Helge Döhring - Syndikalismus und Anarcho-Syndikalismus in Deutschland. Eine Einführung
Inhalt
1. Was bedeutet eigentlich Arbeiterbewegung?
2. Die Entstehung des Anarcho-Syndikalismus und der „Freien Vereinigung deutscher Gewerkschaften (FVDG) in Deutschland
3. Die Ausformung des Anarcho-Syndikalismus nach dem 1. Weltkrieg
4. Mit einem klaren Konzept die Alternative zum autoritären Kommunismus: Die „Freie Arbeiter- Union Deutschlands“ (FAUD)
4.1. Die wesentlichen Unterschiede zu den Zentralverbänden
4.2. Gründe für den Mitgliederrückgang der FAUD
4.2.1. Die Auswirkungen des Mitgliederrückganges auf betrieblicher Ebene: Betriebsräte und Tarifverträge
4.2.2. Die FAUD im Spannungsverhältnis zwischen Industrieföderation und Einheitsorganisation
4.3. Der Anarcho-Syndikalismus jenseits betrieblicher Organisation
4.3.1. Die Kulturorganisationen
4.3.1.1. Die „Gemeinschaft proletarischer Freidenker“ (GpF)
4.3.1.2. Die „Gilde freiheitlicher Bücherfreunde“ (GfB)
4.3.2. Die Hilfsorganisationen
4.3.2.1. Der „Reichsverband für Geburtenregelung und Sexualhygiene“ (RV).
4.3.2.2. Die „Schwarzen Scharen“
4.3.2.3. Die Erwerbslosenbewegung
4.3.3. Die Alternativbewegungen zur FAUD
4.3.3.1. Die Siedlungs- und Genossenschaftsbewegung
4.3.3.2. Die Vagabundenbewegung
4.3.4. Die Personengruppenorganisationen
4.3.4.1. Die „Syndikalistisch- Anarchistische Jugend Deutschlands“ (SAJD)
4.3.4.2. Der „Syndikalistische Frauenbund“ (SFB)
4.3.4.3. Die Kinderbewegung
4.4. Das Ende der FAUD
5. Der Syndikalismus und seine Bedeutung
1. Was bedeutet eigentlich Arbeiterbewegung?
Wer anfängt, sich für die Geschichte der Arbeiterbewegung in Deutschland und international zu interessieren, lernt als erstes, dass die Arbeiterinnen und Arbeiter vornehmlich in Parteien organisiert waren, in sog. „Arbeiterparteien“. In Deutschland waren dies die SPD und die KPD. Schon bald fallen bei näherem Hinsehen noch weitere Parteien ins Auge, z.B. die „Unabhängige Sozialdemokratische Partei Deutschlands“ (USPD), die „Kommunistische Arbeiterpartei Deutschlands“ (KAPD) oder später die „Sozialistische Arbeiterpartei“ (SAP).
Und wie selbstverständlich werden bei der Definition des Begriffes „Arbeiterbewegung“ die Parteien in den Vordergrund gestellt. Das gleiche gilt für die Zentralgewerkschaften des „Allgemeinen Deutschen Gewerkschaftsbundes“ (ADGB).
Bei näherer Betrachtung fällt jedoch auf, dass diese Institutionen weniger mit Bewegung im eigentlichen Sinne zu tun hatten, als mit Regulierung und Disziplinierung der Arbeiterbewegung, ganz im Interesse der privaten oder staatlichen Kapitaleigner. Wenn wir also von der „Arbeiterbewegung“ als Bewegung sprechen, so können wir damit nur die proletarischen Basisinitiativen meinen, welche unter Einsatz von Gesundheit und Leben versuchten, den Klassenkampf voranzutreiben. Das können im einzelnen auch SPD oder KPD-Mitglieder gewesen sein. Auffallend hierbei ist, dass sie mit konsequentem Handeln schon bald den Widerspruch ihrer Führungsgremien in Parteien und Zentralgewerkschaften herausforderten.
Wir wollen hier „Bewegung“ als etwas organisch gewachsenes verstehen, d.h. nicht als Reflex einer Order vom Partei- oder Gewerkschaftsvorstand, sondern als Aktivität von frei organisierten Lohnabhängigen im Bewusstsein völliger Eigenverantwortung unter Umgehung zentralistischer Organisationen. Viel Kraft und Energie lässt sich absorbieren von der Beschäftigung mit Parteistreitigkeiten, großen Persönlichkeiten („Ja, wenn der Bebel 1914 noch gelebt hätte...“) und diversen Auslegungen marxistischer Literatur von Bernstein bis Lenin. Und das alles, um festzustellen, dass die Arbeiterbewegungen, wie sie hier definiert werden, in den einzelnen Ländern erstarrten. Wer nun diesen Erkenntnisprozess wesentlich und legitim abkürzen möchte, schaut am besten dorthin, wo es tatsächlich auch organisierte Bewegung von Arbeitern gegeben hat, jenseits marxistischer Doktrinen und parteipolitischer Verblendung. Und tatsächlich gibt es da etwas zu entdecken. Die Arbeiterbewegung mit eigenständiger Organisationsform sind in Deutschland zur Zeit zwischen den beiden Weltkriegen vor allem bei den Unionisten/Rätekommunisten und bei den Syndikalisten/Anarcho-Syndikalisten zu finden. Hier soll es im folgenden um die Syndikalisten und Anarcho-Syndikalisten gehen, welche in Deutschland nicht nur eine bemerkenswerte Ideenbewegung darstellte, sondern Anfang der zwanziger Jahre auch als eine proletarische Massenbewegung gekennzeichnet werden kann, welche unter Zeitgenossen einen sehr hohen Bekanntheitsgrad erlangte, heute jedoch in Vergessenheit geraten ist. Wer da denkt, vielleicht bei weniger herkömmlicher Literatur zur Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung, beispielsweise bei Wolfgang Abendroth oder Karl Heinz Roth in ausreichendem Maße fündig zu werden, wird leider enttäuscht. Aber: Neben den Standardwerken, beispielsweise von Hans Manfred Bock, Angela Vogel oder Hartmut Rübner erschienen auch einige Regionalstudien zum Thema Anarcho-Syndikalismus. Doch nun erst mal zum allgemeinen Teil dieses Buches:
2. Die Entstehung des Anarcho-Syndikalismus und der „Freien Vereinigung deutscher Gewerkschaften (FVDG) in Deutschland
Gegenstand des vorliegenden Buches ist u.a. die Geschichte der Freien Arbeiter-Union Deutschlands (FAUD) in Kassel in den Jahren der Weimarer Republik von 1919 bis 1933. Was war die FAUD? Ihre Wurzeln liegen in der deutschen Sozialdemokratie der Kaiserzeit begründet. Die zentralistische Organisationsform der Partei ließ sie anfälliger gegen die restriktiven Maßnahmen des Bismarckschen Sozialistengesetzes (1878-1890) sein. Ihre zentralen Führungsstellen konnten so besser ausgehebelt werden. Nach Aufhebung des Sozialistengesetzes weigerte sich ein Teil der sozialdemokratisch organisierten Ortsvereine, die zentralistische Organisationsform beizubehalten, weshalb diese fortan „Lokalisten“ genannt wurden. Die „Lokalisten“ stellten innerhalb der sozialdemokratischen Bewegung eine kleine Minderheit dar, welche jedoch gerade in der Hauptstadt Berlin über einen starken organisatorischen Rückhalt verfügte. Sie hielten zunächst am Parteigedanken und an der ihr eigenen Auslegung marxistischer Ideologeme fest, doch verstärkten die „revisionistischen“ Beschlüsse des Erfurter Kongresses der sozialdemokratischen Partei 1891 die Separationsbestrebungen der lokalistischen Ortsvereine. Schon im Jahre 1892 berief die Generalkommission für die Zentralverbände einen Kongress in Halberstadt ein, auf welchem sich dafür ausgesprochen wurde, die lokalistische Strömung zu beseitigen. Diese schlossen sich im Jahre 1897 zur „Vertrauensmänner-Zentralisation Deutschlands“ zusammen und nannten sich seit 1901 „Freie Vereinigung deutscher Gewerkschaften“ (FVDG). In den folgenden Jahren bemühte sich die sozialdemokratische Führung vergeblich um die Reintegration der lokalistischen Ortsvereine, denn die „Lokalisten“ seien nach Friedrich Ebert gestandene Sozialdemokraten und nicht mit den für sie unbequemeren anarchistischen Strömungen zu vergleichen. Schließlich wurde das Ultimatum gestellt, sich wieder einer zentralen Gewerkschaftsführung zu unterstellen oder auch aus der sozialdemokratischen Partei ausgeschlossen zu werden. Die zu diesem Zeitpunkt auf etwa 16.000 Mitglieder angewachsene FVDG verlor daraufhin im Jahre 1908 die Hälfte ihrer Mitglieder. So vollzog sich die endgültige Abnabelung von der Sozialdemokratie. Die lokalistische Bewegung entwickelte nun eigene Vorstellungen vom Umsturz des bisherigen und vom Aufbau einer neuen Gesellschaft. Maßgeblich beeinflusst wurde sie hierbei in Organisationsfragen von den französischen „Bourses du travail“ (der syndikalistischen Bewegung Frankreichs) und in weltanschaulichen Dingen von der Person Raphael Friedebergs, welcher auch den Staat und Parteien generell als zentralistische Organisation ablehnte. In die selbe Richtung strebte auch die innerhalb der Sozialdemokratie aufkeimende „Opposition der Jungen“ um Paul Kampffmeyer.
