Joseph Kucera - Von Ravachol bis Caserio

I

Im Juli des Jahres 1891 wurde die Allianz zwischen dem Blutzarenrussland und dem Panamaheldenfrankreich geschlossen. Der russische Henker empfing die französische Flotte in Portsmouth und in Kronstadt und die aus diesem Anlass gegebenen Feste waren die Ursache für die französische Maitragödie von Fourmies. Ein lokaler Streik in dieser Industriestadt nahm bald grosse Dimensionen an, deren politische Spitze in erster Linie gegen die franko-russische Allianz gerichtet was, Herr Issac, Unterpräfekt von Avesnes fand es für ratsam zur Unterdrückung dieser Ausstände Infanterie herbei zurufen. Als bei einem Zusammenstoss die Militärtruppe durch das Volk mit Steinen beworfen wurde, gab der kommandierende Major Chapu Befehl zu schiessen. Vierzig Schwerverwundete und neun Tote, darunter vier Frauen und drei Kinder blieben auf dem Pflaster liegen. So wurde mit dem Tode von unschuldigen Frauen und Kindern die Ruhe wieder hergestellt. Um diese Zeit war Constans Innenminister, Fallieres war Justiz- und Kultusminister und Rouvier verwirtschaftete die Finanzen.

Frankreich durchlebte damals eine äusserst unruhige Epoche. Francis Laur klagte im November 1891 Rouvier in der Kammer an, dass er mit dem Gelde der Sparkasse sich in Spekulationen eingelassen habe und im Dienste der Rotschildbank stehe. Constans und Rouvier wurden das Ziel heftiger Angriffe. Während einer Reise im Oktober nach Marseille waren sie Gegenstand von Demonstrationen. Rochefort veröffentlichte im Jänner 1892 im "Intransigeant" unter dem Titel "Vierzig Jahre oder das Leben eines Millionärs" eine Artikelserie gegen Constans und dessen Schwiegervater Masbou, in welcher er diese der grössten Korruption beschuldigte. Am 18. Feber wurde das Ministerium Freycinet mit 304 gegen 212 Stimmen gestürzt, dem einige Tage später ein Ministerium Loubet folgte.

Um diese Zeit hielt eine Anarchistengruppe in einem Cafe eine Versammlung ab, in welcher die Korruption der Republik einer leidenschaftlichen Kritik unterzogen wurde. Nach Schluss der Versammlung zogen die Teilnehmer unter Vorantragung einer roten Fahne, was in Paris keine Seltenheit war, durch die Strassen. An einer Strassenecke stürzte Polizei auf die Fahnenträgerin und auf die ruhigen Demonstranten, wobei es an Brutalität nicht fehlte. Bei diesem Zusammenstoss wurde –was das Neue an der ganzen Angelegenheit war – von beiden Seiten geschossen. Eine ganze Anzahl Demonstranten wurden verhaftet und auf der Wache in rohester Weise zugerichtet. Drei der Verhafteten wurden am 28. August 1891 vor Gericht gestellt. Während einer freigesprochen wurde, erhielt der Arbeiter Descamp fünf Jahre und der Arbeiter Dardare drei Jahre Zwangsarbeit. Dieses harte und ungerechte Urteil lebte in der Arbeiterschaft von Paris unter dem Namen der '"Märtyrer von Clichy" fort.

Dies in groben Umrissen die politische Situation in Frankreich, als am XI. März im Hause 136 Boulevard Saint Germain eine Dynamitbombe explodierte. Unter den Bewohnern dieses Hauses befand sich der Präsident des Gerichtshofes, der Descamp und Dardare verurteilt hatte: Benoit. Die Polizei hatte mit dieser Untersuchung noch alle Hände voll zu tun, als am XV. März eine Bombe in die Mauer der Lobaukaserne ein grosses Loch riss und beträchtlichen Sachschaden anrichtete.

So war der Beginn der terroristischen Bewegung. Die Bourgeoisie zitterte um die Existenz und die Polizei war ohnmächtig. Der Täterschaft beider Ereignisse verdächtig erschien ein gewisser Ravachol aus Saint Chamond (Loire), der oft den Anarchisten Chaumartin auf der Ile Saint Denis besuchte. Man konnte aber seiner nicht habhaft werden. Als am 27. März in der 39. rue Clichy und 2. rue de Berlin wieder ein Haus in die Luft flog, in welchem der Staatsanwalt Bulet wohnte, wurde gegen Ravachol ein Steckbrief erlassen.

Am Tage dieser Explosion erschien im Restaurant Veryam Boulevard Magneta ein Mann, der sich mit dem Kellner in ein Gespräch einliess, wobei er den Kellner frug, ob er Soldat gewesen. Als dieser verneinte, gab der Fremde ihm den Rat, fleissig die anarchistischen Schriften zu lesen. Dann liess er die Bemerkung fallen, dass vor einigen Stunden in der rue Clichy eine Explosion stattgefunden habe, welche eine bessere Wirkung gehabt als die auf dem Boulevard Saint Germain. Kaum hatte der Gast das Lokal verlassen, riefen die Zeitungsjungen die Einzelheiten des Attentats aus. Als drei Tage später derselbe Gast wieder im Restaurant Very erschien, sagte der Kellner heimlich zur Polizei, die den geheimnisvollen Gast verhaftete: es war Ravachol.

