Schwarzrot? Keine Ahnung woher das kommt...

Bei Demonstrationen, Betriebsbesetzungen und anderen Aktionen tauchen immer wieder verschiedenste Fahnen und Symbole auf. Deren Ursprung und genauere Bedeutung bleiben aber oft im Dunkeln. Dieser Artikel soll dazu dienen, den Ursprung und die Bedeutung der schwarzroten Fahne zu erläutern und dir die Argumentation für die farbliche Wahl deiner Fahne erleichtern.

Seit dem 19. Jahrhundert ist rot die traditionelle Farbe der Arbeiterbewegung. Unter roten Fahnen vereinen sich die Arbeiterinnen und Arbeiter an Demonstrationen oder Aufständen, so auch während der Pariser Kommune (1871). Die schwarze Fahne wird zu dieser Zeit kaum verwendet. Ein erstes Mal taucht sie im Jahre 1831 (also vor der Ausbildung des Anarchismus als spezifische Strömung der Arbeiterbewegung) auf. ArbeiterInnen schwenken sie während Arbeitskämpfen in einer Seidenfabrik in Lyon. Danach gerät sie wieder in Vergessenheit. Von einigen Seiten wird behauptet, dass die AnarchistInnen die rote Farbe wegen der definitiven Spaltung innerhalb der ersten Internationale im Jahre 1871 aufgegeben haben. Dafür gibt es jedoch keine bestätigten Quellen. Im Gegenteil: Einkaufsbelege bestätigen, dass die anarchistische Juraföderation während der 70er Jahre des 19. Jahrhunderts weiterhin roten Stoff einkauft.

Schwarz tritt zu dieser Zeit nur vereinzelt auf: Während eines Aufstandes in Bologna im Jahre 1874 erscheint die schwarze Farbe ein erstes Mal bei den AnarchistInnen. Quellen berichten, dass einige TeilnehmerInnen während des Aufstandes die rotschwarze Kokarde (am Hut befestigte Bandschleife, welche die Zugehörigkeit zu einer politischen Gruppierung verdeutlicht) der AnarchistInnen tragen. Über dieselben Kokarden wird auch bei einem Aufstandsversuch 1877 im italienischen Letino berichtet, wo auch schwarzrote Fahnen geschwungen werden. Der Ursprung und das Verständnis dieser Farbkombination zu jener Zeit sind jedoch nicht bekannt.

Nach diesen vereinzelten schwarzroten Erscheinungen, setzt sich schwarz als Farbe die AnarchistInnen immer mehr durch. Im Jahre 1881 wird in London die anarchistische „Schwarze Internationale“ gegründet, welche den anarchistischen Flügel der im vergangenen Jahrzehnt aufgelösten Internationalen organisatorisch verbinden soll.

Anlässlich eines Treffens im Jahre 1882 in Paris spricht sich die Anarchistin Louise Michel erstmals öffentlich für die Verwendung der schwarzen Fahne aus. Dies, um sich besser von den autoritären und parlamentarischen SozialistInnen abgrenzen zu können. Am 9. März 1883, anlässlich einer Demonstration von 15‘000 arbeitslosen Personen in Paris, schwenkt Louise Michel eine schwarze Fahne (in Wahrheit einen schwarzen Rock an einem Besenstiel), um die Leute um sich zu vereinen. Ungefähr 500 Personen stürmen anschliessend drei Bäckereien und fordern Brot und Arbeit für alle, bevor sie von der Polizei zerstreut werden. Luise Michel wird daraufhin von den Behörden als Initiantin der Unruhe angesehen und zu Haft verurteilt.

Laut Luise Michel stellt die schwarze Fahne zur damaligen Zeit die Fahne des Streiks dar und Peter Kropotkin, wie auch einige andere, sehen in der anarchistischen Internationalen eine Organisation des Widerstandes und des Streiks. Die enge Verbindung von Streik und anarchistischer Bewegung erklärt die Herausbildung der schwarzen Fahne als spezifisch anarchistische.

Im Jahre 1883 wird in Lyon die anarchistische Zeitung „Le Drapeau Noir“ (frz. Die Schwarze Fahne) ein erstes Mal herausgegeben und erhöht dadurch die Popularität dieses Symbols.

Laut Paul Avrich, einem US-amerikanischen Historiker, erscheint die schwarze Fahne im Jahre 1884 ein erstes Mal in den USA. Aus der militanten Lokalzeitung The Alarm ist zu entnehmen, dass anlässlich einer Demonstration von AnhängerInnen der anarchistischen Internationale in der Nähe des Rednerpultes eine grosse schwarze Fahne neben der traditionellen roten Fahne stand. Beide seien während der anschliessenden Demonstration zuvorderst mitgetragen worden.

Die schwarze Fahne des Anarchismus erhält eine immer klarere Bedeutung: Das Schwarz der AnarchistInnen bedeutet Antinationalismus, da es alle Grenzen negiert. Die weisse Fahne als Kontrast ist das Symbol des Aufgebens, des Sichbeugens – die schwarze Fahne steht dazu in eindeutiger Opposition.

