Walther L. Bernecker - Revolution oder Reformismus? Zur Veränderung anarchistischer Positionen im Spanischen Bürgerkrieg

Am 18. Juli 1986 jährte sich zum 50. Mal der Beginn des Spanischen Bürgerkrieges. Aus diesem Anlaß schrieb Federica Montseny, die während des Bürgerkrieges für die anarchistische Gewerkschaft Confederación Nacional del Trabajo (CNT) in der spanischen Volksfrontregierung das Amt der Gesundheitsministerin innehatte, in der großen spanischen Tageszeitung El Pais unter dem Titel: "Die euphorischen Tage" einen Rückblick auf ihre Erfahrungen von 1936-1939. Sie begann ihre Ausführungen mit den Worten (1): "Wir haben gesagt, daß wir, nachdem wir die Julitage 1936 in Barcelona erlebt hatten, ruhig sterben konnten, denn wir würden nie wieder etwas Vergleichbares erleben. In der Tat: Das großartige Schauspiel eines Volkes, das sich spontan auf die Straße warf, ohne Waffen oder nur mit denen, die es durch den Überfall auf Kasernen ergattern konnte, bei nur mangelhafter Unterstützung durch die legale Regierung, eines Volkes, das sich den aufständischen Militärs entgegenwarf, sie schlug und besiegte, das sieht man kein zweites Mal in einem Leben."

Diese Einschätzung Federica Montsenys läßt deutlich werden, daß Anarchisten bis heute eine Art Mythos um die Volksaktionen vom Sommer 1936 aufrechterhalten, insbesondere um die Haltung ihrer eigenen millionenstarken Organisation, der CNT. Es ist zweifellos richtig, daß im Juli 1936 in Spanien das geschah, was 1922 in Italien und 1933 in Deutschland unterblieb: der mutige und entschiedene Widerstand gegen die Machtergreifung der Rechten. Federica Montseny selbst ist jedoch ein gutes Beispiel dafür, daß der Einsatz der Anarchisten im Straßenkampf und in Milizen sowie bei den Kollektivierungen und Sozialisierungen der folgenden Monate die Rolle der Anarchisten im Bürgerkrieg nur unvollständig reflektiert. Vor allem versperrt der einseitige Blick auf die "heroischen" Aspekte des Bürgerkriegsanarchismus - etwa die Konzentration auf das "konstruktive Werk der spanischen Revolution" (Gaston Leval) - den Zugang zu jenen im Anarchismus selbst angelegten Problemen, deren Kenntnis jedoch unabdingbare Voraussetzung zum Verständnis des anarchistischen Niedergangs in der zweiten Bürgerkriegshälfte ist.

Wenn im folgenden schwerpunktmäßig auf das Verhältnis des spanischen Anarchismus zum Staat im sozialhistorischen Kontext des Bürgerkrieges eingegangen wird, so deshalb, weil diese Thematik einen Aspekt in den Mittelpunkt der Betrachtung rückt, der bei der Analyse des Anarchismus zumeist zu kurz kommt. In der vorliegenden Literatur werden vor allem zwei Elemente hervorgehoben, die als Erklärungsfaktoren für den Rückgang der Revolution und den Positionsverlust des Anarchismus in den Jahren 1937 und 1938 angeführt werden: zum einen der Vormarsch der franquistischen Truppen, die alle revolutionären Errungenschaften in der republikanischen Zone zunichte machte; zum anderen die Haltung der Volksfrontregierung, insbesondere der Kommunistischen Partei, die sich ebenfalls gegen die soziale Revolution in der republikanischen Zone wandte und durch dieses Verhalten zu einem Versanden der Revolution beitrug.

So richtig diese beiden Faktoren sind, so unvollständig sind sie zugleich bei dem Versuch, den Niedergang der Revolution in all seinen Aspekten zu erklären. Hierzu bedarf es eines dritten Aspektes, der im Mittelpunkt der folgenden Überlegungen stehen soll: die Frage nach den inneren Widersprüchen der anarchistischen Bewegung und die Auswirkungen dieser Widersprüche auf Strategie und Taktik des Anarchismus im Bürgerkrieg.

Dabei sei einleitend deutlich das erkenntnisleitende Interesse des folgenden Beitrages formuliert: Es geht nicht darum, in polemischer Absicht die Widersprüche zwischen Theorie und Praxis im spanischen Anarchismus aufzuzeigen, den Mythos des angeblich "guten" Anarchismus zu zerstören, der den "bösen" Kräften aus dem eigenen und gegnerischen Lager deswegen erlegen ist, weil er sich primär dem revolutionären Aufbau einer neuen Gesellschaft widmete und dabei in naiver Verkennung der realpolitischen Situation die Entwicklung von Abwehrpositionen und Offensivstrategien vernachlässigte. Der Beitrag verfolgt eine viel bescheidenere Absicht: Durch Betonung eines bisher eher vernachlässigten Aspektes sollen den zumeist herausgestellten "exogenen" Gründen für den Niedergang der Revolution nunmehr "endogene", in der anarchistischen Bewegung selbst liegende Gründe hinzugefügt werden. Erst dadurch wird ein historisch-kritischer Zugang zum Gesamtphänomen der "Sozialen Revolution" im Spanischen Bürgerkrieg möglich; nur eine vorurteilslose Analyse aller Positionen, auch und gerade der anarchistischen, verhindert die Entstehung unhistorischer Legenden (2), an denen Anarchisten selbst am wenigsten interessiert sein dürften.

