Michael Rohrwasser - Der Spanische Bürgerkrieg und die "Geburt des Renegaten"

Der Grund, warum sich viele "Renegaten" in ihren Berichten der Loslösung von der kommunistischen Partei auf den Bürgerkrieg in Spanien beziehen, wird überdeckt von der Faszination, die das Erlebnis des Engagements für alle Beteiligten behielt. Faszination und Zusammenbruch des politischen Glaubens gehen in den untersuchten Texten Verbindungen ein, die hier im ersten Teil verdeutlicht werden, bevor der "Geburtsakt des Renegaten" in den Selbstdarstellungen analysiert wird.

Für die deutschen Emigranten war es vor allem der Zeitpunkt, an dem die Passivität des Vertriebenseins mit einem offenen Kampf gegen den Faschismus, der sie heimatlos gemacht hatte, vertauscht werden konnte. Der aus dem Konzentrationslager entflohene Hans Beimler sagt bei Gustav Regler: "Nur über Madrid kommen wir nach Deutschland zurück." (Das Ohr des Malchus, Köln 1958, S.383)

Hinzu kam die Faszination, die von diesem aktiven Engagement als Vision einer brüderlichen Menschheit ausging, ein Engagement, in dem die lähmende Niederlage gegen den Faschismus im eigenen Lande, die auch als Niederlage der Arbeiterbewegung und der politischen Theorie verstanden werden konnte, noch einmal aufgehoben schien, aber auch die Faszination der persönlichen Erfahrung von Aktion, Schmerz, Hingabe, Tod.

Ein anderer Faktor, der den Spanischen Bürgerkrieg von den bisherigen Kriegen unterschied, bleibt meist ungenannt. Die Nachrichtentechniken machten die Spanischen Kämpfe zum ersten umfassenden Medienkrieg; eine Heerschar Reporter, Redakteure, Korrespondenten, unter ihnen bekannte Autoren wie Orwell, Kisch, Kostler, Balk, Saint-Exupery, Ehrenburg, Kolzow oder Hemingway berichteten telegraphisch oder postalisch vom Kriegsschauplatz und griffen so ins Kriegsgeschehen ein. Nicht selten sind dabei die Rolle des Schreibers und die des Kombattanten eins. Das lange Intervall zwischen Kriegsmemoiren und Friedensschluß ist geschrumpft; noch während der Kämpfe erschien die erste Bücherwelle über den Spanischen Krieg. Wochenschau, Zeitschriften, Zeitungen, Flugschriften und vor allem das Radio kommentierten, illustrierten und interpretierten das Kriegsgeschehen. Auch dieser Sachlage verdankt der Spanische Bürgerkrieg seine Berühmtheit. George Orwell erinnert sich an ein Gespräch mit Arthur Koestler, in dem sie übereinstimmen, daß die Geschichtsschreibung "1936 ihr Ende gefunden" habe;

"In Spanien las ich zum ersten Mal Zeitungsberichte, die mit den Tatsachen überhaupt nichts mehr zu tun hatten, nicht einmal soviel wie für gewöhnlich mit einer Lüge verbunden ist. (...) Ich erlebte, daß Soldaten, die sich tapfer geschlagen hatten, als Feiglinge und Verräter beschimpft wurden, und daß andere, die nie Pulver gerochen hatten, als Helden nie geschlagener Schlachten gefeiert wurden. (...) Es bestätigte mir, daß Geschichtsschreibung nicht mehr darin besteht, festzuhalten, was sich ereignet hat, sondern, was sich je nach der "Parteilinie" hätte ereignen sollen." (Rückblick auf den Spanischen Krieg, in: George Orwell Lesebuch, Zürich 1981, S.158)

Bürgerkrieg in Spanien und Moskauer Prozesse

Der Spanische Bürgerkrieg bedeutete jedoch nicht nur Erfahrung von internationaler Solidarität, Krieg und Propagandaschlachten, sondern war für viele Exilierte Ort und Zeitpunkt einer neuen Erfahrung, die mit der Gleichzeitigkeit der spanischen Ereignisse mit denen in der UdSSR in den Jahren 1936 bis 1939 zusammenhing.

In Alfred Kantorowicz' Aufzeichnungen aus dem Spanischen Bürgerkrieg stoßen wir auf das zeitliche Nebeneinander von Bürgerkrieg und Moskauer Schauprozessen.

"In Madrid war Nachdenken über Ereignisse, die anderswo geschahen, widersinnig gewesen. Später, an der abgelegenen Südfront drangen Nachrichten nur gefiltert und gedämpft zu uns. Als uns dennoch Briefe und gelegentliche Zeitungsnachrichten aus Frankreich über die sich steigernde Haßkampagne gegen sogenannte "Trotzkisten", Parteiausschlüsse, Verurteilungen, Erschießungen erreichten, sagte ein in den Erdhütten der Sierra Mulva liegender deutscher Kamerad befriedigt- "Fern vom Schuß". Das war kein witziges Paradoxon, der Kamerad meinte es ernst. Solange wir vorn in den Schützenlöchern lagen, war alles klein und einfach: vor uns lag der Feind unserer eigenen Völker und der Weltfeind: Nazismus, Faschismus mit ihren Hilfsvölkern und Hilfstruppen. Was weit hinter uns an der Moskwa vor sich ging, Unbegreifliches, Unfaßliches, war nicht in Hautnähe, brannte uns nicht so. Erst wenn der Nazismus besiegt war, konnte man sich umtun, nach dem Rechten im eigenen Lager sehen." (Spanisches Kriegstagebuch, Ffm: fischer tb 1982, S.114f.)

Bürgerkrieg in Spanien und Moskauer Prozesse sind durch Tausende von Kilometern voneinander getrennt; darin schwingt die Hoffnung mit, daß nach der Rückkehr aus Spanien die blutigen Tage des Thermidor vorbei seien.

