Wollen die Anarchisten die Republik ins Chaos stürzen?

In tiefer Nacht, wenn die Lichter der Laternen die dunklen Winkel nicht mehr erreichen, und die Fassaden lange Schatten werfen, gehen mysteriöse, schreckliche Dinge vor. Durch die schlafende Stadt huschen schwarzgekleidete Gestalten mit tief in die fanatischen Fratzen gezogenen Schlapphüten und dämonischen Sturmhauben. Sie unterminieren das friedliche Gemeinwesen, verstecken gefährliches Material und schreiben ihr schwarzes Menetekel an die Mauern. Weite Umhänge und Jacken verhüllen mühsam die waffenstarrende Ausrüstung. Sprengstoff beult die Taschen der düsteren Gestalten. Manchmal hört man verhalten laut rauhe Kommandos oder leises signalisierendes Zischen. Wenn es nicht gerade von einer brennenden Zündschnur kommt. Im nikotingelben Gebiss blitzt der Dolch, von dem schäumend Speichel tropft, bereit, seine Schneide ins Herz des arglos seine Runde drehenden Polizisten zu ermorden. Stechende Augen belauern die ausgestorbenen Straßen. Leise ächzend werden schwere Kisten voll Waffen und Munition in geheime Keller und Schlupfwinkel geschleppt, in denen VerschwörerInnen Tag und Nacht, aufgeputscht von Drogen, finstere, subversive Pläne schmieden und am Sturz der Regierung arbeiten. Sie bereiten ihn vor, den großen Schlag, den Tag X. an dem sie das Feuer an die Lunten legen. die Zünder aktivieren und das teuflische Werk zu vollenden trachten: die Zerstörung jeder Ordnung, den Ausbruch des fürchterlichen gesetzlosen Chaos', die Willkürherrschaft der Wirrköpfe, Plünderung, Terror, Mord und Totschlag allenthalben ... diehiehiiiii grausamen, die wahnsinnigen ANARCHISTiNNEN!

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... ja, so stellen sich viele "die Anarchie" vor. In Regierungserklärungen, Presse, Funk, Fernsehen und Literatur wird sie als Schreckensbild an die Wand gemalt wie der Leibhaftige. Aber ist das die Wirklichkeit? Kann denn jemand allen Ernstes so etwas Entsetzliches wollen?

Anarchie ist Ordnung ohne Herrschaft

Anarchistinnen gibt es schon seit Tausenden von Jahren, ja wahrscheinlich so lange wie es Menschen gibt, und den Wunsch, frei von Unterdrückung zu sein. Die ersten überlieferten Namen begegnen uns bei den Philosophen der alten Griechen; Zeno, der geistige Vater der Stoiker, war einer von ihnen. Sein Wahlspruch: "Jeder nach seinem Können, jeder nach seinen Bedürfnissen", gilt uns heute noch immer. Viele bekannte Menschen: SchriftstellerInnen, KünstlerInnen und WissenschaftlerInnen zählten und zählen sich zu den AnarchistInnen, deren Ziel es ist: Eine herrschaftslose und gewaltfreie Gesellschaft auf der Basis der Freiwilligkeit und der Gegenseitigen Hilfe zu erreichen. Das sei vöööllig "utopisch" hören wir die Philister auf ihren Rängen und Emporen stöhnen. Lachend schütteln sie Bauch und Eierköpfe über so viel Unverstand und Idealismus.

Seit rund 150 Jahren gibt es in Europa und der Welt Menschen, die sich als AnarchistInnen bezeichnen. Das Wort kommt aus dem Griechischen von "an-archos", das heißt: "ohne Herrschaft". Der französische Sozialist Pierre-Joseph Proudhon bezeichnete sich als erster öffentlich und provokativ als "Anarchist". Obwohl der Anarchismus schon frühere DenkerInnen hatte, wurde er erst Mitte des 19. Jahrhunderts mit der aufkommenden ArbeiterInnenbewegung zu einer politischen Theorie und Kraft. Eine seiner bekanntesten Figuren war der russische Revolutionär Michael Bakunin, der als Organisator große Bedeutung erlangte. Er bildete auf der sozialistischen Ersten Internationale den Gegenpol zu Karl Marx. Diese Internationale zerbrach 1872 am Widerspruch zwischen dem marxistisch-autoritären Flügel (bis 1876) und dem ("bakuninistisch"-) antiautoritären, der zunächst noch der größere und langlebigere war. Hier stoßen wir darauf, dass sich die AnarchistInnen in der Regel für den Sozialismus (in der ursprünglichen Bedeutung des Wortes) einsetz(t)en. Der Grundwiderspruch der ersten Internationale besteht allerdings noch heute: Die AnarchistInnen wollen einen sich freiwillig entwickelnden Sozialismus, der sich von unten nach oben, also föderativ aufbaut. Das weist auch gleich darauf hin, dass die AnarchistInnen nicht Feinde jeglicher Organisation sind, sondern vielmehr nur zentralistische, autoritäre Organisationsformen ablehnen und somit in direktem Gegensatz zu nahezu allen sogenannten "kommunistischen" oder sozialistischen Parteien stehen. Insbesondere zu den "real-existierenden" (bzw. existiert habenden!). Rätekommunistische oder basisdemokratische Orientierungen stehen den AnarchistInnen somit am nächsten.

