Arthur Müller Lehning - Der Antimilitarismus und die Verteidigung der Revolution

Wie wir bereits in einem früheren Pressedienst mitteilten, ist es unsere Absicht, eine Diskussion zu eröffnen über obengenanntes Thema. Der hier folgende Aufsatz soll dazu die Anregung geben. Wir bitten, Artikel zu dieser Diskussion an das Sekretariat der IAK. Laurierstraat 127, den Haag, Holland, zu senden, damit diese durch den Pressedienst international verbreitet werden können. Für diese Aufsätze ist selbstverständlich die Redaktion des Pressedienstes nicht verantwortlich. Es wird dringend empfohlen, diese äusserst wichtige Diskussion soviel wie nur möglich zu veröffentlichen.

(Pressedienst IAK): Auf dem dritten Kongress der IAA in Lüttich stand "Der Kampf gegen Krieg und Militarismus" auf der Tagesordnung. Es wurde eine Resolution angenommen, in welcher die Tatsache konstatiert wurde, dass die Arbeiterklasse, wenn sie nur ihre ökonomischen Machtmittel der direkten Aktion benutzt, jede militärische Aktion lahmlegen kann, weil durch die neueste Kriegstechnik die Heere ganz und gar von der Industrie abhängig geworden sind. Als Mittel, diese antimilitaristische Aktion vorzubereiten erkannte man die individuelle und Massendienstverweigerung, wie auch die Weigerung des organisierten Proletariats, Kriegsmaterial herzustellen.

Die Kampfmittel des revolutionären Antimilitarismus gegen Krieg und Kriegsrüstung wurden also vom Kongress als richtig erkannt. Nicht angenommen aber wurde der folgende Antrag: "Die Arbeiter der Rüstungsindustrie und der Betriebe, die für Kriegszwecke umgestaltet werden können, sind davon zu überzeugen, dass es die Pflicht der klassenbewussten Arbeiterschaft ist, bei Kriegsausbruch in den Streik zu treten, die Vorräte an Kriegsmaterial und hierfür bestimmte Rohstoffe zu vernichten und die Betriebe durch Sabotage produktionsunfähig zu machen."

Dieser Antrag wurde besonders von Huart (Frankreich) bekämpft mit dem Hinweis darauf, dass im Entscheidungskampf gegen Staat und Militarismus die Gewalt unvermeidlich sein wird und dass die Revolution durch Gewalt gegen konterrevolutionäre Angriffe verteidigt werden muss. Er stellte infolgedessen einen anderen Antrag, der vom Kongress angenommen wurde und also lautete: "Die Arbeiter der Rüstungsindustrie und der Betriebe, die für Kriegszwecke umgestaltet werden können, sind davon zu überzeugen, dass es die Pflicht der klassenbewussten Arbeiterschaft ist, bei Kriegsausbruch in den Streik zu treten, sich der Vorräte an Kriegsmaterial und der hierfür bestimmten Rohstoffe zu bemächtigen und die Betriebe der Ausnutzung durch den Kapitalismus zu entziehen."

Hiermit war ein neues Problem angeschnitten, wobei es sich nicht nur um die antimilitaristische Taktik und den Kampf gegen den Krieg handelt, sondern um die Frage, in welcher Weise die Revolution, wenn sie gesiegt hat, sich behaupten und sich verteidigen soll. Wir sind der Ansicht, dass die von Huart in dem obigen Antrag empfohlenen Methoden für den konsequenten Kampf gegen den Militarismus gefährlich und unannehmbar sind. Wir können unsere Bedenken dagegen in folgenden drei Punkten besprechen:

1. Im Zusammenhang mit den im selben Antrag empfohlenen Kampfmethoden gegen den Krieg.
2. Im Zusammenhang mit der modernen Kriegstechnik.
3. Im Zusammenhang mit den Methoden und Zielen der sozialen Revolution.

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1. In der Resolution werden die antimilitaristischen Kampfmethoden der "direkten Aktion" empfohlen. Der Kongress fordert die Arbeiter auf, die Verweigerung der Kriegsproduktion zu propagieren und soviel wie nur möglich in der Praxis zu verwirklichen. Wenn man nun der Meinung ist, dass die Revolution mit gewalttätigen, militaristischen Mitteln verteidigt werden muss, so ist es inkonsequent gleichzeitig den Streik in der Kriegsindustrie zu propagieren. Die Propaganda für den industriellen Streik sowie für die Militärdienstverweigerung bezweckt ja nicht den Militärapparat, das stärkste Machtmittel des Staates, den Händen der Bourgeoisie zu entreissen, sondern ihn zu vernichten. Wenn das nicht die Absicht ist, wenn man diesen Apparat selber benutzen will, so soll man davon absehen, Dienstverweigerung, Sabotage und Streik in der Kriegsindustrie zu empfehlen und sich darauf beschränken, den Militärapparat für die Bourgeoisie unbrauchbar zu machen.

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2. Es versteht sich von selbst, dass die Bourgeoisie die modernen Kriegsmethoden, welche immer mehr mechanisiert und wissenschaftlich vervollkommnet werden, in Revolutionszeiten auch gegen den "inneren Feind" gebrauchen wird. Nun gibt es, um eine siegreiche Revolution gegen konterrevolutionäre Angriffe zu verteidigen, bloss zwei Möglichkeiten: Entweder man bringt die Arbeiter dazu, dass sie alle Kriegsindustrie lahmlegen, oder man versucht, dieselben Mittel zu ergreifen, um die Bourgeoisie mit ihren eigenen Waffen zu bekämpfen. Es ist ohne weiteres klar, dass im letzten Fall die grössten Schwierigkeiten entstehen. Die Zeit der Strassenkämpfe und der Barrikaden ist vorüber. Von einer "Bewaffnung der Arbeiter", ohne dass sie eine besondere "militärische" Macht bilden, um z. B. die in Besitz genommenen Fabriken zu verteidigen, kann gleichfalls nicht mehr die Rede sein.

