Geschichte wird gemacht! Zur Geschichtslosigkeit der Autonomen

Eine brauchbare Geschichtsschreibung der autonomen Bewegungen seit 1980 existiert bislang kaum. Dies ist kein Wunder – ist doch Geschichtslosigkeit eines der seit Jahrzehnten wiederkehrenden Bestandteile linksradikaler und autonomer Selbstkritik. Bernd Hüttner unternimmt eine erste Annäherung an den Stand und die Defizite der Geschichtsschreibung der radikalen Linken. Das Ergebnis ist ernüchternd.

Die Geschichtslosigkeit resultiert aus dem Selbstverständnis autonomer Praxis, das vor allem von Spontaneität geprägt ist, geplante, strategische Politik sowie festere Organisationsformen lange Zeit ablehnte und Theorie (und damit auch Geschichte) vor allem als Legitimation der eigenen Praxis verstand. [1] Hinzu kommt, dass historische Aufarbeitung – und sei es nur auf dem Niveau, dass Ereignisse und Debatten von vor fünf Jahren nachvollzogen werden – nur von Menschen erledigt werden kann, die entweder »dabei« waren und/oder sich für die Beschäftigung mit der Geschichte der eigenen Bewegung einsetzen und sich auch Zeit dafür nehmen. Dies kollidiert mit zwei gravierenden Tatsachen: Erstens ist die Zeitspanne, in der sich die meisten AkteurInnen in der linksradikalen Bewegung aufhalten, relativ kurz und reicht meist kaum über das »schwarz-rote Jahrzehnt« vom 17. bis 27. Lebensjahr hinaus. Dies hat zur Folge, dass ein Interesse für geschichtliche Aufarbeitung nicht entsteht und die »Nachfrage« nach geschichtlichen Themen relativ gering ist (was wiederum die Veröffentlichungspolitik der Verlage beeinflusst). Zweitens sind es nur Einzelpersonen und Kleingruppen wie politische Gruppen, die sich für die Aufarbeitung der Geschichte einsetzen. Auch die Bewegungsarchive machen jenseits der Betreuung ihrer wenigen NutzerInnen keine offensive historische Bildungsarbeit. Ein kollektives Gedächtnis kann sich so nur beschwerlich bilden.

Nostalgiefaktor

Bei den Publikationen, die versuchen, sich der Geschichte der linksradikalen Bewegungen in Buchform zu nähern, sind die zuerst zu nennen, die ihre Bedeutung allein schon dadurch erlangten, dass sie lange Zeit die einzigen waren, die es überhaupt gab. Am wichtigsten sind die Veröffentlichungen des Berliner Autonomen-Häuptlings Geronimo. Von ihm liegen zwei Bände zur Geschichte der Autonomen und der dritte Band seiner Trilogie vor.[2] 1997 erschien ein weiterer fundierterer Beitrag über die Autonomen.[3] Im Frühjahr 2001 ist eine Dissertation erschienen, die leider nicht mehr berücksichtigt werden konnte.[4] Darüber hinaus gibt es zahlreiche Dokumentenbände (z.B. zur RAF, zu den Revolutionären Zellen / Rote Zora oder zur Frankfurter studentInnenzeitung diskus) und einige, größtenteils vergriffene, Bücher zu einzelnen Teilbereichsbewegungen, etwa zur Internationalismus- oder zur Anti-AKW-Bewegung.

Die vorliegenden Beiträge zur Geschichte der radikalen Linken handeln ereignis- und politikgeschichtlich die großen Debatten, die Zeitschriften, Demonstrationen und Kampagnen ab – oder sie sind als Nachdruck im Grunde eine Dokumentation. Dazu gehört z.B. das Buch über linksradikale Plakate, das zwar stellenweise treffende Analysen enthält, aber seinen Verkaufserfolg wesentlich dem Nostalgiefaktor verdankt.[5] Die Defizite hängen auch mit der Quellenlage zusammen: Schriftliche Quellen sind die wichtigsten, Diskurse sind später am leichtesten in ihrer verschriftlichten Form nachzuvollziehen. Die Quellenlage ergibt aber unter Umständen ein schiefes Bild. So wird »die« Theoriebildung »der« Autonomen dann oft anhand von Zeitschriften – wie etwa Autonomie (Neue Folge) – rekonstruiert, von deren Existenz oder gar Inhalten die meisten Autonomen wenig bis keine Ahnung gehabt haben dürften.