Wer war dieser Ravachol? Kaum einen Monat nach seiner Verhaftung erschien er vor den Geschworenen. Er war 32 Jahre alt, von kleiner untersetzter Statur, mit enormen physischen Kräften. Seine wahre Natur zeigte sich in seinem Verhältnis zu seiner Lebensgefährtin, zu seinen Kameraden und fand ihren höchsten Ausdruck in seinen Anschauungen über die Pflichten des Einzelnen gegenüber der leidenden Menschheit, besonders zu den wehrlosen Kindern und Frauen. Sein richtiger Name war Franz August Königstein, er legte sich jedoch den Namen seiner Mutter bei. Kindheit und Jugendjahre verlebte er im Geburtsorte seiner Mutter in Saint Chamond. In diesem Industriestädtchen lernte er das Elend der Ausgebeuteten frühzeitig kennen, verbrachte Jahre in den verschiedensten Fabriken und war zuletzt als Färber tätig. Hiebei dürfte er sich wahrscheinlich die ersten Kenntnisse in der Chemie angeeignet haben. Sein unbändiger Freiheitsdurst und sein gefühlvolles Temparament hatten es bald satt, sich so wie die anderen Genossen dem Fabrikselend und der Sklaverei willig zu unterwerfen.

Nachdem er einen missglückten Versuch unternommen hatte, sich durch Münzenfälschung der harten Fron zu entziehen, trieb ihn sein Freiheitsgefühl zu seiner ersten Tat. Ein als reich geltender Edelmann namens Rivollier, der in der Nähe von Saint Chamond wohnte, wurde sein erstes Opfer. Die Tat scheint aber nicht den gewünschten Erfolg gebracht zu haben. Dann verbrachte er fünf Jahre in seinen früheren Wohnort.

In einer reichen aristokratischen Familie war eine Frau gestorben. Man erzählte von dieser alten Dame aus dem Geschlecht der Grafen von Rochetaille, dass sie ihren letzten Wunsch gemäss mit all ihren kostbaren Schmuck begraben worden sei. Einige Zeit nach dem Begräbnis wurde das Erbmausoleum, erbrochen aufgefunden, die sehr schwere Grabplatte war mit unglaublicher Kraft weggehoben worden. Ein kleines Holzkreuz und eine geweihte Medaille lagen auf den Boden, die einzigen Gegenstände, die man der Frau mit ins Grab gegeben.

Einige Wochen später, im Juni 1891 folgte die nächste Tat. Ein Mann namens Brunel, genannt der Eremit, der von Prophezeiungen und der Übermittlung von frommen Wünschen der Landbevölkerung an den lieben Gott lebte, war ein zweites Opfer. Hier erbeutete Ravachol etwa fünftausend Francs, wurde aber nach einiger Zeit von der Gendarmerie verhaftet. Durch einen Zufall gelang es ihm jedoch zu entweichen. Nach einigen Monaten wandte er sich mit seinem Freunde und einer Freundin, bei welchen er lange Zeit Unterkunft gefunden hatte, nach Saint Denis, einem Vorort im Norden von Paris.

In Saint Denis lebte er unter dem Namen Louis Leger und trat mit seinem Freunde Jus Beala einer sehr aktiven Gruppe bei, deren Hauptaufgabe die antimilitaristische Propaganda bildete. Bald war Ravachol mit Herz und Hand bei der Sache, als ihn ein glücklicher Zufall eine grössere Menge Dynamitpatronen in die Hände führte. Mit Hilfe einiger Genossen, darunter des späteren Judas der Gruppe, beging Ravachol bei dem Erdbauunternehmer Couezy in Soissus Etoilles bei Paris einen Diebstahl, der ihn in den Besitz von etwa vierhundert Dynamitpatronen brachte. Die Polizei, die nach den Dieben eiffrigst fahndete, nahm in zahlreichen Quartieren, wo Anarchisten wohnten oder nur vermutet wurden, Hausdurchsuchungen vor. Indes gelang es Ravachol sich den Klauen der Polizei zu entziehen und mit seiner Beute nach einen anderen Vororte von Paris nach St. Mande zu übersiedeln. Hier nun beschloss Ravachol die Märtyrer von Clichy zu rächen.

II

Die Bourgeoisie atmete bei der Nachricht von der Verhaftung Ravachols erleichtert auf, da sie wähnte, die terroristische Bewegung wäre nun beendet. Wie gross war jedoch die Enttäuschung als schon am Tage, da Ravachol das erste Mal vor den Geschworenen von Paris erschien, im Restaurant Very, wo Ravachol verhaftet worden war, eine Bombe explodierte, das Werk des Anarchisten Neunier, der auch die Explosion in der Lobaukaserne verursacht hat. Zwei Jahre später wurde er zu lebenslänglicher Zwangsarbeit deportiert.

Vor dem Pariser Schwurgericht hatte sich Ravachol am 26. April 1892 wegen der Dynamit-Attentate zu verantworten. Er sagte u.a.: "Meine Taten habe ich aus folgenden Gründen getan. Herr Bonoit hat gegen Decamp u. Genossen, ob zwar die Geschworenen die geringste Strafe beantragten, die zulässig höchste ausgesprochen. Die Polizei hat die Verhafteten von Clichy auf schändlichste Art misshandelt. Das war ein unerträglicher Zustand. Ich machte die verantwortlichen Leiter der Staatsjustiz aufmerksam, dass wir ihrer Härte unsere Härte gegenüber stellen. Die unschuldigen Opfer meiner Attentate sind wohl zu beklagen, und ich bin der Erste, der sie beklagt, auch bedauere ich, dass neben mir auf der Anklagebank Menschen sitzen, deren ganzes Verbrechen darin besteht, mich gekannt zu haben.… Ich habe in Namen der Anarchie gehandelt, welche eines Tages die grosse Familie der Menschheit bilden wird. Die Schreckensakte, die ich begangen, sollten ein Warnungssignal für die Bourgeoisie sein: dass wir leben und dass man uns erkennen möge als das, was wir sind: die wahren Verteidiger der Unterdrückten."

