"Projekt A" - Was ist das eigentlich?

Anmerkung von www.anarchismus.at: Das Projekt A, wie es in diesem Text vorgestellt wird, ist kurz darauf an inneren Auseinandersetzungen gescheitert. Es bot jedoch Ansatzpunkte und ein Konzept zur konkreten Verwirklichung einer gelebten Utopie, auf die vielleicht noch einmal zurückgegriffen werden kann. Denn: "Wirklichkeit wächst aus Verwirklichung" (Erich Mühsam)

Jetzt ist es passiert: Irgendwie haben wir Sie (oder Dich) für unser "Projekt A" interessiert! War's auf einer Lesung, einer Diskussionsveranstaltung oder ganz einfach auf offener Straße? Egal. Auf jeden Fall sind wir jetzt am Zuge, das Bedürfnis nach Informationen über dieses ungewöhnliche Prqekt zu befriedigen.

Im Laufe der jetzt siebenjährigen Geschichte des "Projekt A" hat sich dazu auch eine ansehnliche Menge von Materialien (d.h.: bedrucktes Papier) angesammelt. Wir haben ein  leicht veraltetes - "Projekt A"-Buch anzubieten, ein Bulletin, das AHA! heißt und diverses anderes Schrifttum wie Protokolle, Pamphlete etc.

Das Dumme daran ist, daß es fast durchgängig für "Insider" geschrieben wurde, also von und für Leute, denen der Umgang mit bestimmten Begriffen so selbstverständlich geworden ist, daß sie es gar nicht mehr für nötig halten, das zu erklären. Es hat sich fast schon eine eigene "Projekt A"-Geheimsprache entwickelt. Und so bleibt vieles von dem, was wir sagen wollen, für jemand, der noch nie vorher etwas übers "Projekt A" gehört hat, nur schwer zu verstehen.

Da wir aber im Moment erst anfangen, gutes Informationsmaterial für alle PA-Interessierte zu erstellen, müssen wir uns eben noch mit einem Trick behelfen: Ein kleines Broschürchen, in dem die zentralen Begriffe auftauchen und erklärt werden und das auch ein bißchen Geschichte erzählt.

Am Anfang war...

Entstanden ist die "Projekt A"-Idee aus einer langen Reihe von Erfahrungen mit dem "Neuen Anarchismus" in Deutschland, wie er seit den Tagen der 68er-Studentenrevolte wieder von sich reden machte. Eine ausschlaggebende Erfahrung vieler Anarchisten war wohl die, daß die anarchistische Bewegung zwar sehr viele gute Ideen zu bieten hatte und auch ungeheuer rege und aktiv war. So brachte sie immer wieder neue Organisationen und Föderationen, Aktionen und Projekte und vor allem: Zeitungen hervor. Sie brachten sich mit ihrer Kritik, aber auch mit ihrer Kraft in verschiedene soziale Bewegungen wie der Anti-Atomkraft- oder der Friedensbewegung ein. Aber davon blieb meist in Zyklen von wenigen Jahren nichts, aber auch gar nichts für sie selber übrig. Die wenigen, die über längere Zeit kontinuierlich aktiv waren, meinten, langsam aber sicher auszubluten. Das Bild vom Anarchisten als "Durchlauferhitzer" für ganze Generationen von politisch Interessierten machte die Runde.

Es gab am Anfang der 80er Jahre in der internationalen anarchistischen Bewegung eine Reihe von Ideen und Ansätzen, die dieser Tendenz entgegentreten wollten. Das "Projekt A" war nur eine von vielen. Es entstand Ende der 70er, Anfang der 80er Jahre aus den Aktivitäten rund um das damals noch in Wetzlar beheimatete "AnArchiv". Schon damals lautete eine der zentralen, neuen Ideen der Wetzlarer Libertären, die Kleinstadt mit einem Netz von freiheitlichen Gruppen, Alternativbetrieben und "Wohngemeinschaften" zu durchziehen: der übliche Revolutionspathos wurde etwas zurückgestellt und man wollte auf allen Ebenen von Ökonomie und Politik, von Freizeit und Privatleben wirken, um das Bild und die Kultur der Stadt wenigstens allmählich zu verändern. Der oft zitierte "Normalbürger" sollte die Gelegenheit erhalten, die positiven, konstruktiven Elemente des Anarchismus in seinem eigenem Lebensbereich, mit eigenen Augen zu erleben. "Weg von der Flugblätter- und Zeitungenschreiberei - Anarchismus erlebbar machen!", hieß die Devise.