Howard Ehrlich erklärt die schwarze Fahne so: „Warum ist unsere Fahne schwarz? Schwarz ist der Schatten der Negation; die schwarze Fahne ist die Negation aller Flaggen. Es ist eine Verneinung des Nationalismus, welcher die Menschheit gegen sich selbst ausspielt und die Einheit aller Menschen negiert. Schwarz ist die Stimmung der Wut, der Empörung über all die grauenhaften Verbrechen an der Menschlichkeit im Namen der Treue zu dem einen oder dem anderen Staat. Es ist die Wut und Empörung über die Beleidigung menschlicher Intelligenz durch Scheinheiligkeit, Heuchelei und billige Machenschaften der Regierungen. Schwarz ist auch die Farbe der Trauer; die schwarze Fahne, welche die Nationen zu Nichte macht, betrauert die Opfer, die ungezählten Millionen Ermordeten und Kriege im Inneren wie Äusseren zum Ziele noch grösseren Ansehens oder Macht eines Staates. Sie betrauert jene, deren Arbeit ausgebeutet (besteuert) werden für das Abschlachten und die Unterdrückung anderer Menschen. Sie betrauert nicht nur den Tod der Körper, sondern auch die Lähmung des Geistes in autoritären und hierarchischen Systemen; sie betrauert die Millionen stillgelegten Hirnzellen ohne Chance, jemals die Welt zu erhellen. Es ist eine Farbe untröstlichen Schmerzes. Aber Schwarz ist auch schön. Es ist eine Farbe der Bestimmung, der Entschlossenheit, der Stärke, eine Farbe, die alle anderen Farben bestimmt und definiert. Schwarz ist die mysteriöse Umrahmung der Keimung, der Fertilität, des Nährbodens für neues Leben, welches sich stets im Dunkeln bildet, erneuert und reproduziert. Die Saat in der Erde, der seltsame Weg von Spermien, die geheimnisvolle Reifung des Embryos in der Gebärmutter, all dies wird umgeben von schützendem Dunkel“ (Howard Ehrlich, Reinventing Anarchy, again)

Die Machno-Bewegung in der Ukraine hat während den Jahren 1918 – 1921 ebenfalls die schwarze- und teilweise auch die Piratenfahne als Symbol verwendet. Sie kämpfte in Form von 12 Armeen und vertrieb für kurze Zeit einen grossen Teil der zentralisierten Gewalt. Letztlich wurden sie aber von bolschewistischen Truppen massakriert.

Am 13. Februar 1921 fand das Begräbnis von Peter Kropotkin in Moskau statt. Zahlreiche schwarze Fahnen und Transparente mit der Aufschrift: „Wo es Autorität gibt, gibt es keine Freiheit“ begleiteten den Trauerzug. Dieser Tag stellt einer der letzten dar, an welchen schwarze Fahnen in Sowjetrussland noch offen gezeigt werden durften. Zwei Wochen später fanden die Kronstadtrevolten statt, welche ebenfalls von den konterrevolutionären Bolschewiki blutig niedergeschlagen wurden. Dieses Ereignis markierte das Ende des anarchistischen Einflusses auf das sowjetische Russland.

Die schwarze Fahne gilt seitdem klar als anarchistisch. Dies bedeutet jedoch nicht, dass sich einige AnarchistInnen weiterhin als SozialistInnen definieren und deshalb auch noch im 20. Jahrhundert die rote Fahne verwenden. So lässt sich die spätere Verbindung von Rot und Schwarz erklären.

Wie oben bereits erwähnt, besagen einige Quellen, dass 1877 in Letino schwarzrote Fahnen geschwenkt wurden. Desweiteren sollen sie 1879 auch bei anarchistischen Protesten in Mexiko auftauchen. Zum Symbol des Anarchosyndikalismus entwickelt sich die schwarzrote Fahne aber erst nach der Gründung der spanischen anarchosyndikalistischen CNT im Jahre 1910, welche sich die Farbverbindung zu Eigen macht.

Doch die Verwendung der schwarzroten Fahne beschränkt sich nicht nur auf Spanien, sondern weitete sich schon bald auf andere Länder mit Verbindungen zu Spanien aus. So kam es, dass auch ArbeiterInnen in Italien während den „zwei roten Jahren“, welche im Jahre 1920 in zahlreiche Fabrikbesetzungen mündeten, die rotschwarze Fahne gebrauchten. Durch spanische EmigrantInnen wurde die schwarzrote Fahne nach Mexiko und andere lateinamerikanischen Länder exportiert. So ist selbst die schwarzrote Fahne der SandinistInnen, welche im Gegensatz zur anarchosyndikalistischen horizontal und nicht diagonal geteilt ist, von mexikanischen AnarchosyndikalistInnen inspiriert.

Durch den spanischen Bürgerkrieg wird die diagonal geteilte schwarzrote Fahne allgemein zum Symbol des revolutionären Syndikalismus.

Aus anarchosyndikalistischer Sicht verbindet die schwarzrote Fahne die Arbeiterbewegung, die syndikalistische Opposition zum Kapitalismus (rot) mit den anarchistischen Idealen und der anarchistischen Ablehnung des Staates (schwarz). Die Hoffnung bleibt, dass nach einer gelungenen sozialen Revolution auch diese Fahne dereinst überflüssig wird.

Paul Isler

Nachbemerkung: Dieser Text ist eine Adaptation diverser Quellen. Für Interessierte empfehlen sich folgende zwei Artikel, welche beide im CIRA (www.cira.ch) einsehbar sind: DUBOIS, Mayk und Marianne Enckell. 2006. Sur la symbolique anarchiste. Caen: Syndicat intercorporatif anarchosyndicaliste; WHEELING, Jason. 1997. «History of the black flag » in Fifth Estate n° 349

Aus: di schwarzi chatz Nr. 9, Nov./Dez. 2010 (FAU Bern)