Die Geschworenen wagten es nicht, aus Furcht vor Repressalien, Ravachol zum Tode zu verurteilen. Er und der Mitangeklagte Simon wurden zu lebenslänglicher Zwangsarbeit verurteilt, Beala, Soubert und Chaumartin wurden freigesprochen.

Der zweite Prozess gegen Ravachol fand im Juni in Montbrison statt, wo auch Jus-Beala und Mariette Soubert mitangeklagt waren und wie in Paris so auch hier freigesprochen, während Ravachol, der hier seine Morde und Diebstähle zu verantworten hatte, zum Tode verurteilt wurde. Er zeigte auch jetzt keinerlei Schwäche und das Todesurteil antwortete er mit einen Hochruf auf die Anarchie. Ein Versuch, sein Schicksal durch die Einreichung einer Nichtigkeitsbeschwerde zu ändern, wies er genauso zurück, wie er einige Wochen später den Segen der Kirche ablehnte. Als er am 11. Juli den Weg zur Guillotine antrat, sang er ein bekanntes aufwiegelndes Volkslied.

Ravachols Popularität, der günstige Wiederhall, der dem Rächer der Armen nachklang, war ein Lied, das unter dem Titel "La Ravachole" die Runde im Volke machte.

Immer neue politische und finanzielle Skandale erzürnten Frankreichs Volk.

Im August 1892 erklärten die Arbeiter von Carmaux (Tarn) einen politischen und Solidaritätsstreik, weil Calvignac, der zum Bürgermeister von Carmaux gewählt worden war als einer der ihren von der Werksleitung verjagt wurde. Es kam zu schweren Zusammenstössen zwischen Streikern und Regierungstruppen. Die Justizmaschine arbeitet rasch und verurteilte erbarmungslos die Arbeiter zu harten Strafen. Baudin, Lasbaysses, Maujan und Millerand feuerten die Arbeiter zum äussersten Widerstand an. Millerand – damals noch Sozialist – interpellierte am 18. Oktober die Regierung und forderte die Enteignung der Compagnie nach den Gesetzen von 1810 und 1838 und die Verstaatlichung der Minen in Carmaux. Am 3. November musste die Arbeit wieder aufgenomen werden. Am 8. November wurde an der Avenue de Opera 11, wo sich die Bureaus der Bergwerkskompagnie von Carmaux befand, eine Höllenmaschine entdeckt. Durch ungeschicktes Manipulieren auf dem Polizeikommissariat explodierte diese und tötete fünf Polizisten.

III

Oeffentliche Skandale erschütterten die französische Gesellschaft. Der grösste Korruptionsskandal, die Panamaaffäre brachte die Entrüstung der ganzen Welt. 718 Millionen Franc waren verschlungen worden. Der grösste Teil des Geldes stammte von Kleinrentnern, deren Ersparnisse von Herrn von Lesseps, Mitglied der Akademie, Besitzer des Grosskreuzes der Ehrenlegion, herausgelockt wurden, Journalisten, Politiker, ja selbst der Minister Floquet waren in ihrer "Ehre" getroffen und hatten sich schöne Summen ergaunert.

Zwischen 10. Jänner und 9. Feber spielte sich der erste Panamaprozess ab. Mit dem Gelde der kleinen Leute war fast unglaublich gewirtschaftet worden. Hatte ursprünglich die Panamagesellschaft den Grund und Boden in Zentralamerika zum Bau des Kanals für 7 frs. Pro Quadratmeter vertraglich angetragen gehabt, trat sie plötzlich selbst aus unerfindlichen Gründen von dem Vertrag zurück, um von Herrn Eiffel denselben Grundum 33 frs. Pro Quadratmeter zu kaufen. Ausserdem liess sich dieser Herr für Maschinen im Werte von 40.000 frs. Die runde Summe von 2 Millionen und für andere 18 Millionen frs. Auszahlen, die insgesamt mit 1.250.000 frs bewertet wurden. Herr Eiffel erhielt 2 Jahre Gefängnis und 20.000 frs. Geldstrafe. Lesseps brauchte wegen seines hohen Alters – er zählte 88 Jahre – nicht vor Gericht erscheinen; das Urteil erhielt er nicht einmal zugestellt. Wozu auch. Es wurde mit Erfolg appelliert. Das erste Urteil wurde mit der Begründung aufgehoben, dass die wahren Schuldigen wegen Verjährung nicht mehr ermittelt werden konnten. Und das bei einer öffentlichen unter Staatsaufsicht stehenden Gesellschaft.

Es war klar, dass das betrogene Volk solche Freundlichkeit und Milde der Justiz "unglücklichen" Millionären gegenüber nicht gleichgültig blieb. Charles Dupuy, der am 4. April 1893 zum Ministerpräsidenten gewählt wurde, verstand es, den misskreditierten Parlamentarismus durch Arbeiterunterdrückungen aufzufrischen. Schon am 1. Mai liess er gegen die Demonstrationen Polizei aufbieten. Studentenprotesten am 1. Juli, denen sich im Streik befindliche Kutscher und eine grosse Zahl Arbeiter anschlossen, wurden Militäraufgebote entgegengestellt. Diese Aufruhr, die in einigen Tagen ihren Höhepunkt erreicht hatte, brachte Barrikadenkämpfe in verschiedenen Strassen Paris. Es gab Verwundete und einen Toten, den Handlungsgehilfen Nuger, der auf der Terrasse des Cafe d'Harcourt von einem brutalen Polizisten gemordet wurde.