Mitte der achtziger Jahre waren nicht nur in Wetzlar fast alle libertären Strukturen mehr oder weniger endgültig zusammengebrochen. Der nicht mehr ganz so neue deutsche Anarchismus steckte tief in der Krise und brachte außer autonomen "Startbahn-Kämpfen" kaum mehr etwas zustande. Und selbst die neuen sozialen Bewegungen, allen voran die Friedens- und die Alternativbewegung, waren ziemlich orientierungslos.

In Wetzlar waren fast alle einst aktiven Leute erst einmal aus den politischen Zusammenhängen herausgedrängt worden. Selbst in der Region gab es manchmal kaum noch AnsprechpartnerInnen für neue Aktivitäten — von MitmacherInnen ganz zu schweigen. Auch wenn es ihnen theoretisch nicht so behagte, kamen die Anarchisten nicht drum herum: Für einen wirklichen Neuanfang mußte in der ganzen BRD nach Mitmachern und Mitmacherinnen gesucht werden. Angepeilt wurden schon damals hauptsächlich zwei Zielgruppen, die projektorientierte "Linke", hauptsächlich eben Anarchisten und als zweites von der Entwicklung enttäuschte Alternativlerlnnen.

Der eigentliche "Projekt A" — Entwurf entstand so um 1984 und ab 1985 ging Horst Stowasser, der Autor, mit dem frischgedruckten Buch "Das Projekt A" an die Öffentlichkeit. Viele Leute bekamen das Buch, das damals ausdrücklich nicht in den Buchhandel gelangen sollte, persönlich überreicht, noch mehr lasen es dann. Es verbreitete sich erstaunlich schnell, was nicht zuletzt durch die kontinuierliche Kontakt- und Netzarbeit der AnarchistInnen von Wetzlar begünstigt wurde.

Kleine Definition gefällig?

Natürlich fällt es schwer, das "Projekt A" auf ein paar Sätze zu reduzieren. Wird das versucht, erntet man & frau fast sofort Widerspruch. Aber das ist auch ganz gut so - finden wir. Verschiedene Leute haben verschiedene Vorstellungen über das "Projekt A". Bestimmt aber ist das "Projekt A" eine Denktendenz, deren Definition je nach praktischer Erfahrung immer ein bißchen anders ausfallen kann, ja, ausfallen sollte!

Im Kern geht es dem "Projekt A" um die Vermittlung der drei großen Bereiche von Leben, Arbeit und Politik. In einer Gesellschaft, in der die Trennung zwischen Freizeit und Beruf, zwischen privatem und öffentlichem Leben immer weiter vorangetrieben wird und immer merkwürdigere bis schlimme Blüten treibt, in solch einer Situation heißt ein Weg, diese Vermittlung zu betreiben: "Vernetzung".

Etwas anders gefaßt ist das "Projekt A" also ein beispielhafter Vernetzungsprozeß von und für Einzelleute, Gruppen, Initiativen und Projekte. In der Alternativ-Bewegung ging es hauptsächlich um Projekte im Sinne selbstverwalteter Kleinbetriebe, in der Kommune-Bewegung um Arbeiten und Leben in einer Gruppe, bei den meisten "Föderationsversuchen" um die Zusammenarbeit politischer Kleinorganisationen. Wir wollen uns für unsere Vernetzung die ganze Palette von Möglichkeiten offenhalten. Und die Einzelleute, die Individuen, die in den meisten Organisationen mehr oder weniger untergehen, stehen in der Aufzählung nicht von ungefähr am Anfang.

Es geht uns nicht darum, alle Leute in unsere Gruppen und Organisationen hineinzuüberzeugen, sondern Kontakt und Austausch zwischen den Vielen zu stiften, woraus dann gemeinsames Handeln hervorgehen kann. Als direkte MitmacherInnen wurden von Anfang an (und werden auch heute noch) hauptsächlich zwei Gruppen angesprochen:

Die Gruppe der möglichen AdressatInnen aber sollte stetig wachsen, bis, ja bis unsere Formen der Arbeit, der Freizeit und des Engagements auch für die vielzitierte "Ottilie Normalbürgerin" erfahrbar sind.