Denn was bildet heutzutage die Bewaffnung? Das ist die motorisierte Artillerie, sind die Maschinengewehre. Flammenwerfer Tanks, Flugzeugseskadronen und die Feuer- und Giftgasbomben. Ohne Zweifel wird im Entscheidungskampf die Bourgeoisie nicht davor zurückschrecken, alle diese Waffen zu benutzen, um die Staatsmacht zu behaupten. Jetzt schon ist in den grossen Städten die Polizei mit Tanks, Maschinengewehren und Giftgas ausgerüstet.

Als vor einigen Monaten einige Blätter Berichte enthielten über sogenannte geheime Pläne eines kommunistischen Putsches zur Eroberung von Paris, war in der bürgerlichen Presse folgendes zu lesen: "In den halbamtlichen Erklärungen des "Matin" wird darauf hingewiesen, dass die Zeit der Barrikaden vorüber ist. Tanks, Mitrailleusen und Flugzeuge haben dem ein Ende gemacht. Das sollen alle diejenigen sich sagen lassen, die jetzt noch in ihrer veralteten Romantik glauben, dass das Volk, wie in den Jahren 1789, 1830 und 1848, Paris erobern könnte, indem es, mit Revolvern, Jagdgewehren und Säbeln bewaffnet, sich auf die Strasse begibt." Das ist vollkommen richtig. Nicht nur Tanks und Flugzeuge, sondern auch die ganze chemische Kriegsindustrie wird aufgeboten werden, sobald es um das Sein oder Nichtsein der kapitalistischen Staatsmacht geht.

Die Spezialisierung der Militär-Technik, von Fachleuten betrieben, macht es für Revolutionäre immer schwieriger, dieselben Waffen zu benutzen. Ein Bürgerkrieg, in dieser Weise geführt, würde übrigens, ebenso wie der moderne Krieg, einen Teil der Bevölkerung einfach vernichten. Vom sozialistischen, vom menschlichen Standpunkt aus sind diese Mittel für Revolutionäre eigentlich auch nicht mehr brauchbar. Wer dagegen anführt, dass doch die russische Revolution gesiegt hat, weil die Armee eingriff, der vergisst erstens, dass am Ende des Krieges die moderne Kriegstechnik noch bei weitem nicht auf der Höhe von heute stand, zehn Jahre nach dem Frieden. Und zweitens vergisst er, dass die russische Revolution die Folge eines verlorenen Krieges war, während der Zweck der Revolution gerade die Verhütung des Krieges sein soll durch Sabotage des Militärapparats. Der Kapp-Putsch im Deutschland dagegen war ein lehrsames Beispiel dafür, wie durch Generalstreik der Versuch der Reaktionäre, die Staatsmacht zu erobern, lahmgelegt werde.

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3. Wer die Mittel des modernen Militarismus gebrauchen will, der muss einen Militärapparat organisieren und schon aus bloss technischen Gründen ist er gezwungen, die Gewalt zu zentralisieren und zu monopolisieren. Ausserdem ist es eine Folge der modernen Waffentechnik, dass die jetzigem Waffen nur von einem spezialisierten und technisch-militärisch ausgebildeten Kader benutzt werden können. Das alles läuft schliesslich auf die Bildung einer Diktatur in der Revolution hinaus.

Für diejenigen, die eine sozialistische Gesellschaft erstreben, deren Vorbedingung die Vernichtung - nicht die Eroberung - der Staatsmacht ist, um an ihre Stelle die Wirtschaftsorganisation der Arbeit zu setzen, sind die Mittel, die unerbittlich zur Diktatur führen, ausserordentlich gefährlich, für die Umgestaltung der Gesellschaft auf ökonomischer Grundlage im Sinne eines anti-autoritären Syndikalismus sind die Mittel, die dem Arsenal der Staatspolitik sämtlicher Parteien entlehnt sind, unzweckmässig. Die Vernichtung - nicht die Übernahme - des Staates ist einer der Ziele der sozialen Revolution, also auch die Vernichtung - nicht die Übernahme! - des staatlichen Machtapparates par Excellence, des Militärsystems. So wenig die Revolution eine Sache der Barrikaden und der Strassenkämpfe ist, so wenig kann sie sichergestellt werden durch die "Bewaffnung des Proletariats". Solange nicht die Basis des Militarismus nicht nur den reaktionären Mächten entzogen, sondern vollkommen aufgelöst ist, bildet sie eine Gefahr für die Revolution, weil ja ein militärischer Kampf mit der Konterrevolution aus technischen Gründen allein schon zu einer zentralistischen militärischen Organisation führen muss. Diese verursacht eine militärische und autoritäre Entwicklung der Revolution, und das bedeutet den Untergang der Revolution in der Diktatur.

Arthur Müller-Lehning

Einige weitere Texte dieses Autors zu den Themen Gewalt und Antimilitarismus findet ihr unter http://www.free.de/schwarze-katze/texte/a31.html#gewalt

Originaltext: http://www.free.de/schwarze-katze/texte/a31.html#gewalt