So ersetzte der Begriff „Syndikalisten“ allmählich den der „Lokalisten“. Die Organisation stabilisierte sich bei einer reichsweit eher unbedeutenden Zahl von ca. 8.000 Mitgliedern und gaben mit der „Einigkeit“ und dem „Pionier“ zwei zentrale Organe heraus. Fortan waren sie den vielfältigen Anfeindungen seitens ihrer ehemaligen „Genossen“ ausgesetzt, welche keine Gelegenheit scheuten, auch im Pakt mit Unternehmensleitungen, die Syndikalisten aus den Betrieben zu drängen, da ihre Zentralgewerkschaften einen Absolutheitsanspruch vertraten und keine „Konkurrenzgewerkschaften“ neben sich duldeten. Damit war den Lokalisten/ Syndikalisten neben den Kapitalisten ein weiterer mächtiger Gegner erwachsen.
Während die Zentralverbände eine rege patriotische Tätigkeit vor und während des 1. Weltkrieges entfalteten, wurden die Syndikalisten als vehemente Kriegsgegner von Seiten der Behörden und der Sozialdemokratie entschieden bekämpft. Derweil stieg der Einfluss anarchistischer Ideenmodelle, personifiziert in Proudhon, Kropotkin oder auch Gustav Landauer.
3. Die Ausformung des Anarcho-Syndikalismus nach dem 1. Weltkrieg
Nach dem 1. Weltkrieg formierte sich die FVDG neu. Massen an von der kriegsbefürwortenden SPD enttäuschten Arbeitern strömten in die sich bietenden organisatorischen Alternativen, darunter auch in die FVDG, welche innerhalb nur eines Jahres ihre Mitgliederzahl auf ca. 60.000 verzehnfachte. In ihr bot sich nun eine reelle Form der Arbeiterselbstverwaltung, welche von den sozialpartnerschaftlich ausgerichteten sozialdemokratischen Zentralgewerkschaften als Bedrohung empfunden wurde. Die Syndikalisten waren zusammen mit rätekommunistischen Strömungen das „Schreckgespenst“ für die Sozialdemokratie. Denn sie warb nicht nur Massen an neuen Mitgliedern (bis zu ca. 150.000 im Jahre 1922), sondern gelangte auch organisatorisch und auf weltanschaulicher Ebene zu konkreter Konzeption, manifestiert in der „Prinzipienerklärung des Syndikalismus“, welche 1919 dem 12. Kongress der FVDG vom kommenden Haupttheoretiker des internationalen Syndikalismus, Rudolf Rocker, vorgelegt und mit nur leichten Änderungen angenommen wurde. Im Gegensatz zur Sozialdemokratie, welche den betrieblichen Organisationen einen politischen Vormund, nämlich die politische Partei, auferlegte, erkannten die Syndikalisten die Gefahren, die von einem solchen Dualismus ausgingen. Dementsprechend hoben sie die Trennung von Ökonomie und Politik auf, damit das Proletariat seine Geschicke auf allen Ebenen selber bestimmen konnte. Gemäß dieses Anspruchs mussten die Syndikalisten eben auch alle Lebensbereiche selber organisieren. Die Gesellschaft sollte sich selbst regieren und trug für sich selbst auch die volle Verantwortung, denn „Freiheit existiert nur dort, wo sie vom Geiste persönlicher Verantwortung getragen ist“, wie es Rudolf Rocker mal auf den Punkt brachte. Die Ausgangsbasis des Lebens, und hier gingen die Syndikalisten mit Karl Marx konform, bilde die Ökonomie, welche auf zwei Ebenen folgendermaßen organisiert werden sollte: Auf der Produzenten-, wie auf der Konsumentenebene.
4. Mit einem klaren Konzept die Alternative zum autoritären Kommunismus: Die „Freie Arbeiter-Union Deutschlands“ (FAUD)
Dementsprechend sollte die FVDG, welche sich 1919 umbenannte in „Freie Arbeiter-Union Deutschlands (Syndikalisten)“ (FAUD (S.) nach Industrieföderationen einerseits und Arbeitsbörsen andererseits aufgebaut sein. Dabei sollten die Industrieföderationen, in denen reichsweit alle Ortsvereine der selben Branchen zusammengeschlossen waren, für die betrieblichen Fragen und den Tageskampf zuständig sein; die Arbeitsbörsen, welche branchenübergreifend den regionalen und landesweiten Zusammenschluss aller Ortsvereine darstellten, sollten sich für die Aufgaben im Bildungs- und Kulturbereich und in Fragen der Weltanschauung zuständig zeigen. Hierin äußerte sich auch der grundsätzlich föderalistische Organisationsaufbau, da jeder Ortsverein gleichberechtigt mitbestimmen konnte, jedem Ortsverein gleichermaßen die ökonomische und politische Macht zuteil wurde.
