Zum Ketzer - Prozeß wider Most (1878)

(Verteidigungsrede des Angeklagten) [1]

Meine Herren! Wenn man die pomphaften Ankündigungen der offiziösen Blätter seiner Zeit, als dieser Prozeß anhängig gemacht wurde, gelesen hat, so wird man heute gewiß sehr erstaunt sein, wahrzunehmen, daß von dem nach solchem Gepolter erwarteten Beweismaterials so viel wie nichts zu bemerken ist. Und von dem Wenigen, das der Staatsanwalt für mich auf Lager hatte, mußte er wohl oder übel auch noch einen großen Teil ohne Weiteres fallen lassen. Da kann man wohl sagen: Die Berge kreisten, und sie gebaren ein winziges und obendrein lahmes Mäuslein. Der Ankläger hat den Rückzug angetreten noch ehe es zum Schlagen kam und scheint es deshalb auch für geraten gehalten zu haben, sich hinter fremdartige Schanzen zu verstecken. Er redete da von der „Berliner Freien Presse“, der Wera Sassulitsch, von Attentaten, von der „Frau Präsidentin“ Stägemann oder Hahn, von Trepoff, Revolvern und allen erdenklichen Dingen, die mit der Anklage gar nichts zu tun haben. Es fällt mir darum auch gar nicht ein, diese Redensarten einer Kritik zu würdigen oder Sie sonstwie weiter damit zu langweilen.

Die Kombination des Hrn. Staatsanwaltes betreffs einer Auslassung der „Berliner Freien Presse“ über die 6. und 7. Deputation des hiesigen Stadtgerichtes scheinen übrigens nur den Zweck gehabt zu haben, den Gerichtshof gegen mich einzunehmen; ich bin aber überzeugt, daß dieses Beginnen nicht die mindeste Beachtung gefunden hat und ich könnte nun gleich zur eigentlichen Sache übergehen, wenn nicht eine Äußerung des Anklägers, die zwar auch nicht zum Prozeß direkt gehört, aber dennoch nicht unbeantwortet gelassen werden darf, zu etlichen Bemerkungen herausforderte.

Der Herr Staatsanwalt hielt es für angemessen, zu erklären, daß sozialistischerseits im Reichstag nur deshalb kein Antrag auf Einstellung des Strafverfahrens gestellt worden sei, weil ein solcher offenbar keine Aussicht auf Annahme gehabt hätte und bei der herrschenden „allgemeinen Entrüstung“ zu sehr unliebsamen Erörterungen geführt haben würde. Dies ist denn doch eine Behauptung, welche rein in's Blaue hinein gemacht worden ist. Wie in den Blättern mitgeteilt wurde, habe ich es in der Tat lediglich aus dem Grunde veranlaßt, daß kein solcher Antrag eingebracht wurde, weil ich fest überzeugt war und bin, daß dieser Prozeß zu Wasser werden wird, und weil ich wünsche, daß sich dies so rasch wie möglich offenbare. Wäre die Einstellung des Strafverfahrens beim Reichstag beantragt worden, so hätte dies nicht den mindesten Anstoß erregen können. Denn man mag vom Reichstag halten, was man will, so wird doch zu konstatieren sein, daß er aus gebildeten Männern besteht. Und die Gebildeten urteilen über solche Ketzerprozesse eben ganz anders wie der Herr Staatsanwalt. Was aber die „allgemeine Entrüstung“ anlangt, welche über meine Rede betreffs Austritts aus der Landeskirche in den weitesten Kreisen herrschen soll, so muß ich bemerken, daß mir hievon gar nichts bekannt ist.