Die bisherigen erwähnten Bücher sind notwendig, die Dokumentenbände unabdingbar – sie reichen aber bei Weitem nicht aus, um die vielfältigen politischen Szenen und Strömungen, die persönlichen Motivationen der (damals) Handelnden und ihre Alltagskultur sichtbar werden zu lassen. Die schriftlichen Quellen spiegeln ja bei weitem nicht die vielfältigen Realitäten wider. Zwei bekanntere literarische Versuche überzeugen wenig, da sie vor allem von der Spannung leben, die aus der extremen polizeilichen Verfolgung der männlichen Protagonisten resultiert [6] – eine Situation die kaum repräsentativ ist – erst recht unter gender-Gesichtspunkten. Ein Roman von Michael Wildenhain ist als eindrückliche, ja gar beklemmende Schilderung über die militante Bewegung der 80er Jahre und ihren Niedergang von höherem Quellenwert.[7] Er schildert den langsamen Zerfall eines autonomen Zusammenhanges und die damit verbundenen psychischen Prozesse und Dynamiken.

Ein sehr gelungener Versuch einer Geschichtsschreibung »von unten« ist das Buch zum Autonomie-Kongress 1995, in dem Angehörige verschiedener Altersstufen in Interviews über ihre politischen Biografien reflektieren.[8] Dadurch kommt viel von den individuellen Motivationen, Deutungsmustern und Visionen an die Öffentlichkeit. Dies ist ebenfalls in einer Veröffentlichung über verschiedene Strömungen der regionalen antirassistischen Szene der Fall – hier werden Interviews mit 13 engagierten AntirassistInnen der Textanalyse hinzugefügt.[9] Der Nachdruck der Geschichtsserie aus der viel gelesenen autonomen Zeitschrift radikal ist ein beachtenswerter Versuch, Geschichte ab der Weimarer Republik umfassend aus einer sozialrevolutionäreren Perspektive zu schreiben und dabei für jüngere LeserInnen noch halbwegs verständlich zu bleiben.[10] Die Serie "Gegen das Vergessen" endet jedoch Mitte/Ende der 50er Jahre und damit just an dem Zeitpunkt, an dem eine Zeitgeschichte der radikalen Linken beginnen könnte.

Bücher als Quellen sind auch nach Jahren noch einigermaßen greifbar oder über Antiquariate und szenenahe Versandunternehmen wie Anares-Medien, Che und Chandler oder das Antiquariat Schwarzer Stern erhältlich.[11] Anders sieht es mit dem weiten und unübersichtlichen Markt so genannter grauer Literatur, vor allem Broschüren, aus. In dieser schnell vergänglichen Form gibt es Dutzende von Textsammlungen, Interviews und anderen Texten zur Geschichte der linken und linksradikalen Bewegungen. Das gleiche gilt für Einzeltexte, die jedoch noch schwerer greifbar sind, da sie sich, etwa in autonomen Regionalzeitungen oder Themenzeitschriften, zwischen anderen Artikel »verstecken«. Hinzu kommt, dass ältere Veröffentlichungen meist nur noch in Infoläden oder Archiven [12] zugänglich sind.

So gesehen steht die Geschichtsschreibung der radikalen Linken heute noch veraltet dort, wo die Geschichtsschreibung der Arbeiterbewegung Mitte der 70er Jahre stand: vor der Neuerung durch die Alltagsgeschichte [13], die oral history. In den 80er Jahren gab es in der BRD eine relativ große Bewegung von Geschichtswerkstätten, in denen sich feministische, gewerkschaftliche und anders motivierte alternative (Hobby-)HistorikerInnen zusammengeschlossen hatten und die sich als Teil der neuen sozialen Bewegungen verstanden. Sie brachten die Geschichte derjenigen Schichten und Klassen in die Öffentlichkeit, die bislang von der etablierten Geschichtsschreibung ausgeschlossen waren: Die sog. Unterschichten, Frauen, die nicht organisationsgebundenen Strömungen und Aktionsformen der ArbeiterInnenbewegung usw. Dabei verwandten sie unter anderem die neue Methode der oral history. Durch Befragungen von ZeitzeugInnen nutzten sie erfolgreich »andere« Quellen der Geschichtsschreibung und rückten diese überhaupt erst als Quellen ins Bewusstsein. Die traditionelle Geschichtsschreibung hatte vor allem geschriebene Dokumente, etwa (meist amtliche) Akten aus Archiven oder Zeitungen als Quellen genutzt. Die AktivistInnen der Geschichtswerkstätten setzten dem das Motto »Grabe (= forsche) wo du stehst« entgegen und untersuchten die Geschichte ihres Betriebes oder Stadtteils.

