Interview mit Ekkehard von Braunmühl (1996)

"Die Privatsekte 'Freundschaft mit Kindern-Förderkreis' hat mit Antipädagogik etwa so viel zu tun wie der Weltkonzern 'Scientology-Church' mit Wissenschaft" (E.v.Braunmühl)

Auf den Artikel im letzten Kid zur Antipädagogik wie sie von Hubertus v. Schoenebeck und dem Freundschaft mit Kindern-Förderkreis vertreten wird ("Du kannst nichts falsch machen."), gab es eine prominente Reaktion: Ekkehard v. Braunmühl, Autor der 1975 erschienenen "Antipädagogik" und zahlreicher anderer Schriften zum Thema, distanzierte sich energisch von den in diesem Text enthaltenen Thesen. Der - von dieser Kritik zunächst durchaus überraschte - Autor des Artikels Michael Dobstadt und Ekkehard v. Braunmühl trafen sich daraufhin zu mehreren Gesprächen, um über diese Kritik und die Antipädagogik zu diskutieren. Dabei stellte sich heraus, daß Ekkehard v.Braunmühl seit kurzem Hubertus v. Schoenebeck (HvS) als geistig verwahrlosten Hochstapler betrachtet, der den Begriff "Antipädagogik" für eigennützige Zwecke mißbraucht. In einem Gespräch befragte Michael Dobstadt Ekkehard v. Braunmühl zu einigen Hauptpunkten dieser Kritik. Hier das Gespräch aus dem Kid 3/96:


Michael Dobstadt: Du hast bereits die Überschriften meines Textes - "Du kannst nichts falsch machen" und "Antipädagogik als Absage an die Moral" für abwegig erklärt. Ich will Dir sagen, was mir an diesen - auf den ersten Blick tatsächlich abstrus erscheinenden - Formulierungen eingeleuchtet hat: Diese Absage an den moralischen Diskurs, ans Bewerten, ans Falsch-Richtig-Denken macht traditionelle, mit dem pädagogischen Denken unlösbar verknüpfte Schuldvorwürfe endgültig unmöglich. Die Rede von "Böse", "Schuld", "moralische Verpflichtung" etc. gilt nicht mehr. Ist das nicht genuin antipädagogisch?

Ekkehard von Braunmühl: Du hast natürlich recht, wenn Du Antipädagogik als Absage an die pädagogisch-moralische Unterdrückung verstehst. Erfahrungsgemäß entwickeln aber auch nicht-erzogene Kinder moralische Kategorien und Kriterien, denn auch - und gerade - sie wollen lieber in Frieden, Sicherheit und Freude mit möglichst allen anderen zusammenleben als nach den Regeln des Faustrechts. So haben sie z.B. sehr klare Vorstellungen davon, was Fairness bedeutet, und messen an diesem Maßstab nicht nur andere, sondern auch sich selbst.


MD: Gut, aber wie kommen Kinder zu solcher Moral? Ist Moral nicht ein Normengefüge, das an den einzelnen herangetragen wird, dem sich der einzelne zu unterwerfen hat, demgegenüber er a priori als defizitär eingestuft wird? Die sogenannte christlich-abendländische Moral funktioniert jedenfalls so. Sie ist ein permanenter Angriff auf den Menschen, wie er ist.

EvB: Deshalb finde ich ja die antipädagogische Aufklärung so wichtig. Vielleicht erinnerst Du Dich an das Buch von 1975, wo ich die Entstehung eines Gewissens bei freien Kindern, bei denen ja keine "Verinnerlichung" moralischer Normen funktionieren kann, als Resultat von Erfahrung plus Vernunft beschreibe. Leute, die "Werte" wie Pünktlichkeit, Hilfsbereitschaft, Rücksichtnahme etc. seelisch als wertvoll - im Sinne von gut - erleben, können sie auch mit dem Verstand richtig finden. Und ihr Gegenteil als ungut und falsch bewerten. Wer natürlich wie HvS abstreitet, daß man überhaupt etwas falsch machen kann, für den sind ethisch-moralische Reflexionen überflüssig. Er ist ja sowieso unfehlbar.


MD: Ja, aber bedeutet - ich insistiere hier noch ein bißchen - die Anerkennung des Fehler-machen-Könnens nicht doch automatisch und zwangsläufig den Einstieg in den moralisch-pädagogischen Diskurs?