Im Gegenteil! Die liberale Presse, welche sonst wahrlich auf die Sozialdemokratie und auf meine Person nicht gut zu sprechen ist, hat sich fast ohne Ausnahme veranlaßt gesehen, die Einleitung dieses Prozesses für höchst wunderbar und überflüssig zu erklären, die intellektuellen Urheber meines Vertrages, die „Hofdemagogen“ aber zu geißeln. Ja, noch mehr! Selbst muckerische Blätter, wie der „Reichsbote“ und andere, haben ihre Verwunderung über meine Verfolgung ausgedrückt. Sie fühlten eben, daß durch derartige Prozeduren der Sache, die sie vertreten, nicht gedient werden könne. Wenn somit überhaupt irgendwo eine Entrüstung dieser Affäre halber Platz gegriffen hatte, so kehrte sich dieselbe einerseits gegen meine Verfolger, andererseits war sie, so weit sie wirklich mir galt, höchstens in einem sehr kleinen Zirkel orthodoxer Zeloten anzutreffen.

Ehe ich nun zu den einzelnen Punkten der wider mich erhobenen Anschuldigungen übergehe, muß ich wohl oder übel, wenn auch nur ganz kurz, auf die Genesis meiner Rede zu sprechen kommen. Etliche Hofprediger Berlins bildeten im Verein mit einigen nicht besonders gut beleumundeten Personen anderer Art eine Christlich-soziale Arbeiter „Partei“ und trugen das Christentum in die Volksversammlungen hinein. Sie erklärten, die Lösung der sozialen Frage in die Hand nehmen zu wollen, priesen als Universalheilmittel den christlichen Glauben an und forderten das Vertrauen der Arbeiter. Damit stellten sie das Christentum und die Geistlichkeit der Kritik zur Verfügung, ja provozierten eine solche. Und meine inkriminierte Rede und die ganze Agitation für Austritt aus der Landeskirche bildeten die Antwort auf diesen Arbeiterfang. Schon hieraus erhellt, daß sich die Spitze des zweiten Teils meiner Rede vornehmlich gegen die christlich-sozialen Agitatoren, die als solche ohne Zweifel, wenn sie auch Geistliche waren, nicht in der Ausübung ihres Berufs sich befanden, und daß mithin der Oberkirchenrat nicht befugt war, Strafantrag zu stellen.

Hinsichtlich der angeblichen Schmähungen der Religionsgenossenschaften bin ich der Meinung, daß die Zeugenvernehmung in jeder Beziehung meine Nichtschuld erwiesen hat. Das Wort „ekelhaft“ beruhte auf einer Erfindung des Berichterstatters des „Reichsboten“ und wurde auch nachträglich von demselben zurückgenommen.

Daß ich von den Religionssystemen nicht sagte, sie würden von Vielen, obgleich sie noch nicht aus der Kirche ausgeschieden sind, „belacht“, sondern daß ich bemerkte, sie würden von denselben „nicht beachtet“, haben alle Zeugen bestätigt. Und wenn auch von vier Zeugen einer nicht gehört haben will, daß ich sagte, es werde jeder, der die Religionssysteme vom Standpunkt des gesunden Menschenverstandes aus betrachte, „zur Skepsis angeregt“, wohingegen er, im Einklang mit der Anklage, behauptet, ich hätte gesagt, die Religionssysteme müßten unter solcher Voraussetzung jedermann „anwidern“, so halte ich doch dafür, daß auch in diesem Punkte das Beweisverfahren zur Genüge die Unhaltbarkeit der letzteren Lesart dargetan hat. Der Herr Staatsanwalt hat allerdings die Ansicht ausgesprochen, daß das Wort „Skepsis“ schon deshalb in meiner Rede nicht vorgekommen sein könne, weil offenbar von den in der betreffenden Versammlung anwesenden ca. 3000 Personen nicht fünf gewesen wären, welche ein solches Wort verstanden hätten; aber damit hat der Ankläger nur bewiesen, daß er höchst eigentümliche Begriffe von sozialdemokratischen Versammlungen hat. Würde er sich hie und da derartige Zusammenkünfte persönlich betrachten, dann käme er gewiß in dieser Beziehung, wie hinsichtlich der Sozialdemokratie überhaupt, zu einer ganz anderen Meinung, als diejenige ist, welche er bisher hervorgekehrt hat. Sozialdemokratische Versammlungen bestehen nicht aus Wilden oder rohen Horden, sondern notorisch aus höchst anständigen Leuten. Die sozialistische Weltanschauung ist nachgerade in alle gesellschaftlichen Kreise eingedrungen, und die Arbeiterbewegung hat selbst die einfachsten Proletarier, welche sich ihr angeschlossen haben, auf eine Bildungsstufe emporgehoben, die derjenigen gewisser Leute wahrlich nicht nachsteht. Speziell in jener Versammlung waren gerade sehr viele Personen von höherer Intelligenz anwesend, und das Wort „Skepsis“ hat sehr wohl Verständnis gefunden.