Bis zum Bürgerkrieg von 1936-1939 war in Spanien der Anarchosyndikalismus die wahrscheinlich größte Organisation der Arbeiterschaft. Die Massenbewegung verlor während des Krieges an Bedeutung, wurde nach dem franquistischen Sieg im Landesinneren nahezu völlig zerschlagen und erlebte kurz nach der Wiederzulassung der Gewerkschaftsfreiheit in Spanien (1977) nur eine kurze (Schein-)Blüte, bevor sie sich spaltete, in ideologische Grabenkämpfe verwickelte und sich selbst zur Einflußlosigkeit verurteilte. Bedeutsam für die Entwicklung der Organisation während des Franquismus und danach war vor allem das Verhalten der anarchosyndikalistischen Gewerkschaft Confederación Nacional del Trabajo (CNT) im Krieg: ihr Eintritt in die Regional- und Zentralregierungen, ihre partielle Hintanstellung der "Sozialen Revolution" zugunsten des militärischen Sieges, ihr allmählicher Politisierungsprozeß. Für viele Basismitglieder hatten damit die "Verantwortlichen" der Organisation ihre Glaubwürdigkeit verloren, die ideologischen Gegner des Anarchosyndikalismus sahen sich in ihren früher bereits vorgebrachten Kritiken an der Untauglichkeit der anarchosyndikalistischen "Lehre" als Orientierung für praktisches Handeln bestätigt. Innerhalb der libertären Bewegung selbst reaktivierten der Sündenfall des Regierungseintritts und die "reformistische" Zusammenarbeit mit anderen Gewerkschaften und Parteien alte Flügelkämpfe, die wie ein roter Faden die Geschichte des spanischen Anarchismus und Anarchosyndikalismus durchziehen.

Alle anarchistischen Autoren, die sich selbstkritisch mit ihrer Bewegung und deren Rolle in der neueren Geschichte Spaniens auseinandersetzen, weisen auf die mangelnde Übereinstimmung der Anarchisten in der Konzeption und Realisation des angestrebten Zustandes hin, den die Gewerkschaft CNT und die "rein" anarchistische Federación Anarquista Ibérica (FAI) übereinstimmend "libertärer Kommunismus" nannten. Inneranarchistische Auseinandersetzungen und fehlender Konsens in ideologischen und praktischen Fragen lassen sich bis in die Anfänge der Bewegung zurückverfolgen: Bereits auf dem ersten spanischen Arbeiterkongreß 1870 in Barcelona wurde das Programm der Juraföderation erst nach einer Kampfabstimmung angenommen, die bereits den zukünftigen Dissens zwischen "Reformisten" und revolutionären Aktivisten vorwegnahm. Die Auseinandersetzungen zwischen den verschiedenen Flügeln ließen in den folgenden Jahrzehnten nicht nach, sondern wurden eher verschärft und erreichten in den Jahren der II. Republik (1931-1936/39) einen Höhepunkt. 1931 zerbrach die anarchosyndikalistische Gewerkschaft gar, und das Verhältnis zwischen der CNT und der FAI war niemals ungetrübt. Es bedürfte einer genaueren und ausführlicheren Analyse, um in jedem Einzelfall die Gründe der Divergenzen herauszuarbeiten; allgemein läßt sich jedoch so viel sagen, daß sie in engerem oder weiterem Sinne alle um die Frage von Strategie und Taktik drehten, um das Problem somit, ob der Endzustand des "libertären Kommunismus" allmählich und quasireformistisch oder unmittelbar, sozusagen als Willensakt des revolutionären Geistes zu erreichen sei. Auf dem Zaragozakongreß vom Mai 1936 kam es zwar zur Wiedervereinigung der abgespaltenen "Oppositionsgewerkschaften", ideologische Differenzen blieben im Schoß der libertären Bewegung jedoch weiterbestehen. (3)

Der Beginn des Bürgerkriges überraschte den spanischen Anarchismus und Anarchosyndikalismus somit in einer Entwicklungsphase, in der (rein äußerlich) die Einheit der Bewegung hergestellt war, in der faktisch aber wichtige Fragen bezüglich der angestrebten Revolution unentschieden waren; diese Ambivalenz sollte erhebliche Rückwirkungen auf jene zugleich mit dem Bürgerkrieg einsetzende "Soziale Revolution" haben, deren Träger in den republikanisch gebliebenen Landesteilen vor allem die in der CNT gewerkschaftlich organisierten Arbeiter waren. In einigen Landesteilen wurde innerhalb weniger Wochen das bestehende politische, soziale und ökonomische System weitgehend abgeschafft und die traditionelle Form der Herrschaft liquidiert. Die Regierungen in Madrid und Barcelona blieben zwar bestehen, die tatsächliche Machtausübung aber ging (vorübergehend) an neue soziale Gruppen und Institutionen über.

Als sich nach der Niederschlagung des Militärputsches am 19. Juli 1936 die "Soziale Revolution" unkoordiniert und unkontrolliert wie ein Lauffeuer über weite Teile des republikanischen Territoriums ausbreitete, stellte sich für die Träger dieser Revolution nicht nur die Frage der wirtschaftlichen Neustrukturierung auf kollektivistischer Grundlage; zugleich galt es, das politische Verhältnis des organisierten Anarchismus zum bisher radikal abgelehnten Staat neu zu bestimmen. Der Militäraufstand hatte den Staat in seinen Grundfesten erschüttert; die Institutionen, in denen die Anarchisten den Unterdrückungsapparat "Staat" symbolisiert sahen - Polizei, Heer, Verwaltung, Regierung - bestanden nicht mehr, waren machtlos oder in Auflösung begriffen. In dieser kritischen Situation mußte die weitere Entwicklung davon abhängen, wie sich die realen Machtträger, d.h. die anarchosyndikalistischen Organisationen der Arbeiter, verhalten würden: Sollten sie den Staat vollends zerschlagen und - entsprechend ihrem Vorentwurf - durch horizontal und vertikal miteinander verbundene Produzentenvereinigungen und Selbstverwaltungsorgane miteinander ersetzen? Den anarchistischen und anarchosyndikalistischen Komitees war sofort klar, daß sich in der historischen Situation des fehlgeschlagenen Militäraufstandes die erste (und wohl einmalige) Chance bot, den seit Jahrzehnten programmatisch verkündeten "freiheitlichen Kommunismus" zu realisieren.