Bei den nun folgenden Prozessen gegen die Demonstranten wurde mit äusserster Strenge vorgegangen, denn sie waren ja nur Proletarier und keine Millionendiebe. Der ruhmsüchtige Dupuy verwandelte Paris in ein Militärlager und unter dem Schutze der Polizeisäbel und der Soldateska ging er daran die Arbeiterbörse unter turbulenten Scenen am 6. Juli besetzen zu lassen.

Die Erbitterung im Volke wuchs. Am 13.November wurde auf den serbischen Gesandten ein Attentat verübt. Der Täter, der 19 jährige Lheautier erhielt durch den bekannten Bluthund, den Staatsanwalt Bulot, lebenslängliche Zwangsarbeit zudiktiert und beendet ein Jahr später sein Leben auf den Heilsinseln, wo er bei der Beteiligung an einer Revolte getötet wurde.

Am 14. November explodierte vor dem Gebäude der Militärdivision in Marseille eine Bombe.

Am 9. Dezember 1893 diskutierten die ehrenwerten Panamisten im Parlamente gerade die Wahl des sozialistischen Abgeordneten Mirnans aus Reims, als Vaillant ihnen seine Aufwartung in Form einer Bombe machte. Getötet wurde niemand, nur ein paar Gesetzemacher mussten ihre Tätigkeit auf einige Zeit unterbrechen. In dieser Sitzung prägte Dupuy die historisch gewordenen Worte: "Die Sitzung nimmt ihren Fortgang,"

Vaillant hatte das Elend in seiner ganzen Macht erlebt, mit 14 Jahren auf sich selbst angewiesen, kam er auf der Suche nach Arbeit nach Algier und bis nach Argentinien, wo er sich ohne Erfolg als Farmer versuchte, 1893 kehrte er nach Frankreich zurück und fand endlich eine Stellung mit einen Monatsgehalte von 80 frs., wovon er den Lebensunterhalt für sich und seine kleine Tochter Sidonie bestreiten musste.

Am 10. Jänner fand die Gerichtsverhandlung gegen Vaillant statt. Der in Zolaprozess berühmt gewordene Anwalt Labori übernahm seine Verteidigung. Zu seiner Verantwortung verlas Vaillant eine längere Erklärung.

IV

Unter anderem sagte Vailland zu den Geschworenen, vor denen er sicn wegen seiner Attentate zu verantworten hatte: "Es gibt zwei Arten von Menschen unter den Ausgebeuteten, die einen, denen es gleichgültig ist, was mit ihnen geschieht und wie sie leben. Sie nehmen das Leben wie es ist, sind als Sklaven geboren und meinen, es müsse so sein. Sie sind zufrieden mit dem Stück Brot, das man ihnen für ihre Arbeit hinwirft. Die andere Art aber ist nicht so leicht mit ihrem Schicksal zufrieden. Diese Menschen denken, studieren, sehen mit offenen Augen um sich und erkennen bald die Ursachen der gesellschaftlichen Ungerechtigkeit. Will man es diesen Menschen vorhalten, dass sie klar sehen und an den Leiden der Menschheit nicht achtlos vorbeigehen? Nun, sie werfen sich dennoch in den Kampf und stellen ihren Mann als Rächer der Unterdrückten. Ich gehöre zu diesen letzteren. Überall, wo ich hingekommen bin, habe ich Elende, unter dem Joch des Kapitals Seufzende, gefunden. Überall sah ich das Kapital an der Arbeit, aus den unglücklichen Parias den letzten Bluttropfen herauszupressen. Meinesgleichen in so hoffnungsloser Weise leiden zu sehen, brachte ich nicht länger über mich. Ich war das Leben der Qual und der Feigheit satt. Meine Bombe galt jenen, die ich für die Leiden der Allgemeinheit verantwortlich ansehe. Geben Sie sich keiner Illusion hin: die Explosion einer Bombe ist nicht das Zeichen der Verzweiflung eines einzelnen Menschen, sondern der Ausdruck der Not einer ganzen Klasse, – Alle Macht der herrschenden Klasse kann die Ideen des Rechtes und der Freiheit, wie sie Reclus, Darwin, Spencer, Ibsen und im vorigen Jahrhundert Diderot und Voltaire lehrten, nicht ausrotten. Diese Ideen nehmen die Vorurteile von der grossen unwissenden Masse und werden die Bedrückten zur Empörung aufstacheln – und dies wird sich solange fortsetzen, bis das Verschwinden jeder Autorität, es allen Menschen gestatten wird, sich frei zu vereinigen nach ihren Bedürfnissen."

Vailland wurde selbstverständlich zum Tode verurteilt und am 5. Februar 1894 enthauptet. Seine letzten Worte waren: "Tod der Bourgeoisie! Es lebe die Anarchie!"

Am 11. Dezember 1893 wurde in der Pariser Kammer die massgebensten Gesetze abgeändert. Auch die Strafe gegen Besitzer von Explosivstoffen und der Polizeikredit wurden erhöht. Die bürgerliche Gesellschaft glaubte, damit mit den "Verbrechern" und mit dem "Gesindel" aufgeräumt zu haben. Durch die Verschärfung der Pressgesetze fielen alle anarchistischen Journale der Staatsmacht zum Opfer. Fast jede Nummer der von Emile Pouget geleiteten "Père Peinard" wurde konfisziert. Den Zeitungsverkäufern wurde verboten, den "Père Peinard" sowie "Le Révolté" von Jean Grave usw. zu halten, ja man verstieg sich sogar, die "Parti Sozialiste" zu verbieten. Den Gipfel der Groteske erreichte ein Rundschreiben vom 20. Dezember 1893, das den Spielzeughändlern auf den Boulevards für Weihnachten und Neujahr "die Arbeit mit Rauch oder Lärm erzeugenden Instrumenten untersagte."