Von Beschimpfungen der christlichen Religionsgenossenschaft kann also in meiner ganzen Rede nicht die Spur entdeckt werden, beschimpft müßte ich sie aber haben, um strafbar zu sein, da im § 166 der Schwerpunkt der Betonung auf das Wort „Beschimpfung“ gelegt ist. Kritische Erörterungen über das Wesen derselben und diesbezügliche Agitation ohne Anwendung von Schimpfworten sind straflos. Dies scheint auch der Staatsanwalt zu wissen, indem er meine objektiven Angriffe auf das Christentum, meine vernichtenden Schläge gegen dasselbe nicht zu inkriminieren wagte, vermutlich, um mir keine Gelegenheiten zu geben, von der Anklagebank aufs Neue eine Lanze gegen ein Religionssystem zu brechen, das nach meiner Ansicht der Wissenschaft gegenüber nicht standhalten kann.

Weil er aber keine Beschimpfung von Einrichtungen der christlichen Religion meiner Rede entnehmen konnte, so stempelte er einfach einige andere Dinge zu solchen, und weil ich dieselben etwas drastisch behandelte, so konstruierte er hieraus Religionsbeschimpfungen. In erster Linie ficht er den Satz an: „Der Unsinn, Gott habe die Welt in sechs Tagen erschaffen, den man immer noch in den Schulen den Kindern lehrt, muß endlich aus den Lehranstalten entfernt werden.“ Und in zweiter Linie hält er dafür, daß ich strafbar sei, weil ich die „Theologie mit ihrer Hölle und ihrem Himmel“ Blödsinn genannt. Man weiß zwar nicht recht, ob er den ersteren Anklagepunkt schließlich noch aufrecht erhalten hat, denn aus seinen diesbezüglichen Äußerungen konnte kein Mensch klug werden, doch scheint er sich mindestens selbst nicht klar darüber gewesen zu sein, ob die Genesis der Bibel eine Religionseinrichtung im Sinne des Gesetzes ist oder nicht. Jedenfalls ist es unter solchen Umständen nicht überflüssig, wenn ich die nötige Klarlegung dieser Sachen besorge.

Fragen wir zunächst: Was bedeutet denn das Wort Unsinn? Ist es etwa ein Schimpfwort? Keineswegs! Unsinn ist der Gegensatz von Sinn; was also keinen Sinn hat, unlogisch ist, das wird man als etwas Unsinniges zu bezeichnen haben. Jeder Gebildete weiß aber, daß die mosaische Schöpfungssage in der Tat Dinge erörtert, die keinen Sinn haben, die den Ergebnissen der modernen naturwissenschaftlichen Forschung gegenüber als barer Unsinn sich charakterisieren. Was soll man z.B. dazu sagen, daß Moses am 3. Tage das Licht und erst am 4. Tage „Sonne, Mond und Sterne“ erschaffen läßt? Ist das kein Unsinn, wenn da vorgetragen wird, es sei schon das Licht dagewesen noch ehe ein Fixstern leuchtete? Und schon die Naivität, mit welcher da überhaupt von den Weltkörpern gesprochen wird, ist nach unseren heutigen Begriffen so unsinnig, daß nur noch Leute wie der Pastor Knaak, der sich die Erde festgenagelt und die Sonne tanzend vorstellt, ernsthaft dabei bleiben können. Ganz und gar drastisch aber wird der Unsinn, der in der mosaischen Schöpfungssage liegt, dadurch illustriert, daß sie in der Bibel zwei Mal vorkommt und zwar in einer total abweichenden und widerspruchsvollen Form. Sogar die Gottheit tritt da unter zwei verschiedenen Namen auf. Einmal heißt sie Elohim und das andere Mal Javeh-Elohim. Im einen Text tritt der Mensch zuletzt auf den Schauplatz und im ändern wird er zuerst geschaffen, noch ehe also Futter für ihn vorhanden war. Und Derartiges soll kein Unsinn sein? Ohne Zweifel ist den Theologen dieser Teil der Bibel auch sehr unbequem, und sie geben sich alle erdenkliche Mühe, der Sache einen einigermaßen annehmbaren Anstrich zu geben.