Projekte und Anarchie

"Projekt A" beinhaltet für uns zwei große Orientierungen, die auf Projekte und die auf Anarchie. Das Wort "Orientierung" soll sagen,daß wir aus beidem kein Dogma, keine "heilige Kuh" machen wollen.

Projekte sind soziale Experimente: Sie bedeuten für uns zum einen nicht mehr und nicht weniger als die Möglichkeit, in unserem heutigen Tun schon zu versuchen, Formen einer wünschenswerten Gesellschaft zu verwirklichen; und zum anderen die Möglichkeit uns eine eigenständige (ökonomische) Basis zu schaffen. Projekte-machen hat immer etwas von Aussteigen. Wir wollen jedoch ausdrücklich unsere Projekte in dieser Gesellschaft verwirklichen.

Wir sprechen von anarchistisch-libertärer Orientierung, weil wir die alten, fruchtlosen und entzweienden Diskussionen über die Anarchie als solche, über den einzig "wahren" Anarchismus nicht wieder aufleben lassen wollen. Der Anarchismus ist nicht so zu fassen, daß man ihn — irgendwie erneuert — bloß auf heutige Verhältnisse übertragen könnte. Wir werden uns schon unsere eigenen Gedanken machen müssen. Aber es steckt ein großes Potential an kritischen Einsichten dahinter, verbunden mit praktischen Ansätzen und Vorschlägen. Der Anarchismus ist vor allem deshalb so fruchtbar für uns, weil er uns auch genügend Potential zur Selbstkritik an die Hand gibt. Hehre und abstrakt klingende "Lehrsätze" und Begriffe haben  auch immer praktische Aspekte, die sich zur Reflexion und Selbstkontrolle auf das eigene Handeln anwenden lassen.

Das in unserem Namen bedeutet also: Dezentralisation, Föderation und Autonomie der "kleinen Einheiten". Und weiterhin, daß wir ebenso ökologische Produktionsweisen wie herrschaftslose Lebens- und Politikformen anstreben. Ziel ist immer noch eine Gesellschaftsveränderung, allerdings wohl eher langsam, gewaltfrei - soweit's geht - und von unten nach oben, von der Peripherie zum Zentrum und vom Kleinen zum Großen.

Vernetzung

Ein Vernetzungsmodell ist das "Projekt A", weil es ihm nicht nur um sich selbst geht. Weil die Konzepte beispielhaft, unsere Versuche beispielgebend gemeint sind. Es geht ganz ausdrücklich nicht darum, eine einzige große Einheit zu errichten, wo alles auf einem Haufen zu finden ist, sondern darum, bereits bestehende kleine Einheiten zusammenzubringen ohne daß sie ihre Autonomie aufgeben müßten. Wenn wir im Zusammenhang mit Vernetzung von "Vermittlung" von Leben, Arbeit und Politik reden, heißt das, daß die extremen Gräben zwischen diesen drei Bereichen als ein Problem erkannt werden,für das andere, neue Lösungen gefunden werden müssen. Das hat aber nichts mit großen, sofortigen, ganzheitlichen Verschmelzung zu tun, wie sie sich z.B. einige der alten "68er" vorstellten.

Bei "Verschmelzung" geht es eher um sehr moralisierende Einstellungen, die beinhalten, daß alles zusammen gemacht wird, gemacht werden muß, wo alles Private politisch wird. Und Politik erschöpft sich in der Gemeinsamkeit, der Einheit von Leben und Arbeit.

Vernetzung zwischen Einzelnen und Gruppen plus "Ver-Netzung der Gesellschaft" lautet unser Ziel. Uns geht es nicht um die Vernetzung unserer Ghettos. Wir wollen unsere "Netze" durch die ganze Gesellschaft legen, kleine aber auch große Netze. Angefangen bei Kontaktsträngen zwischen Menschen, über Gruppenbildungen bis hin zu regionalen Gruppenvernetzungen oder sogar großen, grenzüberschreitenden Versammlungsformen wie Kongressen. Wir wollen unsere Netze so knüpfen, daß viele verschiedene Menschen damit in Kontakt kommen, einsteigen, aber auch wieder aussteigen können. So hoffen wir, vermeiden zu können, daß die Scheidelinie zwischen uns und denen zu einer unüberwindlichen Mauer bzw. zu einer tödlichen Feindschaft wird, wie es bei so manchem sozialistischen Avantgarde- bzw. Parteikonzept schon geschehen ist.