Jeder Tag brachte eine neue Entdeckung, die Zeitungen trugen als Überschrift nur mehr Sensationsmässig: "Ein neues anarchistisches Attentat" .......… "Die Entdeckung einer Bombe in der------Strasse." Es ist nötig, zu sagen, dass die Mehrzahl dieser vermeintlich gefährlichen Anschläge das Werk von Spassvögel war, die sich an der Furcht der braven Bourgeoisie ergötzten.

Die Hauseigentümer, durch die Greuelnachrichten der Journale und durch die Erzählungen der Polizeiagenten eingeschüchtert, kündigten nicht nur bekannten Anarchisten, sondern auch Richtern und Geschworenen, die bei den Prozessen gegen Anarchisten amtiert hatten, die Wohnungen. In der Nacht zum 1. Jänner 1895 fanden bei fast allen der anarchistischen Idee verdächtigen Personen Hausdurchsuchungen statt. 2000 Befehle dazu wurden durch das Seine-Gericht ausgegeben, 64 Verhaftungen fanden statt, Elie Reclus, der bekannte Geograph und Mitarbeiter seines Bruders Elisée, wurde unter dem Vorwande, sein Sohn Paul habe einen Brief von Vaillant seinerzeit erhalten, verhaftet. Bei Elisée Reclus entwendete der famose Polizeikommissär Clement auf legale Art Notizen über eine geographische Arbeit, da er sie für wichtige Dokumente der anarchistischen Bewegung hielt.

Am 3. Jänner publizierte die "Petite République" einen Geheimbefehl des Ministeriums an alle Postämter, die Korrespondenz zahlreicher Anarchisten zu beschlagnahmen. Auf der Schwarzen Liste befanden sich auch die Namen: Constant Martin, Jean Grave, Sebastian Faure, Elisée Reclus, Elie Reclus, Louise Michel, Pauwels, Louis Matha, Charles Malato, Ericco Malatesta, Peter Kropotkin.

Die rasende Verblendung hinderte die Justiz einen Unterschied zwischen Anarchisten und Sozialisten zu machen, und Maurice Charnay wurde wegen, seines "Katechismus des Soldaten" zu sechs Monaten Gefängnis und 100 frs Geldstrafe verurteilt, Charnay führte in seiner — selbst von der Bourgeoisie als gut geschrieben und von hohem ethischen Wert bezeichneten – Broschüre u.a. aus:

D. - Soldat, was wirst du tun, wenn dein Vorgesetzter dir befiehlt, auf Streikende zu schiessen?

R. - Ich werde gehorchen.

D. - Bist du denn nicht auch ein Arbeiter wie diese? Sind nicht ihre Herren auch die deinen? Die schamlose Regierung, ist sie nicht dieselbe, die dich versklavt? Beklagst du dies? Unterstützt du das?

R. - Ich muss gehorchen,

D. - Aber in der unbewaffneten Menge befinden sich Frauen und Kinder.… Wirst du auch auf diese schiessen?

R. - Wenn ich nicht gehorche, so werde ich selbst erschossen .......… ich fürchte .…

D. - Das ist Kasernen-Patriotismus! Du bist schon so gut dressiert, dass du den nächstbesten Menschen niederknallst, den man dir vors Gewehr stellt!

Breton, Redakteur der "Parti Sozialiste", erhielt wegen eines Artikel zwei Jahre Gefängnis, Jean Grave wurde wegen seines Buches "Die sterbende Gesellschaft und die Anarchie", das 1892 erschienen war, zu zwei Jahren Gefängnis verurteilt.

Am 12. Feber 1894 explodierte eine Bombe in dem luxeriösen Hotel Terminus. Zwanzig Personen wurden verwundet und ein gewisser Borde tödlich verletzt. Emile Henry war der Verüber dieser Tat. Bei seiner Verhaftung wehrte er sich mit aller Energie. Der Polizist Poisson, der sich ihm eifrig mit dem Säbel in der Hand nahte, erhielt eine Kugel in die Uniform, ohne jedoch verwundet zu werden. Nicht so viel Glück hatten die jenigen, die sich an der Verfolgung Henrys beteiligten. Der Ostbahnangestellte Etienne erhielt eine Kugel in die Brust und der Friseur Maurice, dem Henry einen Schlag mit dem Revolver versetzte, verlor ein Auge und blieb zu dreiviertel taub.

V

Emile Henry, geboren in St. Martin bei Barcelona, war der Sohn des Kommunarden Fortune Henry, der 1871 nach Spanien geflüchtet war, nach der Amnestie nach Frankreich zurückkehrte und 1882 starb. Emiles Mutter betrieb einen Kleinhandel in Bevannes. Sein Bruder, der spätere Gründer der freiheitlichen Kolonie von Aiglemont, war um diese Zeit im Gefängnis von Clairvaux, wo er eine Strafe von drei Jahren wegen anarchistischer Reden verbüsste.

Die Tat Emile Henrys war der Anlass für neue Polizeiverfolgungen, Anarchisten, Sozialisten und selbst Indifferente, die aus Neugier an anarchistischen Versammlungen teilnahmen, wurden verfolgt. Die Furcht vor den Anarchisten erreichte ihren Höhepunkt. Kein bekannter Anarchist konnte die Bahn nach der Provinz benützen, ohne dass sein Signalement mittels Telephon oder Telegraph bis in den kleinsten Bahnhof gegeben wurde, so dass er beim Aussteigen sofort von zwei Gendarmen empfangen wurde.