Es ist höchste Zeit, das Defizit der linksradikalen Geschichtsschreibung in diesem Sinne aufzuheben, sich von der tendenziell patriarchalen Ereignis- und Politikgeschichte zu verabschieden und z.B. eine (Alltags-) Geschichte der linksradikalen Bewegungen in verschiedenen Regionen zu schreiben, biografische Interviews als Quellen zu entdecken und so z.B. die individuell-kollektiven Sozialisationsverläufe, Deutungsmuster und Motivationen zu erforschen. Die Geschichte(n) der radikalen Linken in diesem Sinne sind erst noch zu schreiben. Eine kleine Hilfe können dabei die mehr oder weniger akademischen Zeitschriftenprojekte sein, die hier kurz vorgestellt werden. Sie werden entweder von sich als kritisch oder gar »links« verstehenden WissenschaftlerInnen, meist HistorikerInnen, produziert und/oder widmen sich der Geschichte der ArbeiterInnen(-bewegung), der Frauen und der »kleinen Leute«.

Arbeiterbewegung

Die erste der großen hier in Frage kommenden Zeitschriften ist die IWK. Internationale wissenschaftliche Korrespondenz zur Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung. [14] Sie ist die wichtigste sozialdemokratische Zeitschrift zum Thema und entstammt dem universitären Milieu. In den 70er Jahren war die Beschäftigung mit der Geschichte der Arbeiterbewegung und der Arbeiterkultur weiter verbreitet als heute, so dass die IWK ihre besten Zeiten bereits hinter sich hat. Inhaltlich reicht das Spektrum von AnarchistInnen über Nationalsozialismus und ArbeiterInnen in der DDR bis hin zu christlichen Gewerkschaften oder Genossenschaften. Die IWK veröffentlicht regelmäßig eine Übersicht über Forschungsprojekte zur Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung.

Die Beiträge zur Geschichte der Arbeiterbewegung [15] waren vereinfacht ausgedrückt das inhaltlich-ideologische Pendant zur IWK in der DDR. Der entscheidende Unterschied war der, dass die BzG vom Institut für Marxismus-Leninismus beim ZK der SED herausgegeben wurde und die IWK weniger instutionelle Unterstützung erhielt und daher unabhängiger war. Nach dem Anschluss existierte die BzG weiter und hat mittlerweile etliche Verlagswechsel hinter sich. Inhaltlich ist das Themenspektrum der publizierten Beiträge enger als in der IWK, was unter anderem am (Über-)Gewicht liegen dürfte, das pensionierte oder entlassene DDR-Historiker unter den AutorInnen der BzG haben. Viele Beiträge a la "Die Holzarbeiter in Sachsen 1848-1878" (die es aber auch in der IWK gibt) sind wirklich nur noch von historischem Interesse.

Der Marxistische Arbeitskreis zur Geschichte der Arbeiterbewegung bei der Historischen Kommission der PDS gibt mit GeschichtsKorrespondenz [16] ein kleines, aber nur bedingt brauchbares Periodikum heraus, das kostenlos bezogen werden kann.