Die Kampfmittel lagen im wirtschaftlichen Bereich. Die FAUD als Gewerkschaft wollte sich aber nicht damit begnügen, dort nur die Kämpfe zu führen, um die politische und militärische Gewalt dann an die politischen Partei- und Staatsorganisationen abzugeben. Die einmal über einen sozialen Generalstreik errungene Macht des Proletariats sollte nicht wieder abgegeben werden. Staatsformen und Parlamentarismus spielten somit in den Überlegungen der Syndikalisten keine Rolle. Politische Verordnungen sollten durch freie Vereinbarungen zwischen Produzenten- und Konsumentengruppen ersetzt werden. Gemäß dieses gewünschten Organisationsmodells sollte sich die FAUD schon vor dem sozialen Generalstreik konstituieren, um in der revolutionären Phase einen möglichst reibungslosen Ablauf der Umstellung vor allem auf dem ökonomischen Sektor, die Übernahme der Betriebe durch die Arbeiter selbst, zu garantieren. Die Arbeitsbörsen würden für die Versorgung in eine Art „statistische Büros“ umgewandelt. Diese Vorstellungen konkretisierten die Syndikalisten und boten damit eine realistische Perspektive einer freien sozialistischen Gesellschaft an, während andere Arbeiterorganisationen entweder dem sowjetischen Vorbild, dem Staatskapitalismus, nacheiferten, ihren Frieden mit den Privatkapitalisten suchten oder überhaupt keine Vorstellungen einer sozialistischen Gesellschaft vorzuweisen hatten. Diese Perspektiven allein verdienten die Beschäftigung mit der syndikalistischen Bewegung. Im Gegensatz zu rätekommunistischen Strömungen legten die Syndikalisten großen Wert auf tagespolitische Fragen, statt auf günstige Rahmenbedingungen für eine kommende Revolution zu warten. Die Gesellschaft völlig selbst zu verwalten bedeutete nämlich, sich die dazu erforderlichen Fähigkeiten anzueignen und zu einzuüben. Über die Tageskämpfe sollte die Arbeiterschaft für die Klassenkämpfe in Form gehalten werden. Zudem konnte dies auch bei Teilerfolgen die Werbekraft der eigenen Organisation erhöhen. Tatsächlich lösten sich rätekommunistische Organisationen Mitte der zwanziger Jahre nach dem Abebben der revolutionären Phasen von 1918 bis 1923 auf, da sie keine Perspektiven mehr aufzeigen konnten. Viele Gruppen wechselten dann zur FAUD. Bei diesen Kämpfen in der Frühphase der Weimarer Republik spielten die Syndikalisten an manchen Orten eine teils führende Rolle. Die FAUD wuchs zur Massenorganisation heran und ihre Ortsvereine verteilten sich nahezu flächendeckend auf das ganze Reichsgebiet, auf Städte und Dörfer. Alle Altersstufen waren vertreten. Von den vorgesehenen 12 Produktionsbereichen konnten jedoch nur insgesamt 5 mit einer Industrieföderation abgedeckt werden: Die Branchen Bau, Bergbau, Verkehr, Metall und Textil. An Orten, wo keine obligatorischen 25 Mitglieder für eine Branchenorganisation zusammenkamen, wurde eine „Vereinigung aller Berufe“ gegründet. Die Ortsvereine waren klar durchstrukturiert: Gewählt wurden ein Vorsitzender und Stellvertreter, erster und zweiter Kassierer, sowie die Revisoren, um die anliegenden Aufgaben, wie z.B. Finanzen, Korrespondenz und Agitation zu regeln. Als oberste Koordinierungsstelle verblieb die Geschäftskommission mit Fritz Kater als Vorsitzenden in Berlin. Die Geschäftskommission wurde auf den ca. alle zwei Jahre einberufenen FAUD-Kongressen gewählt – bis 1933 verblieb sie in Berlin. Der FAUD-Kongress war das oberste beschlußfassende Gremium der Organisation. Zu ihnen entsendeten die einzelnen Ortsvereine ihre Delegierten. Das zentrale Publikationsorgan der FAUD war die wöchentlich erscheinende Zeitung „Der Syndikalist“, welcher für die Mitglieder obligatorisch war und deren Auflage sich dementsprechend der Mitgliederzahl anpasste. Daneben existierten noch weitere Zeitschriften entweder auf regionaler Ebene oder als Organe der Industrieföderationen. Auf betrieblicher Ebene erlangten die Ortsvereine der FAUD nur an wenigen Orten größere Bedeutung, wie in Düsseldorf (Fliesenleger), Berlin (Kistenmacher) oder im Ruhrgebiet (Bergbau). Doch zeigten sich die Zentralverbände und auch christlichen „Gewerkschaften“ als überlegen.
4.1. Die wesentlichen Unterschiede zu den Zentralverbänden
Folgende aus der programmatisch Grundlage der „Freien Vereinigung deutscher Gewerkschaften“ aus dem Jahre 1911 übernommenen Stichpunkte benennen die Unterschiede der syndikalistischen Bewegung zu den Zentralverbänden in aller Deutlichkeit: Die Zentralverbände: sind zentralistisch organisiert, unselbständig, der Hauptvorstand verwaltet das Geld, Die Streiks müssen vorher angemeldet werden, Der Hauptvorstand kann Streiks verhindern oder abbrechen, Die Mitglieder werden zur Disziplin erzogen, Die Streiks der Verbände sind meist Abwehrkämpfe, Die Verbände vertreten Berufsinteressen, Die Zentralverbände beruhen auf dem Vertretungssystem, Die Verbände gewinnen und halten die Mitglieder auf Grund der Kranken-, Arbeitslosen-, Sterbeunterstützung usw., Die Zentralverbände erstreben Reformen innerhalb der kapitalistischen Wirtschaftsordnung, die Verbände treiben die ausgedehnteste Tarifvertragspolitik, Die Verbände sind Anhänger des Kleinstreiks, Die Zentralverbände (und die Partei) erstreben militärische Reformen. Die Syndikalisten sind föderalistisch organisiert, die Ortsvereine sind selbständig, jeder Ortsverein verwaltet das Geld selbst, jede Organisation hat jederzeit das Streikrecht, die Mitglieder haben über Anfang und Ende der Lohnbewegungen selbst zu bestimmen, die Mitglieder werden zur Solidarität erzogen, die Streiks der Syndikalisten sind meist Angriffskämpfe, die Syndikalisten vertreten Klasseninteressen, die Syndikalisten empfehlen die direkte Aktion, die Syndikalisten zählen nur Streik- und gemaßregelten- Unterstützung, die Syndikalisten propagieren die revolutionären Kampfesmittel zum Sturz de Kapitalismus, die Syndikalisten wollen nicht den Frieden, sondern den Kampf gegen das Unternehmertum, die Syndikalisten verfechten die Idee des Massen- und Generalstreiks, die Syndikalisten bekämpfen den Militarismus grundsätzlich. Nur innerhalb zweier Jahre erlitt, bedingt durch vielerlei Ursachen, die sich inzwischen „anarcho-syndikalistisch“ nennende Bewegung personelle Einbußen, welche die FAUD auf nur ein fünftel ihrer Höchststärke schrumpfen ließ. Von diesen verbleibenden etwa 20.000 bis 30.000 Mitgliedern können etwa die Hälfte als ideologisch gefestigter Kern der Organisation bezeichnet werden.
4.2. Gründe für den Mitgliederrückgang der FAUD
Neben den schon angeführten zunehmenden Integration der Arbeiterschaft in die bürgerliche Gesellschaft durch die Ausformung des „Wohlfahrtsstaates“, inneren Richtungsstreitigkeiten, den konkurrierenden und quantitativ weit überlegenen sozialpartnerschaftlich ausgerichteten Zentralverbände und der geringen Werbekraft der FAUD als Ideenorganisation kamen noch folgende weitere Faktoren hinzu, und zwar die voranschreitende Verbürgerlichung proletarischer Kultur, staatliche Repression (Verbot der FAUD 1923), die zunehmende Arbeitslosigkeit und die Unmöglichkeit, nur innerhalb weniger Jahre (1918-1923) die ihnen zulaufenden Massen zu bilden, sowie ideologisch und kulturell in die anarchosyndikalistische Bewegung zu integrieren.
