"Recht auf Arbeit" oder "Recht auf Faulheit"?

Über die Frage ob es sich lohnt, die Arbeitslosigkeit zu bekämpfen

Dieser Artikel will sich mit einem Gedankenexperiment befassen, welches schon vor hunderten von Jahren seinen Anfang fand. Der Gedanke an ein Recht auf Faulheit ist zwar fast zu keiner Zeit von den Menschen als legitim aufgefasst worden, jedoch verhieß Arbeit durch alle vormoderne Zeiten und in den meisten Kulturen nichts Gutes. Arbeit, griechisch: ponos, das ist Pein, Mühsal und Plage. Arbeit, lateinisch: labor, das ist Mühe und "das Wanken unter einer schweren Last". Erst im protestantischen Beginn des Kapitalismus hat sich das heutige Bild der Arbeit herauskristalisiert. Im Mittelalter gab es eine Vielzahl religiöser Feiertage, 38 in Frankreich und 52 in Bayern, welche mit der "Befreiung aus dem Joch der Kirche" auf ganze 17 reduziert wurden. Diese Befreiung war in diesem Fall nur eine Verschiebung der Unfreiheit. Trotz der Modernisierung der Produktionsmittel und der allgemeinen Verbesserung der Arbeitsbedingungen sind (unbezahlte) Überstunden heute an der Tagesordnung, oft hängt davon ab, ob mensch seinen oder ihren Job behalten kann.

Häufig schämen sich Menschen, welche ihre Arbeit verloren haben vor ihren Mitmenschen. Nicht selten täuschen sie Betriebsamkeit vor, indem sie morgens mit ihrer Aktentasche das Haus verlassen. Bill Clinton sagte 1998: "Jede Arbeit ist besser als keine Arbeit". Die Arbeit wird als sinnstiftend angesehen, mensch ist was mensch tut. Und nur entlohnte Arbeit ist auch wirkliche Arbeit. Alles andere wird in den Hobby- und Freizeitbereich abgeschoben. Michael Liebler von Radio Z in Deutschland schreibt in Erwiderung auf Bundeskanzler Schröders Ausspruch, dass es kein Recht auf Faulheit gäbe: "Wenn ich mir ein Schnitzel in die Pfanne haue, dann ist das Arbeit. Aber: Einwand! Eine egoistische Arbeit, die nur mir selbst nutzt. Wenn ich aber für 10 Leute Schnitzel brate, ist das dann wohl die Arbeit, die Schröder gut findet? Nein, Schnitzel braten gehört in das Reich der Freizeit und Freizeit darf nur genießen, wer auch anständig schuftet. Die Arbeitslosen, so die landläufige Meinung, sollen gefälligst unter ihrer übermässigen Freizeit leiden."

Aber den Arbeitslosen kann geholfen werden - auf die eine oder andere Art. Moderne Zwangsarbeit zum Hungerlohn soll jene(r) Arbeitslose leisten, welche(r) sich nicht gleich mit dem erstbesten "Drecksjob" zufrieden gibt. Einige Jahre nachdem das Buch "Die Globalisierungsfalle" auf den Markt kam, behaupten nun viele, die beschriebene Massenarbeitslosigkeit von 80% würde nie kommen. Derzeit wird auch mit aller Gewalt seitens der Regierungen versucht, den Fetisch Vollbeschäftigung aufrechtzuerhalten, wobei sie in dieser Bestrebung von den Ökonomen unterstützt werden, beispielsweise mit der Behauptung, die Existenz von Niedriglöhnen sei notwendig, da die Arbeitslosigkeit die Folge zu hoher Löhne vor allem bei ungelernten Arbeitskräften sei. Die ehemalige neuseeländische Finanzministerin Ruth Richardson bezeichnet Tarifverträge oder Gesetze mit Mindeslohnelementen und einen ausgebauten Sozialstaat als "Verschwörung gegen die Arbeitslosen". Der Würzburger Ökonom Berthold sagt, daß wir heute "offenbar nur die Wahl zwischen zwei Übeln haben: Arbeitslosigkeit oder ungleich verteilte Einkommen".

"Arbeit macht frei"(*)?

Es gilt zu erkennen, dass ein MacJob kein guter (Wieder)Einstieg in den Arbeitsmarkt ist, sondern ein Abschlittern in eine Art moderne Sklaverei. Im UnternehmerInnen-Deutsch heißt Flexibilität einfache Kündbarkeit und problemloses Beschaffen von Arbeitskräften. Mit so genannten Personalmanagement - Betrieben ist dies heute schon verwirklicht. Billige Arbeitskräfte ohne Vertrag und ohne politische Macht und gewerkschaftliche Organisierung warten nur darauf am Strassenrand abgeholt und wieder abgesetzt zu werden - je nach Bedarf. Und die Ökonomen? Reden von StandortqualitätÉ und meinen damit oben Beschriebenes, die Wirtschaftskammer spricht hierbei von einem "Pool qualifizierter Fachkräfte."