Diesen Vorentwurf in den Wirren der ersten Kriegs- und Revolutionstage zu realisieren, konnte nicht schwierig erscheinen. Alle zeitgenössischen Beobachter stimmen darin überein, daß am 19. Juli 1936 der republikanische Staat praktisch zusammengebrochen war und die Macht auf der Straße lag. Die Bedingungen zur Durchsetzung des freiheitlichen Kommunismus schienen ideal.

Betrachtet man demgegenüber die soziopolitische Konstellation ein Jahr nach Kriegsbeginn, so fällt die augenscheinliche Umkehrung der Ausgangssituation ins Auge. Die vor allem im Osten des Landes (Katalonien, Aragonien, Levante) nahezu allmächtige und auch in anderen Landesteilen einflußreiche CNT war Mitte 1937 politisch ausgeschaltet, sozial und wirtschaftlich marginalisiert, innerlich zerstritten, nach außen geschwächt. Die zuvor fast einflußlosen Kommunisten waren zur bedeutendsten Partei im republikanischen Herrschaftsgebiet geworden und konnten in der Volksfrontregierung schon seit längerem ihren Willen durchsetzen. Vor allem aber das zusammengebrochene Staatswesen hatte sich erstaunlich schnell wieder aufgerichtet, Regierungschef Juan Negrin hielt als "starker Mann" der Republik die Zügel straff in der Hand, die Revolution war auf allen Gebieten zurückgedrängt, z.T. gewaltsam liquidiert worden.

Aus der Gegenüberstellung der Machtrelationen im Sommer 1936 bzw. 1937 und der auffälligen Veränderung, die das Verhältnis von Staat und Revolution im Vergleichszeitraum erfuhr, ergibt sich die Frage nach den Gründen für diesen Wandel sowie nach den Stationen, die in diesem Prozeß des Niedergangs der Revolution und der Restauration des Staates durchlaufen worden sind.

Als die Anarchisten nach der Niederschlagung rebellierender Truppenteile in einigen Gegenden Spaniens im Juli 1936 sehr schnell erkannten, daß die vollständige Realisierung ihres Gesellschaftsprogramms einer anarchistischen Diktatur gleichkommen würde, entschlossen sie sich, unter Mißachtung ihrer Ideologie und jahrzehntelangen antistaatlichen Praxis, zur Zusammenarbeit mit Regierung und Staat. Entscheidend für die Fortentwicklung der anarchistischen Revolution war dabei die Frage sowohl nach der Organisation dieser Zusammenarbeit als auch nach den Veränderungen, denen die Macht der Anarchisten im Kriegs- und Revolutionsverlauf unterzogen sein würde - eine Frage, die mutatis mutandis auch für die Russische Revolution gestellt worden ist. (4)

Der Anarchist Juan Garicia Oliver, der später Justizministerr der Republik wurde, hat in einem Rückblick die Entscheidungssituation von CNT und FAI deutlich werden lassen. Für ihn standen zur Alternative: "Entweder freiheitlicher Kommunismus, was einer anarchistischen Diktatur gleichkam, oder Demokratie, was Zusammenarbeit bedeutete." (5) Die katalanischen CNT-Bezirkskomitees beschlossen, mit den übrigen "antifaschistischen" Kräften in einem gemeinsamen Gremium, dem Zentralkomitee der Antifaschistischen Milizen, zusammenzuarbeiten. Damit gewann - wenige Wochen nach dem "radikalen" Zaragozakongreß der CNT, auf dem die anarchistisch-orthodoxe Linie der FAI sich voll durchgesetzt hatte - jener "revisionistische" Flügel des organisierten Anarchismus die Oberhand, der schon seit längerem darauf hingewiesen hatte, daß der Übergang vom Kapitalismus zum herrschaftsfreien Kommunismus nicht vorbehaltlos vollzogen werden könne. Mit einem Schlag wurde den katalanischen Anarchisten deutlich, daß sie keine Strategie als Handlungsanleitung für die Phase des Übergangs von einer Gesellschaftsordnung in die andere entwickelt hatten.

Ihre Entscheidung, mit der Regierung und den politischen Parteien zusammenzuarbeiten, war der Anfang einer ideologischen Entwicklung, die nicht nur zur Akzeptierung des Staatsapparates und der Regierung, sondern konsequenterweise auch zur Teilhabe an der Macht führte. Der Gesinnungswandel von absoluter Ablehnung des Staates über dessen (durch die Ausnahmesituation des Krieges bedingten) Hinnahme bis zu seiner Stärkung und Verteidigung verlief in deutlich unterscheidbaren Stufen: Das katalanische Zentralkomitee der Antifaschistischen Milizen konstituierte sich zwar als "revolutionäres" Machtorgan, arbeitete de facto aber - was sich schon aus seiner personellen Zusammensetzung ergab - von Anfang an mit der Regierung zusammen. Sehr schnell erkannten die Anarchisten auch, daß ihr eigentliches Anliegen, nämlich das beschleunigte Vorantreiben der Sozialen Revolution, zum großen Teil eine Machtfrage war, daß also die Ablehnung jeglicher Herrschaftsausübung von ihren ideologischen Gegnern im republikanischen Lager gegen sie verwendet werden konnte (und wurde).