Am 17. Feber 1894 gab es neue nutzlose Hausdurchsuchungen. Die Gärung über die Explosion im Hotel Terminius hatte sich noch nicht gelegt, als am 19. Feber zwei neuerliche Akte der Propaganda durch die Tat Paris erschütterten. Pauwels, ein belgischer Anarchist, der Täterschaft verdächtig, mietete in einem Hotel in der Rue Saint-Jaques 69 eine Kammer, schrieb an den Polizeikommissär dieses Rayon seinen Brief, in dem er Selbstmord ankündigte und sich für die Unordnung entschuldigte, die er verursacht hatte. Der Kommissär, der mit einigen Agenten daraufhin erschien, musste die Zimmertür mit Gewalt aufreissen lassen, wobei eine Explosion erfolgte. Vier Personen wurden tödlich verletzt. Eine zweite Bombe, unter ähnlichen Bedingungen gelegt im Foubourg Saint-Martin, versagte. Am 15. März wurde Jean Pauwels beim Versuch, eine Bombe in der Madeleine-Kirche zu legen, durch vorzeitige Explosion getötet. Am 4. April wurde nochmals im Restaurant Foyot gegenüber dem Palais du Luxembourg eine Bombe geworfen, die vier Personen verwundete. Darunter Laurent Tailhade. Die bürgerliche Presse neckte deshalb Tailhade, der nach dem Bombenwurf Vaillants den Ausspruch getan hatte: "Was liegt an den Opfern, wenn nur die Geste schön ist". Nach seiner Genesung nahm jedoch der anarchistische Schriftsteller wieder seinen Platz unter den Propagandisten der Feder ein. Der Urheber der Explosion im Restaurant Foyot blieb unentdeckt.

Am 27. April stand Emile Henry vor dem Schwurgerichte der Seine. Er war wegen fünf Morde und zwanzig Mordversuche angeklagt. Auch die Bombe in den Bureauräumen der Minon von Charmauix, die auf dem Polizeikommissariat in der Rue des Bons Enfants explodierte, sollte er gelegt haben.(Siehe Nr.2, Seite 15 dieser Zeitschrift.)

Das Verhör bestand in einem langen Rededuell zwischen Henry und dem Präsidenten Pottier, wobei sich der Angeklagte zum Ankläger verwandelte. Auf den Verhalt, er habe in der Untersuchung eingestanden, so viele als möglich töten zu wollen, antwortet Henry kaltblütig: "Sehr richtig" und fügte hinzu, er habe eine volle Stunde zugewartet, bevor er die mit 120 Kugeln gefüllte Bombe geworfen habe. Er könne mit dem Resultat seiner Attentate zufrieden sein. Man kann fünf Tote und zwanzig Verwundete zählen.

Herr Pottier machte weiter den Vorwurf, Henry hätte an dem anarchistischen Journal L'En-Dehors, an welchem Matha Geschäftsführer war, mitgearbeitet, und wollte Ortiz und andere Kameraden, die mit der Angelegenheit vom Hotel Terminius nichts zu tun hatten, kompromittieren. Weil Henry keine Lust zeigte, seine Freunde zu denunzieren, tat Pottier beleidigt. "Sie verweigern also zu gestehen, dass sie mit einem Dieb, an dessen Händen Blut klebt, verkehrt haben? "Henry erwiderte: "Meine Hände sind nicht mehr mit Blut bedeckt als ihre Robe, Herr Präsident." Man wollte Henry mit dem Gewissen kommen und frug ihn, ob er denn mit seinen Opfern kein Mitleid habe. Darauf sagte er: "Oh! Ich bleibe hartherzig so wie Sie es bleiben. Denn wenn es Schuldige gibt, so sind Sie es und ihre Partei."

Die Polizei versuchte Henry zu verleumden. Aber die Lügen, die der Präsident gegen die Anarchisten vorbrachte, wurden von Henry mit Mut und Schärfe zurückgewiesen. – Herr Dupuy, der letzte Unternehmer, bei dem Henry arbeitete, sagte im Gegensatz zu den anderen Zeugen nur lobenswertes über seinen ehemaligen Angestellten aus. Ingenieur Berdenave, Prof. Philippe an der Schule J.B.Sai und Dr. Goupil versuchten Henrys Kopf zu retten. Der Staatsanwalt forderte die Todesstrafe. Henry, beherrscht und ruhig, verlangte das Wort. Nicht zu seiner Entlastung, sondern um seine Taten zu erklären. Seine Rede gegen die Bourgeoisie, gegen Kapitalismus, Parlamentarismus, Partei und gegen die ganze Gesellschaft, hinterliess einen starken Eindruck.

Nach dreiviertelstündiger Beratung sprachen die Geschworenen ihr Urteil. Die Todesstrafe. Am 21. Mai wurde Emile Henry hingerichtet. Als ihm die Henkershelfer an die Bank schnallten, rief er mit lauter Stimme: "Kameraden! Mut! Es lebe die Anarchie!"