1999. Zeitschrift für die Sozialgeschichte des 20. und 21. Jahrhunderts ist die wichtigste, sich ausdrücklich als kritisch-links verstehende historische Zeitschrift. [17] 1999 hat den zeitlichen Schwerpunkt Nationalsozialismus und Nachkriegszeit, thematisch vor allem Wirtschafts- und Sozialgeschichte. Sie wird von der früher in Hamburg und mittlerweile in Bremen angesiedelten Stiftung für Sozialgeschichte herausgegeben. Diese Stiftung wird vor allem von Angelika Ebbinghaus und Karl Heinz Roth getragen. Roth hat seit ca. 1967 eine lange Geschichte in der radikalen Linken und galt in den 70er und 80er Jahren als einer der Vordenker der Spontis und später der Autonomen. Die Hamburger Stiftung gab in den 80er Jahren, damals noch unterstützt von Jan Reemtsma, wichtige Dokumentenbände etwa zur Geschichte von Daimler-Benz im Dritten Reich oder zu den zaghaften Bemühungen einer us-amerikanischen antifaschistischen Politik im Nachkriegsdeutschland heraus.

Als letzte ist die Zeitschrift ARCHIV für die Geschichte des Widerstands und der Arbeit zu nennen. [18] Diese immer mehr das Gewicht eines Ziegelsteins annehmende Zeitschrift veröffentlicht Beiträge zu unbekannten Strömungen, Aktionen und Personen der Arbeiterbewegung, aber auch Beiträge zur aktuellen Auseinandersetzung um politische Perspektiven, z.B. zur Kritik der Werttheorie von Robert Kurz. Sie enthält einen sehr umfangreichen Teil mit Buchbesprechungen, der einen guten und kritischen Überblick über die erschienene relevante Literatur bietet. Ein Nachteil ist hierbei die unregelmäßige Erscheinungsweise, die zur Folge hat, dass meist zwei oder drei Jahre alte Bücher rezensiert werden. Der nicht ganz niedrige Preis ist beim ARCHIV aber sehr gut angelegt, da es mit seiner linkskommunistischen Perspektive politisch sympathisch positioniert ist.

Geschichte von unten

Der Zusammenschluss der schon erwähnten Geschichtswerkstätten gab ab Mitte der 80er Jahre die 1992/93 eingestellte Zeitschrift Geschichtswerkstatt heraus. In einem unübersichtlichen Prozess entstand 1992 daraus die noch heute erscheinende WerkstattGeschichte. Zeitschrift für Alltagsgeschichte. [19] Die Zeitschrift enthält im Gegensatz zu ihrer Vorgängerin keine Beiträge von NichtakademikerInnen und ist mittlerweile zu einem politisch harmlosen Forum universitätsbezogener Publikationspraxis geworden. Es dürfte nicht sehr gewagt sein zu vermuten, dass die Umgründung 1992 vor allem von den Leuten betrieben wurde, die Interesse daran hatten, aus der damals kleiner gewordenen Bewegung der Geschichtswerkstätten noch ein Pfund im Kampf um universitäre Posten zu machen. Gleichwohl darf nicht übersehen werden, dass das immergleiche unkritische Wiederkäuen einer alternativen Heimatgeschichte, wie die Geschichtswerkstättenarbeit vielerorts aussah, auch nicht gerade politisch fortschrittlich und methodisch innovativ war. Die Innovationswirkung, die die Alltagsgeschichte in der Geschichtswissenschaft hatte, hat sich mit der Zeit aufgebraucht, in gewisser Weise hat sie heute ohnehin Eingang in den etablierten Kanon gefunden.

Für das Forschungsjournal Neue Soziale Bewegungen  [20] gilt dasselbe. Es wurde schon von WissenschaftlerInnen gegründet, die Interesse an Bewegungsforschung (Das gibt es wirklich als politikwissenschaftliche Forschungsrichtung!) hatten und entfernte sich zunehmend von ihren noch halbwegs spannenden thematischen Heften der ersten Jahrgänge, die sich z.B. neuen sozialen Bewegungen (nsB) und Medien oder nsB und Gewalt oder nsB im ländlichen Raum widmeten. Von Zeit zu Zeit finden und fanden sich auch Artikel zur Geschichte der sozialen Bewegungen. Heute ist das Journal vor allem eine Plattform für modische Teildisziplinen aus Politikwissenschaft, Soziologie und Sozialpsychologie und gibt für eine Geschichtsschreibung der radikalen Linken nichts her.