"Hoffentlich haben wir das hinter uns, wenn wir hier lebendig herauskommen", heißt es weiter bei Kantorowicz (1982, S.268), und bei Gustav Regler, der Moskau einige Tage vor dem ersten Schauprozeß verlassen hatte: "(...) da war nichts mehr von der Sklavenangst der Intellektuellen in Moskau; im Kugelregen der Faschisten vergaßen alle die heimtückischen Nackenschüsse der GPU (...) Hier schuf die Revolution Vertrauen. (...) Der Gestank von Moskau verfliegt im Wind der Sierra und dieses heroischen Spanien." (1958, S.396)

Gleichwohl hegt Regler Befürchtungen: "Ich weiß nicht, warum ich dort in den Wäldern an Moskau denken mußte. Man hatte mir am Morgen erzählt, daß eine russische Sondermission in Madrid eingetroffen sei. (...) Das gute Rußland war eingetroffen. Würde das dämonische Rußland nachkommen?" (1958, S.369)

Hier wie bei anderen Autoren, die nachträglich ihre historische Weitsicht präsentieren, bleibt die Frage, inwiefern spätere Einsichten die Darstellung verschieben.

Peter Weiss verknüpft dagegen als Romancier rückblickend die beiden historischen Ereignisse: "Gleichzeitig mit der Siegesmeldung der Falangisten, die auf dem Vormarsch waren nach Fuendetodos, Goyas Geburtsort, westlich von Belchite, drang der Ankläger auf den Widerspenstigen ein." (Ästhetik des Widerstands, Bd. I, Ffm 1975, S.290)

Mit dem Angeklagten ist Nikolai Krestinski gemeint, Bolschewik seit 1903 und zuletzt Botschafter der UdSSR in Berlin, 1937 in Moskau der "trotzkistischen Verschwörung" angeklagt; er hatte sich als einziger der Gefangenen geweigert, ein Geständnis abzulegen, "(...) nie habe er dem Block der Rechten und Trotzkisten angehört, habe von dessen Bestehen nicht einmal gewußt und keinerlei der ihm zur Last gelegten Verbindungen mit dem deutschen und japanischen Spionagedienst unterhalten." (1975, S.290)

Später hören die Mitglieder der Internationalen Brigaden bei Peter Weiss dann vom Geständnis Krestinskis: "(...) Wort für Wort schrieben wir es nieder, um es, schwarz umrandet, in die Wandzeitung des kommenden Morgens aufzunehmen. Von den Niederlagen an der Nordfront meldeten wir nichts (...)." (1975, S.290) (1) Krestinski wird zum Tode verurteilt.

Weiss unterstreicht die Gleichzeitigkeit des Bürgerkriegs in Spanien und der Prozesse in Moskau, und wie Kantorowicz unterstreicht er (an dieser Stelle), wie weit beide Geschehnisse voneinander entfernt waren. Gleichwohl ist allen Beteiligten klar, auch den Protagonisten bei Kantorowicz, daß beide Zentren nicht mehr zu trennen waren: Spanien war der Ort des Handelns, der aktiven Solidarität, wo man vor dem geschützt schien, was sich in Moskau auf den Theaterbühnen der Gerichte und in den Parteiapparaten der jeweiligen Länder abspielte.

"Spanien war 1936 der bedrohte Freund, nachdem Rußland sich als der entartete herausgestellt hatte. Vielleicht war der Entschluß, mich nach dem russischen Kurzschluß in Spanien wieder einzuschalten, um so leichter zu fassen, als Lebensgefahr in diese Entscheidung einbezogen werden mußte. Tod ist immerhin ein Risiko und läßt sich nicht mit Phrasen betrügen" (1958, S.363), schreibt Gustav Regler mit einem Hang zur Phrase. (2) Und auch Kantorowicz verzeichnet beim nachträglichen Blick einen ähnlichen Beweggrund, für sich wie für andere: "Es war unsere Sache, die da mit Waffen verhandelt wurde, und es ist nicht zuviel gesagt, wenn ich hier ausspreche, daß manche von uns vor den bedrängenden Zweifeln, die uns Kopfweh und Herzweh machten, nach vorn flohen, an die Front flohen, wo wir im Angesicht des vor uns liegenden Feindes der inneren Bedrängnis vergaßen und mit uns selbst wieder ins Reine kamen." (Deutsches Tagebuch Bd.I, Bin 1978, S.49; vgl. S.53f.)

Diese Sehnsucht nach dem identifizierbaren Feind (eine selbstironische Redewendung der heutigen spanischen Linken: "Contra Franco viviamos mejor" - gegen Franco ging es uns besser) und die Angst vor einer Entwicklung, die Freund und Feind nicht mehr unterscheidbar machte, sind Symptome, die auch heute nicht unbekannt sind.

Diese Hoffnungen, in Spanien einem temporären Machtkampf innerhalb des kommunistischen Lagers zu entgehen, zerschlugen sich, und ihr Verlust prägt die Literatur über den Spanischen Bürgerkrieg. Die Moskauer "Säuberungswelle" griff bald nach den ersten sowjetischen Waffenlieferungen über nach Spanien. Bereits am 17. Dezember 1936 proklamierte die "Prawda" in Moskau, daß die Säuberung in Spanien schon eingesetzt habe und mit der gleichen Energie durchgeführt werde, mit der sie in Rußland vollzogen worden sei. (3) In der Kominternzeitschrift "Rundschau", Nachfolgerin der "Inprekorr", beginnt zu dieser Zeit die ideologische "Entlarvung" der spanischen Anarchisten und Trotzkisten. Dort wird beispielsweise die von der spanischen KP abgespaltene POUM als ein Organ der Gestapo bezeichnet. (4) Die Folgen dieser "Entlarvung" sind später in den linientreuen Spanienerinnerungen schreibender Kommunisten nachzulesen. Noch 1974 schildert Pablo Neruda die spanischen Anarchisten als raubende und mordende "Horden". (1974, S.181f.) (5)

Stalinistischer Terror gegen die Linke

Während das russische Engagement in Spanien den Blick der Weltöffentlichkeit vom stalinistischen Terror in der UdSSR ablenkte, erfuhren die Freiwilligen in Spanien auf drastische Weise davon; der Kampf der Kommunistischen Partei und ihrer sowjetischen Helfer gegen die übrige Linke wurde zur traumatischen Erfahrung vieler Spanienkämpfer. In der europäischen Linken hat er wahrscheinlich tiefere Spuren hinterlassen als die Niederlage gegen Franco. Gerade weil Spanien der Strohhalm war, an den sich viele Exilanten in einem Augenblick klammerten, als die Weltlage düsterer denn je war, wuchs auch die Sensibilität gegenüber jenen Faktoren, die diese Hoffnung zunichte machten. Daß in Spanien ein Großteil der militärischen Kraft darauf verwandt wurde, die eigene Linie gegen Anarchisten und POUM-Mitglieder durchzusetzen, daß republikanische Soldaten liquidiert wurden und unliebsame Politiker verschwanden, schmälerte offensichtlich die Hoffnung auf einen exemplarischen Sieg gegen den Faschismus und drohte den Glauben an die Sowjetunion als einzige wirkliche antifaschistische Kraft zu zerstören. Diese Konfrontation mit dem sowjetischen Terror hatte zur Folge, daß mit den Fronten auch die Hoffnungen verschwammen. Wollte man den Sieg der Republik um den Preis organisierten Terrors, Massenmords und Folterungen? Am Ende seines Katalonien-Buches schreibt George Orwell: "Wie auch der spanische Krieg enden mag, er wird sich jedenfalls als eine entsetzliche Katastrophe erweisen, ganz abgesehen von dem Gemetzel und den körperlichen Leiden." (Mein Katalonien, Zürich 1975, S.286)