In einem zweiten Schritt forderten sie daher die Einsetzung eines "Nationalen Verteidigungsrates" (6), der an die Stelle der Regierung treten sollte. In diesem Organ (das nichts anderes als eine Regierung mit anderer Bezeichnung gewesen wäre) sollte die CNT mit der UGT und den Republikanern unter Vorsitz des UGT-Führers Francisco Largo Caballero verantwortliche Posten übernehmen. Als dieser Plan einer Gewerkschaftsregierung am Widerstand aller politischen Lager sowie des liberalen Staatspräsidenten Manuel Azana scheiterte, waren die Anarchisten (bezeichnenderweise zuerst in Katalonien) bereit, Regierungsverantwortung zu übernehmen. Sie setzten zwar durch, daß die Regionalregierung Generalitat in Zukunft die revolutionäre Bezeichnung "Rat" (Consejo) erhielt, änderten jedoch nichts am exekutiven Charakter dieser Institution. Mit ihrer Regierungsbeteiligung hatten die Anarchisten nicht nur verbal, sondern auch faktisch eines ihrer Prinzipien durchbrochen. Es lag in der Konsequenz dieser Entwicklung, daß sie - als letzte Phase in dem einmal begonnenen Anpassungsprozeß - weitere sechs Wochen später der Zentralregierung in Madrid beitraten.

Der Politisierungsprozeß des organisierten Anarchismus Spaniens hat heftige Diskussionen im eigenen Lager, auf der Ebene des internationalen Anarchismus, bei den Gegnern der Anarchisten auf republikanischer und nationalistischer Seite und schließlich unter den Historikern jeglicher Couleur hervorgerufen (7). Die Stellungnahmen reichen von überzeugter Zustimmung über sämtliche Schattierungen an Rechtfertigungen, Zweifeln, Einwendungen bis hin zu radikaler Ablehnung. Die Verunsicherung im anarchistischen Lager war nicht zu übersehen - ebensowenig wie das Hohngelächter der anarchistischen Gegner zu überhören war, die im Regierungseintritt von CNT und FAI nicht eine ausnahmebedingte Taktik, sondern das faktische Eingeständnis der Niederlage der antistaatlichen und antipolitischen Einstellung sahen.

Als die CNT/FAI-Minister die Regierung verlassen hatten, legten sie öffentlich Rechenschaft über ihre Tätigkeit ab. Der Bericht Federcia Montsenys (8) zeigt exemplarisch die Zweifel, Gewissensbisse und inneren Widersprüche auf, die die Teilnahme an der Macht für den Anarchismus mit sich brachte. Er macht zugleich deutlich, daß den Anarchisten infolge ihrer früheren radikalen Ablehnung der bestehenden (Staats-)Ordnung jegliche Kenntnis der Regierungsgeschäfte und der Staatsverwaltung fehlte; diese politische Unkenntnis wurde von Republikanern und Kommunisten im Mai 1937 dazu verwendet, die Anarchisten wieder aus der Regierung auszuboten.

Als die CNT/FAI im September bzw. November 1936 Regierungsverantwortung übernahmen, befand sich die Soziale Revolution auf dem Höhepunkt Es lag daher im Interesse aller republikanischen (nicht-anarchistischen) Organisationen, durch Integration des Anarchismus in das bestehende Staatsgefüge und Übertragung von Verantwortung eine gemäßigtere Haltung der Führungsgremien und damit eine Eindämmung der Radikalität an der Basis zu erzielen. Diese Rechnung ist letzten Endes auch aufgegangen. Die anarchistischen Minister trugen selbst zur "Legalisierung" der revolutionären Errungenschaften bei; dies bedeutete in den meisten Fällen jedoch Kontrolle, Kompetenzeingrenzung der Basisorgane, Mitspracherecht des Staates, Zurückdrängung der Revolution.

Ein Beispiel hierfür ist die Ersetzung der in den ersten Kriegstagen spontan entstandenen Komitees, in denen zumeist die gewerkschaftlich organisierten Arbeiter tonangebend waren, durch Gemeinderäte, deren Mitglieder jedoch nicht gewählt, sondern von den politischen und gewerkschaftlichen Organisationen proportional zu ihrer jeweiligen Stärke am Ort delegiert wurden. Diese folgenreiche Umstrukturierung lokaler Leitungsorgane wurde in Katalonien bereits am 5. Oktober 1936, für das restliche republikanische Territorium am 4. Januar 1937 dekretiert. Obwohl dies für die Anarchisten in den meisten Fällen eine Machteinbuße darstellen mußte, akzeptierten sie die Regierungsmaßnahmen; sie wiesen lediglich in einem Rundschreiben (9) ihre Lokalorganisationen an, auf die proportionale Verteilung der Posten in den neuen Gremien zu achten. Die Anarchisten hatten vom Kabinett aus miterlebt wie die Ortskomitees als nahezu autonome Lokal-"Regierungen" ihre eigene Politik betrieben, Regierungserlässe mißachteten und auf örtlicher Ebene zahlreiche staatliche Funktionen usurpierten. Schließlich stimmten die CNT-Minister der vor allem von kommunistischer und republikanischer Seite geforderten Auflösung der Lokalkomitees zu.

