Johann Most und Emma Goldman - Eine feministische Kritik

Der viel gepriesene Johann Most stellte und stellt noch immer das Idealbild eines konsequenten Anarchisten, Idealisten und Kämpfer dar, ein Vorbild, das durch seine Tätigkeiten in Deutschland, England und den Vereinigten Staaten die anarchistischen Bewegungen stark beeinflusste und viele Menschen für die Idee des libertären Sozialismus begeisterte. Doch gerade die Person Most sollte aus feministischer Sicht kritisch hinterfragt werden, denn eben an seinen Genossinnen hatte Most viel auszusetzen, da er u.a. die politische Tätigkeit der (wenigen) Frauen in seiner Umgebung für überflüssig und lächerlich hielt und ihnen die eigenständige politische Arbeit nicht zutraute.

Der am 5. Februar 1846 in Deutschland geborene Most, seines Zeichen sozialdemokratischer Revolutionär, später dann in den Vereinigten Staaten Anarchist und Herausgeber der Zeitschrift ‚Freiheit’ war ein genialer Redner und beeindruckte so auch Emma Goldman, die ihn 1888 in New York zum ersten Mal sprechen hörte. Fasziniert von der Idee des Anarchismus wurde Most ihr Lehrer und Freund, der sie dazu ermutigte, ins ‚kalte Wasser zu springen’: ‚Der Pfad des Anarchismus ist steil und beschwerlich, viele haben schon versucht hinaufzusteigen und sind zurückgefallen. Der Preis ist erheblich. Wenige Männer sind bereit ihn zu zahlen – die meisten Frauen nicht.’[1]

Most fiel an Emma ihre imponierende Sprachgewandtheit auf, mit der es ihr gelang, Gefühle wiederzugeben und die/den GesprächspartnerIn zu fesseln; er bezeichnete sie als die geborene Rednerin und beschloss, ihr Talent für sich zu nutzen und sie zur Verbreitung seiner Ideen auf ihre erste Vortragsreihe 1890 zu schicken bzw. ließ er sie als attraktive Rednerin aus seinen Manuskripten vor ihm sprechen.

Auf die Frage, ob es denn viele Frauen in der amerikanischen anarchistischen Bewegung gäbe, antwortete Most: ‚Nein, keine, nur Dummköpfe. Die meisten Mädchen kommen zu den Treffen, um sich einen Mann zu angeln; dann verschwinden sie beide – wie der dumme Fischer, als er die Loreley sah.’ [2] Most sah also in den Anarchistinnen nichts weiter als heiratswillige Frauen, die sich auf Partnersuche in ihren Kreisen bewegten, ein eigenes Interesse an der sozialrevolutionären Phase konnten diese Frauen seiner Meinung nach nicht haben, da ja deren primäres Bewegungsfeld in der Familie läge .

Goldman war anfangs begeistert von der Bestätigung, die sie vom ‚großartigen Most’ erhielt, empfand allerdings die Vortragsreise für sich persönlich nicht gerade gelungen, auch deshalb, weil sie bloß die Ideen Mosts nachplapperte und sich kritische Bemerkungen nicht verkneifen konnte, was ihr wiederum das Publikum übel nahm. Nach und nach begann sie, sich eigenständige Überlegungen zu machen, insbesondere legte sie viel mehr Wert auf die Freiheit des Individuums und die Autonomie der einzelnen Gruppen, was Most nicht nur missfiel, sondern was er auch nicht tolerieren wollte: ‚(...) auf der Straße brach er in wüste Beschimpfungen aus. Er hätte eine Viper herangezüchtet, eine Schlange, (...) Er hätte mich hinausgeschickt, um seine Sache zu vertreten und ich hätte ihn betrogen. (...)’ [3]

Schon Monate vorher war die mehr als freundschaftliche Beziehung zwischen Most und Goldman von Alexander Berkman (‚Sascha’) heftig kritisiert worden, insbesondere Most war wegen seinem verschwenderischen Lebensstil Auslöser zahlreicher Streiterein zwischen Sascha und Emma gewesen. Berkman, ein enger, lebenslanger Freund und später auch Geliebter Goldmans, ebenfalls aus Russland in die Vereinigten Staaten emigriert, war neben Most eine weitere schillernde Figur der anarchistischen Bewegung der USA und schrieb unter anderen das ‚ABC des Anarchismus’.

