Fabrik und Werkstätte als kommunistische Wirtschaftseinheit

Der nachfolgende Aufsatz entstammt der Feder einer langjährigen, wackeren Mitkämpferin. Wir erachten ihre Anschauungen für durchaus richtig; so sehr, daß wir stets in der Einheitsorganisation der kommunistischen Umgestaltung von Fabrik und Werkstätte, in ihrer Vereinigung zu einer geschlossenen Gemeinschaft, den wahrsten Hebel der sozialen Revolution befürworten. (Red. "E.u.B")

Mit großem Interesse verfolgeich in "E.u.B." die darin besprochenen Siedelungsbestrebungen. Ich stehe denselben sehr sympathisch gegenüber, und würde gerne solch einer anarchistisch-kommunistischen Siedelungsgemeinde beitreten. Jedoch muß ich bekennen, daß ich solchen Bestrebungen zur Lösung der sozialen Frage, nur begrenzte Bedeutung zumesse, da solche Gemeinschaften gewöhnlich nur einem kleinen Kreis von Auserwählten zugute kommen, für die großen Massen aber nur soweit in Frage kommen, als sie sich als landwirtschaftliche Produktivgenossenschaft in den Kreis der übrigen Genossenschaften, zwecks Güteraustausches, eingliedern.

Was uns nottut, das ist, solche Einrichtungen zu organisieren, die auch die Massen langsam, aber sicher in einen andern Gesellschaftszustand hinüberführen. Schon seit Jahren beschäftigt sich mein Geist damit, diesen Weg zu finden. Ich habe mich da hauptsächlich von dem Gedanken leiten lassen, daß nur der Weg der richtige sein kann, der uns Frauen zugleich aus der doppelten Knechtschaft, in die wir durch das Privateigentum geraten sind, aus der Geschlechts- und aus der Haussklaverei befreit.

Freilich, wie eine solche Gesellschaft aussehen muß, das haben uns ja unsere Vorkämpfer in ihren Schriften vor Augen geführt. Aber wie kommen wir in friedlicher, gewaltloser Aufbauarbeit dazu? Welches sind die ersten Schritte, die wir zu tun haben, um solche Organisationen zu schaffen, welche den Keim der neuen Gesellschaft bilden und aus denen sich die Formen des anarchistisch-kommunistischen Zusammenlebens heraus entwickeln?

Um dieses zu erreichen, dürfen wir kein künstliches Gebilde hinsetzen, sondern wir müssen an dem Bestehenden anknüpfen, und dies sind die einzelnen Fabriksbetriebe in denen ich auf Grund der gemeinsamen Produktion eine geschlossene Wirtschaftsgemeinde sehe. Diese Wirtschaftsgemeinde sollte verpflichtet sein, für sämtliche Bedürfnisse ihrer Gemeindeglieder zu sorgen. Sie müßte, als erste Aufgabe den Einkauf sämtlicher Bedarfsartikel in die Hand nehmen, um möglichst vollständig den Zwischenhandel auszuschalten. Selbstverständlich kommt hier der Austausch mit andern solchen Wirtschaftsgemeinden ebenfalls in Betracht, und sehe ich hier in der Organisation des Konsums die mächtigste Waffe, die das Proletariat bis jetzt noch nicht gebührend begriffen hat. Denn wenn diese einzelnen Wirtschaftsgemeinden föderativ verbunden, so ist es auch möglich, auf Grund des organisierten Konsums die Produktion nach ihren Bedürfnissen zu regeln. Streiks und Boykette dürften dann nicht mehr vergeblich angewandt werden, wie dies heute häufig der Fall.

Der innere Ausbau dieser Fabriks- und Werkstätten-Wirtschaftsgemeinden muß den Angehörigen derselben frei überlassen bleiben. Es dürfte sich aber schon aus Sparsamkeitsrücksichten empfehlen, daß dieselben gemeinsame Gesellschaftsräume, gemeinsame Küche-, Wasch-und Badeanstalten, Sport- und Spielplätze und Kindergärten einrichten. Ein Hauptaugenmerk muß darauf gerichtet werden, die Kinder im sozialistischen Geiste zu erziehen, was schon dadurch gefördert wird, daß alle Glieder der Gemeinde die gleichen Anrechte auf Nahrung und Kleidung und alle Einrichtungen haben. Das Leben innerhalb solcher Gemeinden muß möglichst ohne Bargeld sich abspielen und sollte dieses auf den Verkehr mit außerhalb der Wirtschaftsgemeinde Stehenden beschränkt werden, um mit der Zeit ganz zu verschwinden.

Ich halte die Organisation des Konsums auf diese Weise für den allein richtigen Weg, um in vielleicht langsamer, aber gewaltloser Weise von unten auf zum anarchistischen Kommunismus zu gelangen, denn sämtliche Einrichtungen und Arbeiten dieser Wirtschaftsgemeinden müssen von den Arbeitern selbst organisiert und durchgeführt werden. Dadurch werden diese zu selbständig handelnden Persönlichkeiten und können sich von der Bevormundung durch ihre politischen Führer befreien.

Alle die obigen Gedanken sind nur Andeutungen. Aber sie sind gewiß wichtige Fingerzeige, die bedacht werden sollten. Die Fabrik, der Betrieb, die Werkstätte nicht nur als gewerkschaftliche Betriebsorganisation zur syndikalistischen Bekämpfung des Unternehmertums aufgebaut, sondern zu gleicher Zeit unter den Arbeitenden selbst als Keimzelle der kommunistischen Selbstversorgung des Proletariats gedacht, die Vereinigung all dieser Zellen zu einem geschlossenen Wirtschaftsverband des herrschaftslosen Kommunismus — ich glaube, daß darin unbedingt Weg und Verwirklichung unseres Ideals gelegen.

Rosa Linke

Aus: "Erkenntnis und Befreiung", 2. Jahrgang, Nr. 4 (1919). Digitalisiert von der Anarchistischen Bibliothek und Archiv Wien. Nachbearbeitet (Scanungenauigkeiten entfernt, ae zu ä, That zu Tat usw.) von www.anarchismus.at.