Die anarchistische "Basis" wiederum konnte sich nur ungleich schwieriger als früher dem Erlaß einer Regierung widersetzen, in der ihre eigenen Vertreter saßen. Die disziplinierende Wirkung der anarchistischen Regierungsbeteiligung ist offensichtlich. Sie läßt sich ebenso deutlich an einem weiteren Beispiel ablesen: Als es Anfang Mai 1937 in Barcelona zu schweren bewaffneten Auseinandersetzungen zwischen Kommunisten und Anarchisten kam, fuhren die CNT-Minister nach Barcelona, wirkten mäßigend auf ihre dortigen Genossen ein und trugen dadurch zur Beilegung des Konfliktes bei (10). Nachträglich haben sich Anarchisten vorgeworfen, versöhnend in den Straßenkampf eingegriffen zu haben (11), da ausschließlich Kommunisten und Republikaner Nutzen aus diesem Eingriff gezogen hätten. In unmittelbarem Zusammenhang damit standen auch Krise und Fall der Regierung Largo Caballero und das Ausscheiden der Anarchisten aus dem Kabinett. Inzwischen aber konnte das anarchistische Abseitsstehen vom politischen Geschehen relativ gefahrlos verwunden werden: Die Machtrelationen hatten sich im Frühsommer 1937 gegenüber Herbst 1936 grundsätzlich geändert. Durch die Internationalisierung und Verlängerung des Krieges, hatten die Kommunisten, dank ihrer Verbindung zum Waffenlieferanten Moskau, derart an Einfluß und Macht gewonnen, daß sie von einem gelegentlichen Aufbäumen der (ideologisch verunsicherten) Anarchisten nichts mehr zu befürchten hatten.

In historischer Perspektive führte der Regierungseintritt von CNT und FAI somit nicht nur zu einer Identitätskrise der libertären Bewegung, sondern trug zugleich direkt zur Domestizierung der Revolution und indirekt zur Machterweiterung der Kommunisten bei. Nach seinem Ausscheiden aus dem republikanischen Industrieministerium gestand Joan Peiro öffentlich ein: "Wir sind so ehrlich gewesen, daß wir uns wie ausgesprochene Naivlinge benommen haben." (12) Diese Einsicht führte bei den Anarchisten jedoch nicht zur Rückbesinnung auf ihre revolutionäre Tradition der direkten Aktion, des Antipolitizismus und der Staatsverneinung - auch dann nicht, als die Angriffe auf die revolutionären Errungenschaften, wie etwa in Aragonien, immer massiver wurden. Das Millionenpotential von CNT/FAI blieb im innerrepublikanischen Machtkampf ungenutzt. Die anarchosyndikalistische Gewerkschaft begnügte sich mit verbalen Protesten und der Drohung, ihre Mitglieder aus allen Komitees zurückzuziehen, wenn die antifaschistischen Organisationen nicht unverzüglich an die "Ausarbeitung eines gemeinsamen Programms" (13) gingen. Zu diesem Zeitpunkt (Herbst 1937) wurden allerdings derartige Drohungen nicht mehr ernst genommen, da von ihnen nichts Ernstes zu befürchten war. Der spanische Anarchismus hatte den Höhepunkt seiner Macht überschritten.

Neben das katalanische Zentralkomitee und die Unzahl revolutionärer Komitees auf lokaler Ebene trat in Aragonien ein drittes Organ, das sich einerseits als Revolutionsinstrument, andererseits als Keimzelle eines neuen Staatsaufbaus verstand: der "Regionale Verteidigungsrat", der Consejo Regional de Defensa de Aragon (14). Als die CNT Ende September 1936 auf einer Versammlung der Stadt- und Dorfkomitees im aragonesischen Bujaraloz die Einsetzung dieses regionalen Zentralorgans beschloß, in dem ausschließlich Anarchosyndikalisten vertreten waren, verfolgte sie damit (nach eigenen Angaben) die Absicht, die Willkür katalanischer Milizkolonnen zu beenden, die in Aragonien "wie in erobertem Gebiet" hausten, die wirtschaftliche Zusammenarbeit auf überlokaler Ebene zu effektivieren und die militärischen Aktionen, vor allem zur Rückeroberung der Hauptstadt Zaragoza, zu koordinieren.

Die Bildung einer de-facto-Regionalregierung der Anarchisten entsprach deren Tradition isoliert-unkoordinierten Vorgehens: Die aragonesische CNT- Regionalföderation hatte ihre Absicht weder mit der benachbarten katalanischen Regionalregierung, in der zu diesem Zeitpunkt bereits CNT-Vertreter saßen, noch mit dem CNT-Nationalkomitee abgestimmt. Daß die Stalinisten des Partido Comunista de Espanola (PCE) sich mit diesem fait accompli nicht abfinden würden, war abzusehen; vorläufig mußten sie aber - wegen ihrer geringen Stärke in Aragonien - noch zurückhaltend taktieren.

Anfang November 1936 ersuchte der Regionalrat die Zentralregierung um seine Anerkennung und betonte dabei seine "absolute Identifizierung mit der Regierung der Republik" (13). Regierungschef Largo Caballero und Staatspräsident Azana zeigten sich der Idee einer Regionalregierung gegenüber nicht abgeneigt, forderten aber die Einbeziehung aller Volksfront-Organisationen. Der neustrukturierte Verteidigungsrat, der am 17. Dezember 1936 gegen den Willen der Kommunisten offiziell anerkannt wurde, hatte Vertreter der Izquierda Republicana, der UGT, des PCE und des Partido Sindicalista aufgenommen; die CNT hatte nach wie vor die Schlüsselstellungen inne (16). In den Monaten nach seiner Legalisierung nahm der Consejo de defensa unter der Leitung von Joaquín Ascaso den Wiederaufbau der nahezu zusammengebrochenen aragonesischen Wirtschaft in Angriff: Er organisierte Agrarkollektivwirtschaften, dehnte den Handel ins Ausland aus, erwarb Landwirtschaftsmaschinen und besorgte im Februar 1937 die Zusammenfassung aller agrarischen Kollektivwirtschaften zu einer Regionalorganisation.