Bei dem statistischen Regierungsziel der Vollbeschäftigung kommt es nicht auf die Frage nach dem volkswirtschaftlichen Sinn oder gar auf die Qualität der Arbeit an. Auch ein "MacJob" als Tütenschlepper darf demnach als gesellschaftlich wertvolle Arbeit gelten. Nun macht Arbeit noch lange nicht frei, sondern mitunter sogar arm. Die Leistungsgesellschaft ist nach wie vor nicht bereit notwendige Arbeit zu bezahlen. Für die Arbeit von Hausfrauen/ männern und Müttern/Vätern gibt es keine Entlohnung. Stattdessen wird es bei der gesellschaftlichen Ächtung solcher Arbeit geradewegs zum paradoxen Privileg überlasteter Erziehender, wenigstens noch eine Teilzeitarbeit zu finden. Dass Arbeit längst nicht Arbeit ist, demonstriert auch die Behandlung gemeinnütziger Tätigkeiten. Hier gibt es kein Bewertungssystem, das solche Arbeiten noch so attraktiv halten könnte, wie es eine immer mehr entsolidarisierte Gesellschaft so dringend nötig hätte, um auch einen Output jenseits von Börsennotierungen zu definieren.

Ein Hoch auf die Faulheit

Trotz der Erkenntnis, dass die meiste Lohnarbeit erniedrigend, unkreativ und sogar gesundheitsschädlich ist, schreien die Gewerkschaften nach mehr Arbeitsplätzen - kein Wunder, ist mensch in diesem System, welches auf dem Warenkauf basiert, nur dann etwas wert, wenn er oder sie die Möglichkeit besitzt etwas zu erwerben. Und dies setzt den Besitz von Geld voraus welches wiederumÉ und so weiter. Schon 1848 schrieb La Fargue in seinem sarkastischen Manifest "Für ein Recht auf Faulheit": "Eine seltsame Sucht beherrscht die Arbeiterklasse aller Länder, in denen die kapitalistische Zivilisation herrscht, eine Sucht, die das in der modernen Gesellschaft herrschende Einzel- und Massenelend zur Folge hat. Es ist dies die Liebe zur Arbeit, die rasende, bis zur Erschöpfung der Individuen und ihrer Nachkommenschaft gehende Arbeitssucht. Und doch haben die bürgerlichen Ökonomen und Philosophen samt und sonders ekelerregende Loblieder auf den Gott Fortschritt, den ältesten Sohn der Arbeit, angestimmt."

Auch die Ökonomen kriegen, wie die Marktwirtschaft selbst, ihr Fett ab: "Arbeitet, arbeitet, Proletarier, vermehrt den Nationalreichtum und damit euer persönliches Elend. Arbeitet, um, immer ärmer geworden, noch mehr Ursache zu haben, zu arbeiten und elend zu sein. Das ist das unerbittliche Gesetz der kapitalistischen Produktion. [É] Dadurch, dass die Arbeiter den trügerischen Redensarten der Ökonomen Glauben schenken und Leib und Seele dem Dämon Arbeit verschreiben, tragen sie selbst zu jenen industriellen Krisen bei, wo die Überproduktion den gesellschaftlichen Organismus in krankhafte Zuckungen versetzt".

Trotzdem sieht La Fargue das Problem nicht bei der Klasse der Kapitalisten sondern eher im System. Seiner Meinung nach ist die Arbeiterklasse auf das Motto "Arbeit und Enthaltsamkeit" hereingefallen und "so sieht sich die Kapitalistenklasse zu erzwungener Faulheit und Üppigkeit, zur Unproduktivität und Überkonsum verurteilt. Und wenn die Überarbeit des Proletariers seinen Körper abrackert und seine Nerven zerrüttet, so ist sie für den Bourgeois nicht minder fruchtbar an Leiden: er muss seinen ehemals bescheidenen Bedürfnissen Zwang antun, muss die ihm seit zwei Jahrhunderten zur Gewohnheit gewordene Arbeitsamkeit sich abgewöhnen und sich einem zügellosen Luxus, der Ausstopfung mit Trüffeln, sowie syphilitischen Ausschweifungen ergeben. Er muss zudem eine enorme Masse Menschen der produktiven Arbeit entziehen, um sich Mitesser zu verschaffen." Als Beispiele für die genannten Mitesser werden Polizisten genannt, welche die Arbeit übernehmen, den angehäuften Luxus zu schützen.

