Reinhold Busch - Die FAUD. (A.-S.) als Minderheitsbewegung (1931)

Es ist leider so: die FAUD. (A.-S) ist eine kleine Minderheitsbewegung. Indem wir diese Feststellung machen, sagen wir aber auf keinen Fall, daß das so bleiben soll. Wir würden der revolutionären Sache des Proletariats einen schlechten Dienst erweisen, wollten wir nur diese Dinge feststellen und daraus negative und passive Konsequenzen ziehen. Das direkte Gegenteil ist richtig. Wir dürfen uns mit der Feststellung der FAUD. (A.-S.) als Minderheitsbewegung nicht abfinden. Die Linie, auf der wir uns bewegen müssen, ist die, zu mitbestimmenden Faktoren im allgemeinen politischen und gesellschaftlichen Leben zu werden. Diese Einstellung setzt natürlich den proletarischen Klassenkampf voraus, durch den wir versuchen, auf die Dinge Einfluß zu gewinnen. Durch unseren Klassenkampf für die Grundsätze und Ziele des Anarcho-Syndikalismus entwickelt sich ein gesunder und notwendiger Geltungstrieb, der uns auf keinen Fall fehlen darf.

Mehrere Kongresse der FAUD. (A.-S.) haben entschieden gegen den Standpunkt „Klein, aber Rein!“ Front gemacht. Dabei ist es aber auch geblieben. Es scheint auch bei uns eine gewisse Scheu zu bestehen vor der Anteilnahme am praktischen Leben. Aus Angst, sich an unseren Grundsätzen zu verstoßen, tut man lieber gar nichts. — Das kann auf keinen Fall richtig sein. Es widerstrebt dem Wesen der FAUD. (A.-S.), nur eine Ideenbewegung zu sein, wo jedes Mitglied den Nachweis erbringen muß, daß es auch ein würdiger Vertreter des Anarcho-Syndikalismus ist. Eine revolutionäre Gewerkschaftsbewegung hat das Streben zur Massenorganisation. Sie will beeinflussen, das Proletariat unter bestimmten Forderungen sammeln und in den Kampf führen. Diesen Drang hat jede Arbeiterorganisation, die den Kampf um die soziale Befreiung auf ihre Fahnen geschrieben hat. Die FAUD. (A.-S.) macht davon keine Ausnahme. Was man verlangen, erstreben und leben sollte, das ist, den Meinungsstreit der verschiedenen Arbeiterorganisationen untereinander in würdigen Formen auszutragen und dabei die größtmögliche Toleranz walten zu lassen. Das ist sehr wohl durchführbar, wenn man sich eines gewissen proletarischen Anstandes befleißigt und kameradschaftlich und sachlich einander gegenübertritt. Die ideologischen und praktischen Gegensätze können dabei sehr gut bestehen bleiben, denn sie sind ja vorhanden und nicht wegzuleugnen. Insofern grenzen wir uns nach wie vor vom Staatssozialismus ab und führen den Kampf gegen Kapital und Staat.

Die Geschichte hat uns bewiesen, daß auch eine Minderheitsbewegung in revolutionären Situationen entscheidenden Einfluß ausüben kann. Revolutionen sind ja meist das Werk relativ starker Minoritäten. Nehmen wir die revolutionären Ereignisse in Deutschland nach 1918. Wer wollte bezweifeln, daß die FAUD. (A.-S.) mitunter sogar nennenswerten Einfluß gehabt hat? Es ist eine Tatsache, daß die Genossen der FAUD. (A.-S.) ein durchaus achtungsgebietender Faktor waren. Eine Mitgliederzahl von 120 000 und die dazugehörigen Sympathisierenden und Mitläufer können schon Verhältnisse beeinflussen. Heute haben sich die Dinge entscheidend geändert. Wir haben nicht annähernd diese Mitgliederzahlen aufzuweisen. Aus Enttäuschung, Verärgerung und Überdruß haben tausende ehemals sehr gute Genossen die FAUD. (A.-S) verlassen Das zeugt nicht von der Stärke dieser Genossen, ist aber nichtsdestoweniger eine feststehende Tatsache. Das aber wissen wir: die FAUD. (A.-S.) ist bei tausenden von Arbeitern in Deutschland in guter Erinnerung, und wir dürfen hoffen, daß sie wieder zu uns stoßen, wenn die Zeiten es erforderlich machen sollten. Heute auch wäre es eine dankbare Aufgabe, nach Kräften zu arbeiten, um diese ehemaligen Genossen, die sicherlich das große Heer der Unorganisierten und Indifferenten bevölkern, wieder der FAUD. (A.-S.) zuzuführen. Man hat nach Gründen für unseren starken Mitgliederrückgang gesucht Der einleuchtendste Grund ist wohl der, daß unsere Bewegung nicht auf Massenorganisation eingestellt war und wir nicht die genügenden Menschen und Funktionäre hatten, die diese Massen hätten bearbeiten und für diese Ideen erfassen können. Die Ereignisse überstürzten sich seinerzeit, aber unsere Bewegung wai nicht vorbereitet und eingestellt auf die Erfordernisse. Wenn wir aus der Geschichte lernen wollen, so ergibt sich für uns die Aufgabe, uns vorzubereiten auf diese Eventualitäten, und nicht nur das, sondern auch schon heute zu versuchen, größere Massen des Proletariats zu erfassen.