"Sowas klappt doch nie!! Das sind ja alles Spinner, harmlos oder gefährlich, je nachdem!" Nun, Anarchistische Tendenzen oder Realisierungsversuche im Großen hat es schon mehrfach gegeben, nämlich z.B. in:


Die bürgerliche und die bolschewistisch-stalinistische Geschichtsschreibung hat die libertären Spuren oft verwischt oder bewusst ganz "bereinigt" und ausgelöscht. Die wiedererstandene anarchistische Literatur bietet hierzu ein weites Informationsfeld. Es gilt ein verschüttetes, freiheitliches Menschenbild wieder zu beleben. Denn:

Freiheit hat einen Namen - Anarchie!

Freiheit - das ist ein viel benutztes und missbrauchtes Wort. Alle nehmen es in Anspruch, sogar Nazis und StalinistInnen. Wirkliche Freiheit kann es aber nur da geben, wo es keine Herrschaft von Menschen über Menschen gibt. Das bedeutet also auch die Abwesenheit von Staat, Kapital, Geschlechterherrschaft (Patriarchat), Rassismus und Imperialismus in jeder Form. Frei ist nur, wer über sich selbst, sein Leben, seinen Körper und Denken, unbevormundet selber entscheiden kann. Dazu bedarf es des Wohlstands für alle: guter Kleidung, menschenwürdiger Wohnverhältnisse, ausreichend gesunder Nahrung, und das Endes des Zwangs zur Arbeit. Heute stehen wir zum ersten Mal in der Geschichte der Menschheit an der Schwelle eines Zeitalters, das diesen alten Traum möglich machen könnte. Ja schon heute bräuchte es keine Hungerkatastrophen und kein individuelles Elend auf Grund von Mangel mehr zu geben. Statt dessen leben wir in einer Welt, die schamlos von den Herrschenden aller Couleur ausgebeutet, zerstört und der Vernichtung anheimgegeben wird. Die großen Probleme unserer Zeit wie Umweltzerstörung, Hochrüstung und Kriegsgefahr, Bildungsnotstand, Arbeitslosigkeit und Hungersnöte, immer perfektere soziale Kontrolle, neuer nationaler Größenwahn allenthalben und rabiate Machtausübung, Frauenunterdrückung, Sexismus, Vergewaltigung und Mord, sprechen eine beredte Sprache.

Die "Freiheit der Menschen" ist nicht zu verwechseln mit "der Freiheit der Männer", als die auch manche Anarchisten ihre Lehre einseitig verstanden zu haben scheinen. Wir leben nach wie vor in einer patriarchalisch organisierten und beHERRschten Gesellschaft und Welt, in der die brutale Unterdrückung und Ausbeutung von Frauen (und andersgesinnten Männern) die Regel darstellt. Eigentlich sollte es selbstverständlich sein, dass AnarchistInnen sich an vorderster Stelle gegen die patriarchale Hierarchie auflehnen, die das stärkste und über die ganze Welt verbreitete System der Herrschaft ist. Wir alle haben es tief verinnerlicht. Männer und Frauen stehen ihren "Mann" in der hierarchischen Pyramide und bewahren sie vor dem Einsturz. In den reichen Ländern, in denen wir leben, profitieren Männer und Frauen (in dieser Reihenfolge) vom Patriarchat. Frauen ziehen auch in dieser Gesellschaft in der Regel den kürzeren, und werden zur ökonomischen Ausbeutung zusätzlich sexuell ausgebeutet und misshandelt. Das trifft in doppelter Hinsicht auf ausländische Frauen zu, die darüber hinaus noch Opfer des allgegenwärtigen AusländerInnenhasses und Rassismus sind. Viele Berührungspunkte zwischen Feminismus und Anarchismus liegen somit auf der Hand. Es kann aber auch nicht der Sinn von befreiender Gleichberechtigung sein, wenn (Alibi) Frauen vom Typ Thatcher, Süßmuth, Breuel, Ciller etc. die Plätze der Macht einnehmen, die Geschlechterrollen einfach umgetauscht werden. Wir AnarchistInnen wollen den gänzlich freien Menschen, ohne Wenn und Aber, gleichberechtigt in jeder Beziehung, und das hört nicht beim sog. "Privaten" auf, sondern gilt gerade und insbesondere da.

Anarchie ist ohne Freiheit der Frauen nicht denkbar, schon gar nicht "machbar" (Herr Nachbar...)!