4.2.1. Die Auswirkungen des Mitgliederrückganges auf betrieblicher Ebene: Betriebsräte und Tarifverträge
Aus diesem Dilemma stark zurückgehender Mitgliederzahlen heraus drängten Fragen nach der Beteiligung an gesetzlichen Betriebsräten oder nach Abschließen von Tarifverträgen vielerorts an die Oberfläche innerorganisatorischer Debatten. Derlei Aktivitäten wurden als unvereinbar mit den eigenen Prinzipien abgelehnt, welche „direkte Aktionen“ gegen jede Form von Stellvertreterpolitik setzte. Doch drängten gerade die Syndikalisten, wo sie noch über betrieblichen Einfluss verfügten, wie etwa im Ruhrgebiet oder im Rheinland auf Toleranz in diesen Fragen, welche dann auch bis 1933 zugestanden wurde. Als kleinere Ortsvereine der FAUD tatsächlich Tarifverträge abschlossen, wurden diese vom Gesetz jedoch nicht anerkannt, so dass diese Angelegenheit schließlich vor dem Reichsarbeitsgericht landete, welches sich dagegen aussprach, dass eine ihre Prinzipien nach revolutionäre und klassenkämpferische Organisation im Sinne des Tarifrechtes handeln könne, da sie dann ja geltendes Recht anerkennen müsse. Somit erwies sich auch dieser offenbar als Rettungsanker angesehene Vorstoß zur Tarifpartei als nichtig. Beim Stellen von gesetzlichen Betriebsräten hatten die übrigen Arbeiterorganisationen der FAUD im Wesentlichen schon den Rang abgelaufen. Dennoch spielte diese Frage für die Organisation noch bis 1932 eine bedeutender werdende Rolle, da sich die Aktiven, da ihnen eben die Massenbasis fehlte, auf andere Weise Einfluss verschaffen wollten, um möglichst wirkungsvoll für die Organisation werben zu können. Insgesamt jedoch war die Integration der Arbeiter in einen sich ausformenden „Sozialstaat“ bereits vollzogen, und die Zentralverbände wachten eifrig über ihre Maßgaben. In den Blick der Syndikalisten gerieten in stärkerem Maße als für diese klassische Industriearbeiterorganisation üblich schließlich auch die Landwirtschaft. Trotz einer eigens eingeführten Beilage im „Syndikalist“ mit dem Titel „Frei das Land“ konnte diese Initiative reichsweit jedoch keinen nennenswerten Einfluss erlangen.
4.2.2. Die FAUD im Spannungsverhältnis zwischen Industrieföderation und Einheitsorganisation
Neben der Stärkung des Kultursektors bei gleichzeitiger Toleranz gegenüber von ihren Prinzipien abweichenden Ortsvereinen versuchte die FAUD sich den verändernden Verhältnissen auch durch eine Änderung des Organisationsaufbaus anzupassen. Das Schwergewicht verlagerte sich von den aus der FVDG hervorgegangenen Industrieföderation auf die Arbeitsbörsen – entsprechend vermehrter Tätigkeit auf dem kulturellen Sektor. Da sich die ökonomischen und sozialpolitischen Verhältnisse im Reichgebiet in unterschiedlichem Maße und Geschwindigkeit änderten, entstanden folglich innerhalb der FAUD Spannungen um eine reichsweit einheitliche Organisationsregelung. Die eine Seite, welche von den Auswirkungen der äußeren Rahmenbedingungen bereits voll erfasst wurde, strebte nach Organisierung in Form von „Einheitsorganisationen“, welche branchenübergreifend tätig sein sollte. Und die andere Seite, welche noch stärker die Bedingungen der unmittelbaren Nachkriegsjahre vorfand, wollte an der älteren Struktur starker und eigenständiger Industrieföderationen festhalten. Über die Frage einer notwendigen einheitlichen Regelung der Solidaritätszahlungen in Streikfällen kam es dann zum offenen Streit um die Zuständigkeit. Diese sollte künftig laut Kongressbeschluss über die Arbeitsbörsen geregelt werden. Darin sahen die Verfechter der Industrieföderationen einen entscheidenden Angriff auf die Eigenständigkeit der Föderationsstruktur. Da in dieser Frage schnell entschieden werden musste, um die immer mehr in die Marginalität gedrängten Genossen noch wirksam unterstützen zu können, verhärteten sich die Fronten, was zur Abspaltung eines Teiles der Bauarbeiterföderation, des eigentlichen Kerns der Gesamtorganisation, führte. Die Umstellung von einer Gewerkschaft mit anarchistischem Anspruch zu einer anarchistischen Organisation mit gewerkschaftlichem Anspruch war spätestens 1927 vollzogen. Als Ideenorganisation verfügte die FAUD nicht mehr über die agitatorischen Kräfte, welche nötig waren, den Mitgliederschwund aufzufangen. Schließlich waren vor ihnen bereits rätekommunistische, wie anarchistische Organisationen wie die „Föderation kommunistischer Anarchisten Deutschlands“ (FKAD) an dieser Eigenschaft gescheitert. Die Zentralverbände erholten sich hingegen vom insbesondere durch die Inflation und die Ruhrbesetzung 1923 bedingten allgemeinen Mitgliederschwund aller Arbeiterorganisationen, da sie es im Bund mit der Gesetzgebung vermochten, die Arbeiter an ihre Organisationen zu binden.
4.3. Der Anarcho- Syndikalismus jenseits betrieblicher Organisation
Deutlich betonte der führende Kopf der deutschen und internationalen syndikalistischen Bewegung, Rudolf Rocker, in der FAUD-Prinzipienerklärung, dass der Sozialismus letzten Endes eine Kulturfrage sei. Dementsprechend organisierten sich die Anarcho- Syndikalisten nicht nur auf dem betrieblichen Sektor, sondern hatten an vielen bedeutenden Bewegungen ihren Anteil, um für ihre Ideen zu werben und zugleich ökonomische und kulturelle Aufgaben anzugehen, ganz im Sinne ihres Anspruchs, das gesellschaftliche Leben in allen Bereiche auch selber organisieren zu können. Ganz in diesem Sinne gehe ich auch auf FAUD- Personengruppenorganisationen, Hilfsorganisationen und der FAUD nahestehende Alternativbewegungen ein. Desweiteren versuchten die Anarcho-Syndikalisten seit Mitte der zwanziger Jahre, den anhaltenden Mitgliederverfalls der FAUD, auf dessen Gründe ich bereits einging, durch Mehraktivität auf dem Kultursektor aufzufangen. Hierbei zu nennen sind vor allem die Beteiligung von Syndikalisten in der Freidenkerbewegung und die eng an die FAUD angeschlossene „Gilde freiheitlicher Bücherfreunde“ (GfB). Der Einfluss des Anarcho- Syndikalismus auf die proletarische Sängerbewegung muss noch erst erforscht werden. Hier soll es genügen, darauf hinzuweisen, dass sie sich vielerorts in Gesangsvereinen engagierten.
4.3.1. Die Kulturorganisationen
4.3.1.1. Die „Gemeinschaft proletarischer Freidenker“ (GpF)
Die Freidenkerbewegung mit reichsweit über einer Million Mitgliedern war in unzählige Richtungen gesplittet, denn in den meisten Fällen gelang es den politischen Parteien, ihren Einfluss geltend zu machen. Andererseits einte die Freidenkerbewegung das Proletariat über Parteigrenzen hinweg gegen den starken Einfluss der Kirchen. Die Syndikalisten engagierten sich gegen die Machenschaften der Kirchen seit 1927/28 vermehrt in der Gemeinschaft proletarischer Freidenker (GpF). So setzten sie anstelle der Konfirmationen einen selbstorganisierten Schulentlassungsunterricht, wo sie gezielt über weltliche Fragen aufklärten. Den Abschluss bildeten dann die Schulentlassungsfeiern, auf welchen die Jugendlichen auch mit einem gewissen Zeremoniell in die Welt entlassen wurden. Zentrales Anliegen war die Werbung für den Kirchenaustritt. Dominierend waren hier jedoch die Mitglieder der KPD, welche in den führenden Positionen gegen die Syndikalisten agierten. Die Zusammenarbeit mit autoritären Kommunisten war innerhalb der FAUD umstritten, doch hielt es die Mehrheit für notwendig, jenen nicht das Feld zu überlassen, sondern sich aktiv im Sinne einer Freidenkerbewegung, welche diesem Namen auch gerecht werden sollte, einzubringen. Doch schwand der Einfluss der Syndikalisten, vor allem aufgrund der ständigen Fluktuation zwischen den einzelnen Verbänden, der Dominanz der sozialdemokratischen Funktionäre, aber auch den innerorganisatorischen geführten Kämpfen zwischen „linientreuen“ KPD- Mitgliedern und denen der KP-Opposition. Die Gemeinschaft proletarischer Freidenker bot den Syndikalisten insgesamt bei regionalen Unterschieden nur wenig Raum zur Entfaltung.