VI

Nach dem Vollzug der Todesstrafe an E. Henry fanden die Verfolgungen gegen die Anarchisten durch Polizei und Gerichte von Paris ihre Fortsetzung. Da wollte auch die Provinz nicht zurückstehen. Das Schwurgericht der Meine et Loire beging die Taufe des Ausnahmsgesetzes gegen die Anarchisten. Sechs Anarchisten waren angeklagt. Regis Meunier erhielt 7 Jahre Zwangsarbeit und 10 Jahre Rückkehrverbot; er starb nach kurzer Zeit im Bagno: Chevry, 5 Jahre Gefängnis und 10 Jahre Rückkehrverbot; Fouquet, Geniesoldat in Versailles, zu 2 Jahren Gefängnis verurteilt, wurde nach Afrika verschickt, wo er an den dort erlittenen Entbehrungen zugrunde ging; Philippe erhielt 5 Jahre Gefängnis; H. Mercier und Guenier wurden freigesprochen. Gegen alle diese Angeklagten lag kein anderes Delikt vor, als dass sie die anarchistischen Ideen in einer den Kapitalisten unangenehmen Form propagierten. Das Ergebnis dieser Verurteilungen war, dass einige Zeit später eine Bombe in das Kommissariat Place Cupif (jetzt Place de la Republique) geworfen wurde, die Materialschaden anrichtete.

In Dijon standen Gabriel Monod, Gaillard und Quesnel vor Gericht. Monod erhielt 5 Jahre Zwangsarbeit und Ausweisung, Gaillard 2 Jahre Gefängnis und der Agent Provokateur Quesnel, trotz seiner Dienste für die Polizei, 3 Jahre.

In Laon verurteilte das Schwurgericht einen geistig Minderwertigen, Lardaux, zu 5 Jahren Haft und seinen Komplicen (?) Dautier zu 8 Jahren Zwangsarbeit.

Ohne Unterlass fanden Hausdurchsuchungen und Verhaftungen statt. Verhaftet wurden S. Faure und Felix Feneon, letzterer ein Angestellter im Kriegsministerium und Redakteur der "Revue Independante".

Die französische Regierung verlangte von der englischen die Auslieferung von A. Meunier, der wegen der Explosion im Restaurant Very und des Attentates in der Lobau-Kaserne gesucht wurde. (Siehe Nr.2 dieser Zeitschrift.) Er wurde ausgeliefert und ohne genaueren Beweise am 26. Juli 1894 zu lebenslänglicher Zwangsarbeit verurteilt.

Am 24. Juni 1894 besuchte Carnot, Präsident der Republik, die Weltausstellung in Lyon, wo er an einem ihm zu Ehren gegebenen Bankett teilnahm. Nach diesem Bankett bestieg er mit den Generälen Voisin und Borius und dem Bürgermeister von Lyon, Gailleton, einen Landauer, um ins Grande Theatre zu einer Festvorstellung zu fahren. Gegen halb zehn Uhr abends, im Augenblick, da der Wagen die Rue de la Republique passierte, vor dem Palais du Commerce, näherte sich dem Wagen ein junger Mann und stach dem Präsidenten Sadi Carnot einen Dolch in die Brust. Carnot, der sofort auf die Präfektur gebracht wurde, starb in derselben Nacht, trotz den Bemühungen von fünf Aerzten.

Der Attentäter, ein 22 jähriger Italiener namens Giovanni Santo Caserio, geboren in Motta. Viscomti bei Mailand, liess sich ruhig verhaften, ob zwar es ihm ein leichtes gewesen wäre, zu entfliehen. Caserio stand am 2. August 1894 vor dem Schwurgericht der Rhone unter der Anklage, Herrn Sadi Carnot, der die edle Beschäftigung hatte, Präsident der Republik zu sein, getötet zu haben.

In der Verhandlung erfuhr man, dass auf Caserio anarchistische Zeitungen und Broschüren schon im 18. Lebensjahre den stärksten Eindruck machten. 1892 war er zum ersten Mal wegen anarchistischer Propaganda verurteilt worden. Caserio antwortete auf die Fragen des Vorsitzenden mit fester Stimme, aus der man den Glauben an seiner Idee fühlen konnte. Als ihm gesagt wurde, es war nicht nur ein Staatschef, den sie getötet haben, sondern auch ein guter Familienvater, erwiderte Caserio: "Familienvater? Es gibt so viele, die getötet werden durch das Elend und die Arbeit. War Vaillant nicht auch ein Familienvater, hatte er nicht auch Frau und Kind? E. Henry hatte auch eine Mutter und einen Bruder."

Die Anklage wurde durch den Staatsanwalt Fochier vertreten, da kein Anwalt von Lyon Caserios Verteidigung übernehmen wollte, wurde ihm als Pflichtadvokat Herr Dubreuil, Vorstand der Anstaltsadvokaten, beigestellt. Natürlich war die offizielle Verteidigung dementsprechend. Dubreuil meinte einmal während der Verhandlung: "Ich bin hier nicht zur Lösung dieses Dramas berufen, die Lösung wird durch das Schaffot und durch den Scharfrichter vollzogen." Als derselbe in seinem Plaidoyer sagte: "Erzieher und Meister des Angeklagten war der italienische Advokat Pietro Gori", unterbrach ihm Caserio unwillig und erklärte, er habe nie einen Herrn und Meister gehabt.

Die Geschworenen verkündeten nach einer Beratung von 20 Minuten ihr Verdikt: Todesstrafe. Am 16. August 1894 wurde Caserio hingerichtet.