Das Problem der globalen Wirtschaft, welche damals schon ihren Anfang nahm, wird so gezeichnet: "im Grunde besteht das Problem, kaufkräftige Konsumenten zu finden; das Problem, diese zu finden, erhöht sich mit schwindendem Lohn der Arbeiter. Und da die europäischen Arbeiter, vor Hunger und Kälte zitternd, sich weigern, die Stoffe, die sie weben, selbst zu tragen, das Korn, das sie bauen, selbst zu verzehren, so sehen sich die armen Fabrikanten genötigt, jährlich Hunderte von Millionen und Milliarden an Wert nach allen vier Enden der Welt für Völker zu exportieren, die nicht wissen, was sie damit anfangen sollen". Als Beispiel dafür, was La Fargue hier meinte, könnte die Epoche der Kolonialisierung dienen, in der die kolonialisierten Länder nicht nur ausgebeutet wurden, sondern auch gezwungen wurden, die in Europa produzierten Waren wieder zu kaufen. Dieser Zwang war nicht nur ein, wie meist heutzutage, subtiler sondern auch real gewalttätiger. So wurde die indische Stoffindustrie regelrecht zerstört, um einen Absatzmarkt für das in Großbritannien überproduziert hergestellte Tuch zu bekommen.

Weiters ist die durch den technischen Fortschritt erreichte Verbesserung seiner Meinung nach nicht eingetreten, nicht zuletzt wegen der Versteifung auf die menschliche Arbeitskraft: "O ihr Idioten! Weil ihr zu viel arbeitet, entwickelt sich die industrielle Technik zu langsam. Um die Kapitalisten zu zwingen, ihre Maschinen von Holz und Eisen zu vervollkommnen, muss man die Löhne der Maschinen von Fleisch und Bein erhöhen und die Arbeitszeit derselben verringern." Was für Maschinen hätten wir wohl heute, wenn diese Forderung damals verwirklicht worden wäre? Dies widerspricht wiederum der von der Ökosteuerreform angestrebten Veränderung - hier sollte mensch sich überlegen, ob eine Entsteuerung der Arbeit, und damit eine Mehrnutzung der menschlichen Arbeitskräfte überhaupt sinnvoll ist - und ob eine ökologische Reform nicht auch ohne mehr Arbeit auskäme. La Fargue meinte damals, eine radikale (Um-)Verteilung des gesellschaftlichen Reichtums würde es ermöglichen, die Arbeitszeit unter Verbot auf tägliche 3 Stunden zu verkürzen. Modernere Versionen sind die französischen Initiativen zur Verkürzung der Arbeitszeit bei gleichem Lohn.

Doch auch Grundsicherungsmodelle könnten uns ein Aufbrechen der gesellschaftlichen Position zum Thema Faulheit ermöglichen. Interessant an diesen Forderungen ist auch der Gedanke, wie diese Zeit von den einzelnen Menschen verwendet werden würde. Mensch stelle sich mal vor, es gäbe seit damals diesen 3 - Stunden-Tag. Die Gewöhnung an die heutige Konsum- und Freizeitindustrie lässt uns mit den Gedanken spielen, dass die restliche Zeit einfach verplempert werden würde. Möglich, aber wenn diese Zeit seit damals verwendet gewesen wäre wie viele Menschen wären KünstlerInnen, ErfinderInnen und schlussendlich auch politisch geworden, hätten nach Verbesserungen gesucht, Zeit gehabt Ideen und Fantasien zur Verbesserung dieser Welt anzudenken und auch auszuführen. Heute jedoch lullen sich die Menschen mit einem Brei aus Arbeit und Konsum, was sich gegenseitig bedingt, selbst ein, während der humanistische Fortschritt zum Stehen kommt, rückwärts läuft und die Ungleichheit wächst. Abschließend noch ein Zitat des Vordenkers La Fargue: "O Faulheit, Mutter der Künste und der edlen Tugenden, sei Du der Balsam für die Schmerzen der Menschheit!"

Stefan Künz

(*) War die Losung des Reichsführers SS Heinrich Himmler. Aufschrift unter anderem an den Eingängen der Konzentrationslager Ausschwitz, Dachau und Sachsenhausen.

Webtipps:


Aus:
suspect Nr.4, Zeitschrift der Grünalternativen Jugend Wien

Überarbeitet nach: www.gajwien.at