Einer der bedeutendsten Bibelerklärer, Bunsen, glaubt z. B. über das doppelte und widerspruchsvolle Vorkommen der Schöpfungsgeschichte damit hinwegschlüpfen zu können, daß er vom einen Text sagt, er sei geschichtlichen Charakters, vom anderen aber, er sei philosophischer Natur. Vor dem Richterstuhle der Vernunft jedoch kommt man mit solchen Sophistereien nicht weit; da bleibt der Unsinn eben Unsinn.

Übrigens ist die mosaische Schöpfungssage noch von keiner Kirchenversammlung, keinem Papst und keinem Oberkirchenrat als Dogma proklamiert worden, welches geglaubt werden muß. Man hat es den Gläubigen wohlweislich überlassen, diese weltlichen Bücher der Bibel verschiedenen Auslegungen zu unterziehen. Und so sehen wir denn, daß beispielsweise innerhalb der protestantischen Kirche eine ganze Gruppe sich bildet, welche die Genesis und manches Andere, das sich in der Bibel vorfindet und unverständlich ist, als bildliche Dichtung bezeichnet. Haben wir es demnach in dem Worte Unsinn, angewendet auf tatsächlich unlogische Erörterungen, mit keiner Beschimpfung zu tun, so steht nach meinen Ausführungen andererseits fest, daß die mosaische Schöpfungssage keine Einrichtung der christlichen Religion ist. Dieser Punkt der Anklage hat also nicht den geringsten Halt mehr.

Ich komme nun zur Theologie, die ich als „Blödsinn“ bezeichnet habe, welche Auffassung mir auch heute noch innewohnt. Seit wann, frage ich, ist denn aber die Theologie eine Einrichtung der christlichen Kirche? Früher galt die Theologie als Wissenschaft, gegenwärtig weiß jeder wirklich Gebildete, daß von Wissenschaft dabei gar keine Rede sein kann, weil sie sich mit lauter absolut unwissenschaftlichen Dingen beschäftigt und Satzungen aufstellt, welche mit den Satzungen der Wissenschart auf dem gespanntesten Fuße stehen. Die Theologen schweben beständig im Blauen, stellen Spekulationen an über unsichtbare, unbegreifliche, übernatürliche, besser außer- oder nichtnatürliche und damit unbeweisbare Dinge. Und wenn sie dabei hier und da zu paradoxen Aufstellungen gelangten, welche im Lichte der Wissenschaft ein höchst lächerliches Aussehen bekamen, so taten sie einfach, weit entfernt ihre Bocksprünge einzusehen, die Wissenschaft in den Bann. In Summa-Summarum charakterisieren sich die ganzen Spiegelfechtereien der Theologen als Kindereien, ja als Blödsinn! Doch dies nur so nebenbei. Die Theologie ist ja, wie gesagt, unzweifelhaft keine Einrichtung der christlichen Religionsgenossenschaften. Freilich glaubte der Ankläger aus dem Umstand, daß in meiner Rede von der „Theologie mit ihrem Himmel und ihrer Hölle“ gesprochen wurde, die Notwendigkeit folgern zu müssen, sich wenigstens des Himmels und der Hölle anzunehmen. Weiß er denn nicht, daß auch dies keine spezifisch christlichen Einrichtungen sind? Und merkte er denn nicht, daß da Himmel und Hölle ausdrücklich mit der Theologie, also nicht mit dem Christentum in Verbindung gebracht wurden? Fast alle Religionssysteme weisen ja eine Art Himmel und Hölle auf. Manche haben mehrere Gattungen solcher Örter, manche nehmen mit je einem vorlieb. Da gibt es Hölle und Vorhölle, dort ein Fegefeuer; bald spricht man von einem „siebenten Himmel“, bald von einer „untersten Hölle“ usw. Auf der anderen Seite gibt es jetzt schon sehr viele Christen, welche Himmel und Hölle nur noch ganz bildlich auffassen. Wissenschaftlich aber sind Himmel und Hölle im landläufigen Sinne des Wortes ganz unmögliche Dinge, und wer sie etwa hinter das Firmament oder unter den Erdboden versetzt, der sagt einfach Blödsinn. - Es sind somit auch meine diesbezüglichen Äußerungen nicht allein straflos sondern auch unanfechtbar.