VII

Nach dem Tode Caserios kam noch eine Hochflut von Anarchistenverfolgungen. Am 20. August 1894 wurde der Italiener Moschetto zu sechs Monaten Gefängnis verurteilt, weil er in der Trunkenheit die Tat Caserios gutgeheissen hatte. Am 21. August wurde dieselbe Strafe über einen Kochgehilfen, Viktor Leprince, verhängt. Am 22. August wurde der Schiffer Guyot de Lafaye durch das Zuchtpolizeigericht von Bordeaux zu sechs Wochen Gefängnis mit zwei Monate Untersuchungshaft verurteilt. Am 23. August verurteilte die elfte Kammer des Zuchtpolizeigerichtes den Italiener Anteine Rossi zu acht Monaten Gefängnis. Rossi so wie die Vorigen waren keine Anarchisten, sondern wurden lediglich wegen Verherrlichung der Tat Caserios verurteilt.

Am 6. Oktober wendete die achte Kammer das Anarchistengesetz zum ersten mal an und Alphonse Orsat erhielt 13 Monate Gefängnis Ferdinand Joseph Calazel wurde zu sechs Monaten und 100 frs. Strafe durch das Schwurgericht von Allier verurteilt.

Ich will diese Studie durch einen kurzen Auszug aus dem "Prozess der Dreissig", der sich vom 6. bis 13. August vor dem Schwurgericht der Seine abspielte, beschliessen. Die Anklage lautete auf Zugehörigkeit zu einer Verbrechergesellschaft, und zwar gegen die Kameraden: Jean Grave, Ledot, Bernard, Tramcourt, Raoul Chambon, P. Reclus, C. Martin, E. Pouget, Duprat, Cohen, Daressy, Scubrié, Georges Brunet, Charles Chatel, Fénéon, Amaud – genannt Louis Matha, Agneli, Billon, S. Faure. Die anderen 11 in den Prozess einbezogenen Angeklagten der "Ortiz-Bande", unter ihnen Ortiz selbst waren des Diebstahls oder der Diebstahlsteilnahme beschuldigt.

Die Anklage beschuldigte C. Martin Kassier dieser Verbrechergesellschaft gewesen zu sein. Es ist aber bedauerlich, dass diese Kasse nur im der Fantasie des Justizministers existierte. Duprat ward als Redakteur des "Indicateur anarchiste", Ledot als gewesener Redakteur und Administrator der "Révolte", Chatel als Gründer der "Revue anarchiste", Geschäftsführer des "L'En-Dehors" und Redakteur der "Revue libertaire" angeklagt. Matha ward einer Reihe von Verbrechen, eines ärger als das andere, beschuldigt. Er sollte Verwalter des Journals "L'En-Dehors" gewesen sein, einmal zu 18 Monaten wegen Nichterscheinen vor Gericht verurteilt werden, ein andermal zu 2 Jahren Gefängnis wegen verschiedener Zeitungsartikel. In London sollte er E. Henry, nach dessen Attentat in der Rue des Bons-Enfants, Unterkunft gegeben haben, ausserdem soll er einige Tage vor der Explosion im Hotel Terminus nach Paris gekommen sein. Verwunderlich war, wie Féné sagte: dass man Matha nicht auch noch anklagte, einen "überflüssigen" Bart zu tragen. Fénéon, Angestellter im Kriegsministerium ward beschuldigt, an anarchistischen Journalen mitgearbeitet zu haben, ferner E. Henry bei sich empfangen und Matha und Cohen Unterkunft gegeben zu haben.

Als Präsident fungierte in diesem Prozess Herr Dayras, der sich alle Mühe gab, sein Richtergehalt zu verdienen. Öffentlicher Ankläger war der berüchtigte Bulot. Die Anklage konnte gegen die ersten neunzehn Angeklagten keine Zeugen führen, so dass natürlich der Generalstaatsanwalt die Publikation dieses Teiles der Debatten verbot. Nach achttägiger Verhandlung fällte die Jury ihr Urteil: J. Grave, S. Faure, Ledot, Chatel, Agneli, Bastard, P. Bernard, Brunet, Billon, Tramcourt, Davessy, Cambon, Molmerret, Fénéon, L. Matha, sowie die Frauen Milanaccio, Chericotti, Bellot, A. Cazal und der Sohn Bellots wurden freigesprochen. Ortiz wurde wegen Diebstahl zu zwanzig Jahren Zwangsarbeit, Chericotti zu acht Jahren und Bertani zu sechs Monaten Gefängnis verurteilt. Am 31. Oktober verurteilte das Gericht Paul Reclus, Cohen, C. Martin, G. Duprat, E. Pouget zu je zwanzig Jahren Zwangsarbeit, in contumacium, da sich dieselben im Auslande befanden. So war der gross angelegte Schlag der Regierung gegen die Anarchisten zusammengebrochen. Durch die Amnestie vom 2. Feber 1895 war es auch diesen Kameraden möglich, nach Frankreich, zurückzukehren und den kurze Zeit unterbrochenen Kampf gegen, den Staat und die korrupte Gesellschaft mit aller Energie wie der aufzunehmen.

Dies ist in groben Umrissen die terroristische Periode in Frankreich, von Ravachol bis Caserio.

Aus: contra. Anarchistische Monatsschrift. Wien, 25. April 1930 - 25. Feber 1931. In mehreren Teilen erschienen: Teil 1: Jg. I, 25. APRIL 1930 Nr. 1. Teil 2: Jahrg.I, 25. Mai 1930 No. 2. Teil 3: Jahrg. I, 25. Juni 1930 No. 3. Teil 4: Jahrg. I, 25. August 1930 No 5. Teil 5: Jahrg. I, 25. September 1930 No 6. Teil 6: Jahrg. I, 25. November 1930 No 8. Teil 7(Schluss): Jahrg. Wien, 25. Feber 1931 No 11.

Originaltext: http://anarchistischebibliothek.org/library/joseph-kucera-von-ravachol-bis-caserio