Zum Prinzip der freien Assoziation

Freie Assoziation ist das bedeutendste Prinzip anarchischer Organisation. Nicht nur bei neueren Theoretiker_innen wie Colin Ward (2010) tritt sie auf. Sie lässt sich auch bei Proudhon (2005: 57), Stirners Verein (2008), Bakunin (2005: 105), Kropotkin (1989: 104), Errico Malatesta (2005: 397) und Alexander Berkman (2005: 440) finden. Kaum ein anderes Prinzip, kaum ein anderer Punkt wird mit einer solchen Einigkeit von den unterschiedlichsten anarchistischen Strömungen vertreten. Ein guter Grund ihn einer näheren Untersuchung zu unterziehen.

Mit freier Assoziation ist gemeint, dass nicht verhindert wird, dass sich einzelne Individuen, nach ihrem Gutdünken zusammenschließen. Zwang zur Assoziation soll es keinen geben, und ebenso soll es keine Intervention dagegen geben.

Eigentlich scheint die freie Assoziation damit eine anarchistische Selbstverständlichkeit zu sein. Herrschaftslosigkeit lässt sich praktisch gar nicht anders denken, als mit der Möglichkeit aller Individuen, sich nach ihren Wünschen zusammenzuschließen. Es gibt jedoch durchaus Gründe, warum die freie Assoziation so betont wird:

  1. Die freie Assoziation war und ist ein wichtiges Prinzip für den Kampf von Arbeiter_innen. Gewerkschaftsverbote, wie sie immer noch direkt oder indirekt ausgesprochen werden, sind nichts anderes als ein Verbot freier Assoziation! Wenn also die Anarchist_innen die freie Assoziation in den Vordergrund stellten, stellten sie sich hinter das Recht der Arbeiter_innen sich zusammenzuschließen. Aus diesem Grund ist auch oft die Rede von der freien Assoziation der Arbeiter_innen (z. B.: Bakunin 2005: 105).
  2. Die freie Assoziation stellte und stellt auch eine anarchistische Antwort an eine häufig gestellte Frage dar. Die Frage lautet: Wer soll diese oder jene Tätigkeit erledigen, wenn nicht Staat oder kapitalistischer Betrieb? Die Antwort des Anarchismus lautet: Eine freie Assoziation, die sich mit anderen Assoziationen in freier Vereinbarung befindet (vgl. Kropotkin 1989: 104 f.). Diese Antwort ist zwar reichlich unspezifisch, aber eine spezifischere würde in vielen Fällen ein autoritäres Vorausgreifen in zukünftige bzw. imaginierte anarchische Verhältnisse darstellen.


Diesen beiden Grundgedanken folgend wird freie Assoziation meist als eine Art anarchistisches Grundrecht gesehen [1]. Betont wird hier der inklusive Charakter, die Möglichkeit dass jede Art von Menschen eine Assoziation bilden kann. Das Prinzip der freien Assoziation hat jedoch noch einen weiteren Aspekt, der nicht vernachlässigt werden sollte. Freie Assoziation besteht nicht nur daraus sich zusammenschließen zu können, mit wem mensch möchte, sondern sich auch nicht zusammenschließen zu müssen, mit wem mensch nicht möchte. Dieser Aspekt soll im folgenden als der exklusive Charakter der freien Assoziation bezeichnet werden. Exklusiv deshalb, weil Menschen dadurch konsequent ausgeschlossen werden. Eine Gruppe von Anarchist_innen kann unter der Voraussetzung freier Assoziation nicht dazu gezwungen werden, eine weitere Person aufzunehmen, dies wäre eine erzwungene Assoziation. Ebenso logisch, aber in der realen Umsetzung umso komplexer, folgt daraus auch die Möglichkeit des Ausschlusses, nach bereits geschehener Aufnahme. Es kann keine Person und keine Gruppe gezwungen werden, in einer freien Assoziation zu verweilen, ohne dass diese ihr Attribut “frei” verliert.

Nun ist dieser exklusive Charakter in einem kleinen, personalen Rahmen betrachtet, durchaus sinnvoll und für den Anarchismus geradezu notwendig. In einem größeren, strukturellen Rahmen betrachtet, wird er überaus problematisch. Segregation ist wohl die größte und auffälligste Problematik. Identitäre Kategorien wie Gender, Class, Racification (Geschlecht, Klasse/Milieu, Rassifizierung) haben eine derartige Gegenständlichkeit entwickelt, dass sie im Zuge einer “freien” Assoziation, die im Sinne von “laissez faire” gehandhabt würde, zur Aufspaltung der Gesellschaft führen würden, bzw. eine solche Spaltung fortführen würden. Für eine anarchische und damit offene Gesellschaft ist demzufolge neben dem Prinzip der freien Assoziation, noch Bewusstsein über die gesellschaftlichen Verhältnisse und eine interventionistische Attitüde von Nöten.