Die Einsetzung des aragonesischen Verteidigungsrates stellte einen eklatanten Bruch mit der bisherigen Theorie und Vorkriegspraxis des spanischen Anarchismus dar. Der Rat übernahm sämtliche Funktionen einer Regionalregierung; im Gegensatz zur katalanischen Generalitat aber, die ihre Legitimation aus den Volksfrontwahlen vom Februar 1936 bezog, konnte der Aragonienrat nur auf eine Absprache innerhalb der Partei- und Gewerkschaftsapparate und seine Sanktionierung durch die Zentralregierung verweisen; eine demokratische Legitimation fehlte ihm. Als nach dem republikanischen Regierungswechsel im Mai 1937 der Einfluß der Linkskräfte deutlich im Sinken begriffen war, setzte gleichzeitig eine geschickte, hauptsächlich von den Kommunisten geschürte, von Rechtssozialisten des Partido Socialista Obrero Español (PSOE) und Republikanern mitgetragene Kampagne gegen den von der CNT majorisierten Verteidigungsrat ein. Am 11. August 1937 gab der offizielle Staatsanzeiger die Auflösung des Consejo bekannt; in den folgenden Tagen wurden von kommunistischen Truppen unter Enrique Lister viele Kollektivwirtschaften zerstört und CNT-Mitglieder aus den Gemeinderäten ausgeschlossen (17).

Mit der gewaltsamen Auflösung des Verteidigungsrates erreichte der "Restaurations"-Prozeß der zentralen Staatsgewalt seinen Höhepunkt; außerdem konnten die Kommunisten und ihre Volksfront-Verbündeten in ihrer Auseinandersetzung mit den Anarchisten einen deutlichen Sieg verbuchen.

Ideologische Gegensätze treffen auf das Bestreben der Regierung nach Zentralisation der Militär- und Staatsgewalt und gehören zu den wichtigsten Bedingungsfaktoren für die Auflösung des Rates. Die Verschärfung der Kriegsführung und die Hinauszögerung des Kriegsendes akzentuierten die aus der spezifischen Konstellation der Klassenkräfte resultierenden inneren Schwächen der revolutionären Bewegung und trugen zu ihrem Niedergang bei.

Die Geschichte des revolutionären Syndikalismus im weiteren Kriegsverlauf war sowohl im machtpolitischen wie im ideologischen Bereich weitgehend ein Rückzugsgefecht. Auf wirtschaftlichem Sektor wurden die Anarchisten marginalisiert, auf politischem zum größten Teil ausgeschaltet; revolutionäre Errungenschaften (etwa kollektivierte Betriebe) blieben zwar bis Kriegsende bestehen, unterlagen aber staatlicher Kontrolle. Bedeutsam angesichts dieses effektiven Machtverlustes ist die Reaktion der CNT: Sie mobilisierte nicht etwa ihre Massengefolgschaft, besann sich nicht auf bisher proklamierte Mittel und Ziele, sondern flüchtete in einen verbalen Eskapismus, der deutlich werden läßt, daß sie schließlich nur noch eine Position der Selbstrechtfertigung zu verteidigen suchte.

Daß die vom Krieg allen Organisationen des republikanischen Spanien aufgenötigte Zentralisierung, Bürokratisierung und Hierarchisierung auch vor dem organisierten Anarchismus nicht haltzumachen brauchte, war auf den Politisierungsprozeß zurückzuführen, der in CNT und FAI bereits in den ersten Tagen nach dem 19. Juli 1936 eingesetzt hatte und im Juli 1937 zur Preisgabe wesentlicher Grundpositionen des klassischen spanischen Anarchismus führte (18). Die damals in Valencia von der FAI verabschiedete Resolution lehnte, obwohl ein Verzicht auf das angestrebte Endziel des herrschaftsfreien Kommunismus explizit zurückgewiesen wurde, den Staat nicht mehr schlechthin ab; die Anarchisten bezeichneten sich nurmehr als "Feinde der Diktatoren" und der "totalitären Regierungsform", forderten ihre Mitglieder jedoch zur Mitarbeit in bestehenden Staatsinstitutionen auf. "Entgegen unserer ablehnenden Haltung in der Vergangenheit ist es Pflicht aller Anarchisten, in all jenen öffentlichen Institutionen mitzuwirken, die dazu beitragen können, die neuen Verhältnisse zu befestigen und voranzutreiben." (19)

Allerdings fanden sich nicht alle Anarchisten mit dieser Haltung ab. So fanden erwa die (in der libertären Bewegung schon "traditionellen") ideologischen Auseinandersetzungen über das "Wesen" des "wahren" Anarchismus ihre Fortsetzung in dem Prinzipienstreit zwischen den anarchistischen Gremien und der Jugendorganisation Juventudes Libertarias. In einer wahrscheinlich Ende 1937 erschienenen Broschüre (20) warfen die drei Anarchisten Santana Caloro, Severino Campos und José Peirats den "kleinen Chefs" ihrer Organisation Vorrat an den "ideologischen Prinzipien des Anarchismus" vor. Die Autoren wandten sich dagegen, daß unter dem Vorwand: "Die Umstände erfordern es" der Anarchismus in seinen Grundprinzipien verletzt wurde. Sie selbst verstanden sich als Sprachrohr der "überlegten Opposition des bewußten Teils der libertären Bewegung"; ihre Kritik richtete sich sowohl gegen die "ideologische Desorientiertheit" und die "Anarcholeninisten" als auch gegen den "Autoritarismus", der im anarchistischen Lager keine abweichende Meinung mehr zulasse. Die anarchistische Jugendorganisation konnte allerdings mit dieser Stellungnahme - die sich etwa mit der Position der Amigos de Durruti vergleichen ließe (21) - keine Revision der anarchosyndikalistischen Position mehr erreichen. Diese hatte durch den katalanischen Entschluß vom 20. Juli 1936 zur Zusammenarbeit mit den anderen republikanischen Kräften ihre entscheidende Weichenstellung erfahren. Als sich die Linkskräfte damals zum Verzicht auf die radikale Durchführung ihres revolutionären Programms entschlossen, ermöglichten sie nicht nur ihre allmähliche Integration in das Staatswesen, sondern leiteten außerdem einen Prozeß ein, der seine inhaltliche Bestimmung in Zentralisierung, Bürokratisierung, Hierarchisierung und Politisierung der anarchistischen Organisationen fand.