EvB: Das behauptet HvS. Dabei schmeißt er wieder einmal alles in einen Topf. Ich finde: Wenn Pädagogik sagt, man müsse Kindern falsche, böse, schlechte Gefühle irgendwie austreiben oder sie umerziehen, dann muß Antipädagogik zeigen, daß genau das ein sadistischer, also unmoralischer Akt wäre. Wogegen HvS offenbar allergisch ist - und darin hat ihn meine antipädagogische Theorie bestätigt -, ist der Versuch, anderen Leuten weiszumachen, ihre Gefühle seien nicht richtig. Nach meiner Analyse ist die Seele des Menschen am besten als unfehlbar zu betrachten, schon einfach deshalb, weil sie nicht dafür da ist, irgendwelche Kritik zu verstehen. Die Seele ist zum Fühlen da. Das Verstehen ist Sache des Verstandes. Aber HvS bezeichnet ja nicht nur die Gefühle als unfehlbar, sondern auch das Denken und sogar das Handeln. Vernünftige moralische Maßstäbe können natürlich nur auf Handlungen bezogen sein. Und Kriterien von richtig oder falsch beziehen sich zusätzlich auf das Denken. Es gibt Vorurteile, Irrtümer, Denkfehler usw., auch wenn HvS sich noch so sehr weigert, das zur Kenntnis zunehmen, weil er seine Unbelehrbarkeit zum "philosophischen" Programm erhoben hat.


MD: Da stimme ich Dir zu: Es wäre wohl Unsinn, zu leugnen, daß es Vorurteile, Irrtümer, Denkfehler gibt. Aber für HvS ist der Satz "Niemand kann Fehler machen" ja eben deshalb von so zentraler Bedeutung, weil aus seiner Sicht der Ausstieg aus dem Falsch-Richtig-Denken die Voraussetzung schlechthin ist für den gleichberechtigten Umgang zwischen Menschen. Denn: Das Wissen aller Menschen ist subjektiv und daher gleichwertig, gleichrangig. Im Lichte Deiner Kritik wird deutlich, daß es sich hierbei um einen Kurzschluß handelt; diesem Kurzschluß eignet aber durchaus - wie ich selbst erfahren habe - eine gewisse Attraktivität und sogar Überzeugungskraft.

EvB: Der Kurzschluß besteht aber nicht nur darin, aus der selbstverständlichen Gleichwertigkeit aller Subjekte auf die Gleichwertigkeit alles Wissens zu schließen, sondern auch darin, die Gleichwertigkeit aller Produkte, Handlungen, Aussagen usw. zu behaupten. Ist das nicht verrückt?


MD: Es ist radikal relativistisch!

EvB: Nein, es ist bescheuert! Nehmen wir das bessere Wissen. HvS bringt dazu häufig das Beispiel von der Steckdose, die ein Kleinkind für eine Schweineschnauze hält. Wer hier behauptet, daß ein Mensch, der die potentielle Gefährlichkeit einer Steckdose kennt, in der Bewertung der Realität dem ahnungslosen Kleinkind nicht überlegen ist, der hat für mich nicht alle Tassen im Schrank. Erst nach diesem Faktum - der eine Mensch kennt sich in der Wirklichkeit besser aus, kann Zukünftiges objektiv richtiger vorhersehen, genauer planen, erfolgreicher bewirken, als ein anderer (ich sage mal: Anfänger) -, erst nachdieser Tatsache stellt sich die Frage, ob das bessere Wissen dem weniger Wissenden seelenfreundlich zur Verfügung gestellt wird (was antipädagogisch aufgeklärte Leute versuchen), oder ob dieses partielle Besserwissen des Verstandes generalisiert wird zu einem personalen Bessersein, was dann leicht zu legitim erscheinenden Eingriffen in die "seelische Intimsphäre" führt. Mit offensichtlich neurotischen Scheuklappen gegenüber der Realität beansprucht HvS eine solche Intimsphäre auch für sein Denken und Tun - was natürlich rational nicht zu begründen ist. Aber der Rationalität, ich meine ganz banal: dem gesunden Menschenverstand hat er sowieso abgeschworen, seit er ernsthaft behauptet, ein Kind zu sein.


MD: Darauf kommen wir ja noch zu sprechen. Zunächst zu etwas anderem: Ein Kritikpunkt Deinerseits an den Aussagen von HvS, der mich sehr nachdenklich gemacht hat, lautet, daß diese darauf hinauslaufen, Gewalt gegenüber Kindern zu legitimieren.