Für unser langfristiges Interesse einer Ordnung, die weder gesamtgesellschaftliche Exklusion, noch Segregation zu (re)produziert, ist es notwendig von Zeit zu Zeit unsere kurzfristigen Interessen zurückzustellen. Dies kann bedeuten, freiwillig und frei einer Assoziation beizutreten oder eine zu gründen, in der wir ohne dieses Bewusstsein nicht eintreten würden.

Stirner hat von diesen Implikationen des exklusiven Charakters freier Assoziation noch eine weitere beschrieben. Eine Folge des exklusiven Charakters ist die Möglichkeit Normen durchzusetzen. Die Exklusion wird zu einer Strafe, deren extremste Form die Verbannung wäre. Notwendig ist hierfür jedoch eine breite und aktive Anteilnahme der Gesamtgesellschaft. Stirner beschreibt diesen Mechanismus durchwegs positiv und in Abgrenzung zur Normsetzung des Staates durch Gesetze. Das Prinzip exemplifiziert am damals aktuellen Gesetz gegen Duelle:

“Zwei Menschen, die beide darüber einig sind, dass sie ihr Leben für eine Sache (gleichviel welche) einsetzen wollen, sollen dies nicht dürfen, weil’s der Staat nicht haben will: er setzt eine Strafe darauf. Wo bleibt da die Freiheit der Selbstbestimmung? Ganz anders verhält es sich schon, wann, wie z.B. in Nordamerika, sich die Gesellschaft dazu bestimmt, die Duellanten gewisse üble Folgen ihrer Tat tragen zu lassen, z.B. Entziehung des bisher genossenen Kredits. Den Kredit zu verweigern, das ist jedermanns Sache, und wenn eine Sozietät ihn aus diesem oder jenem Grunde entziehen will, so kann sich der Betroffene deshalb nicht über Beeinträchtigung seiner Freiheit beklagen: die Sozietät macht eben nur ihre eigene Freiheit geltend. Das ist keine Sündenstrafe, keine Strafe für ein Verbrechen. Das Duell ist da kein Verbrechen, sondern nur eine Tat, wider welche die Sozietät Gegenmassregeln ergreift, eine Abwehr statuiert. Der Staat hingegen stempelt das Duell zu einem Verbrechen, d.h. zu einer Verletzung seines heiligen Gesetzes: er macht es zu einem Kriminalfall.” (Stirner 2008: 263 f.)

Solche Maßnahmen sind äußerst gefährlich, ein gesellschaftlicher Ausschluss solcher Qualität ist nicht zu verharmlosen. Er ist, wenn konsequent und gesamtgesellschaftlich praktiziert, eine extreme Form der Gewalt. Dennoch gibt es durchaus Fälle in denen es gerade aus anarchistischer Sicht angebracht ist. Genau genommen gibt es kaum eine anarchischere Form um auf offenen Antisemitismus, Rassismus, Sexismus und ähnliche Unterdrückungsmechanismen zu reagieren. In einem gewissen Sinne ist der Ausschluss eine Notwendigkeit, denn so kann effektive Solidarität mit den Betroffenen durchgeführt werden. Unterdrückungsmechanismen Raum zu gewähren, wäre sich selbst zum_r Täter_in, zur_m Unterdrücker_in machen.

Hiermit sollte sich gezeigt haben, dass die Selbstverständlichkeit der freien Assoziation nicht so einfach zu handhaben ist, wie es im ersten Moment scheinen mag. Auch die hier zusammengefassten Ansätze, sind keineswegs erschöpfend. Insbesondere, wie die Wirkung freier Assoziation bei einer größeren Verbreitung aggregiert, ist höchst schwer vorauszusagen, blinder Dogmatismus ohne Wachsamkeit und Wille zur Intervention scheint deshalb nicht angebracht.

[1] Für eine Kritik des Rechtes an sich siehe Stirner 2008, insbesondere das Kapitel “Meine Macht”.

Literaturverzeichnis:


Originaltext: http://yaab.noblogs.org/post/2011/12/28/zum-prinzip-der-freien-assoziation/