Johann Most - Zur Columbus-Posse

Kaffernaugen, klobige Nase, Bauernvisage mit breitem Vaterunserloch, über den Schädel eine unflätige Pelzkappe gestülpt - so hängt der Großvater Amerika's (als Vater gilt ja ein anderer Dutzendmensch) jetzt in allen Schaufenstern; und nach allem, was man aus der nichtlegendären Geschichte kennt, scheint der Kerl auch gut getroffen zu sein. Columbus hat offenbar so dumm ausgesehen, wie er war.

Wie wir bereits unlängst mitteilten, war dieser Mensch nicht mehr und nicht weniger wert, als tausend andere Land- und See-Abenteurer seiner Zeit.

Weil man ausgefunden hatte, daß es in Ostindien und dem ferneren Orient überhaupt ungemein viel zu rauben und zu stehlen gab, fühlte sich jeder Strolch, dem die gewöhnliche Buschklepperei zu gefährlich und nicht einträglich genug erschien, nach jenen Regionen hingezogen. Columbus war einer von dieser Sorte.

Da er nicht genug bemittelt war, selber eine Seeräuber-Flottille auszustatten, machte er es, wie mancher andere zuvor getan: Er bettelte um Staatshilfe und versprach, als Entgelt zwei Dritteile des zu ergaunernden Goldes und sonstigen Verschleppbaren der spanischen Regierung auszufolgen. Obendrein wollte er aus dem eigenen Anteil am Ertrage seiner Raubmord-Züge die Mittel zur Ausrüstung eines neuen Kreuzzuges nach Palästina liefern.

Dabei redete er sich ein, daß er schnurgerade von Spanien aus westwärts rascher nach Ostindien fahren könne, als auf dem üblichen Wege um das Kap der guten Hoffnung. Er hatte also von dem Umfang der Erde keine blasse Ahnung, und wenn ihn nicht der reinste Zufall nach einigen westindischen Inseln - Cuba, Haiti, Jamaica und Portorico - geführt hätte (das amerikanische Festland hat er nie gesehen), so wäre er ganz einfach mit Mann und Maus ersoffen. Kein Hahn hätte nach ihm gekräht, binnen Kurzem wäre er in Vergessenheit geraten gewesen, und heute gäbe es keine Columbusfeier.--

Was dieser Zufalls-"Entdecker" auf den genannten Inseln trieb, eignet sich noch viel weniger dazu, darob in einem überschwenglichen vierhundertjährigen Jubiläum sich zu ergehen, es wäre denn, daß die Repräsentanten der modernen Gesellschaft, welche ja die Arrangeure dieser Wahnsinns-Orgie sind, in Notzucht, Mord, Brandstiftung und Diebstahl die höchsten aller Tugenden erblickten.

Doch das nur so nebenbei. Selbst wenn diese Columbusfeier nicht jenem sauberen "Helden", sondern nur dem Wiederauffinden Amerika's (zuvor hatten dessen Boden ja schon oft norwegische und andere Schiffer betreten) an und für sich gelten würde, vermöchte doch ein denkender Mensch der ganzen Komödie keinen Geschmack abzugewinnen.

Solange es noch keine Schnellsegler und Dampfbote gab - mehr als 300 Jahre hindurch -, hatte der ganze amerikanische Kontinent keine größere Bedeutung als heute Afrika hat. Er war einfach ein Tummelplatz für das ruchloseste Gesindel, das Europa auszuspeien vermochte, und das allenthalben die Gräuel der Negersklaverei einführte und die Eingeborenen systematisch der Ausrottung preisgab.

Und was bietet uns das laufende Jahrhundert amerikanischer Geschichte? Sind etwa die Ereignisse dieser Epoche geeignet, zu einer Jubelhymne anzuregen? Weit eher möchte man geneigt sein, die ganze Menschheit zu verfluchen, welche auf diesem Kontinente haust, weil sie geduldet hat, daß binnen wenigen Jahrzehnten eine kleine Rotte von modernen Columbussen sie helotisierte.

Was sind das für Verhältnisse?! Man rauft sich um ein Stückchen Land, sein Korn darauf zu säen und seine Hütte aufzuschlagen, und doch wäre Raum genug für alle Europäer und selbst doppelt so viele Menschen. Alles gestohlen, Feld und Flur, Wald und Wiese nicht minder, wie die Schätze der Natur, welche innerhalb der Erde eingebettet sind.

Welche Reichtümer - welch' ein Elend!

Was in Europa vom Altertum bis zur Epoche dieser Tage an Knechtung ausgeübt geworden, es hat nicht solche Schätze einer Minderheit zugeführt, wie sie binnen 50 Jahren auf dem Boden der "neuen Welt" von einer handvoll Parvenüs aufgetürmt worden sind. Nicht die Peitsche der antiken Sklaverei, nicht das Joch der Leibeigenschaft, nicht die Geißel der Lohnarbeit vermochten insgesamt im alten Europa so viel Schweiß und Blut der Arbeitsamen in blankes Gold für Müßiggänger zu verwandeln, wie in Amerika aus zwei Generationen der Kapitalspolyp mit seinen hunderttausend Rüsseln ausgesogen.