Auch für die Projektmacher und -macherinnen hätte eine solche Struktur Vorteile: Nämlich, daß man nicht gar zu sehr im eigenen Saft schmort, daß man hin und wieder von außen vorgeführt bekommt, daß man nicht der Nabel der Welt ist und daß der Konflikt, der einen gerade beschäftigt, nicht das zentrale Problem der Menschheit darstellt.

Leben, Arbeit, Politik: von deren Vermittlung reden viele. Aber wie kann das Problem praktisch angegangen werden? Ein wichtiger Teil der Antwort, die das "Projekt A" zu Anfang gegeben hat, lautete: Doppelprojekte! Das hieß, kurz gesagt, daß Leute, die sich mögen und miteinander arbeiten und leben wollen, als Gruppe zu Trägern von zwei zwar verschiedenen, aber doch zusammengehörenden Projekten wird. Ein Doppelprojekt war z.B. gedacht als die organisatorische Verbindung eines effizienten ökonomischen Projekts mit einer unterstützungsbedürftigen politischen (oder sozialen) Initiative. Dieses Grundmodell hat sich bis heute durch die verschiedenen praktischen Erfahrungen, die damit gemacht wurden, ziemlich erweitert und abgewandelt. Aber auch bei den heute real vorhandenen Mehrfachprojekten und den Vorstellungen von projektübergreifenden Fondssystemen wird versucht, die Grundidee zu erhalten.

Von der "Urgruppe" bis zur "Stadt X"

Als die "Projekt A"-Interessierten dann zusammenkamen, um über das Modell und seine Umsetzung zu beratschlagen, waren die "Bundestreffen" entstanden. Hier sollten soziale und kommunikative Fäden geknüpft werden und solche Prozesse ablaufen, die einen entweder persönlich näherbrachten oder Unvereinbarkeiten von vornherein klarstellten. Aus den Bundestreffen sollte die "Urgruppe" hervorgehen, jene Gruppe, die gemeinsam am "Tag X" in eine noch auszuwählende "Stadt X" ziehen würde, um dort mit mehreren Projekten den Start der "Unterwanderungsphase" vorzubereiten.

Die Vorstellungeng die hinter "Stadt X" und "Tag X" steckten, besagen: Es sollte versucht werden, eine personell möglichst gute Ausgangsbasis (gemeinsam, mit vielen in einer unvorbelasteten Stadt etwas Neues aufbauen) mit einem kontrollierten Beginn zu verknüpfen. Wachsen sollte das Ganze zunächst einmal innerhalb der "Stadt X" durch den Zuzug von weiteren "Projekt A"-Interessierten mit ihren Projekten. Erst wenn sich das Netz der "Projekt A"-Strukturen in der "Stadt X" halbwegs stabilisiert und ausgedehnt hätte,sollte an ein Überspringen der Idee auf andere Städte gedacht werden.

Aber natürlich kam alles anders...

Das Bulletin AHA!, das "Projekt A"-Buch und aufwendige bis stressige Vortragsreisen erweiterten den Bekanntheitsgrad der Idee rapide. Gerüchteweise sollen in unserer Kartei einmal fast sechshundert (600) Adressen von "Projekt A"-Interessierten gewesen sein. Die Bundestreffen, die mehrmals im Jahr stattfanden, waren mit zwischen 40 und 50 Leuten immer recht gut besucht. Allerdings war immer ein großer Teil der Anwesenden der Treffen "Neue". Diese Tatsache, aber auch die berüchtigte Disziplinlosigkeit der AnarchistInnen, einmal gefaßte Beschlüsse beim nächstenmal wieder umzuwerfen, behinderten den Aufbau von Kontinuität ganz erheblich. Die den Bundestreffen zugedachte Aufgabe, zur Herausbildung einer "Urgruppe" beizutragen, konnten sie nicht leisten. Die Einigung über die Konkretisierung des Projekts kam unter den gegebenen Bedingungen nur äußerst zäh voran. Die inhaltlichen Diskussionen wurden statt dessen immer häufiger von starken persönlichen Unterschieden geprägt, was zu einigen harten Konflikten führte. Mehr als einmal stand das Ganze kurz vor dem Aus. Dazu kam es dann aber erstaunlicherweise doch nicht.