An Medien-Projekten, die vorrangig lokale oder regionale Inhalte haben und einige der Endmoränen der Bewegung für eine »Geschichte von unten« darstellen, sind zwei bekannt: Arbeiterbewegung und Sozialgeschichte. Zeitschrift für die Regionalgeschichte Bremens erscheint in Bremen.[21] Sie enthält nur Beiträge zur Geschichte Bremens und wurde entgegen dem Trend des Bedeutungsverlustes von Sozialgeschichte und kritischer Geschichtspolitik erst 1998 neu gegründet. Geschichte quer ist die Zeitschrift der bayrischen Geschichtswerkstätten [22] und steht in der Tradition der Geschichtswerkstättenbewegung. Die Zeitschrift berichtet aus der Arbeit bayrischer Geschichtswerkstätten in Metropole und Provinz. Es ist schade, dass es nicht auch für andere Bundesländer oder Regionen vergleichbare Projekte gibt.

Feministische Geschichte

An Projekten zur Frauen- und feministischen Geschichte sind mir drei bekannt, die ich allerdings sehr unregelmäßig verfolge. Da ist zum einen Metis. Zeitschrift für historische Frauenforschung und feministische Praxis. [23] Sehr akademisch ist L´homme. Zeitschrift für feministische Geschichtswissenschaft.[24] Beide Zeitschriften behandeln häufig Themen aus der Frühen Neuzeit oder dem Mittelalter und haben große Sympathie für kulturwissenschaftliche Ansätze. Ariadne schließlich ist der Almanach des Archivs der ersten deutschen Frauenbewegung [25] und berichtet vor allem über die Frauenbewegung bis 1933 und feministische Archivarbeit.

Die bislang aufgezählten Projekte enthalten von Zeit zu Zeit Beiträge, die für eine Geschichte der (radikalen) Linken von Interesse sind. Zum einen, indem sie allgemeine Probleme der Geschichtsschreibung und der Geschichtspolitik diskutieren. Zum anderen, indem sie historische Vorläufer (soweit es sie gibt) der Linken vorstellen und nicht zuletzt, indem sie an der Geschichtsschreibung der Linken selbst mitwirken. Beim Schreiben dieses Textes wird nochmals deutlich, wie viele Zeitschriften zu historischen Themen es gibt – es dürften über 100 sein: Ein erster Überblick findet sich auf de Internetseiten von H-Soz-u-Kult, einem Netzprojekt halbkritischer akademischer Sozial-, Wirtschafts- und KulturgeschichtlerInnen. Dort sind auch detaillierte Inhaltsangaben einiger Jahrgänge der meisten Zeitschriften abrufbar. [26]

Nationalsozialismus

Da der Nationalsozialismus und seine Folgen für Ökonomie, Gesellschaft und Mentalitäten für die deutsche Geschichte sehr wichtig sind, sollen noch wenigstens fünf Zeitschriften dazu kurz vorgestellt werden. Sie bringen keine Beiträge zur Geschichte der (radikalen) Linken, aber öfter Beiträge zu kritischer Geschichtsarbeit und Geschichtspolitik. Das Fritz Bauer Institut, ein von der Stadt Frankfurt und dem Land Hessen gesponsortes Forschungsinstitut zur Geschichte und Wirkung des Holocaust, gibt halbjährlich ein Bulletin heraus, das kostenlos bezogen werden kann und hauptsächlich aus Eigenwerbung besteht. [27] Die Dachauer Hefte sind eine interessante Buchreihe mit Beitragen zum Konzentrationslager Dachau, aber auch zu anderen Lagern. [28] Das aktuelle Heft widmet sich den vielfältigen Aspekten der Zwangsarbeit. Beiträge zur Geschichte der nationalsozialistischen Verfolgung in Norddeutschland werden von einigen Gedenkstätten im norddeutschen Raum herausgegeben. [29] Sie veröffentlichen nicht nur Artikel zur Verfolgung, sondern auch zur Nachkriegszeit oder zu den Problemen von Gedenken und musealer Aufbereitung des NS heute. Die Beiträge zur Geschichte des Nationalsozialismus hießen bis zur Nummer 15 noch Beiträge zur nationalsozialistischen Gesundheits- und Sozialpolitik. [30] Sie waren eine Zeitschrift einer kleinen Gruppe linksradikaler, in sozialrevolutionärer Tradition stehender HistorikerInnen (u.a. Susanne Heim, Götz Aly oder Ahlrich Meyer). Die Beiträge erforschen (ähnlich wie die erwähnte 1999) den Zusammenhang von Modernisierung und Vernichtung. Die Artikel lassen sich nicht mal eben im Vorbeigehen lesen, sondern sind schon relativ anspruchsvoll und detailliert und damit eher etwas für SpezialistInnen. Ob sich durch den mit Nr. 16 erfolgten Redaktions- und Namenswechsel auch eine inhaltliche Neuausrichtung ergeben wird, ist nach einer Ausgabe noch nicht zu entscheiden. Ein Überbleibsel der DDR-Geschichtswissenschaft ist das vor allen von ehemaligen DDR-Historikern betriebene Bulletin für Weltkriegs- und Faschismusforschung. [31] Es ist das einzige Organ, das sich von einer ausdrücklich als links verstehenden Position mit dem zweiten Weltkrieg und dem Nationalsozialismus befasst. Es ist eher für SpezialistInnen geeignet, überzeugt aber durch seinen antikapitalistischen und antifaschistischen Anspruch.

