Bei AnarchistInnen in Europa herrscht einigermaßen Verwirrung, wie dieses neue Phänomen und seine Bezüge auf anarchistische Aktionsformen einzuschätzen ist. Tatsächlich sind die Bilder und Berichte irritierend: da betet ein Black Bloc vor Beginn der Demonstration oder marschiert in Videos in militärischem Marschschritt oder verwendet neben schwarzen Fahnen ägyptische Staatssymbole. Dabei scheint es allerdings kein Zufall zu sein, dass ausgerechnet Black Bloc-Taktiken als Vorbild dienen - der Zusammenhang mit Protestbewegungen in Europa und den USA und Krawallen im "Westen" wird in den Videos immer wieder in Form einer weltweiten Revolte gegen die Tyrannen bemüht.
Die wesentliche inhaltliche Klammer des ägyptischen Black Bloc ist jedoch sein Auftreten als antiislamistische Gruppierung. Dies lässt Raum für verschiedenste politische Ausrichtungen seiner AktivistInnen. So finden sich in seinen Reihen nach eigenen Angaben Liberale, SozialistInnen, AnarchistInnen, Ultras bis hin zu gemäßigt-religiösen ÄgypterInnen. Inhaltlich wird dabei etwa der Kampf gegen die korrupte und tyrannische Regierung, die Neugestaltung des Justiz- und Polizeiwesens oder die Auseinandersetzung um soziale Gerechtigkeit betont.
Zwar tauchten bereits bei Auseinandersetzungen in den vergangenen Monaten gelegentlich schwarz-rote Fahnen libertär-sozialistischer Gruppen in Ägypten auf. Und im Mai 2011 bildete sich in Kairo eine libertär-sozialistische Organisation, die sich explizit auf anarchistische Vorstellungen wie eine klassenlose Gesellschaft, die Abschaffung des Staates und die Zerstörung des Kapitalismus beruft. Im Falle des Black Bloc sind anarchistisch organisierte AktivistInnen jedoch eine Gruppe unter vielen.
Historisch kann Ägypten auf eine lange Tradition anarchistischer Gruppen zurückblicken. Eng verknüpft sind die Anfänge des ägyptischen Anarchismus mit politischen Flüchtlingen aus Italien und Griechenland, die sich im 19. Jhdt. in dem Land niederließen. So entstand etwa 1901 in Alexandria eine von Élisée Reclus inspirierte und hauptsächlich von italienischen AnarchistInnen organisierte Freie Universität. Und bereits ab den 1890er-Jahren lassen sich anarchistisch agitierte Streikbewegungen und entsprechende staatliche Represssion gegen anarchistische Gruppen nachweisen. In die Bedeutungslosigkeit marginalisiert wurde der Anarchismus in Ägypten schließlich ab den 1950er-Jahren, als der Pan-Arabismus zur dominanten politischen Strömung aufstieg.
"We seek to free humans, undermine corruption and topple tyrants”
In ägyptischen Medien sorgt der Black Bloc für Furore - zahlreiche Berichte beschäftigen sich mit dessen plötzlichem Auftauchen. Neben Verschwörungstheorien wie jener, der Mossad habe den Black Bloc ausgebildet und finanziert oder koptische ChristInnen stünden hinter der neuen Gruppierung gibt es auch zahlreiche Kommentare, dass es den AktivistInnen nur um die Verbreitung von Terror und Chaos gehe.
"These movements reject the existence of a political, judicial or parliamentary system at all. They call for societies without the state. In order to achieve this, they adopt all forms of violent and barbaric acts, such as killing and burning. (...) These anarchic sabotage groups are not revolutionary groups. Rather, they use the revolution as a cover to cause chaos." (Misr 25, ein der Muslimbruderschaft nahestehender TV-Sender)
Staatliche Reaktionen bleiben nicht aus: einerseits wird versucht, über das Sperren von Facebook-Accounts etc. die Kommunikation der verschiedenen Black Bloc-Gruppen zu unterbinden. Andererseits ordnete der Generalstaatsanwalt die sofortige Festnahme aller "Mitglieder" des Black Bloc an, da es sich bei ihm um eine terroristische Gruppierung handle. Die Bevölkerung wurde aufgerufen, "Mitglieder" an Polizei oder Militär (das neuerdings wieder Festnahmen vornehmen darf) zu denunzieren. Bislang erfolgten landesweit Verhaftungen von mindestens 170 AktivistInnen im Zusammenhang mit dem Vorwurf, zum Black Bloc zu gehören.
Und auch die attackierten IslamistInnen reagieren: Jama'a al-Islamiya etwa drohte in Richtung des Black Bloc: "God orders us to kill, crucify or cut off the hands and feet of those who spread mischief on earth. The president must give that order." Der Islamische Jihad wiederum rief dazu auf, den Black Bloc zu liquidieren. Und IslamistInnen initiierten als Gegenbewegung bereits einen "White Block".
Kairo, Tahrir-Platz: Street Harassment und sexuelle Gewalt
Neben dem Black Bloc wird derzeit noch ein weiteres Thema der ägyptischen Revolution international diskutiert - Übergriffe und Street Harassment während Demonstrationen und Protestversammlungen oder in deren Umfeld. Zahlreiche Frauen mussten massive sexuelle Gewalt bis hin zu Massenvergewaltigungen erleben.
Aktivistinnen berichten von großen Männergruppen, die Frauen brutal attackieren. Dabei werden die organisierten Vergewaltigungen im Zentrum von Kairo immer häufer. Alleine am 25. Jänner 2013, dem ersten Tag der neuen Massenproteste, wurden 25 Betroffene gezählt - von der Dunkelziffer ganz zu schweigen.
Sexuelle Belästigung und häusliche Gewalt sind in Ägypten weitverbreitete gesellschaftliche Probleme. Gegen die Gewalt in der Umgebung des Tahrir-Platzes regt sich inzwischen jedoch Widerstand. Gruppen wie "Operation Anti-Sexual Harassment" und "Tahrir Bodyguard" organisieren Patrouillen von Freiwilligen, klären über die Gewalt auf und versuchen, Frauen vor Angriffen zu schützen. Am Tahrir-Platz selbst wurden Türme errichtet, über die die Menschenmenge von oben zu überblicken ist, damit bei Angriffen auf Frauen eingegriffen werden kann. Auch hier sind die jugendlichen AktivistInnen des Black Bloc aktiv, wie auf youtube-Videos zu sehen ist - etwa, wie sie eine attackierte Journalistin in Sicherheit bringen.
"Was am Tahrir-Platz passiert, ist politisch, und das Hauptziel ist der Ausschluss von Frauen aus dem öffentlichen Raum. Die Gewalt soll eine klare Botschaft senden, dass Frauen hier nicht willkommen sind. (...) Sie glauben, das wird verhindern, dass Frauen zum Tahrir-Platz gehen. (...) Aber nichts wird uns davon abhalten, die Straßen gehören uns wie sie allen gehören. Das ist unser Land und wir werden zu sexueller Gewalt nicht schweigen - nicht zu der, die wir jeden Tag erleben, nicht zu der am Tahrir-Platz." (Videointerview mit einer Aktivistin, Eigenübersetzung)
Informationen zu Ägypten: linksunten.indymedia.org / http://enough14.org
Ein Beitrag von www.anarchismus.at für die anarchistische Zeitung Gai Dao Nr. 27, März 2013