Endlich glaubte der Herr Staatsanwalt konstatieren zu können, daß ich schreckliches Ärgernis mit meiner Rede unter den Gläubigen erregt hätte. Er meint, ich hätte zwar Eingangs des Vertrages ausdrücklich betont, daß ich Niemanden stören wolle, seinen religiösen Gefühlen nach wie vor nachzuleben, allein im Verlaufe meiner Auseinandersetzungen sei ich immer heftiger geworden und hätte die christliche Religion immer ärger beschimpft. Er befindet sich indessen auch in dieser Beziehung in einem groben Irrtum. Zum Austritt aus den Landeskirchen habe ich notorisch nur Diejenigen aufgefordert, welche bereits mit den Satzungen derselben gebrochen haben und mithin eine Heuchelei begehen, wenn sie trotzdem noch einer solchen Korporation einverleibt bleiben. Zudem haben die Versammelten durch ihre ganze Haltung gezeigt, daß sie sich zu den Ungläubigen zählten. Von einer Verletzung religiöser Gefühle kann also gar keine Rede sein. Selbst die Redakteure äußerst frommer Blätter scheinen geradeso gedacht zu haben, sonst würden sie wohl schwerlich sich beeilt haben, meine Rede zu veröffentlichen und sie so erst zur Kenntnis gläubiger Seelen zu bringen. Ich glaube, nun hinlänglich nachgewiesen zu haben, daß in dem Vortrage, welcher zum Gegenstande einer Anklage gemacht wurde, keine Beschimpfung religiöser Einrichtungen enthalten ist und gehe nun über zu dem Vorwurf, ich hätte die evangelische Geistlichkeit in Ausübung ihres Berufes beleidigt.

Da finde ich den einzigen Ausdruck „schwarze Gendarmerie“, der allenfalls auf die gesamte Geistlichkeit direkt bezogen werden könnte, aber es ist mir unerfindliche, wieso derselbe beleidigend sein soll. Solange der Ankläger nicht nachweist, daß der Beruf eines Gendarmen ein ehrenrühriger ist, vermag ich nicht einzusehen, daß sich Jemand durch die Bezeichnungen als Gendarm verletzt fühlen kann. Die Geistlichkeit schwärmt bekanntlich für Zucht und Ordnung, und da die Gendarmerie gerade dazu benützt wird, die Zucht zu ermöglichen und die Ordnung aufrecht zu erhalten, so muß sie ihr ja als Ideal erscheinen. Diese Seelenverwandschaft ist es gerade, welche mich veranlaßte, den fraglichen Ausdruck zu gebrauchen, und das Beiwort „schwarze“ ist ja augenscheinlich nur zur Bezeichnung der Uniform gewählt worden. Die Herren Pastoren werden sich doch nicht etwa ihrer Amtstracht schämen?