Resümee

Als Resümee lässt sich festhalten: Die akademische Geschichtsschreibung ist mit Geschlechter-, Alltags- und Mentalitätengeschichte innovativer als die Geschichtsschreibung über die/aus den linksradikalen Bewegungen. Dies mutet erst recht vor dem Hintergrund, dass sich Linksradikale immer einer Sicht »von unten« und der Einheit von Politik und Alltag verschrieben haben, recht befremdlich an. Während die 68er und 78er noch fleißig, anschaulich und bisweilen sehr amüsant ihre Anpassung an die Verhältnisse veröffentlichten [32] und so interessante Dokumente lieferten, scheinen viele Autonome und andere Linksradikale ihre Biografien lieber vergessen oder kaschieren zu wollen. Sie möchten aus ihrer heutigen Position als Fremdenverkehrsmanager, Doktorandin, Drogenhilfe-Modellprojekts-Chef, Journalistin oder UniversitätspressestellenmitarbeiterIn wohl nicht mehr an die alten Zeiten erinnert werden.

von Bernd Hüttner

Anmerkungen:
[1] zu Theorie und Praxis der Autonomen vergl. einführend Bernd Hüttner: Pfeifen im Keller. Stand, Bewegung, Differenzen und Aussichten autonomer und linksradikaler Politik. In: Forum Wissenschaft 4/1998 sowie grundsätzlich Geronimo: Feuer und Flamme. Zur Geschichte der Autonomen, 4. veränderte Auflage, Berlin 1995 (zuerst 1990)
[2] Vgl. Geronimo 1995, ders.: Feuer und Flamme 2, Berlin 1992, ders.: Glut und Asche, Münster 1997
[3] Almut Gross/Thomas Schultze: Die Autonomen, Hamburg 1997
[4] Jan Schwarzmeier: Die Autonomen zwischen Subkultur und sozialer Bewegung (Bezug über http://www.die-autonomen.de/ ). Rezension vorauss. in FW 4/01
[5] HKS 13 (Hrsg): hoch die kampf dem, Hamburg/Berlin 1999
[6] Tomas Lecorte: Wir tanzen bis zum Ende. Die Geschichte eines Autonomen, Hamburg 1992; Raul Zelik: Friss und stirb trotzdem, Hamburg 1997
[7] Michael Wildenhain: Die kalte Haut der Stadt, zuerst Berlin 1991
[8] noch erhältlich über AurorA, http://www.aurora.partisan.net/
[9] Sabine Hess/Andreas Linder: Antirassistische Identitäten in Bewegung, Tübingen 1997
[10] GdV-Team (Hrsg.): Gegen das Vergessen, Münster 1999
[11] www.anares.org/nord ; http://www.che-chandler.com/ ; www.free.de/gi/antiquariat
[12] Zu Archiven, die sich der Sammlung von Dokumenten der Protestbewegungen verschrieben haben, siehe Bernd Hüttner: Archive der neuen sozialen Bewegungen, in: Beiträge zur Geschichte der Arbeiterbewegung 4/2000, S.109-114 oder http://www.archivbremen.de/
[13] Statt vieler: Ernst Bruckmiller (Hg.): Alltagserfahrungen in der Geschichte Österreichs, Wien 1998
[14] www.hth-berlin.de/iwk ; seit 1965, vierteljährlich, 152 S., 20 DM, ermäßigt 15 DM, Adresse: FU Berlin, OSI, IWK-Redaktion, Ihnestr. 22, 14195 Berlin; Auflage ca. 800