Der Spanische Bürgerkrieg wurde damit zu einem Wendepunkt in der politischen Biographie einer ganzen Generation, die mit der kommunistischen Bewegung sympathisierte. Sozialistische Beobachter und Mitstreiter wie George Orwell, Emest Hemingway, John Dos Passos, Franz Borkenau oder Willy Brandt kehrten als Gegner der Kommunisten zurück.

Und ein neuer Typus des politischen Schriftstellers wurde geboren: der Renegat (6). In den Spanienberichten von Arthur Koestler, Alfred Kantorowicz, Jef Last, Gustav Regler, André Malraux steht die Erfahrung des Terrors gegen die Verbündeten im Zentrum der Begründung des späteren Bruchs mit der Partei.

Der Krieg, der im Inneren der eigenen Linie tobte, forderte eine unübersehbare Zahl von Opfern. Roy Medwedew schreibt (als KPdSU-Mitglied) in seiner Geschichte des Stalinismus ("Die Wahrheit ist unsere Stärke"): "Sehr wahrscheinlich hat Stalin mehr Spanienkämpfer erschiessen lassen, als durch die Kugeln der Faschisten in Spanien gefallen sind." (Ffm 1973, S.277) Er bezieht in seine Rechnung jene Opfer ein, die nach ihrer Rückkher in Rußland hingerichtet wurden.

Im französischen Konzentrationslager Gurs, wo 1938/39 ehemalige Spanienkämpfer interniert waren, schloß sich eine Gruppe von Kritikern der KP-Politik zusammen, die zu über der Hälfte aus ehemaligen Parteimitgliedern und Sympathisanten bestand. Sie nannte sich (nach ihrem Quartier) "9. Kompanie" und stand in engem Kontakt mit Willi Münzenberg und dessen "Freunden der "Zukunft"" (7).

Die "9. Kompanie" zählte etwa 170 Gefangene, die sich von den stalinistischen Unterdrückungsmethoden in Spanien distanzierten und sich auch bald über das Verhalten der Kommunisten in den Lagern gegenüber ihren Kritikern beschwerten. Die Kommunisten hatten als stärkste Fraktion die Lagerleitung inne und übergingen bei der Verteilung von Geschenkpaketen oder Geldsendungen systematisch die "9. Kompanie" (8).

Die KPD reagierte auf deren Kritik mit Erklärungen, daß die Gruppe aus "Trotzkisten" und Verrätern bestünde, ja sogar aus "Faschisten", Gestapo-Agenten und verkappten Nazis. Schließlich verbreitete sie das Gerücht, daß die "9.Kompanie" nichts als eine Gruppe von "Heimfahrern" sei, die in das nationalsozialistische Deutschland zurückkehren wollte (vgl. zur Mühlen 1985, S.293f.).

Nachdem sich unter dem Einfluß Willi Münzenbergs immer mehr Kommunisten von der Partei trennten, veröffentlichte die KPD in der "Deutschen Volkszeitung" einige Artikel, in denen die "9. Kompanie" wegen ihrer Parteinahme für Münzenberg als "Gestapoagenten, Hochstapler, Diebe" und "Trotzkisten" bezeichnet wurden, die "am Aufstand gegen die Spanische Republik teilgenommen hätten" (zur Mühlen, 1985, S.293). Folge davon war eine weitere Konsolidierung der "Renegaten": Peter Maslowski und Walter Oettinghaus, ehemalige Reichstagsabgeordnete der KPD, gaben zusammen mit anderen Parteifunktionären einen offenen Brief heraus, mit dem sie gegen die Diffamierungen in der "Deutschen Volkszeitung" protestierten. Zu den etwa 260 Unterzeichnern gehörten auch eine Reihe bislang kommunistischer Intellektueller wie Arthur Koestler und Manes Sperber.

Die Diffamierung von Seiten der Kommunisten, die diesen Zusammenschluß von Kritikern und "Renegaten" erst provozierte, wurde nicht zuletzt durch Angst vor Konkurrenz auf dem Bereich der Volksfrontpolitik gespeist - ein Mechanismus, der in der Folge immer wieder zu beobachten ist.

Die Rolle Walter Krivitskys

Die Geschichte des stalinistischen Terrors in Spanien ist ausführlich dokumentiert (9). Eines der frühesten Dokumente verdient dabei besondere Hervorhebung; es stammt von Walter Krivitsky, mit bürgerlichem Namen Samuel Ginsberg, der erste hohe Beamte des sowjetischen Spionagenetzes, der desertierte. Krivitsky war während des Bürgerkrieges in Spanien General der GPU; 1936 hatte er die Funktion des Leiters des sowjetischen Militär-Nachrichtendienstes in Westeuropa inne und hatte in dieser Funktion zuvor das Netz des russischen Geheimdienstes in Nazideutschland ausgebaut. Ende 1937 brach er mit Stalin und veröffentlichte 1939 in den USA seinen Enthüllungsbericht, der ein Jahr später im Amsterdamer Exilverlag Allert de Lange auf deutsch erschien: "Ich war in Stalins Dienst!" (10)

Es ist nicht nur der erste Tätigkeitsbericht eines russischen Geheimdienstlers, sondern wohl auch einer der ersten exkommunistischen Renegatenberichte überhaupt. In seinem Spanien-Kapitel schildert er die Geschichte der Sowjetintervention in Spanien unter dem Motto: "Die Welt glaubt noch immer, daß Stalins spanische Aktion irgendwie mit Weltrevolution zu tun gehabt habe. Aber das stimmt nicht. Die Weltrevolution hatte damals für Stalin schon lange aufgehört ein echtes Ziel zu sein. Hier ging es allein um russische Außenpolitk." (S.93)

Krivitsky berichtet von Waffenlieferungen (z.T. kamen die Waffen sogar aus Deutschland), von der Verfrachtung des spanischen Goldschatzes nach Moskau, vom Aufbau der GPU in Spanien, vor allem aber in Katalonien, und der Überwachung der Freiwilligen, denen gleich bei der Ankunft in Spanien die Pässe abgenommen wurden.