4.3.1.2. Die „Gilde freiheitlicher Bücherfreunde“ (GfB)
Anders verhielt es sich mit der Gilde freiheitlicher Bücherfreunde (GfB). Diese wurde von der FAUD seit 1927 eigens als eng mit ihr verbundene Kulturorganisation gegründet und konzeptioniert. Ein Jahr später konstituierte sich die GfB-Leipzig als erste Gildengruppe noch ohne reichsweiten Zusammenhang, welcher sich im Jahre 1929 bildete. Die beitragspflichtigen Mitglieder wurden im Gegenzug mit syndikalistischer Literatur versorgt und konnten Bücher auch durch Teilzahlungen erwerben. Die Ortsvereine der Gilde organisierten Lesungen, Theater-und Konzertvorstellungen mit Persönlichkeiten wie Erich Mühsam, Rudolf Rocker, Emma Goldman, Helene Stöcker, Bruno Vogel oder Theodor Plivier. Als Organ gab sie die Monats- und später Vierteljahreszeitschrift „Besinnung und Aufbruch“ heraus. Rudolf Rocker veröffentlichte hier erste Auszüge aus seinem erst Jahre später erscheinenden Werk „Die Entscheidung des Abendlandes“. Die Gesamtmitgliederstärke belief sich bei einem rasanten Anstieg seit 1928 reichsweit auf 1.250 Mitglieder im Jahre 1931. Eine gleichzeitige Mitgliedschaft in der FAUD war hier nicht obligatorisch. Die GfB kann als der insgesamt erfolgreichste Versuch gewertet werden, den Mitgliederschwund der FAUD zu verlangsamen. So wuchs die Göppinger Gilde (Württemberg) innerhalb nur eines halben Jahres auf 80 Mitglieder an und stellte in der Kleinstadt noch vor der sozialdemokratischen Büchergilde die größte Vereinigung dieser Art. Ihr Erfolg lässt sich auch daran messen, dass sie nach dem Kriege unter dem gleichen Namen weitergeführt wurde.
4.3.2. Die Hilfsorganisationen
4.3.2.1. Der „Reichsverband für Geburtenregelung und Sexualhygiene“(RVfG).
Eine Hilfsorganisation allen voran für jüngere Frauen, Arbeiter und arme Proletarierfamilien fand sich im 1928 gegründeten „Reichsverband für Geburtenregelung und Sexualhygiene“ (RVfG). Sie hatte es sich zur Aufgabe gemacht, beratend tätig zu sein, über Verhütung, Abtreibung und Strafrecht aufzuklären. Auch verteilten die Aktiven Verhütungsmittel und vermittelten Abtreibungen. Der RVfG sollte dabei in politischer, gewerkschaftlicher und religiöser Hinsicht neutral bleiben. Das FAUD- Mitglied Franz Gampe (Nürnberg) führte den Vorsitz. Die Organisation wuchs bis zum Jahre 1930 auf über 15.000 Mitglieder in knapp 200 Ortsvereinen.
4.3.2.2. Die „Schwarzen Scharen“
Eine weitere Organisation bildete sich aufgrund der heftiger werdenden Attacken links- und rechtsradikaler Organisationen auf Veranstaltungen anarchosyndikalistischer Gruppen heraus. Besonders die Jugend formierte Ende der zwanziger Jahre von Oberschlesien und Berlin ausgehend militante Kampforganisationen, die sich in den meisten Städten „Schwarze Scharen“ nannten und reichsweit über wenige hundert Angehörige verfügten.. Sie sollten beispielsweise Veranstaltungen der FAUD oder nahestehender Organisationen vor Störungen durch Nationalsozialisten oder Kommunisten schützen. Sie können als das anarcho-syndikalistische Gegenstück beispielsweise zum „Reichsbanner“ der SPD oder zum „Roten Frontkämpferbund“ (RFB) der KPD bezeichnet werden. Ihre Mitglieder trugen einheitlich schwarze Kleidung, verfügten teilweise über Schusswaffen und wurde auch in Auseinandersetzungen verwickelt. Die „Schwarzen Scharen“ waren der FAUD nicht offiziell angegliedert, da es dort auch Proteste gegen die Militarisierung der eigenen Organisation gab. Da die FAUD allerdings auch nicht als eine grundsätzlich pazifistische Bewegung eingestuft werden kann, wurden diese militanten Formationen geduldet und darüber hinaus vielerorts als Saalschutz engagiert.
4.3.2.3. Die Erwerbslosenbewegung
Da die Unternehmen hauptsächlich antikapitalistische Arbeiter entließen, sammelten sich diese schon bald massenhaft in Erwerbslosenausschüssen. Die Gewichtungsverschiebung innerhalb der FAUD von den Industrieföderationen auf die Arbeitsbörsen begünstigte die Beteiligung von Anarcho-Syndikalisten an dieser Bewegung. Denn auch die FAUD ging auf die veränderten Bedingungen auf dem Arbeitsmarkt ein, nachdem sie sich als Gewerkschaftsbewegung dem zu großen Teilen eher verweigerte. Auf ihrem letzten Reichskongress 1932 gelang dieser Frage der Durchbruch auf der zentralen Themenliste der Anarcho- Syndikalisten. An vielen Orten beteiligten sie sich bereits an Erwerbslosenprotesten, organisierten gegenseitige Hilfe und Beratungen. Aus der originären Gewerkschaftsbewegung mit Streikwaffe war in großen Teilen in dieser Hinsicht eine Konsumentenorganisation mit der Waffe des Boykotts geworden.
4.3.3. Die Alternativbewegungen zur FAUD
4.3.3.1. Die Siedlungs- und Genossenschaftsbewegung
Innerhalb der FAUD eher weniger angesehen waren die Aktiven der Siedlungs- und Genossenschaftsbewegung, bei wenigen Ausnahmen wie die Schriftsteller Theodor Plivier oder Helmut Klose. Der revolutionäre Klassenkampf sei nämlich nicht über Separierung von der Arbeiterschaft, sondern nur als betriebliche Klassenorganisation zu führen. Die Macht der Industriemonopole könne nur von innen heraus durch die Beschäftigten gebrochen werden. Siedlungs- oder Genossenschaftsprojekte hingegen seien nicht unabhängig, sondern letztlich vom Wohlwollen ihrer kapitalistischen Konkurrenz abhängig und damit von vornherein zum Scheitern verurteilt. Dennoch entstanden überall im Reichsgebiet Siedlungsprojekte, an denen sich Anarchisten und Syndikalisten beteiligten. In diesem Streit um die Siedlungsfrage wurde sogar ein Mitglied der Redaktion des FAUD-Organs „Der Syndikalist“ seiner Aufgabe enthoben, da er trotz gegenteiliger Absprache, nämlich die Beiträge auf betriebliche Fragen zu konzentrieren, Artikel zur Siedlungsfrage veröffentlichte. Dies trüge dazu bei, aus einer proletarischen Kampforganisation eine Sekte werden zu lassen, welche mit dem realen Leben nichts mehr zu tun habe. Unter anarcho- syndikalistischem Einfluss entstanden z.B. die Siedlungen „Freie Erde“ in Düsseldorf und Stuttgart oder auch der Barkenhoff unter maßgeblicher Mitwirkung von Heinrich Vogeler in Worpswede.