Dieser Prozeß lief parallel zu einer zunehmenden Distanzierung zwischen anarchistischer Gewerkschafts-"Basis" und CNT/FAI-"Führungsgremien"; diese Distanzierung wird in der neueren Forschung als ein wichtiger Grund für den Einflußverlust des Anarchismus gegenüber den restaurativen Kräften hervorgehoben. Noch während des Krieges, im Jahre 1938, schrieb Diego Abad de Santillán selbstkritisch (auf seine Organisation und sich selbst bezogen): "In allen Revolutionen versuchen die fortschrittlichen Minderheiten, so weit wie möglich auf dem Gebiet der Realisierung, der Zerstörung des alten Regimes und des Aufbaus neuer Lebensformen voranzuschreiten. In der spanischen Revolution haben diese Minderheiten nicht sozialen Fort-, sondern Rückschritt ermöglicht (...). In Spanien gab es eine breite Masse, die die Revolution wollte, und es gab sogenannte Führungsminderheiten, unter denen sich auch die unsrige befand, die zum Erreichen dieses Zieles nicht nur nicht angespornt und aufgerufen und es somit ermöglicht haben, sondern die diesem Bestreben außerdem mit allen Mitteln die Flügel stutzten." (22)

Unter dem Schlagwort der nationalen Verteidigung und des nationalrevolutionären Krieges gegen den internationalen Faschismus wurde dem Anarchismus im Spanischen Bürgerkrieg sehr schnell ein politischer Burgfriede aufgenötigt, dessen Konsequenzen für den Fortgang der Revolution er aus politischer Naivität zuerst verkannte und schließlich nicht verhindern konnte. Das Prinzip der von den Volksfrontparteien verfochtenen Legalität konnte sich allmählich gegen das radikaldemokratisch interpretierte Prinzip der legitimen Volkssouveränität durchsetzen. Ihre Forderung nach politischer und militärischer Entscheidungszentralisierung, Wiederabschaffung der revolutionären Machtorgane und Kompetenzerweiterung staatlicher Instanzen konnten die Volksfrontparteien mit dem einleuchtenden Argument begründen, die neuen Elemente der Wirtschaftsstruktur und des politischen Systems funktional und effizient aufeinander abstimmen zu wollen; zu lange übersahen die Sozialrevolutionären Kräfte "den unaufhebbaren Zusammenhang der ökonomischen mit der politischen Aktion in jeder, vor allem aber in der revolutionären Phase des proletarischen Klassenkampfes" (23). Im sozialpolitischen Kontext des Spanischen Bürgerkrieges, in dem der Staat immer mehr in den sozialen und ökonomischen Bereich eingriff, vernachlässigten die Revolutionäre, allen voran die Anarchisten, in den machtpolitisch weichenstellenden Monaten den staatlichen Bereich, was nicht nur zu ihrer baldigen Ausbootung aus allen Schaltstellen der republikanischen Politik, sondern außerdem zur rapiden Restauration des Staatsapparates und letztlich zum Niedergang der Revolution führte. Sie versäumten es, den spontanen Massenaufbruch vom Juli 1936 in Organisationsformen hinüberzuführen, die die Erhaltung der revolutionären Errungenschaften gesichert und ein Weiterführen der Revolution ermöglicht hätten.

Stattdessen leisteten die Anarchisten durch ihren (inzwischen heftig von ihnen selbst kritisierten) colaboracionismo und den Regierungseintritt, durch den sie des "Nimbus der totalen Alternative" (24) verlustig gingen, der Entwicklung zum starken Staat Vorschub. Wesentliche Stationen dieser Entwicklung waren die Zusammenarbeit zwischen Revolutionären und Vertretern der alten Ordnung in "halbstaatlichen" Organen (z.B. dem katalanischen Milizkomitee), die Regierungsbeteiligung der Anarchisten, Linkssozialisten und antistaatlichen Marxisten, der Aufbau der neuen Volksarmee im traditionell-militärischen Stil, die Schaffung eines straffen Polizeiapparates unter Regierungskontrolle, die Ablösung der lokalen Revolutionskomitees durch "von oben" eingesetzte Verwaltungsorgane und die allmähliche, z.T. auch gewaltsame Auflösung aller in den Wirren der Revolutionsmonate entstandenen Institutionen (z.B. des Consejo de Aragon). Daß dieser Entwicklung zum "starken" Staat relativ wenige Hindernisse in den Weg gelegt wurden, ist vor allem darauf zurückzuführen , daß die breite Masse der revolutionären Anhängerschaft allmählich den im Namen der Staatsräson und unter Berücksichtigung der außenpolitischen Lage zusehends auch von ihren Vertretern vorgebrachten Argumenten der Mäßigung und Zurückhaltung erlag. Ohne eine klare Führung verlief der revolutionäre Impetus, dessen Träger ideologisch stark verunsichert waren, im Sande. In dem Maße, in dem die Spontaneität der Massen kanalisiert und kontrolliert wurde, nahm die Revolution von ihren ursprünglichen Zielen und theoretischen Entwürfen Abstand; sie engte ihren eigenen Aktionsraum ein und erweiterte damit das Wirkungsfeld des schließlich in nahezu alle gesellschaftlichen Bereiche vordringenden Staates. Damit hatte sich gegen Ende des Krieges das Verhältnis Gesellschaft - Staat im Vergleich zu Juli 1936 nahezu vollständig zugunsten des Staates verkehrt.