Krivitskys Bericht, der die eigene Rolle und insbesonders die Beweggründe seines Handelns völlig in den Hintergrund schiebt zugunsten eines Tableaus der Stalinschen Außenpolitik, in dem die Ereignisse in Moskau und Spanien kausal verknüpft sind, schildert dann das Schicksal einiger Unbekannter, die in den Gefängnissen der GPU endeten, wie der Einfluß der Komintern schwindet und vor allem Stalins Kampf um Katalonien, wobei er auf einige erstaunliche Details eingeht, etwa, daß ein Führer der russischen Anarchisten in Paris ein Geheimagent der GPU gewesen war, der dann in Barcelona als Agent provocateur arbeitete, um die Katalonier zu übereilten Taten zu veranlassen.

Krivitskys Fazit: "Stalins Rolle in Spanien ging nun dem schmählichen Ende zu. Er hatte dort in der Hoffnung interveniert, mit Spanien als Meilenstein einen Weg von Moskau nach Paris und London und so letzten Endes nach Berlin bauen zu können. Das Manöver war nicht geglückt. Er spielte seine Karten kühn gegen die Unabhängigkeit des spanischen Volkes aus, aber nur zaghaft gegen Franco. Er hatte Erfolg in der mordenden Intrige, aber er versagte, wenn es Krieg zu führen galt. Paris und London nahmen Franco gegenüber immer deutlicher eine freundliche Haltung ein. Mählich im Lauf des Jahres 1938 zog Stalin seine Hand von Spanien zurück. Alles, was er aus Spanien gewann, war ein Haufen spanischen Goldes."

Es ging Stalin wohl in Wirklichkeit gar nie ernsthaft darum, Franco zu besiegen, denn dann hätte er zuallererst den Italienern die Ölzufuhr sperren können - mit dem italienischen Öl lief nämlich die Franco-Militärmaschine (11) - sondern den Anarchismus in Katalonien, die spanische Revolution zu vernichten. Was konnte ihm Schlimmeres zustoßen mit seiner Doktrin vom "Sozialismus in einem Lande" und seinem Revolutionsmonopol, als daß in Spanien (oder anderswo) eine Revolution erfolgreich verlaufen wäre, und womöglich noch libertär, mit menschlichem Gesicht. Das außenpolitische Kartenhaus wäre zusammengestürzt, die Komintern auseinandergefallen. In Spanien wurde eine drohende Konkurrenz im Keim vernichtet.

Statt diese Thesen von Krivitsky weiter zu erörtern (12), stellt sich hier die Frage, wie er seinen Bruch mit der Partei begründet und warum er dieses Buch schrieb. Die Antwort scheint ja einfach: Krivitsky hat den Terror in Spanien erfahren, mit Stalin gebrochen und seine Erinnerungen veröffentlicht. Es ist die Antwort, die er und die anderen "Renegaten", die über Spanien berichten, nahelegen, aber sie ist in dieser Plausibilität und Geradlinigkeit nicht zutreffend.

Tatsächlich war bei Krivitsky der Grund des Bruchs, oder genauer: der Anlaß, ein anderer als die Erfahrung des GPU-Terrors in Spanien. Seine Trennung von der GPU und Stalin hängt zusammen mit dem Tod seines Freundes Ignaz Reiß (i.e. Ludwig Poretski), einem der wichtigsten im Westen arbeitenden Agenten der GPU, dessen Loslösung von Stalin und der Partei wiederum auf die Hinrichtung seiner Freunde in Moskau, die als "Gestapokreaturen" "entlarvt" wurden, zurückgeht. Reiß schrieb einen offenen Brief an das ZK der KPdSU und suchte dann in Frankreich Kontakt zum Exilkreis um die trotzkistische IV. Internationale. Er unterrichtete Leo Sedow (Trotzkis Sohn), Victor Serge und deren Freunde darüber, daß die Durchführung der Beschlüsse anstehe, die Anhänger Trotzkis und der POUM in Spanien auszurotten.

Zum Mord an Reiß schreibt Victor Serge: "Ignaz Reiß warnte uns [die Gruppe um Sedow], wir seien alle in Gefahr, und wollte uns sehen. Reiß hielt sich jetzt in der Schweiz verborgen. Wir verabredeten uns mit ihm für den 5. September 1937 in Reims [...] Er kam nicht. Wir gingen beunruhigt in der Stadt herum [...]. Im Zug, auf der Rückfahrt nach Paris lasen wir in einer Zeitung, daß Tags zuvor auf der Landstraße von Chamblandes bei Lausanne der von Kugeln durchlöcherte Leichnam eines Ausländers gefunden worden sei, der in der Tasche eine Eisenbahnfahrkarte nach Reims hatte... Drei Tage später schilderte uns die Witwe, Elsa Reiß, mit gebrochener Stimme den Hinterhalt: die Ankunft einer Genossin (Gertrude Schildbach), die trostlos geweint hatte, als sie von den Moskauer Hinrichtungen erfuhr und die mit Reiß seit 15 Jahren verbunden war; sie war gekommen um seinen Rat zu erbitten. Sie gingen miteinander fort. Die Genossin ließ für Frau und Kind vergiftete Schokolade zurück. In der zusammengekrampften Hand des Ermordeten fand man ein Büschel grauer Haare [...]. Die Ermittlungen klarten das Verbrechen völlig auf. Hohe russische Funktionäre wurden gebeten, im Schutz der diplomatischen Immunität binnen drei Tagen abzureisen." (Beruf: Revolutionär, Ffm 1967, S384ff.)

Serge zufolge bricht Krivitsky also mit Stalin, weil ihn der Tod seines Freundes Reiß erschütterte, weil er den Auftrag erhält, dessen Witwe zu liquidieren, weil er nach Moskau in den sicheren Tod zurückbeordert wird.