Es bildeten sich verschiedene Zusammenhänge, z.B. Berufsgruppen ("Landwirtschaftsguppe", "Medien") oder Regionalzusummenhänge ("Ruhrgebiet"). Die Leute, die die Standortwohl vorantrieben, bildeten die sogenannte "Entschlossenen-Gruppe". Ende 1988 war es dann soweit: Auf einem sogenannten "Sekttreffen" wurde als "Stadt X"- nach einigem hin und her - Alsfeld (Oberhessen) gekürt.

Doch die Standortwahl war anscheinend ein Knackpunkt, an dem letztendlich die "Entschlossenen-Gruppe" zerbrach. Sehr viele PA-Interessierte machten zwar sehr spät, aber immerhin — klar, daß sie die PA-Idee lieber in ihren angestammten Strukturen der jeweiligen Heimatstädte verfolgen wollten. Wieder andere drängten darauf, daß es zwar mit Alsfeld eine "Stadt X" gäbe, erklärten aber die Städte Leer (Ostfriesland) und Neustadt an der Weinstraße (Pfalz) zu (fast) gleichberechtigten "Standorten".

So kam es zu einer merkwürdigen und leider allzu folgenreichen Änderung aller Pläne: Einige von denen,die dann ab Anfang 1989 nach in die Stadt Alsfeld zogen, waren Neue, d.h. Leute, die die Prozesse der ersten Phase gar nicht mitbekommen hatten (etwas, was laut "Projekt A"-Entwurf ausdrücklich vermieden werden sollte). Dummerweise brachten sie zwar sehr viel Aufbruchstimmung und auf die Spitze getriebenen Idealismus mit, aber kaum echte Projektpläne. Außer zwei Landwirtschaftsprojekten im Aufbau und einer Setzerei gab es in der "Stadt X" keine Ansätze, die man ökonomisch hätte nennen dürfen. Allen gemeinsam war die Entwurzelung, das Herausgerissensein aus eigenen, gewachsenen sozialen und politischen Zusammenhängen.

Man kann also sagen: Dem "Projekt A"-Start, dem "Tag X" in Alsfeld, fehlte auf eklatante Weise das Fundament. Die Versuche, in der "Stadt X" sozial Fuß zu fassen brauchten mehr Zeit, als sich die Leute vorher eingestehen wollten. Es traten vermehrt persönliche Reibereien in den Vordergrund, die durch ein gerütteltes Maß an Idealisten-Intoleranz — unter Anarchisten leider keine Seltenheit - schnell eskalierten. Die so gebundene Energie fehlte den sozialen und ökonomischen Anfängen, so daß die "Nabelschau-Situation" mit jedem weiteren Tag nur verschärft wurde. Die Alsfelder Auseinandersetzungen gewannen dem Gesamtprojekt gegenüber eine Wichtigkeit, die ihnen eigentlich nicht hätte zukommen dürfen. Aber das "Projekt A" als Ganzes ließ es zu - vielleicht wegen einem diffusem, an die "Stadt X-Wahl" geknüpften Schuldgefühl. Zerfallserscheinungen traten auf, dehnten sich schnell aus und zogen auch das Gesamt-"Projekt A" in Mitleidenschaft.

Ob man heute davon sprechen kann, daß Alsfeld gescheitert ist, ist immer noch umstritten. Auf jeden Fall gilt das, was es dort noch gibt, wohl kaum mehr als die "Stadt X" des "Projekt A". Durch das Wegfallen der überhöhten Ansprüche hat sich die Lage dort auch langsam wieder entschärfen können. Gelernt haben wir aus der ganzen Geschichte, daß wohl die Vorstellungen, die dem Konzept "Stadt X" zugrundelag und auch die Entscheidungen die dieser Vorstellung zur Wirklichkeit verhalfen, einer genaueren kritischen Überprüfung bedürfen.

