Erich Mühsam - Panzerkreuzer A (1928)
Bitteres Mißgeschick hat die deutsche Wählerschaft betroffen. Sie hat feststellen müssen, daß eines Staatsregierung eine Staatsregierung ist, daß Minister Minister sind und daß ein Flottenprogramm ein Flottenprogramm bleibt. Als 1924 ein neuer Reichstag gewählt wurde, kriegten die Deutschnationalen die Stimmen aller Leute, die ihnen glaubten, ihr verlorengegangenes Bankguthaben werde ihnen mit 100 Proz. aufgewertet werden. Am 20. Mai dieses Jahres wählten die biederen Bürger sozialdemokratisch, die sich aus den Wahlaufrufen der Liste 1 hatten überzeugen lassen, daß die Speisung hungriger Kinder ein wohlgefälligeres Werk sei als der Bau von Panzerkreuzern und daß eine sozialdemokratisch besteckte Reichsregierung unversehens aus allen Stahlplatten Brot machen werde. Peinlicherweise bedarf die lOOprozentige Aufwertung von Kriegsanleihen, Hypotheken, mündelsicheren Papieren aller Sorten ebenso wie die Umwandlung von Kriegsschiffen in Feingebäck kräftigerer Feuerungsstoffe, als den deutschen Realpolitikern bekannt sind, und so kochten Deutschnationale wie Sozialdemokraten, zu Regierungsämtern zugelassen, mit Wasser, als in welchem die holden Träume der Wähler ersoffen. Die Deutschnationalen haben es mit der Zeit begreifen gelernt, daß der Dienst am Staate Opfer kostet, aber sie bringen diese Opfer immer nur zu 50 Prozent, sie geben immer nur Überzeugungen preis, niemals das Geschäft. Die Sozialdemokraten sind weniger engherzig; sie haben Überzeugungen sowieso nicht mehr preiszugeben, und was das Geschäft anlangt, so haben sie ihre Wähler längst soviel Staatsgesinnung gelehrt, daß sie dem höheren Zweck gern auch materielle Opfer bringen. Der höhere Zweck aber ist die Große Koalition.
Warum sind die Sozialdemokraten in die Regierung gegangen? Herrschaften, zermartert euch nicht vergeblich das Hirn mit psychologischen, politischen und parteitaktischen Erklärungsversuchen. Sie sind in die Regierung gegangen, damit ihre Bonzen Minister werden. Und warum sind sie nicht aus der Regierung herausgegangen, als sich zeigte, daß sie den Bau des Panzerkreuzers nicht verhindern konnten, ihm sogar ausdrücklich zustimmen mußten? Herrschaften, sie sind aus der Regierung nicht herausgegangen, damit ihre Bonzen Minister bleiben. Hätten sich die Müller, Severing, Wisseli und Hilferding gesträubt, dem Kollegen Gröner den Bauauftrag zu erteilen, dann wären sie heute keine Minister mehr, und der Panzerkreuzer würde doch gebaut, und hättet ihr eine rein sozialdemokratische Regierung, dann würde der Panzerkreuzer ebenfalls gebaut, und hättet ihr eine "Arbeiter- und Bauernregierung", dann würde der Panzerkreuzer auch gebaut, und macht ihr eine Volksabstimmung, durch die das Bauen von Panzerschiffen und Kreuzern für alle Zukunft verboten wird, - verlaßt euch drauf: der Panzerkreuzer wird gebaut.
Und nicht bloß der Panzerkreuzer A wird für über 9 Millionen Mark zu bauen angefangen, der Bau wird für 80 Millionen Mark zu Ende geführt, und dann kommt, der Kreuzer B und die ganze Reihe dran; denn Gröner und Deutschlands Ehre will`s und England erlaubt`s. Und wie Sozialdemokraten dem Kapital zuliebe die Revolution niederkartätschten, wie sie die Abwehrkämpfe gegen den Kapp-Putsch zugunsten der Monarchisten zu Fall brachten (übrigens, Herr Reichsinnenminister Severing, können Sie nicht in Ihrer neuen Würde mal nachfragen, wie sich die republikanische Reichsregierung heute, nach über 8 Jahren, zur Durchführung der von Ihnen gedrehten, von der damaligen Reichsregierung zugesicherten 8 Punkte des Bielefelder Abkommens stellt?), - wie regierende Sozialdemokraten der Schwerindustrie zur Entschädigung für die Aushungerung des Proletariats durch die Inflation 700 Millionen Mark geschenkweise auf Kosten des Proletariats in den Rachen warfen und wie sie eine nach ihren demokratischen Grundsätzen errichtete Regierung in Sachsen, dann auch in Thüringen mit Waffengewalt auseinandersprengen ließen, weil sie sonst hätten aus den Ministersesseln herausrutschen müssen, so werden sie auch fürderhin für Panzerkreuzer sein, so lange sie Minister sind, gegen Panzerkreuzer, sobald andere ohne sie regieren oder wenn sie gerade auf Stimmenjagd gehen.