Gehet hin und beschauet die Dinge im "Lande der Freiheit" ringsumher, und sofern Ihr des Zornes fähig seid, Eure Stirnadern werden schwellen und Eure Wangen werden sich röten ob der Bilder, die Euch entgegen starren!

Sieben Achtel der Bauern, die einst freie Heimstätten besaßen, die sie oder ihre Vorfahren mit Mühe kultiviert, sind heute verschuldet - die Zinsbauern reicher Wucherer, die ohnmächtigen Knechte der Eisenbahnmagnaten, welche ihre Früchte versilbern und ihnen nichts belassen als die Hülsen.

Freie Hirten, welche ehedem ihre Rinder auf den weiten Steppen des fernen Westen weideten, sie werden heute von dannen gehetzt durch berittene Panduren rücksichtsloser Landräuber und Großzüchter. Wer sich sträubt, verfällt dem Strick und der Kugel.

Ganze Täler samt dem herrlichsten Stromgerinne und den anmutigsten Seen voll Fischen, samt den saftigen Wäldern voller Wild an den malerischen Bergabhängen, samt den Feldern und Wiesen, samt Haus und Hof, ja samt den Bewohnern selbst, die nur geduldet werden, solange sie für fremde Zwecke sich betätigen, sind Privatbesitztum einzelner Personen. Paradiese, in denen Tausende der Glückseligkeit teilhaftig werden könnten, wenn Vernunft und Brudersinn, Gerechtigkeit und Gleichheit existierten - sie werden für die meisten zur Hölle, auf daß einzelne sich wie Götter spreizen, wie Teufel gebärden und wie - Schweine in Üppigkeit wälzen können.

Gehet hin nach Pennsylvanien, dem Mineralspeicher der Erde; beobachtet da, wie sie leben, jene emsigen Bienen der Arbeit, deren rastlosem Fleiße mehr als 1000 Millionäre ihr Dasein verdanken! Größtenteils in Grabesnacht am hellen, lichten Tage eingehüllt, beständig der Gefahr ausgesetzt, von schlagenden Wettern, jenen Erdbeben der Profitgier, ereilt, zerschmettert, lebendig verbrannt, oder vom herabfallenden Gestein zermalmt oder von hereinbrechenden Sturzbächen ertränkt zu werden, vermögen sie kaum soviel zu erwerben, als nötig ist, in elenden Hütten zu hausen und Mahlzeiten zu genießen, die kein Hund ihrer Herren berühren würde.

Dann wieder Gewehrfeuer, Revolverschüsse, Knüppelhiebe, Kanonendonner - Tote, Verwundete, Eingesperrte, Gehängte, wie wenn die Horden des dreißigjährigen Krieges plötzlich wieder erstanden wären, um möglichst viele Unglückliche auf ihre Spuren zu schleudern. Und das alles nur, weil diese fleißigen, braven, gequälten Menschen es mitunter müde werden, sich immer entschiedener aussaugen und verelendigen zu lassen, weil sie etwas mehr Brosamen haben wollen, die von den Tafeln ihrer Bedrücker fallen. - Wie in Pennsylvanien, so in Tennessee, so überall, - im Gebirg' wie in der Stadt, auf dem Felde wie in der Fabrik. Überall die intensivste Ausbeutung, welche je die Welt gesehen; allenthalben die rücksichtsloseste Sklaventreiberei, die brutalste Massenberaubung und - leider auch! - ein entsetzlicher Stumpfsinn der Maltraitierten!

Dann wieder das Pfaffengeplärre in allen Sprachen, zu Ehren aller Kulte und zum Vorteil eines abgefeimten Nachtgevögels, wie es zahlreicher, niederträchtiger, zelotischer, geldgieriger und schuftiger nirgends vorgekommen sein dürfte. Und welch' ein Riesenheer politischer Pfaffen, umgeben von den Schmeißfliegen der Presse, zahllos wie das Ungeziefer des Urwaldes. Wer beschreibt den Riesenunrat, welchen die ersteren immer und ewig um sich breiten können, ohne daß das Volk es auch nur gewahr wird; wer charakterisiert das Lügengesumme der letzteren, das alle Sinne benebelt? Endlich, um das Maß voll zu machen, ein ekles Demagogengewürm, wie es Griechenland und Rom in den erbärmlichsten Zeiten des Zerfalles nicht gekannt - alles vergiftend, alles zersetzend!

Das ist Amerika. Das ist die Frucht eines kurzen amerikanischen Lebens. Darüber soll gejubelt werden. Die Cholera könnte man darob bekommen.