Die kommende Revolution wird das gesamte revolutionäre Proletariat erst einmal in einer gewissen Einheitsfront finden. Dies wird der Fall sein ohne Unterschied der verschiedenen politischen Bekenntnisse. Auch die russische Oktober-Revolution zeitigte diese Tatsache, indem an ihr alle revolutionären Kräfte Anteil nahmen. So liegt das auch im Wesen der Dinge: allein ist jede Richtung in der Arbeiterbewegung zu schwach, um selbst schlagen zu .können. Revolutionen sind zuerst Volksangelegenheiten. Nach und nach schälen sich dann Kerne und Bewegungen heraus, die versuchen, auf die revolutionären Verhältnisse Einfluß zu nehmen und sie in bestimmte Kanäle zu lenken. Das Proletariat als Klasse tritt auf den Plan und schafft die Voraussetzungen für den Bestand der Revolution. Es gestaltet aus Klassenbewußtsein. Die Ereignisse bekommen seinen Stempel aufgedrückt Das soll nun nicht heißen, daß die Revolutionäre bis zu diesem Zeitpunkt den Dingen freien Lauf lassen sollen; vielmehr soll nur gekennzeichnet sein, daß man im Interesse des Gelingens der Sache überhaupt aufeinander angewiesen ist und Rücksicht nehmen muß. In diesem Zeitpunkt ruht der Kampf im eigenen Lager. Er erwächst mit dem Moment, wo man die Verhältnisse neu gestalten muß. Und das ist ja die tiefere Aufgabe der Revolution. Daß man mit der anarchosyndikalistischen Bewegung dann zu rechnen haben wird, ergibt sich schon aus der Tatsache, daß sie gewillt ist, andere Wege als die ausgetretenen und überholten zu gehen. Sie wird sich ihren Kampf und das Kampffeld nicht vom Gegner vorschreiben lassen, sondern nach eigenem Ermessen und Wissen die Revolution ausnützen. Dabei dürften die bisherigen und jetzt überlebten Straßenbarrikadenkämpfe und die damit zusammenhängende Revolutionsromantik sehr schlecht abschneiden. Wo diese Taktik überhaupt notwendig sein sollte, da wird sie nicht dazu dienen, den Idealen einer Revolutionsromantik gerecht zu werden, sondern sie wird Ausdruck der Eroberung der Wirtschaftsmacht des Proletariats sein. Wir gehen mit den Parolen und Forderungen nach der Eroberung der Betriebe und der Enteignung des Grund und Bodens in den revolutionären Kampf. Da haben wir kein Interesse an der Besetzung von Marställen oder der Eroberung von Regierungsgebäuden. Uns sind dafür die Opfer zu schade, die das Proletariat hierfür bringen müßte, bloß um diese Gebäude und Paläste neuen Herrschern, Tyrannen und Despoten zu sichern. Die FAUD. (A.-S.) hat die Aufgabe, den revolutionären Ereignissen diese Richtung zu geben. Auch als Minderheitsbewegung hat sie anarcho-syndikalistische Aufgaben. An der Eroberung der Staatsmacht liegt uns nichts, wir wollen die Wirtschaftsmacht, weil wir wissen, daß die jeweiligen Besitzer derselben sich die politischen Staatsinteressen gefügig machen können. In der Wirtschaftsmacht liegen die stärksten Garantien für das Werden der sozialen Revolution begründet. Mit diesen Auffassungen treten wir in den Kampf, und die Durchführung dieser Auffassungen hängt ab von der Energie, dem revolutionären Willen und der Tatkraft der Mitgliedschaften der FAUD. (A.-S.). Alle staatspolitischen Parteien werden wir als Gegner haben, aber das kann uns nicht hindern, den Versuch zu machen, unsere Gedanken den Anderen gegenüber durchzudrücken. Auch das sind letzten Endes Machtfragen. Sogar die vom Genossen NETTLAU gewünschten „Minderheitsrechte auf allen Gebieten“ müßten erkämpft werden, denn sicher haben wir nicht die Illusion, daß man uns die kampflos zugestehen wird.