Dies alles ist von Antiparlamentariern unzählige Male vor den Wahlen und während der Wählereinseifung vorhergesagt und an Beispielen aus der Vergangenheit bewiesen worden. Da die Arbeiter nun aber doch immer noch glauben, daß es ohne ihre Beteiligung an den Parlamentswahlen nicht gut gehen könne, mögen sie getrost auch noch mit dem Panzerkreuzer ihre Erfahrungen bereichern. Ich gebe zu, daß mich die Haltung der Sozialdemokraten in der Angelegenheit durchaus befriedigt. Hätten sie Charakter markiert und ihre schöne Große Koalition zum Platzen gebracht, dann säßen sie schon wieder in der sogenannten Opposition und betörten die Einfalt gläubiger Seelen. Nein, nein, in diesem Staate immer die Sozialdemokraten an der Spitze! Dann sieht man sie wenigstens bei Lichte und sie können einem nichts vormachen.
Die Kommunisten ereifern sich etwas übertrieben wegen des Panzerkreuzers. Sie scheinen in kindlichem Gemüte zu meinen, der Staat werde, spart er das Geld für das Schiffchen, die Millionen dem Proletariat zum Hungerstillen zuwenden. Dem wird kaum so sein; ach, gute Pazifisten, es ist auch nicht an dem, daß der Panzerkreuzer A die Kriegsgefahr steigert, seine Abtreibung vom Dock uns den lieben Frieden sichern würde. Der Frieden ist ja gerade gesicherter denn je. Eben heißt es, die Japaner werden sich mit der neuen chinesischen Kulimörderregierung in Kanton vielleicht friedlich verständigen; der polnisch-litauische Krieg scheint um Wochen vertagt zu sein; die Erhebung des Mussolini-Bravos Achmet Zogu zum König von Albanien ist geeignet, die Auseinandersetzung zwischen Serbien und Kroatien wegen der Ermordung der Bauernführer Raditsch zu verzögern, bis die Auseinandersetzung zwischen Italien und Jugoslavien stattgefunden hat; der faschistische Staatsstreich in Ägypten beruhigt alle Sorgen um den Frieden in Afrika, der Grenzkrieg in Ostasien dient ohnehin nur der Befriedung der Völker; das französisch-englische Rüstungsabkommen begleitet von amerikanischen Versicherungen, daß kein Kellogg-Pakt die Heeresverstärkungen irgendeines Landes stören soll, und daß sich vor allem die Vereinigten Staaten selbst keineswegs in ihrer Rüstungstätigkeit davon beeinflussen lassen würden, - zu alledem das vereinte Geschrei aus allen Weltgegenden; Rußland will Krieg!, was zu übersetzen ist: es soll ihn haben! - dies alles und noch vieles mehr umstrahlt den festlichen Akt in Paris, da mit goldener Feder die Staats-, Strese- und Feldhauptmänner der Erde den Grundsatz bekräftigen: Wenn du den Krieg willst, dann rüste den Frieden!
Also der Bau von Panzerschiffen und Kreuzern soll in Zukunft verboten werden; worüber wir abstimmen sollen. Kriegen die Kommunisten mehr Arbeiterstimmen zusammen als die Regierungsparteien vaterländische, dann müssen die Herren Gröner und Lohmann sich beim Flottenbau schon mit Linienschiffen und Torpedobooten bescheiden. Der letzte Reichstag hat allein "für neue Torpedoarmierung" 57 Millionen Mark bewilligt (für Reichswehrpferde 9,6 Millionen und zur Bekämpfung der Säuglingssterblichkeit 240.000 M.). Immerhin ist es vom Standpunkt der Staatsgesinnung aus löblich, daß die Kommunisten auch die Kriegsgefahr und den Rüstungseifeir jetzt mit den von der Reichsverfassung angegebenen gesetzlichen Mitteln des demokratischen Abzählspiels bekämpfen wollen. Wie wär`s, liebe Genossen von der KPD, wenn ihr die Gelder, die euch die Vorbereitung des Volksentscheids kosten wird - die vom Reich ausgeworfene Jahressumme zur Bekämpfung der Kindersterblichkeit könnte damit verdreifacht werden -, der Werbung für einen Gedanken zuführtet, der den Bau von Panzerkreuzern in der Tat verhindern würde? Habt ihr schon mal darüber nachgesonnen, wer eigentlich Panzerkreuzer, Torpedoboote, Kasernen, dazu auch Munitionsfabriken, Gefängnisse und andere staatsnützliche Gebäude aufführt? Das sind die Arbeiter, und bauten die Arbeiter eines Tages keine Panzerkreuzer mehr, dann brauchte niemand mehr darüber abzustimmen, ob welche gebaut werden sollen oder nicht, weder mittels Parlamentsbock- und Hammelsprüngen noch mittels Volkswettlauf zum Zetteltopf.
Es werden, mögen die Regierungen sich zusammensetzen, wie sie wollen, mögen demokratische Willenkundgebungen veranstaltet werden, in welcher Form es sei, solange Panzerplatten von Arbeitern zu Schlachtschiffplanken geschmolzen werden, wie die Arbeiter Panzerplatten vor dem Hirn tragen und abstimmen gehen, wenn es zu handeln gilt.
Aus: Fanal, 2. Jahrgang, Nr. 12, September 1928. Digitalisiert von www.anarchismus.at anhand eines PDF der Anarchistischen Bibliothek und Archiv Wien (bearbeitet, Oe zu Ö usw.)