In der Einleitung zu seinen Erinnerungen (dem Teil seines Buches, wo es sich der Exkommunist Krivitsky erlaubt, von der eigenen Person zu sprechen) stellt er selbst die Gründe für seinen Bruch und für dessen Verzögerungen vor. Er schildert, wie ihn das Schicksal seiner Kampfgefährten bedrückt, die nicht unter feindlichen Kugeln, sondern unter denen der GPU gestorben waren. "Alle jene, deren persönliche Unantastbarkeit über jeden Zweifel erhaben schien, hatten als "Verräter", "Spione" oder "gemeiner Verbrecher" geendet" (1940, S.7).

Und immer wieder war es ein gedanke, der ihn ausharren ließ: "Aber stets sorgten Ereignisse in irgendeinem anderen Teil der Welt dafür, mich in Stalins Dienst zu halten [...] Stalin war Hitlers Feind - und so blieb ich in Stalins Dienst [...] Die Sowjet-Union schien trotz allem die einzige Hoffnung der Menschheit. So blieb ich im Dienst der Sowjet-Union - will sagen: Stalins, ihres Herrn. Zwei Jahre später begann die Spanische Tragödie. [...] Noch immer fühlte ich bei der Wahl zwischen den Übeln, daß ich auf der rechten Seite focht" (1940, S.9,12)

Dieses große Entweder-Oder war die Crux, die die meisten Antifaschisten zum Schweigen brachte, oder auch zum Verteidigen des Stalinschen Terrors, verstanden als Akt antifaschistischen Handelns. Niemand brachte es auf eine kürzere Formel als der Spanienkämpfer und spätere Leiter der westdeutschen KP, Franz Dahlem 1938 mit dem Titel seines Aufsatzes: "Wer gegen die Sowjetunion ist hilft dem Faschismus." (14)

Die Motive der Renegaten

Auch bei anderen Renegaten, die nachträglich den Stalinschen Terror im Bürgerkrieg thematisierten, läßt sich die Geschichte ihres Abfalls von der Partei selten so fassen, daß sie aus ihren Erfahrungen in Spanien geradlinige Konsequenzen zogen, auch wenn es sich in ihren Memoiren und Autobiographien so liest. Gustav Regler etwa entwirft im "Ohr des Malchus" nachträglich das Bild, daß das spanische Erlebnis ihm die Augen geöffnet und zur Trennung von der Partei veranlaßt habe. Tatsächlich aber verteidigt Regler in seinem 1939 geschriebenen Spanienroman "Das große Beispiel" noch die stalinsche Politik. Daher konnte dieser Roman auch erst posthum erscheinen, Regler selbst wollte dafür keine Erlaubnis erteilen und nahm für die "gereinigte" amerikanische Ausgabe einschneidende Korrekturen vor. Nach seiner Internierung in Frankreich (Le Vemet) war er ins mexikanische Exil gegangen, wo er, unter dem Schutz des Pseudonyms d`Artagnan, ein pamphletisches Porträt des tschechischen Stalinisten Otto Katz veröffentlichte (das war 1942; zehn Jahre später wurde Katz alias André Simone im Slansky-Prozeß als Trotzkist "entlarvt" und gehängt). Daraufhin erst leitet die Partei eine Kampagne gegen Regler ein, Katz wird in Schutz genommen und Egon Erwin Kisch zieht in der in Mexiko erscheinenden Zeitschrift "Freies Deutschland" gegen Regler zu Felde, indem er ihn als "Meuchelmörder" abstempelt (15).

Ernst Bloch macht es im gleichen Blatt grundsätzlicher. Regler gehört für ihn zur "Kloake", und Bloch macht angesichts der von ihm mit Affekt verteidigten Moskauer Prozesse "eine ganze Literaturgattung des Verrats" aus; mit Invektiven wie "Dummheit, Wahnsinn und Lumperei" bedenkt er Regler, dessen Verrat mit "dreissig Silberlingen" belohnt worden sei. (16) (In der Suhrkamp-"Gesamtausgabe" hat dieser Bloch-Aufsatz mit dem Titel "Verrat und Verräter" keinen Platz erhalten).

Daraufhin erst tritt Regler aus der Liga Pro-Cultura Alemana aus, der Parteiausschluß wird von Seiten der Partei vollzogen. In den folgenden Jahren litt er unter Ängsten, daß ihm ein gleiches Schicksal wie seinem Nachbarn Trotzki drohe. Ausgelöscht wurde Regler jedoch aus dem literarischen Gedächtnis seiner früheren Gefährten. In Ludwig Renns Roman "Der spanische Krieg" (1955) wird er totgeschwiegen, obwohl er Seite an Seite mit Renn gekämpft hatte. Auch in späteren Publikationen seiner alten Kampfgefährten fällt sein Name nicht. (17)

Handelt es sich also um eine Fiktion, wenn die Autoren nachträglich ganz andere Beweggründe für ihren Bruch mit der Partei geltend machen, als biografisch zu ermitteln sind, hat die Erfahrung des stalinistischen Terrors in Spanien gar nicht jenen hier hypostasierten Stellenwert?

Von der "Geburt des Renegaten" spreche ich nicht einer einprägsamen literarischen Metapher wegen. Sondern weil auch zwischen der Überzeugung und der Geburt des Renegaten eine längere Zeitspanne liegen kann.

Der Renegat entscheidet sich im Urteil seiner Zeitgenossen immer zu spät. Im Blickwinkel der verlassenen Partei heißt das, daß er ja schon immer ein Agent des feindlichen Lagers war und jetzt erst die Maske des Revolutionärs abstreift, im Blick des anderen Lagers hat er sich zu rechtfertigen, warum das Re-Negare, das Nein-Sagen, so spät erst erfolgte, wo doch alles so offensichtlich scheint.

Ein Renegat der Nachkriegszeit, Jorge Semprun, weist uns darauf hin: "Wenn man sich innerhalb der kommunistischen Bewegung engagiert hat, kommt eine Bewußtwerdung dieser Art - gemessen an den objektiven kritischen Informationsmöglichkeiten und den Erfordernissen einer wirklich linken Sicht - immer zu spät" (in: Freibeuter, H. 10, 1981, S.77).

Arthur Koestler führt die Verzögerung in seinem Fall darauf zurück, daß der Schock in Spanien mit einem "Zeitzünder" versehen war (in: Ein Gott der keiner war, Köln 1952, S.58).