Alles was sonst noch durch den Oberkirchenrat als auf die Geistlichkeit im allgemeinen gemünzt erachtet wurde, hat lediglich den Prediger-Agitatoren der christlich-sozialen Arbeiterpartei und den Stadtmissionären gegolten, wie sich aus dem ganzen Zusammenhang des letzteren Teils meiner Rede ganz unzweifelhaft ergibt. Es wurde z. B. von „Schwarzkünstlern“ gesprochen, welche sich in die Häuser einschleichen, und denen man die Türe weisen müsse. Nun, die Herren Prediger - von ganz wenigen Ausnahmen abgesehen - haben keine Neigung, sich solcher Arbeit zu unterziehen. Sie schicken da ihre Commis voyageurs, die Traktätchen- Verteiler und dergleichen Leute. Diese begeben sich in die Waschküche, lauern den Frauen am Kochtopf oder bei der Kinderwartung auf und suchen sie mit ihren Himmelsbroschüren zu beglücken. Und da diese Einschleichungen gewöhnlich verknüpft sind mit allerlei zuckersüßen Redensarten, so nannte ich diese Personen auch „Wölfe im Schafspelz“. Endlich ging ich von der erfahrungsmäßigen Überzeugung aus, daß die Meisten dieser Glaubensboten selbst nichts glauben, und zitierte den bekannten Heine'schen Vers vom heimlichen Wein und dem öffentlichen Wasser.

Der Hinweis auf Spanien, wo die Pfaffen zuerst das Land ausgestohlen und dann die Bevölkerung mit Melopia (Bettelsuppe) abfütterten, und die Andeutung, daß die Arbeiter auf ihrer Hut sein müßten, wenn ihnen jetzt in Berlin ebenfalls mit ärmlichen Almosen aufgewartet werde, müssen jeden Zweifel ausschließen, daß hier die Christlich-Sozialen und nicht die gesamte evangelische Geistlichkeit getroffen werden sollte. Denn die Firma Stöcker u. Co. ist es, welche mit Bettelsuppen arbeitslose Proletarier ins christlich-soziale Netz zu locken sucht, welche die Errichtung eines Arbeiter-Invalidenhauses in nahe Aussicht stellt und sonstige Leimruten legt, um Gimpel zu fangen. Indem dies die Herren Hofdemagogen tun, befinden sie sich aber doch wahrhaftig nicht in Ausübung ihres Berufes, und der Oberkirchenrat hatte keine Befugnis, Strafantrag zu stellen. Wollen sich die fraglichen Personen, weil ich ihnen mit demselben Maße eingemessen habe, mit dem sie ausmaßen, mit mir vor Gericht auseinander setzen, so müssen sie mich eben einzeln verklagen. Bis jetzt begnügten sie sich indessen, in den ihnen zugänglichen Organen über die Sozialdemokratie und meine Person zu räsonieren. Damit sollte es aber auch genug sein.

So wäre also von der ganzen Anklage nichts mehr übrig geblieben, und ich halte meine Freisprechung für selbstverständlich. Dieselbe gebührt sich aber nicht nur, weil ich absolut nicht schuldig bin, sondern auch im Hinblick auf das Jahrhundert, in dem wir leben, auf die Kultur, die uns umgibt, und mehr noch in Anbetracht der reaktionären Gelüste, welche die Orthodoxie in der jüngsten Zeit geoffenbart hat. Dieser Gesellschaft muß endlich ein Dämpfer aufgesetzt werden!

Fußnoten:
[1] Im Januar 1878 stand Most wegen „Gotteslästerung“ und „Beleidigung der gesamten Geistlichkeit“ vor Gericht.

Aus: Johann Most - Die Gottespest und andere Schriften; Edition Revolutionsbräuhof

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