Der glückliche Zufall: Neustadt

Das "Projekt A" fiel als Modell in Neustadt an der Weinstraße auf äußerst fruchtbaren Boden. Den Leuten von dort, die mit dem "Projekt A" in Berührung gekommen waren, war meist von vorneherein klar gewesen, daß sie niemals in die "Stadt X" ziehen würden. Waren sie vorher schon rege und aktiv in der neustädtischen Alternativszene vertreten, so wurde ihrer Motivation und Überzeugungskraft mit dem "Projekt A"- Modell eine entscheidend neue Ausrichtung gegeben. Und bald schon hatten sie einige Läden und Betriebe unter einen Hut gebracht. Dieser Verbund, der den Trägerverein WESPE (Werk selbstverwalteter Projekte und Einrichtungen) gründete, war ökonomisch so stabil, daß sie ein großes gemeinsames Projekt in Angriff nehmen konnten: Die ökologische Totalsanierung eines ehemaligen Fabrikgeländes, genannt "Ökohof", mit einem Gesamtvolumen von über einer Million D-Mark. Heute sind über die WESPE mehr als ein Dutzend verschiedenster Wohngruppen, Initiativen und Betriebe miteinander vernetzt, mit ungefähr 8O Leuten (Tendenz steigend).

Allerdings: Neustadt soll nun nicht als die letztlich doch noch gefundene "Stadt X" gelten - die Neustädter selber wollen das auch gar nicht. Wenn wir dennoch relativ oft "Neustadt" im Munde führen, dann als eine Art praktisch-realen Fluchtpunkt, der verdeutlichen kann, was man z.B. gegenüber "herkömmlichen" Projekten der Alternativ-Szene alles anders, vielleicht sogar besser machen kann, wenn man nur die richtigen Leute und Konzepte zusammen hat.

Was es heute noch so alles gibt, was sich"Projekt A" nennt: Zwei bis drei Bundestreffen pro jahr, wo sich die über die ganze Republik verstreuten aktiven PA-Interessierten treffen, koordinieren und beraten. Zusätzlich dazu ist ein "PA-Spektakel" entstanden, eine Art Festival, wo sich das große libertäre, projektorientierte Spektrum mit den PAlerInnen zusammenfindet, um ein paar Tage lang Informationen zu sammeln oder weiterzugeben und einfach viel Freude zu haben. Dieses "Spektakel" findet 1992 nun schon zum dritten Mal zu "Himmelfahrt" (28.- 31. Mai) in Lutter (Harz) auf dem Gelände einer befreundeten Großkommune statt.

Außerdem gibt es trotz wechselvoller Geschichte immer noch das AHA!, das "Projekt A"-Bulletin, das sich jetzt langsam in ein auch für Nicht-Insider gut lesbares Magazin verwandeln soll. Seine Redaktion findet sich zur Zeit in Oldenburg.

Selbst ein gemeinsames "Projekt A"-Konto hat überlebt! Allerdings war nie unumstritten, wofür es eigentlich eingesetzt werden sollte. Sollte es zu Anfang die "Anschub-Finanzierung" des Stadt X-Starts leisten - was ziemlich illusorisch war -, so gehen wir heute eher davon aus, daß es ausschließlich für die Finanzierung gemeinsamer Aktivitäten oder für kleine, kurzfristige und zinslose Kredite an PAlerInnen genutzt werden sollte.

In Städten wie Berlin, Leer (nach neuesten Meldungen jetzt dort wohl doch nicht mehr), Alsfeld, Bremen, Hamburg, Dortmund und Marburg sitzen noch Gruppen oder einzelne höchst aktive "PAlerInnen". In anderen Städten wie Nürnberg und Lüneburg tauchen ganz überraschend neue Pro A-Zusammenhänge auf. Zudem gibt es eine Gruppe "Gesundheit & Soziales",die die Idee der Berufsgruppen weiterträgt und wohl zu den stabilsten Zusammenhängen des "Projekt A" zählt. Vielleicht entwickeln sich aus diesem Beispiel heraus erneut weitere Berufszusammenhänge.

Wenn das Projekt A sich vorher als ein Baum verstanden hat, so müßte man (und frau) das Bild heutzutage wohl abändern: das Projekt A als ein junger, lichter Wald. All diese zarten Anfänge (wenn diese leicht pathetische Metapher erlaubt ist) zu pflegen, untereinander zu koordinieren, neue Zusammenhänge zu gründen oder andere zu "vernetzen", das könnte eine der wichtigsten Aufgaben für das (bundesweite) "Projekt A" in den nächsten Jahren sein!

Originaltext: Broschüre der "Pro A-Gruppe Marburg", 1992. Digitalisiert von www.anarchismus.at (einige Korrekturen der Rechtschreibung)