Dieses Zuspätkommen weist auf die Differenz zwischen Wissen und Handeln, auf die Schwierigkeiten der Lösung von der "Mutter Partei"; eine Abnabelung, die mehr als Einsicht und Glaubenszweifel voraussetzt, denn die "Mutter" widersetzt sich dem Autonomisierungsprozeß ihres Zöglings mit allen Mitteln. Dem "Renegaten" droht nicht nur die Verstoßung ins Nichts oder gar Lebensgefahr, sondern auch die Umarmung des alten Feindes und damit die Erkenntnis, auf der falschen Seite gekämpft, sein Leben vertan zu haben. Auch nach dem Verlust des Glaubens bleibt manchen "Renegaten" die Gewißheit: "Es gibt kein Leben außerhalb der Partei".

Daher wird der Bruch mit ihr zu einer tendenziell tödlichen Erfahrung: "Lieber hätte ich sterben wollen, als diesen geistigen Tod zu überleben", sagt der ehemalige spanische Kommunist Jose Diaz.

Die sogenannte "psychische Geburt" des Menschen verläuft um so günstiger, je mehr Unterstützung das Kind bei seinen Unabhängigkeitsbestrebungen durch die Mutter erfährt. Die Rolle der "Mutter Partei" dagegen charakterisiert der "Renegat" Georg K. Glaser mit dem ersten Satz seines jüngsten Buches "Jenseits der Grenzen": "Die Netty Reiling hatte versucht, ihr liebes, unter Sommersprossen leuchtendes Gesicht grimmig zu verzerren und ihren Gefährten, über die eine todesgewaltige Führung den Stab gebrochen hatte, eine Zeile Brecht hinterher geschickt, langsam, so wie sie stets jede Silbe bis in alle Ecken hinein aussprach: "Man schlage ihnen ihre Fressen mit schweren Eisenhämmern ein"." (Düsseldorf 1985, S.5) (18)

Gustav Regler, dem diese Drohung von Anna Seghers galt, blieb von dem Eisenhammer verschont, ein anderer ist ihm nicht entgangen. Walter Krivitsky wird im Februar 1941 in einem Hotelzimmer in Washington DC erschossen aufgefunden. Der Abschiedsbrief deutet auf Selbsttötung und der Fall wird von der Polizei schnell zu den Akten gelegt. Allerdings hatte Krivitsky seine Frau gewarnt, daß sie, egal was geschehe, nicht an einen Selbstmord glauben dürfe. (19)

In seinem Buch berichtet Krivitsky von zwei Versuchen der GPU, ihn in die Sowjetunion zu verschleppen und schließt mit der Schilderung eines weiteren Anlaufs zum Kidnapping, der in letzter Minute scheitert. "Ich war noch einmal mit heiler Haut davongekommen", lautet der Schlußsatz seiner Erinnerungen.

Nach der Ermordung von Ignaz Reiß schrieb Leo Trotzki einen Artikel für das Pariser Oppositionsbulletin ("Eine tragische Warnung"), in dem er auf die Situation der Überläufer einging: "Die einzige wirkliche Sicherheit gegen Stalins gemietete Mörder bietet die volle Publizität... Noch am Tage des Bruchs hätte eine politische Erklärung an die Presse herausgehen müssen. Solch eine Erklärung würde sofort die Aufmerksamkeit weiter Kreise auf ihn gelenkt und Stalins Henker gehindert haben." (20)

Daß Trotzkis Ratschlag keine sichere Gewähr gab, zeigen sein eigenes Schicksal, das seiner Familie und das Ende von Krivitsky. Aber auch die andere Möglichkeit, die sich Abtrünnigen bot, der Versuch des "Unsichtbarwerdens" in der Hoffnung, daß das angezeigte Versprechen des Schweigens der Person die Gefährlichkeit des Geheimnisträgers nahm, garantierte nicht das Überleben.

Noch eine weitere Gefahr war mit Trotzkis Ratschlag verbunden, die 1937 nicht absehbar war: die Vereinnahmung und Funktionalisierung des Renegaten als Konvertiten durch das andere Lager. Während die kommunistische Presse die Renegaten denunzierte und deren Berichte auf ihren antikommunistischen Part reduzierte, alle Attacken gegen Hitler und Nationalsozialismus als Tarnung der Autoren abtat, vereinahmte das gegnerische Lager den Autor als einen der ihren.

Die Tradition der Denunzierung des Feindes aus den eigenen Reihen reicht bis zur Ketzerverfolgung der Inquisition zurück; der Ketzer ist, laut Grimmschem Wörterbuch, Inbegriff des Unmoralischen: so wird aus André Gide ein "unmoralisches und perverses Individuum", aus Panait Istrati ein "Agent", aus Victor Kravchenko ein "Trunkenbold" und aus Krivitsky wenigstens ein "Feigling". Im Spiegel des Lagerdenkens ist der Autor nicht aus Überzeugung, Gewissensnöten oder Verzweiflung ins andere Lager übergelaufen, sondern zumeist aus materiellen Gründen, d.h. aus moralischer Inferiorität - sein Autorenhonorar ist der Judaslohn. Der Verräter war schon immer ein Agent der Gegenseite, dem nun die Larve vom Gesicht gerissen werden mußte. Ihn als "Judas" zu entlarven, hieß nicht nur, daß ein "Gott" verraten wurde, sondern auch, daß der Verräter wie Judas zu sterben hatte.

Die Kehrseite dieser Denunziation ist dann die Indienstnahme des "Renegatenberichts", der wohl wie kein anderes literarisches Genre der Zeit politisch funktionabel gemacht wurde. Auflage und Ruhm wurden bestimmt durch den Grad der Funktionabilität, und noch heute sind die Namen und Bücher der weniger funktionablen Renegaten kaum bekannt. Viele Texte sind, wenn nicht schon während ihrer Entstehung, so doch spätestens im Moment ihrer Verbreitung politisch verwertbar geworden. Da die Nützlichkeit oftmals der schon beim Schreiben einkalkulierte Preis war, den zu zahlen man sich bereit erklärte, wäre es kurzsichtig, die Texte jenseits dieses "Nutzeffekts" zu betrachten: der Nutzeffekt aber treibt wiederum die Denunziation des Renegaten voran, ihre Funktionalisierung ist der Beweis, daß sie ganz und gar sich dem anderen Lager einfügen, in dessen Dienst und in dieser Funktionalisierung aufgehen. So wird in diesem Wechselspiel von Funktionalisierung und Denunziation der Renegat endgültig festgelegt. Gleichwohl ist es fatal, den Renegatenbericht auf den "Nutzeffekt" zu reduzieren, wie es im rezeptiven Blick beider Lager geschieht, und die "Geburt des Renegaten" nur exnegativo zu erklären, als geprägt von den Denunziationen der einen und den Funktionalisierungen der anderen.