EvB: Was heißt "legitimieren"! Er sagt selbst, daß er Gewalt gegen Kinder praktiziert - auch wenn er das "Durchsetzung" nennt. Aber es ist logisch. Nach seiner verrückten "Theorie" kann er nicht argumentieren, informieren, oder gar moralisch appellieren, also muß er sich notfalls mit Körperkraft durchsetzen, wenn er dazu Lust und Laune hat, und natürlich die Chance, also wenn erstärker ist. Seine ganze komische Heilslehre propagiert das nackte Faustrecht. Zwar besteht er stur darauf, Gewaltakte, sogar die übelsten Mißhandlungen, beträfen nur das "Außen", nicht das "Innen" der Kinder (ihr "inneres Königtum"), aber in Wirklichkeit merkt sich ein körperlich (äußerlich) vergewaltigtes Kind diese Erfahrung natürlich auch innen, und wenn es nicht blöd ist, wird es das nächste Mal in vergleichbarer Lage die vorherzusehende körperliche (schmerzhafte) Niederlage vermeiden. Es gibt innen also den ganz normalen Einschüchterungseffekt, der mit "Antipädagogik", "Gleichberechtigung","Kinderrechtsbewegung" auf keine Weise vereinbar ist. Frage: Wie kann das jemand übersehen, der keine neurotischenScheuklappen hätte?


MD: Gegenfrage: Wieso hast Du dich erst jetzt dazu zu Wort gemeldet?

EvB: Ich bin ein toleranter und loyaler Mensch. Auf keinen Fall wollte ich einen früheren Freund voreilig oder leichtfertig öffentlich bloßstellen. Also dachte ich mir: "Jeder kann sich so lächerlich machen wie er will". Jetzt ist einiges zusammengekommen (z.B. das Buch "Guru Papers - Masken der Macht" von Kramer/Alstadt), wodurch ich zu der Einsicht gezwungen wurde, daß die FMK-Sekte und ihr Guru der Sache schaden, für die ich mich beruflich seit dreißig Jahren einsetze. Zwar nehmen vernünftige Leute die FMK-Öffentlichkeitsarbeit nicht ernst, aber indem die unter dem Markenzeichen "Antipädagogik" auftritt, wird auch mein Ruf ruiniert. Von Kennern der Fachbuchszene wurde mir mehrfach direkt empfohlen, Begriffe wie "Antipädagogik", "Gleichberechtigung", "erziehungsfrei" aufzugeben und in Zukunft unter Pseudonym zu schreiben, weil alles, was als FMK- und HvS-nah wahrgenommen wird, bei ernsthaften Leuten keine Chance mehr hat. Ich war am Anfang ja selbst FMK-Mitglied, sogar im Vorstand, und habe HvS 15 Jahre lang intern von Freund zu Freund zugeredet wie einem lahmen Gaul, erfolglos. Heute ist mir das sehr peinlich, aber ich muß halt über diesen Etikettenschwindel aufklären, damit die antipädagogische Aufklärung wieder vernünftig vorangehen kann.


MD: Würdest Du sagen können, daß die Antipädagogik bei HvS gleichsam entgleist ist? Und wenn ja - aus welchen Gründen?

EvB: Nicht die Antipädagogik ist entgleist, sondern HvS ist ausgerastet und abgehoben. Als HvS die "Antipädagogik" gelesen hat, kam er zu mir und es ergab sich eine intensive Zusammenarbeit. Damals begann wohl bei ihm eine untergründige Entwicklung, deren Ergebnis er selbst heute formuliert als "kulturelle Auswanderung" in ein anderes Land, das er als antipädagogisches Land bezeichnet, das aber in Wirklichkeit von phantasierten Kindern bevölkert ist. Im Gegensatz zu früher behauptet HvS ganz stur, daß er ein Kind ist. Und in der Tat: Seine Aussagen der letzten Jahre verlieren nur dann ihre offensichtliche Verrücktheit, wenn man konsequent davon ausgeht, daß sie aus der Perspektive eines Schweineschnauzen-Kleinkindes formuliert sind.


MD: Also er regrediert aus Deiner Sicht. Aber warum?

EvB: Ich erinnere an Seinen Buchtitel "Ich liebe mich so wie ich bin". Als Erwachsenen kann er sich nicht lieben, also phantasiert er sich als Kind. Aber das sind Fragen, für die ich mich eigentlich nicht kompetent fühle. Es geht mich auch nichts an. Was mich etwas angeht, sind seine Aussagen und der Etikettenschwindel mit der Antipädagogik. Falls HvS eine wohlklingende und korrekte Bezeichnung für seine "Lebensphilosophie" sucht, braucht er sie nicht zu klauen, ich schenke sie ihm: "Regressiver Infantilismus".


Originaltext: http://www.miwe.org/fmk/sonstige.htm#Ekke1