Gewiß, es wird Sklaven genug geben, welche in diesen Tagen vor Vergnügen tanzen, und die das Klirren ihrer Ketten mit Musik verwechseln; wir vermögen da nicht mitzutun. Wir sind weit eher aufgelegt, Kassandrarufe auszustoßen. Für uns bietet der Abschluß des vierten Jahrhunderts amerikanischer "Kultur" nur einen Anlaß, zurück zu blicken und auszufinden, was bis jetzt geschah, diesen Weltteil für solche, die sich darauf niederlassen, wohnlich einzurichten; die Frage aufzuwerfen, wie weit wir es bisher gebracht und welches die Zukunfts-Perspektive ist, die sich vor unserem Auge dehnt.

Wir haben nur eine Vergangenheit voll Schurkerei erspäht; wir entsetzen uns vor einer Gegenwart monströser Narren-Schufterei.

Jawohl! Denn nur ein Narr kann derjenige sein, welcher, ohne Not und Zweck, Schätze auf Schätze türmt, die er beim besten oder schlechtesten Willen nicht verbrauchen kann. Und der Schufterei macht sich schuldig, wer solche Narreteien dadurch bewerkstelligt, daß er zahlreichen Männern das Blut aus den Adern und das Mark aus den Knochen saugt und sie, wenn sie darob zeitig schwach werden, auf die Straße schleudert, wo sie als Vagabunden verkommen müssen, oder, wenn sie notgedrungen stehlen, aufgegriffen und dem Zuchthaus überliefert werden; daß er Weiber bei Hungerlöhnen ins Joch der Maschine spannt, bis sie unter der Last zusammenbrechen oder es vorziehen, mit ihrem Fleisch auf den Lüstlingsbörsen hausieren zu gehen, um zuletzt im Spital zu verenden; oder daß er sozusagen industriellen Kindsmord verübt, indem er die Sprößlinge der Armen dem Moloch der Fabrik in die Arme wirft und sie vom Feuer der Profitgier verzehren läßt. Von solcher Qualität sind sie alle, alle, die amerikanischen zweibeinigen Goldkälber, welche das Land besitzen und regieren, und dessen Bewohner nur als lebendige Gegenstände zum Zwecke ihrer steigenden Bereicherung betrachten.

Die Zukunft? Vorerst sieht sie noch sehr trübe aus, nicht aber hoffnungslos. Vieles ist noch zu ertragen, auch viel Volksdummheit, aber es ist doch das logische eherne Muß der Geschichte, daß auch hier dereinst die Stunde schlägt, wo die Eiskruste der Unvernunft, welche zur Zeit noch die Gehirne der Armen und Elenden umlagert, gesprengt wird, und wo sich das Verlangen nach einem natürlichen, gerechten und angenehmen Leben Bahn bricht.

Gäbe es noch neue Weltteile zu "entdecken" - man würde uns sicherlich bald die Auswanderung als Heilmittel gegen die von uns empfundenen Übel anraten, obwohl noch so ungeheuer viel freier Raum in Amerika ist. So, wie aber die Dinge jetzt liegen, gibt es nur ein Ding, das helfen kann, das allgemeine Rebellieren.

Das will momentan noch nicht in die amerikanischen Schädel hinein, aber es hilft alles Sträuben nichts. Die Logik der Geschichte drückt auch hierzulande den Armen und Elenden dereinst die Waffe in die Hand, mit der sie sich befreien müssen, wenn sie als Menschen leben wollen. Ist erst einmal dieses Bewußtsein bis zu einem gewissen Grade eingezogen in den Köpfen und Herzen des amerikanischen Proletariats, so ist uns auch wegen des Weiteren nicht mehr bange. Und dann werden auch die Anarchisten nicht mehr zögern, die richtige Initiative zu ergreifen, denn dann wird die rechte Zeit zur rechten Tat gekommen sein. - Sie, die heute sich dagegen verwahren, zwecklos ihre Schädel an den vorgestreckten feindlichen Bajonetten einzurennen, werden dann zeigen, wie man die Ungeheuer des Kapitalismus und der politischen Autorität mit gut eingeschossenen Revolvern von gehörigem Kaliber oder mittelst Dynamit nihilisieren kann, was dann auch die nötige Nachahmung ringsumher - Schlag auf Schlag - finden und im grollenden Sturm zum Ausbruch der eigentlichen Revolution fuhren wird.

Es wird kein weiteres Jahrhundert - nicht einmal ein weiteres Vierteljahrhundert vergehen, ehe es dazu kommt.

Dann wird es Zeit sein, zu jubilieren. Die Columbusposse aber ist vielleicht die letzte Farce, welche sich Bourgeoisie erlaubt.

Aus: Johann Most – Marxereien, Eseleien und der sanfte Heinrich. Verlag Büchse der Pandora, 1985. Zuerst erschienen in Mosts Zeitung „Freiheit“ am 8.10.1892. Digitalisiert von www.anarchismus.at