Auf jeden Fall müssen wir schon heute nach Geltung und Einfluß im Rahmen der Arbeiterbewegung streben. Wir erwarten nicht schöne Gesten und mitleidsvolles Entgegenkommen unserer Gegner, indem sie uns vielleicht dadurch abfinden und sich aller Gefahr beheben, daß sie uns isolieren und somit kaltstellen. Unser alter Grundsatz gilt: nur Im Kampfe findest du dein Recht! Die Probleme sind sozial, und sozial verbinden Befreiungskampf zu führen. Die Freiheit und Gleichheit wollen wir nicht nur für uns, sondern für alle Menschen gewinnen! Daraus ergibt sich unsere Einstellung.

Jedes Wirtschaftssystem schafft die ihm eigene politische und wirtschaftliche Ausdrucksform. Die Ausdrucksform der eroberten Wirtschaftsmacht sind die Räte. Wir kommen nicht gleich von heute auf morgen zur restlosen Verwirklichung des anarchistischen Ideals. Es wäre wirklichkeitsfremd, keine Übergangsstadien in der revolutionären Entwicklung anzuerkennen. Auch das Rätesystem kann noch viele Mängel aufweisen. Aber es ist der vorläufig relativ vollkommenste Gesellschaftszustand, den wir propagieren können und für den man die proletarischen Massen empfänglich machen kann. Inwieweit dieses Rätesystem einer Ergänzung durch besondere Genossenschaftsorgane bedarf, ist eine Frage von sekundärer Bedeutung, denn wir denken ja als Anarcho-Syndikalisten auch an Organe der Produktion und Konsumtion. Aus dem Bekenntnis zum Rätesystem folgern sich die dementsprechenden Parolen und Forderungen, die wir den proletarischen Massen gegenüber propagieren. Es ist grundverkehrt, zu behaupten, daß die Räteidee nicht anders durchführbar wäre als in Rußland. Zwischen dem „Räte“gedanken, der obrigkeitlich und zentralistisch durch den Staat und politische Parteien kontrolliert wird, die also gewissermaßen eine Diktatur über die Räte ausüben, und einem Rätezustand, der nur auf den Willen der Arbeiter selbst, das heißt durch die ihrer Kontrolle unterstehenden, jederzeit absetzbaren Räte oder Beauftragten beruht, besteht ein Unterschied. Wir sprechen doch auch davon, daß wir der zentralistischen Gesellschaftsform eine föderalistische entgegensetzen wollen. Gibt es denn so etwas auch nicht? — So bestimmt wie es das gibt, so bestimmt gibt es auch einen föderalistischen Räteaufbau, ja, der föderalistische Räteaufbau ist eventuell mit der föderalistischen Gesellschaft identisch. — An Begriffen wollen wir uns nicht stoßen, vielmehr versuchen, ihnen einen praktischen Sinn zu geben. Es gibt Bindungen, die einfach gar nicht zu umgehen sind, und darum kann die Revolution nicht die Aufgabe haben, den Freiheitsbegriff absolut anzuerkennen und somit einer schrankenlosen Freiheit der Individuen das Wort zu reden. Als Gesellschaftswesen unterliegen wir auch gesellschaftlichen Hemmungen und anerkennen sie. In den Räten künden sich diese notwendigen und gesellschaftlichen Hemmungen. Hier erwächst Verantwortlichkeit den Mit- und Nebenmenschen gegenüber. Demgemäß organisiert man die Produktion und Konsumtion nach den Bedürfnissen und Möglichkeiten der Gesellschaft. Dies wird die Aufgabe und Sache des Proletariats sein.

Die Aufgaben der FAUD. (A.-S.) bestehen darin, dieser Erkenntnis entsprechend sich im allgemeinen Rahmen des Proletariats durchzusetzen und weiterhin auch den Gesellschaftsverhältnissen überhaupt diesen Stempel aufzudrücken. Da dürfen wir nicht zaghaft sein, sondern müssen die räteorganisierte Gesellschaft erkämpfen.

Aus: Die Internationale, IV. Jahrgang, Heft 8-9, Juni-Juli 1931

Originaltext: http://vabaltona.blogsport.de/2010/07/04/minderheit/