[15] www.trafoberlin.de/geschichte-der-arbeiterbewegung , seit 1959, vierteljährlich, 148 S. A 5, 10 DM, Trafo Verlag Weist, Finkenstr. 8, 12621 Berlin
[16] www.pds-online/marxistischer_arbeitskreis
[17] seit 1986, halbjährlich, ca. 192 S., 35 DM, Verlag: Peter Lang AG, Jupiterstr. 15, CH-3000 Bern 15, Redaktion: Zeitschrift 1999, Postfach 101205, 28012 Bremen, Auflage ca. 800 Ex.
[18] http://www.isf-freiburg,org/ ; seit 1980, unregelmäßig, zuletzt 2001, 876 S., 44 DM, Redaktion: Wolfgang Braunschädel, Hustadtring 33, 44801 Bochum
[19] seit 1992, 3 x jährlich, 132 S., 20 DM, Ergebnisse Verlag, Abendrothsweg 58, 20251 Hamburg
[20] http://www.fjnsb.de/ , seit 1988, vierteljährlich, 136 S. A 5, 25 DM, Verlag Lucius & Lucius, Gerokstr. 51, 70184 Stuttgart
[21] www.archivpaedagogen.de/bremen/aus6.htm , seit 1998, halbjährlich, ca. 88 S. A 5, 12 DM, H.-G. Hofschen, Wielandstr. 17, 28203 Bremen
[22] seit 1992, jährlich, 60 S. A 4, 10 DM, Alibri Verlag, Postfach 100361, 63703 Aschaffenburg
[23] http://www.metis-online.de/ ; seit 1992, halbjährlich, ca. 140 S. A 5, Verlag Edition Ebersbach
[24] www.univie.ac.at/Geschichte/LHOMME , seit 1990, halbjährlich, ca. 132-164 S., ca. 39 DM
[25] www.uni-kassel.de/frau-bib/publikationen.htm , seit 1985, halbjährlich, 72 S., 24 DM
[26] www.sozkult.geschichte.hu-berlin.de/zeitschr.htm . H-Soz-u-Kult unterhält auch eine Mailingliste, die über 4000 TeilnehmerInnen hat
[27] http://www.fritz-bauer-institut.de/
[28] seit 1984, jährlich, ca. 226 S., 26 DM, Verlag Dachauer Hefte, Alte Römerstr. 75, 85221 Dachau
[29] www.hamburg.de/Neuengamme/Publikationen/schriftenreihe.html ; seit 1994, jährlich, ca. 200 S., 19,90 DM, Verlag Edition Temmen, Hohenlohestr. 21, 28209 Bremen
[30] http://www.beitraege-ns.com/ ; seit 1985, jährlich, ca. 188 S., 28 DM, Verlag Schwarze Risse, Gneisenaustr. 2a, 10961 Berlin
[31] seit 1993, halbjährlich, ca. 144 S. A 5, 15 DM, Argument-Vertrieb, Reichenbergerstr. 150, 10999 Berlin, Auflage ca. 200
[32] Ich denke etwa an die Bücher von Matthias Horx oder an Reinhard Mohr: Zaungäste. Die Generation, die nach der Revolte kam, Frankfurt 1992 über die Alterskohorte, die heute das rot-grüne Regime trägt

Der Artikel erschien im Forum Wissenschaft, 3/01 und ist eine Spiegelung von http://www.bdwi.de/forum/fw3-01-57.htm Bernd Hüttner, Politologe, ist Gründer des Archivs der sozialen Bewegungen Bremen (www.archivbremen.de) und Mitglied des Beirats der Rosa-Luxemburg-Initiative, Bremer Forum für Bildung und Gesellschaftskritik.

Originaltext: www.trend.partisan.net/ (Ausgabe 9/2002)