Fußnoten:
1.) Federica Montseny: Los días de euforia. In: El Pais, 18.7.1986, S.14.
2.) Ein geradezu typisches Beispiel für den Aufbau anarchistischer Legenden liefert Jörg Hallerbach in einem Beitrag, der Anlaß einer längeren Kontroverse wurde und, mitsamt der Replik und Gegenreplik, neuerdings in einem Band zusammengefaßt vorliegt: Walther L. Bernecker /Jörg Hallerbach: Anarchismus als Alternative. Die Rolle der Anarchisten im Spanischen Bürgerkrieg. Eine Diskussion. Berlin 1986.
3.) Zur Geschichte des spanischen Anarchismus und Anarchosyndikalismus bis 1936 vgl. u. a. Temma Kaplan: Origines sociales del anarquismo en Andalucía. Capitalismo agrario y lucha de clases en la provincia de Cádiz 1868-1903. Barcelona 1977; Clara E. Lida: Anarquismo y Revolución en la España del XIX. Madrid 1982; Josep Termes: Anarquismo y sindicalismo en España. La Primera Internacional (1864- 1881). Barcelona 1972; Murray Bookchin: The Spanish Anarchists. The Heroic Years 1868-1936. New York 1977; Eric J. Hobsbawn: Sozialrebellen. Archaische Sozialbewegungen im 19. und 20. Jahrhundert. Neuwied 1962; Antonio Elorza: La utopia anarquista bajo la Segunda República. Madrid 1973; César M. Lorenzo: Los anarquistas españoles y el poder. Paris 1972; J. Alvarez Junco: La ideología politica del anarquismo espanol (1868-1910), Madrid 1976; Walther L. Bernecker: Strategien der "direkten Aktion" und der Gewaltanwendung im spanischen Anarchismus. In: Wolfgang J. Mommsen/Gerhard Hirschfeld (Hg.): Sozialprotest, Gewalt, Terror. Gewaltanwendung durch politische und gesellschaftliche Randgruppen im 19. und 20. Jahrhundert. Stuttgart 1982, S.108-134.
4.) W. Pietsch: Revolution und Staat. Institutionen als Träger der Macht in Sowjetrußland 1917-1922. Köln 1969.
5.) Juan García Oliver: El Comité Central de las Milicias Antifascistas de Cataluña. In: De julio a julio. Valencia 1937, S.193fF.
6.) Boletín de Información CNT-AIT-FAI v. 19.9.1936, Blatt 8f.
7.) Hierzu César M. Lorenzo: Los anarquistas españoles y el poder. Paris 1972; Juan Gómez Casas: Los anarquistas en el gobierno (1936-1939). Barcelona 1977; Monika Wojak: Das Verhältnis von Anarchisten zu linken Regierungen, dargestellt am Beispiel Katalonien 1936. Bremen o J. 1978; Walther L. Bernecker: Anarchismus und Staat: Zur Geschichte der Sozialen Revolution in Spanien 1936-1939. Hamburg 1978; ders. (Hg.): Kollektivismus und Freiheit. München 1980.
8.) Federica Montseny: Mi experienca en el Minsterio de Sanidad y Asistencia Social. Valencia 1937.
9.) Confederación Regional del Trabajo de Levante: Circular n° 5 a todos los Sindicatos. In: Servicios Documentales Salamanca. PS Legajo 593 (M).
10.) Federica Montseny: Mi experiencia (Anm.6).
11.) Diego Abad de Santillán: Por qué perdimos la guerra. Barcelona 1977, S.209.
12.) Boletín de Información CNT-ATT-FAI v. 15.6.1937, S.4.
13.) Fernando Diaz-Plaja (Hg.): La guara de España en sus documentos. Barcelona 1969, S.365f.
14.) Zum Verteidigungsrat vgl. Ramón Salas Larrazabal: Historia del ejército popular de la República. Bd.l, Madrid 1973, S.999-1005.
15.) José Peirats: La CNT en la Revolución Española. 3 Bde., Paris 1971, hier Bd.1, S.214.
16.) Zur Zusammensetzung vgl. Boletín de Información CNT-AIT-FAI v. 24.12.1936, S.5; zur kommunistischen Haltung vgl. Historia del Partido Comunista de España (Versión abreviada). Paris 1960, S.158.
17.) Zu den unmittelbaren Folgen der Auflösung des Verteidigungsrates vgl. (aus anarchistischer Sicht:) Documentos de la Revolución Española. 1. El PCE y la Unidad Antifascista. Valencia 1937; (aus kommunistischer Sicht:) Enrique Lister: Nuestra guerra. Aportaciones para una historia de la guerra nacionalrevolucionaria del pueblo español 1936-1939. Paris 1966, S.151-162.
18.) Vgl. die Beschlüsse der Valencia-Versammlung von Juli 1937; FAI: Memoria del Pleno Peninsular de Regionales. Valencia 1937.
19.) Ebda., S.38.
20.) J. Santana Calero: Afirmación en la marcha. Apreciaciones anarquistas. Barcelona oJ.,S.5ff.
21.) Zu den "amigos de Durruti" vgl. Frank Mintz/Miguel Pecina: Los amigos de Durruti, los trotsquistas y los sucesos de mayo. Madrid 1978.
22.) Diego Abad de Santillan: Artikel in "Timon" Nr.2,1938, S.ll.
23.) Karl Korsch: Ökonomie und Politik im revolutionären Spanien. In: ders.: Schriften zur Sozialisierung, hg. von Erich Gerlach. Frankfurt 1969, S.l 13.
24.) Erwin Oberländer (Hg.): Der Anarchismus. Olten 1972, S.53.

Aus: Thomas Kleinspehn / Gottfried Mergner (Hg.): Mythen des Spanischen Bürgerkriegs. Trotzdem-Verlag, 1996. Digitalisiert von www.anarchismus.at mit freundlicher Genehmigung des Trotzdem-Verlags.


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