4.3.3.2. Die Vagabundenbewegung
Einen, wenngleich geringeren Einfluss, übte die Vagabundenbewegung auf den organisierten Anarcho- Syndikalismus aus. Diese entfaltete sich zunehmend Ende der zwanziger Jahre und organisierte sich um ihren „Vagabundenkönig“ Gregor Gog seit 1927 in der „Internationale(n) Bruderschaft der Vagabunden“. Gog organisierte 1929 bei Stuttgart einen ersten „Weltkongress der Vagabunden“ von tatsächlich internationaler Beachtung. Desweiteren wurden Hungermärsche organisiert. Als Organ der „Kundenbewegung“ erschien „Der Kunde“, herausgegeben von Gog. Er und seine Frau, Anni Geiger- Gog, standen der FAUD sehr nahe und publizierten in deren Organen. An dieser Bewegung beteiligten sich auch Theodor Plivier und Helmut Klose. Gog wurde aufgrund seines offensiven Auftretens mit einigen Strafverfahren überzogen, u.a. wegen Gotteslästerung. Ganz im Gegensatz zur Mehrheit der anarcho-syndikalistischen Bewegung propagierte er die Faulheit als revolutionäre Tat. Scharf kritisierte er den autoritären Kommunismus in allen seinen Facetten, bis er im Jahre 1930 eine mehrwöchige Reise in die Sowjetunion unternahm und um 180 Grad gewendet nach Deutschland zurückkehrte. Er der Vagabund polemisierte nur wenige Monate später reichsweit auf zahlreichen Veranstaltungen, darunter auch solche seiner einstigen Freunde, gegen Anarchismus und Syndikalismus als kleinbürgerliche Bewegungen. Dies wurde in der syndikalistischen Presse mit reichlich Häme und Warnungen vor seiner Person quittiert.
4.3.4. Die Personengruppenorganisationen
4.3.4.1. Die „Syndikalistisch- Anarchistische Jugend Deutschlands“ (SAJD)
Zwei Personengruppen innerhalb der FAUD bildeten aufgrund eigener Spezifika noch mal gesonderte Bereiche. Die Jugend konstituierte sich seit 1921 als „Syndikalistisch- Anarchistische Jugend Deutschlands (SAJD). Ihre Hauptaktivitäten lagen im Organisieren von Veranstaltungen, Wanderausflügen und Werbung für den Anarcho-Syndikalismus. Sie hatte reichsweit bisweilen mehrere Tausend Mitglieder und verteilte sich, wie die FAUD auf nahezu das gesamte Reichsgebiet. Diese zwar organisatorisch von der FAUD unabhängige, dieser jedoch sehr nahestehende SAJD formierte sich nach internen Richtungskämpfen zwischen Individualisten und syndikalistisch orientierten Mitgliedern aus der sehr zerstreuten anarchistischen Jugend („Freie Jugend“) heraus, welche auch maßgeblich von Ernst Friedrich („Krieg dem Kriege“) beeinflusst wurde. Über ein eigenes Organ namens „Die junge Menschheit“ verfügten sie als Beilage im FAUD- Organ „Der Syndikalist“. Als weiteres Organ erschien das Monatsblatt „Junge Anarchisten“. Mitte der zwanziger Jahre kam es dann innerhalb der SAJD noch mal zu einem Loslösungsprozess von individualistisch- organisationsfeindlichen Richtungen (Friedrich) und zum klaren Bekenntnis für den organisierten revolutionären Klassenkampf und generell für das Führen von Tageskämpfen. Die SAJD band sich somit noch fester an die FAUD, dessen Prinzipienerklärung als maßgebend für die eigenständig bleibende Jugendorganisation anerkannt wurde. Organisatorisch übernahm die SAJD den Aufbau der FAUD. So organisierten sie sich auf Kreis-, Landes- und Reichsebene, richteten „Bezirksinformationsstellen“ und eine Reichsinformationsstelle analog zu den Agitationskommissionen und zur Geschäftskommission der FAUD. Tatsächlich erwuchsen aus dieser Jugendorganisation eine Vielzahl der führenden Aktiven der FAUD der späten zwanziger und frühen dreißiger Jahre, die sog. „Zweite Generation“ der FAUD, nach der ersten, die sich noch aus den Vorkriegsmitgliedern speiste. Diese noch stärker betrieblich orientierte erste Generation verlor zunehmend an innerorganisatorischen Einfluß, während die Folgegeneration die angestrebte Synthese aus Syndikalismus und Anarchismus noch am meisten verkörperte.
4.3.4.2. Der „Syndikalistische Frauenbund“ (SFB)
Neben der Jugend verlangten auch die organisierten Frauen eine spezielle Organisationsform.
Sie gaben sich schon Anfang der zwanziger Jahre eine programmatische Grundlage und riefen in Kooperation mit der Geschäftskommission dazu auf, reichsweit syndikalistische Frauenbünde zu gründen. Die meisten Ortsvereine existierten jedoch nur kurzweilig. Die Frage danach, ob die Frauenbünde einen eigenen Produktionssektor darstellten oder auf der oben beschriebenen Konsumptionsebene organisiert gehörten, war in der Gesamtorganisation, wie in den Frauenbünden selber heftig umstritten. Der sich konstituierende „Syndikalistische Frauenbund“ (SFB) engagierte sich für Sexualhygiene, die legale Abtreibung und verstand sich auch als Ergänzung zu den ggf. streikenden Männern, welchen sie durch organisierte Boykottbewegungen zur Seite stehen wollten. Die Ansicht, als eigenständiger Produktionssektor agieren zu wollen, setzte sich nicht durch. Der Syndikalistische Frauenbund verfügte über das Organ „Der Frauenbund“, das als regelmäßige Beilage im „Syndikalist“ erschien. Charakteristisch für die syndikalistischen Frauen im Gegensatz zur übrigen Frauenbewegung war ihr stolzer Bezug auf ihre Rolle als Hausfrauen und Mütter. Für die meisten syndikalistischen Frauen bedeutete Gleichberechtigung nicht die Maloche in der Fabrik, sondern die Anerkennung und Würdigung ihrer Arbeit im Haushalt und in der Kindererziehung. Dementsprechend bestimmten Themen in diesem Zusammenhang auch die syndikalistische Frauenpresse. Die Frauenbünde wurden nach Eigenangabe gerade wegen frauenspezifischer Themen gegründet, wohingegen berufstätige Frauen sich in den bestehenden Industrieföderationen organisieren sollten.
Obwohl ihre männlichen Genossen auch auf FAUD- Kongressen (dazu gab es sogar einen Kongressbeschluss) und von der Geschäftskommission aufgefordert wurden, dafür zu sorgen, an jedem Ort auch Frauenbünde mit aufzubauen, verweigerten Syndikalisten an vielen Orten ihre aktive Mitarbeit. Die Frauen beschwerten sich häufig sogar über regelrechte Boykotts seitens ihrer Genossen. Doch gab es auch Orte, an denen die Zusammenarbeit von Respekt und Solidarität gekennzeichnet war. Der Frauenbund erreichte reichsweit Mitgliederzahlen von 800 bis 1.000 Frauen.
4.3.4.3. Die Kinderbewegung
Als weiterer Bereich kann noch die FAUD-interne Kinderbewegung genannt werden, welche oft von den Frauenbünden betreut wurden. Als Organ erschien von 1928 bis 1930 der „Kinderwille“ mit einer Auflage bis zu 600 Exemplaren. Die Kinder sollten zu selbstbewusste gesellschaftsfähige Individuen erzogen werden, welche im Geiste gegenseitiger Hilfe und Solidarität heranwachsen zu verantwortungsbewussten Persönlichkeiten. Die anarcho- syndikalistischen Kinderorganisationen belegen noch mal den Anspruch, wirklich alle Bereiche gesellschaftlichen Lebens zu einer organischen Einheit zu verbinden. Die meisten Kindergruppen waren jedoch nur von kurzer Lebensdauer.