Dagegen hilft zum einen eine komplexere Lesart der Texte, die nicht die Erwartungshaltungen der Lager perpetuiert (21), zum anderen der Gedanke, daß die Renegaten es waren, die das große Entweder-Oder, Faschismus ODER Stalinismus, tertium non datur, sprengten. Kritik an Stalin mußte nicht mehr im Antikommunismus, Antifaschismus nicht mehr in der stalinistischen Organisation münden. Die Exkommunisten blieben dadurch Sozialisten, indem sie Renegaten wurden. Das gilt wenigstens für den Moment ihres Buches.

Georg K. Glaser, der die Bezeichnung des Renegaten für sich ausdrücklich gelten lassen möchte, sagte in einem Gespräch: "Nicht der Renegat verrät die Partei, sondern sie verrät ihn."

"Woran liegt es", fragt Lothar Baier am Ende seiner Studie über eine der frühesten kirchlichen Ketzerverfolgungen, "daß aus Dissidenten [...] allzuoft Überläufer werden, die im anderen Lager landen und dadurch der um sich schlagenden Rechtgläubigkeit zu einem ruhigen Gewissen verhelfen? Weil es ihnen selten gelingt, aus der Logik des tertium non datur auszubrechen, in der zusammen mit ihren Verfolgern auch ihre selbsternannten Freunde gefangenbleiben." (Die große Ketzerei, Berlin 1984, S. 195)