Anarchie heißt auch nicht "Freiheit der Erwachsenen". Kinder sind in dieser Gesellschaft als schwächstes Glied der Willkürherrschaft der Familien und ErzieherInnen ausgesetzt. Weltweit sind Kinder als Spielball ihrer Eltern und als Opfer verfehlter Erwachsenenmachtpolitik die Leidtragenden einer autoritären und ausbeuterischen Gesellschaft. Das gipfelt in Vergewaltigung, Folter, Sklaverei und Mord. Anarchie verwirklichen bedeutet vor allem, eine Zukunft für Kinder zu schaffen, die befreit ist von autoritärer Unterdrückung und Manipulation. Kinder sollen frei von Angst und Benachteiligung als kleine, ernstzunehmende Menschen aufwachsen und sich entfalten können. Für sie haben wir zwar Sorge zu tragen und ihnen auf Grund unserer größeren Erfahrung, Körperkraft und unserer materiellen Möglichkeiten unsere Förderung, Schutz und Hilfe zukommen zu lassen. Aber deshalb gibt es keinerlei "Besitzrechte" an ihnen. Es sind nicht unsere Kinder, sondern zu allererst frei geborene und gleichberechtigte Menschenwesen, die ein Recht auf persönliche Freiheit, Unversehrtheit und das Erbe einer intakten Umwelt haben.

Unserem Selbstverständnis gemäß sind wir natürliche GegnerInnen jedes Rassismus und Nationalismus. Freiheit hat kein Vaterland und niemand ist berechtigt, sich wegen seiner Herkunft oder Abstammung über andere zu stellen. Von Religionen halten wir ebenfalls herzlich wenig, auch wenn wir sie als Privatangelegenheit tolerieren. Sie vernebeln die Hirne und machen die Menschen in Erwartung eines "besseren Jenseits" regierbar. Autoritäre Pfaffenbonzokratien, mit ihrer in der politischen Machtentfaltung nur allzu sehr "weltlichen" Geistlichkeit, bekämpfen wir ebenso wie jeden Staat. Kapital und Staat versklaven den Körper, die Kirchen den Geist. Und wie wir sehen, gehen beide in Form der "Gottesstaaten" die verderblichste Symbiose ein (Herrschaft "von Gottes Gnaden" <In God we trust!>, Inquisition, "heilige" Kriege, Scharia).

Wir setzen gegen Herrschaft und Unterdrückung uns selbst, das Individuum mit dem revolutionären Bewußtsein, die Welt ändern zu wollen und zu müssen. Wir setzen dagegen die Selbstorganisation aller freiheitlich denkenden Menschen und unser Eintreten für unsere eigenen Belange und Bedürfnisse, ohne sie auf Kosten anderer Menschen durchsetzen zu wollen. Wir setzen dagegen die Direkte Aktion als subjektive und objektive Veränderung unseres Lebens im Großen und Kleinen, ohne institutionelle Umwege. Wir tun das Machbare. Wir versuchen das "Unmögliche" Wir setzen gegen das verherrschte Jetzt den Willen jedes einzelnen Menschen zur größtmöglichen Freiheit.

Wir brauchen keine anderen Herren, wir brauchen gar keine! (Bertold Brecht)

Es gibt keine Patentrezepte, deshalb kann es bei uns auch keine perfekten Programme, keine FührerInnen, Dogmen und VorbeterInnen geben. Die Selbstorganisation ist nur möglich durch die weitestgehende Entfaltung, Mitarbeit und Selbstverantwortlichkeit der Einzelnen zusammen mit anderen, und ihren Willen, zu handeln. Parlamentarismus in jeder Form ist im geringsten Fall die ständige Unterdrückung von Minderheiten durch die etablierte Mehrheit. Darum lehnen wir auch diese Form der Oberherrschaft ab. Es gibt kaum ein Verbrechen, das noch nicht von sogenannten demokratischen Regierungen im Namen von "Demokratie" und "Freiheit" begangen worden wäre, mensch denke nur an die USA. Sogar Hitlers NSDAP (ca. 30% WählerInnen) ist von den (konservativen) Weimarer Demokraten 1933 ohne Not die Macht übergeben worden!

Wir wollen die Kompetenzen für uns behalten, die andere allzu bereitwillig weggeben und in die Hände derer legen, die sie schändlichst missbrauchen. Ein ausgeklügeltes System von Gesetzen und Verordnungen sorgt dafür, dass hier und anderswo die ehrlich revolutionärste Partei innerhalb kürzester Zeit zum Polster wird, auf dem die Mächtigen komfortabel ruhen. Selbstbestimmung jedoch gibt der Korruption keine Chance, denn wer bescheißt schon sich selbst?!

Noch etwas zum guten Schluß: Wir haben keine Lobby und kochen auch nur mit Wasser. Freiheit ist auch nicht bequem und ungefährlich. Es liegt in der Natur der Sache, dass du dich schon selber aufraffen musst, etwas zu tun, etwas in Bewegung zu bringen. Du kannst es! Wenn du also von jemand etwas erwartest, dann erwarte es am besten erstmal von dir selber. Das ist ein guter Weg zu gemeinsamer Stärke und Vielfalt. Wenn dir das hier Vorgetragene gefällt, dir zu denken gibt, dich neugierig gemacht hat: wir sind gut erreichbar und geben gerne weitere Auskünfte und Informationen! Ich liste hier einige Internetseiten auf, wo ihr weiterführende Infos finden solltet. Ach so: Natürlich distanzieren wir uns von den Inhalten der Seiten:


Originaltext: http://www.free.de/schwarze-katze/texte/a07.html