4.4. Das Ende der FAUD
Die FAUD erkannte die Gefahr, die vom Nationalsozialismus ausging sehr früh und bereitete sich dementsprechend auf die Illegalität vor. Bereits Ostern 1932 wurden diese Pläne auf dem letzten, dem 19. Kongress der FAUD, konkretisiert. Die Geschäftskommission sollte nach Erfurt verlagert werden und die Ortsvereine sich möglichst vor einem Verbot auflösen. Kleine vertraute Zirkel sollten untereinander ein Verbindungsnetz herstellen, um weiterhin reichsweit operieren zu können. Die FAUD wurde dann 1933 verboten, im März das Büro der Berliner Geschäftskommission durchsucht und einige Funktionäre festgenommen. Ihre Mitglieder organisierten sich in der Illegalität oder Emigrierten. Die illegale Leitung der FAUD ging über Erfurt nach Leipzig über. In den Jahren 1936/37 wurde ihr Widerstand aufgerollt, die nach Spanien emigrierten Aktiven vereinten sich nun jenseits der Grenze in der Gruppe „Deutsche Anarcho- Syndikalisten“ (DAS), welche aktiv bei der Spanischen Revolution mitwirkten.
Nach dem 2. Weltkrieg organisierten sich die in Deutschland verbliebenen Anarcho-Syndikalisten in der Föderation freiheitlicher Sozialisten (FFS), welche sich mit nur einigen hundert Mitgliedern nun ganz bewusst als reine Ideenorganisation konstituierte und eine eigenständige anarcho-syndikalistische Organisation auf betrieblicher Ebene verwarf. Stattdessen wirkten sie u.a. in Gemeinderäten, Betriebsräten und Kulturorganisationen, um die Ideen des Anarcho- Syndikalismus zu verbreiten. Sie gaben eine Zeitschrift namens „Die freie Gesellschaft“ heraus, in welcher sich nochmals die ganze Reife und Erfahrung der besten Mitglieder der Bewegung zeigte. Altersbedingt lösten sich die meisten FFS- Gruppen in den fünfziger Jahren auf, da kein Nachwuchs gefunden werden konnte. Die wenigen verbliebenen, wie z.B. Augustin Souchy oder der Kasseler Willi Paul, gaben noch ausführliche Interviews und publizierten fleißig wertvolle Erinnerungen. In den letzten Jahren erschienen noch einige Biographien, beispielsweise von Helmut Kirschey, Hans Schmitz oder Kurt Wafner, welche zu Beginn der dreißiger Jahre gerade Jugendliche waren.
5. Der Syndikalismus und seine Bedeutung
Wenn gleich ich hoffe, die Bedeutung der Inhalte des Anarcho- Syndikalismus bereits hinreichend dargestellt zu haben, möchte ich doch noch folgendes anfügen:
Nehmen wir die rein mengenmäßige Stärke zur Grundlage einer Beurteilung über die Bedeutsamkeit des Anarcho- Syndikalismus in Deutschland, so können wir konstatieren, dass die FAUD mit kurzweilig bis zu 150.000 Mitgliedern über eine Massenbasis verfügte. Stellen wir diese Anzahl einmal anderen Arbeiterorganisationen zur selben Zeit gegenüber, müssen wir jedoch feststellen, dass sie auch zu ihrer besten Zeit weit abgeschlagen hintenan stand. Die rätekommunistischen marxistischen Organisationen, wie auch die Hirsch-Dunckerschen Gewerkvereine lagen bei mehreren Hunderttausenden, die christlichen Gewerkschaften vereinigten über einer Million Mitglieder und der Allgemeine Deutsche Gewerkschaftsbund (ADGB) erreichte knapp die 10 Millionen-Grenze. Die FAUD hatte auch nach eigener Einschätzung zu keiner Zeit das Ziel erreicht, auf betrieblicher Ebene reichsweit eine bedeutende Rolle zu spielen. In dieser Hinsicht bliebe nur noch anzumerken, dass es auf internationaler Bühne ein gutes Beispiel für eine anarcho-syndikalistische Umgestaltung der Gesellschaft gegeben hatte, nämlich infolge der Spanischen Revolution im Jahre 1936. Warum beschäftigen sich also immer noch Menschen mit diesem Thema? Zunächst einmal fällt bei Forschungsarbeiten auf, dass im Gegensatz zu heute der Syndikalismus bei proletarischen Zeitgenossen überwiegend bekannt gewesen ist. Das macht stutzig bei einer so kleinen Organisation, zumal es damals im Vergleich zu heute an Massenmedien weitgehend mangelte. Es wird an ihrer konsequenten Kriegsgegnerschaft gelegen haben, an ihrer unermüdlichen Agitation vor dem 1. Weltkrieg, dass sie bei vielen enttäuschten Sozialdemokraten in Erinnerung blieben und schon in den ersten Nachkriegsmonaten diesen Zulauf verzeichnen konnten. Die Zeitungen von Arbeiterparteien und Zentralgewerkschaften sind voll mit Warnungen und Verunglimpfungen syndikalistischer Organisationen. Die Funktionäre der sozialpartnerschaftlichen Verbände hatten, so ließt es sich, den Syndikalismus, das „französische Gewächs“, als Gespenst vor Augen. In ihrem Kampf gegen jede Form von Arbeiterselbstorganisation hielten die Funktionäre fest zusammen. Das bedeutet nichts anderes, als dass der Syndikalismus in den deren Augen offenbar über reelle Einflussmöglichkeiten verfügen konnte. Daneben fällt der unerbittliche Kampf auch auf Betriebsebene gegen jede Form eigenständiger Organisierung von Arbeitern auf. Die Zentralverbändler gingen sogar soweit, gegen ihre syndikalistischen Kollegen für deren Entlassung in den ansonsten viel geschmähten Streik zu treten. Auch dem „Organ der Arbeiter- und Soldatenräte Deutschlands“, dem „Arbeiter- Rat“, blieb in den Revolutionsjahren 1919/20 die syndikalistische Arbeiterbewegung nicht verborgen. Ganz im Gegenteil sahen sich die sozialdemokratischen Arbeiterräte in ihrer Reichszeitung dazu angehalten, die „Arbeiter Unionen“ als ein „neues Geschwür der Arbeiterbewegung“ zu titulieren. Nach eingehenden Quellen soll die Anzahl der an der Märzrevolution beteiligten Syndikalisten über 40 % betragen haben. Ihr Kampf findet sich dann z.B. beschrieben bei Erhard Lucas oder Hans Marchwitza. Die Politische Polizei der Weimarer Republik subsumierte die Syndikalisten nicht unter kommunistische Organisationen, wie bei vielen Historikern und anderen „Wissenschaftlern“ üblich, sondern gaben ihr einen eigenständigen Status. In den zu Beginn der Republik angelegten Lichtbilddateien befanden sich gleich unter den ersten registrierten Personen auch Syndikalisten neben „Berühmtheiten“ wie Kurt Tucholsky oder Walter Ulbricht. Desweiteren ist darauf hinzuweisen, dass die syndikalistische Bewegung oder zumindest Teile von ihr auch in prominenten Kreisen nicht nur bekannt war, sondern teilweise auch für unterstützenswert erachtet wurde. So spendeten beispielsweise die bekannten Frauenrechtlerinnen Helene Stöcker und Anita Augspurg über den Sammelfond der FAUD für das Landauer- Denkmal in München. Stöcker sprach auf Veranstaltungen der Gilde freiheitlicher Bücherfreunde und ihre Texte wurden im Organ des syndikalistischen Frauenbundes publiziert. Von syndikalistischer Seite wurde ihr zugesprochen als „einer uns in vielen Dingen nahestehenden, sympathischen Kämpferin“. Kein anderer als der Schauspieler Alexander Granach gab den Aktiven Erich Mühsam und Rudolf Rocker Geld, womit diese die Ausreise von Durruti und Ascaso, den beiden späteren Hauptakteuren der Spanischen Revolution, finanzierten, welchen sie aktive Fluchthilfe leisteten.