Fußnoten:
1.) "Gute Arbeit", sagt dazu die deutsche politische Polizei bei Hans Joachim Schädlich (Reinbek 1986, S.194), der den Abschnitt 60 seines "Tallhover"-Buches (über die Internationale der Polizei) Krestinski widmet.
2.) Genauer gelesen ist es allerdings nicht die Phrase, die bei Regler störend wirkt, sondern die spezifische Aufladung seiner Metaphorik. Er spricht von Stromkreisen und ist auf dar Suche nach dem Kontakt mit der Macht, die er an ihrer Tödlichkeit erkennt. Sein ganzer autobiographischer Bericht ist überschwemmt mit Hinweisen auf die Sinngebung des Todes.
3.) zit n. Krivitsky (1940, S.120)
4.) VII. Jg. (1937), S.232f. u. S.571ff.
5.) Die Kommunisten werden von Neruda dagegen als "die moralische Kraft" bezeichnet (Ich bekenne ich habe gelebt, Darmstadt/Neuwied 1974, S.182). Seine Schilderung eines Anarchisten, der im Morgengrauen exekutiert, geht möglicherweise zurück auf eine Erzählung El Campesinos von (kommunistischen) Erschiessungen bei Sonnenaufgang, kann sich aber auch auf die GPU-"Brigade der Morgendämmerung" beziehen und wäre in beiden Fällen eine Schuldverschiebung von den Kommunisten auf die Anarchisten. Daß vor allem in der Anfangsphase des Bürgerkriegs der Terror (etwa gegen den Klerus) auch von Anarchisten ausging, ist hier nicht Thema. - Dolores Ibarruri nannte die Anarchosyndikalisten kurz "nuevos facciosos", die neuen Faschisten (D. Ibarruri, El unico camino, Paris 1965, S.387- 393)
6.) Neben den spanischen Renegaten El Campesino (i.e. Valentin Gonzalez), Jesus Hemandez, Castro Delgado und Julian Gorkin sind es vor allem Gustav Regler, Alfred Kantorowicz, Jef Last, Arthur Koestler, Alexander Qrlow, Walter Krivitsky und André Malraux. - George Orwell schreibt: "Der Spanische Bürgerkrieg und andere Ereignisse in den Jahren 1936-37 bewirkten den Umschwung. Ich wußte nun, wo ich stand. Jede Zeile der wesentlichen Arbeiten, die ich seit 1936 geschrieben habe, ist direkt oder indirekt gegen den Totalitarismus und für den demokratischen Sozialismus, wie ich ihn auffasse." (Warum ich schreibe, in: George Orwell Lesebuch, Zürich 1981, S.27)
7.) Am 10.3.1939 hatte Münzenberg seinen Austritt aus der KPD, die er mitbegründet hatte, erklärt. Ende 1938 gründete er eine eigene Zeitschrift "Die Zukunft", die Volksfrontpositionen vertrat und von der Komintern mit heftigem Argwohn als Konkurrenz verfolgt wurde. Die KPD versuchte ihn nach Moskau zu locken und verlangte dann von allen seinen Mitarbeitern, daß sie sich von ihm lossagten. Münzenberg konstituierte dann im Mai 1939 eine Gruppe oppositioneller Kommunisten, die sich "Freunde der sozialistischen Einheit Deutschlands" nannten (vgl. Patrik von zur Mühlen: Spanien war ihre Hoffnung. Bonn 1985, S .291 ff. und Babette Gross: Willi Münzenberg, Stuttgart 1967, S.311ff.).
8.) nach zur Mühlen 1985, S.291f. - Gustav Regler berichtet im "Ohr des Malchus" von diesen Praktiken der KPD im Lager Le Vemet wo er zum Vertrauensmann der Baracke 33 gewählt worden war: "Ich ließ die von Münzenberg gesandten Ballen öffnen. Wollschals quollen heraus; Gamaschen für die zitternden Waden, und Decken, Decken für eisige Nächte. Ein Freudengeheul ging durch den Riesensarg. Darauf tagten die Berufsrevolutionäre und faßten neuen Beschluß. Als ich an das Verteilen ging, wurde ich von dem Abgesandten der Berufsrevolutionäre, Merker, zur Seite gerufen. Er überreichte mir eine Liste mit den Namen derer, die zuerst Decken bekommen sollten; es waren nur Parteibeamte. [...] So hatten die Berufsrevolutionäre beschlossen. Es fiel das Wort "Kaderschutz". Ich kann bis heute das Wort nicht mehr hören." (S. 461) Regler wurde später von den Kommunisten als Kollaborateur der französischen Lagerleitung denunziert.
9.) Vgl. Pierre Broue und Emile Temime: Revolution und Krieg in Spanien, Ffm 1975; Julian Goikin: Stalins langer Arm, Köln 1980; Felix Morrow: Revolution and Conterrevolution in Spain, New York 1974; zur Mühlen (1985); Rudolf Rocker: Die Spanische Tragödie, Berlin 1976.
10.) Krivitsky wandte sich bereits im Dezember 1937 in einem "offenen Brief" an die Sozialistische Partei Frankreichs, die französische KP und die Vierte Internationale. Er schrieb, daß er seit 1919 in der Partei sei und mit Orden und Vertrauen ausgezeichnet worden war. Verhaftung und Erschießung vieler Unschuldiger hätten ihn nun bewogen, seine Position aufzugeben und sich der Rehabilitierung jener zu widmen, die zu Unrecht angeklagt und ermordet worden seien. "Ich weiß - und kann es beweisen -, daß auf meinen Kopf eine Belohnung ausgesetzt ist. Ich weiß, die OGPU wird vor nichts zurückschrecken, um mich zum Schweigen zu bringen, durch Mord. Jeshow hat Dutzende von Leuten zur Verfügung, die zu allem bereit sind, und sie sind schon hinter mir her. Ich halte es für meine Pflicht als militanter Revolutionär, dies alles der internationalen Arbeiterklasse zur Kenntnis zu bringen." (zit. b. Medwedew: Die Wahrheit ist unsere Stärke, Ffm 1973, S.284f.) - A. Koestler kommt in seiner Nachschrift zur "Sonnenfinsternis" auf Krivitsky zu sprechen, weil er in dessen Buch überraschende Parallelen zu den fiktiven Verhören in seinem Roman findet. (1979, S.231-236)
11.) nach Rudolf Rocker (in: "Gegen den Strom", New York, Heft 5, 1938, S.7) stellte Rußland seine Öllieferungen nach Italien nicht ein, sondern vergrößerte, nachdem der Völkerbund Sanktionen gegen Italien beschlossen hatte, sogar noch die Ausfuhr. Italien exportierte das Öl weiter nach Spanien.
12.) F. Borkenau (Der europäische Kommunismus, Berlin 1952, S.153) schreibt: "Wo immer ich nachprüfen konnte, fand ich in Krivitskij einen vertrauenswürdigen Zeugen. Seine DEUTUNGEN der Vorgänge stehen auf einem anderen Blatt, und ich identifiziere mich nicht mit ihnen." Borkenaus Analysen der spanischen Geschehnisse in "Spanish Cockpit" aus dem Jahr 1938 (Kampfplatz Spanien, Stuttgart 1986) sind teilweise revidiert in seiner Geschichte des "europäischen Kommunismus" (1952, S.150-178; insbes. Fußnote S.151)
13.) Der Mordbericht der Schweizer Bundespolizei ist dokumentiert im Bericht des Bundesrats an die Bundesversammlung über "Antidemokratische Tätigkeit von Schweizern und Ausländern im Zusammenhang mit dem Kriegsgeschehen 1939-1945, Bern 1946, S.19; vgl. Krivitsky (1940, S.273ff.). Don Levine berichtet davon, daß ein zweites Mordkommando bereits in Reims auf Ignaz Reiß wartete (Isaac Don Levine: Die Psyche des Mörders, Wien, Ffm, Zürich 1970, S.50f.) Zu Ignaz Reiß vgl. die Erinnerungen seiner Frau, Elisabeth K. Poretzki: Les Nôtres. Vie et Mort d`un Agent Soviétique, Paris 1969.
14.) "Rundschau", (Basel) 7 Jg., Nr.18, S.571-573
15.) Egon Erwin Kisch, Ein Held unserer Zeit, in "Freies Deutschland", (Mexico), 1. Jg. - Nr. 4, Febr. 1942, S. 26 - Reglers Pamphlet findet sich im Anhang von Fritz Pohle: Das mexikanische Exil, Stuttgart 1986.
16.) Ernst Bloch, Verrat und Verräter, in "Freies Deutschland", (Mexico), 1. Jg. Nr. 3, Jan. 1942, S. 19f.
17.) so in den von Hans Maassen herausgegebenen zweibändigen "Brigada Internacional ist unser Ehrenname... Erlebnisse ehemaliger deutscher Spanienkämpfer" (Ffm 1976). Hans Maassen war der ehemalige Politkommissar der 1. Kompagnie des Bataillons "Tschapajew" in der XIII. Internationalen Brigade. Auch in den jüngsten Schulgeschichtsbüchern der DDR werden die innerrepublikanischen Konflikte in Spanien zugunsten einer Volksfrontmythologie verschwiegen, etwa in "Geschichte". Lesebuch für Klasse 9, Bin: Volk und Wissen, 1985.
18.) Glaser schreibt in einem Brief zu seinem Anna Seghers-Brecht-Villon-Zitat: Wenn den Leser dieser Satz schmerzt, "dann muß er um so besser verstehen müssen, wie ungeheuerlich und jahrelang es mich gefoltert hat, einen so liebenswerten, ja kostbaren Menschen wie Anna Seghers, die ich doch innig gekannt hatte, durch ihre bedingungslose Unterwerfung unter die Macht (Gewalt, geadelt durch die Lehre, "Das Wort") verunstaltet zu sehen." (Brief an den Verf. vom 3.1.1986)
19.) Vgl. Whittaker Chambers: Witness, Chicago 1969, S.485ff. und Arthur Koestler: Sonnenfinsternis (Nachwort), Ffm Bln Wien 1979, S.231.
20.) Leo Trotzki, in: Bjulleten Oppozicii, Paris 1937, Nr. 50-61, S. 5, zit. n. David Dallin: Die Sowjetspionage, Köln 1956, S.486.
21.) vgl. dazu meine Analyse des Renegatenberichts von Richard Krebs (Jan Valtin), die im Frühjahr 1987 in L`80 erschienen ist.
22.) Glaser im Gespräch, Paris 1986

Aus: Thomas Kleinspehn / Gottfried Mergner (Hg.): Mythen des Spanischen Bürgerkriegs. Trotzdem-Verlag, 1996. Digitalisiert von www.anarchismus.at mit freundlicher Genehmigung des Trotzdem-Verlags.


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