Nun begann auch Emma Mosts politische Ansichten gründlicher zu hinterfragen, hatte sie sich doch von der jungen Bewunderin zur eigenständigen Denkerin verwandelt, keine Frau (mehr), die Most für sich beanspruchen konnte, sei es in der Politik oder im Privatleben. Spätestens als sich herausstellte, dass Most in Emma nur die Mütter seiner Kinder und die Stütze seines Lebens bzw. ein frei verfügbares Sexobjekt sah und ihre politische Tätigkeit nicht ernst nahm, konnte sie seine traditionellen Rollenbilder nicht mehr ertragen und sie emanzipierte sich erfolgreich von Johann Most. Eifersüchtig warf er ihr vor, dass er schon immer gewusst hätte, dass sie diesen ‚arroganten russischen Juden’ (d.h. Berkman) ihm vorziehe [4], was für Emma Berkmans Kritik an Most bestätigte, der ihm vorwarf, mehr Antisemit als Anarchist zu sein und unter dem Deckmantel Anarchismus als Tyrann regieren wolle [5].

Gerade die Erfahrungen mit Most hatten Emma gezeigt, dass Anarchismus und Patriarchat sich nicht unbedingt widersprechen müssen und dass die größten Kämpfer die schlimmsten Unterdrücker sein können. Ihre Beziehung zu Most und die Lehren, die sie daraus zog, war der Beginn ihres Kampfes gegen jegliche Form der Unterdrückung, insbesondere aber für die Rechte der Frauen und gegen die Bevormundung durch die Männer.

Als dann auch noch Most keinerlei Solidarität gegenüber Berkman zeigte, der nach einem Attentat auf den Industriellen Friek, inspiriert durch Mosts ‚Wissenschaft der revolutionären Kriegsführung’, zu lebenslanger Haft verurteilt wurde, ja Berkman sogar jede politische Motivation absprach und ihn als Verrückten diffamierte, standen Goldman und Most sich mehr als feindlich gegenüber. In der ‚Freiheit’ wurden Emma und Sascha immer wieder beschimpft und verleumdet, so dass Emma beschlossen hatte, Most öffentlich zur Rede zu stellen. Für diesen Zweck kaufte sie sich eine Pferdepeitsche, mit der sie bei Mosts nächsten Vortrag auf ihn losging; die wütende Menge konnte knapp daran gehindert werden, sie zu verprügeln, sie wurde aus dem Saal geworfen und Mosts Hasstiraden auf sie und Sascha gingen ohne Einschränkung weiter.

Später, als Most wieder einmal mit Gefängnisstrafe bedroht war, setzte sich Emma ohne nachtragend zu sein für seine sofortige Freilassung ein, sie begegneten sich ein paar mal wieder, es kam aber nie mehr zu einem Gespräch zwischen ihnen, Most hatte Goldman nie für ihr Benehmen verziehen. Er starb während einer Vortragsreise in New York 1906.

Da auch heute noch die Bestrebung, Sexismus als Nebenwiderspruch zu sehen, existiert, kann gerade am Beispiel Most aufgezeigt werden, dass die großen Anarchisten, die für die Gleichberechtigung aller Menschen kämpften, nicht unbedingt die Frauen in ihre Überlegungen miteinbezogen. Teilweise verlieren sie kein Wort darüber, wie in einer befreiten Gesellschaft die Stellung der Frau gebessert werden soll oder wie gleich denn die Frauen nun wirklich sein werden. Sie verlassen sich nur allzu oft darauf, dass mit dem Hauptunterdrückungsmechanismus Staat die Nebenunterdrückung der Frauen durch die Männer ‚von selbst’ verschwindet, was weder logisch ist noch irgendwie prognostiziert werden kann. Tatsache ist, dass Johann Most in Emma Goldman und vermutlich auch in allen anderen Frauen seiner Umgebung nichts anderes sah als putzige Sekretärinnen, hilfsbereite nachsichtige Weibchen und dienende Hausfrauen. Diesem Frauenbild hat Emma Goldman nicht entsprochen, hat ihre eigenen Träume und Ideen entwickelt und sich nicht in den Schatten des großen Theoretiker Most als ‚Groupie’ gestellt. Sie ist aus dessen Schatten herausgetreten und hat eigenständig und eigenwillig das getan, was auch wir schleunigst tun sollten: große Theorien kritisch zu hinterfragen und unsere ureigenen Ideen in praktischer Arbeit zu verwirklichen.

Fußnoten:
[1] Goldman, Emma, Gelebtes Leben,
[2] Lohschelder, Silke, Anarchafeminismus, 2000
[3] Goldman, Emma, Gelebtes Leben,
[4] Goldman, Emma, Gelebtes Leben,
[5] Goldman, Emma, Gelebtes Leben,

Originaltext: eine vom Anarchia - Versand