Auch der zur Legende gewordene Nestor Machno (Anführer der „Machno-Bewegung“ in der Ukraine) kam als Flüchtling bei Rudolf Rocker unter. Im Auftrage deutscher Militärs verfasste der Begründer der Soziologie, Max Weber, einen längeren Aufsatz zu Syndikalismus und Antimilitarismus, wo er deren Anhänger als konsequenteste Kriegsgegner bezeichnete. Sogar Lenin erwähnt in „Staat und Revolution“ die syndikalistische Bewegung (in Deutschland) in einem Atemzug mit führenden Arbeitervertretern, wie Karl Legien, welchen er für das Erstarken der von ihm selbst ungeliebten syndikalistischen Bewegung, den „leiblichen Bruder des Opportunismus“, verantwortlich machte. Von selber versteht es sich, dass den Bohemiens, wie beispielsweise Ernst Toller, Oskar Maria Graf oder Erich Mühsam die Bewegung nicht nur bekannt gewesen ist, sondern Mühsam, gut befreundet mit Rudolf Rocker, noch im Jahre 1933 in die FAUD eintrat. Auch Heinrich Vogeler, der bekannte Maler und Gründer der Künstlersiedlung „Barkenhoff“ in Worpswede bei Bremen stand der anarchistischen und syndikalistischen Bewegung sehr nahe und bot ihnen eine Heimstätte. Es nimmt nicht weiter Wunder, dass der „Herodot“ der Geschichte der Anarchie, Max Nettlau, in gleichfalls engem Kontakt zur Bewegung stand und keine andere als die berühmte Schriftstellerin Ricarda Huch von ihm die Materialien für ihre Bakunin-Biographie erhielt. Der deutsche expressionistische Schriftsteller Carl Einstein lernte die Bewegung zwar erst später kennen, aber kämpfte nach für ihn überzeugenden Begegnungen mit deutschen Anarcho-Syndikalisten im Spanischen Krieg in der Kolonne Durruti und legte über seine Erfahrungen dort wunderbares Zeugnis ab.
Albert Einstein kam genauso wie Thomas Mann in den Genuss des wohl bedeutendsten geschichtsphilosophischen Werkes aus der Bewegung, Rudolf Rockers „Entscheidung des Abendlandes“, und beide überhäuften sich förmlich mit Komplimenten. Die führenden Anarcho- Syndikalisten, wie Rocker oder Augustin Souchy waren vor allem nach dem 2. Weltkrieg beliebte Vortragsredner an Universitäten. Apropos Universität: Noch bevor die Philosophin Hannah Arendt Universitätsluft schnupperte, formulierte die syndikalistische Bewegung aus der Praxis heraus und mittels eines guten internationalen Korrespondentennetzwerkes eine Art „Totalitarismustheorie“, die sich gewaschen hat, voran Emma Goldman, Rudolf Rocker oder Alexander Schapiro. Auch nahmen politische Karrieristen, darunter spätere Bürgermeister und Landtagsabgeordnete ihren engagierten Anfang in und bei der syndikalistischen Bewegung, wobei der bekannteste unter ihnen es bis zum Fraktionsvorsitzenden der SPD bringen sollte: Herbert Wehner. Rudolf Steiner möchte ich hier gar nicht vorenthalten: Das revolutionäre Nachkriegsklima versuchte auch der Begründer der Anthroposophie für seine Zwecke zu nutzen. So sprach er in vielen Fabriken, vor allem Süddeutschlands, zum Thema „Dreigliederung des sozialen Organismus“ zur Arbeiterschaft und strebte nach einer erfolgten gesellschaftlichen Umwälzung einen möglichen Posten im Kultusministerium an. Hierbei wandte er sich im besonderen an die syndikalistische Bewegung und stellte die Gemeinsamkeiten beider Bewegungen heraus. Auch gab es gemeinsame Veranstaltungen. Nachdem er von den Syndikalisten einen Korb bekommen hatte, wandte er sich sich beleidigt von diesen ab und vermögenderen Kreisen zu, um seine „geistvollen Sozialvorstellungen“ verwirklichen zu können. Eine Hauptrolle spielten die hiesigen Syndikalisten auch bei der Reorganisierung der internationalen syndikalistischen Bewegung. Als die kommunistischen Parteien unter Moskaus Führung sich Anfang der zwanziger Jahre anschickten, die Rote Gewerkschafts- Internationale zu gründen, um alle Konkurrenzorganisationen aus dem Wege zu räumen, schalteten die Protagonisten der internationalen syndikalistischen Bewegung schnell und gründeten rechtzeitig im Jahre 1922 die Internationale Arbeiter- Assoziation, als bewusste Fortsetzung der 1. Internationale in bakuninscher Tradition. Rudolf Rocker und Augustin Souchy (beide Deutschland – FAUD) wurden zusammen mit dem Russen Alexander Schapiro in den Vorsitz gewählt. Das Büro befand sich bis 1933 in Berlin. Die Organisation hatte zu Beginn über eine Million Mitglieder – Im Jahr 1936 sollten es alleine in Spanien etwa 1 ½ Millionen werden. Für Millionen von Arbeitern war die von Rudolf Rocker verfasste Prinzipienerklärung maßgebend.
Denjenigen deutschen Anarcho- Syndikalisten, welchen es gelang, bei Ausbruch der Spanischen Revolution 1936 über eine eigene Fluchthilfeorganisation über die Grenze Richtung Spanien zu kommen, organisierten sich bei ihren Spanischen Genossen, welche soeben die Macht in Katalonien übernommen hatten, als eigenständige Auslandsorganisation, den „Deutschen Anarcho- Syndikalisten“ (DAS). Hier erfuhren sie, was es bedeutete, an ihr Ziel zu gelangen, eine freie Gesellschaft ohne Hierarchien und Bevormundung mit aufzubauen, Arbeit und Leben in die eigenen Hände zu nehmen und sich hierfür ganz verantwortlich zu zeigen. Die DAS sorgte für die Korrespondenz für die illegalen Widerstandskämpfer in Deutschland und hebelte als Exekutive die noch in Katalonien befindlichen faschistischen deutschen Gruppen aus. Viele von ihnen kämpften an der Front gegen die Franco- Armee. Die DAS stand damit, obgleich mengenmäßig weit unterlegen, den kommunistischen Internationalen Brigaden an Bedeutung für die Revolution und ihre Träger in nichts nach. Im Gegenzug erahnten die faschistischen Behörden in Deutschland die mögliche Sogwirkung, die entsteht, wenn sich das Proletariat erst einmal militärisch erhebt und stellte die in Deutschland verbliebenen Anarcho- Syndikalisten unter gesonderte Beobachtung. Im „Brockhaus“ findet sich der Begriff „Syndikalismus“ noch bis in die fünfziger Jahre hinein, dann verschwand er auch hier von der Bildfläche.
Wer sich für die heutige anarcho- syndikalistische Bewegung interessiert, sollte die Internetseite der Freien Arbeiterinnen- und Arbeiter Union (FAU) aufsuchen: www.fau.org
Originaltext: http://www.syndikalismusforschung.info/einfuhrungdeutsch.htm