Anders arbeiten, anders leben
Bericht des sozialistischen Journalisten Alardo Prats über die Kollektivitäten im Bezirk Graus, die er im Mai 1937 besuchte:
Hier ist alles kollektiviert worden: Kollektivschmieden, Kollektiveisenhütten, Kollektivlagerräume, die mechanische Werkstatt der Kollektivität, Kollektivmühle. Alle materiellen, moralischen und wirtschaftlichen Ausdrucksmittel des Dorfes gehen als Ganzes im Kollektiv auf. Die Arbeit wird geteilt. Jeder Arbeitssektor entscheidet in seinen Versammlungen über die Arbeit, die jeder Kollektivist verrichten soll. Man könnte meinen, diese Sektor- bzw. Branchenversammlungen seine endlosen Disputierklubs - das stimmt überhaupt nicht. Es wird sehr wenig gesprochen, denn jeder kennt seine Pflicht und er weicht ihr nicht aus.
Männer über 60 Jahre dürfen nicht arbeiten. Am Anfang hatten sie Angst vor der Initiative der Jugend, die die Mehrheit bildete und folglich die zu befolgenden kollektivistischen Arbeitsnormen festsetzte. Sie hatten Angst davor, mit Arbeit überlastet zu werden. Nun, sie sind ganz einfach davon freigesetzt worden (...) Dann sind die Alten zusammengekommen und haben beschlossen, doch zu arbeiten. Sie hielten es für notwendig, um den übrigen Kollektivisten keine zu schwere Last zu sein und dazu beizutragen, das Dorf aus seiner schwierigen Lage herauszuholen (...) Jeden Samstag gehen die Kollektivisten zur Kollektivitätszentralkasse, um ihre Quittung zu unterzeichnen und ihren Lohn in Empfang zu nehmen. Sie finden alle lebensnotwendigen Gegenstände und Nahrungsmittel in den Kollektivitätsgenossenschaften.
Heiratet ein Kollektivitätsmitglied, so bekommt er eine Woche bezahlten Urlaub. Man sucht ihm ein Haus aus (alle Häuser sind kollektiviert worden) und verschafft ihm durch die entsprechende Genossenschaft Möbel, deren Wert er dann langfristig und ohne die geringste Schwierigkeit abzahlen kann.
Als der Genösse Portella, der Kollektivitätsgeneralsekretär, mich zur Statistikabteilung führte und eine Kartei in die Hand nahm, um mir genauere Einzelheiten über die Entwicklung der Arbeit und die Produktionszahlen für das ganze Dorf mitzuteilen, wollte ich meinen Augen nicht trauen! Jedes Staatsorgan mit den qualifiziertesten und in der Abrechnung genauesten Beamten wäre froh, eine der Graus-Kollektivität vergleichbare Organisation zu erreichen - wer daran zweifelt, sollte sich schnellstens vergewissern.
Alles wird gemäß einem systematisch entworfenen Plan organisiert. Jeder Produktionszweig hat eine Kartei, in die Tag für Tag und sogar Stunde für Stunde die genauen Angaben über seine Entwicklung und seine Möglichkeiten eingetragen werden. (...) Durch eine solche Organisation sind alle von der Kollektivität durchgeführten Verbesserungen erleichtert worden: so wurde z.B. in der Nähe des Dorfes ein Hof gebaut, in dem zur Zeit 2.000 Schweine verschiedener Rassen gezüchtet werden (...) Ich fragte die Genossen, die diesen Hof bewirtschaften, woher sie das Vorbild für einen derart modernen Hof hatten. Ohne große Wichtigtuerei erklärten sie mir, daß sie, nachdem sie beschlossen hatten, den Hof zu gründen, die verschiedenen Modelle geprüft und diskutiert hätten, bevor sie schließlich ein amerikanisches, an die Schweinemästereien in Chicago angelehntes Modell ausgewählt hatten.
An einem anderen Ort in der Nähe des Dorfes ist ein sehr gut organisierter und mit ultramodernem Laboratorium ausgestatteter Geflügelhof eingerichtet worden. (...) In den verschiedenen Hofabteilungen sind die verschiedensten Geflügelarten zu sehen. Für den nächsten Herbst rechnet man mit mehr als 10.000 vollwertigen Tieren - zur Zeit sind es 6.000. Hier ist alles neu und sieht prächtig aus.
Alles ist nach den Anforderungen der hochentwickeltesten Technik und der Erfahrung mit ihr eingerichtet. Der Hofdirektor hat eine Brutmaschine mit besserer Leistung als alle bisher bekannten erfunden. Tausende von Küken quirlen durch die beheizten Zellen. Es gibt Hunderte von Enten und Gänsen, sowie Hunderte von Hähnchen und Hühnern. Wie beim Schweinestall ist hier alles vollkommen durchdacht und gelungen. Aus allen Ecken Aragoniens kommen Leute, um diese Realisierungen zu besichtigen - so ist Graus zu einem Wallfahrtsort der aragonesischen Arbeiter und einer Schule des Wiederaufbaus unseres Landes geworden.
Alle Einwohner haben ihrer schöpferischen Gabe freien Lauf gelassen. Es gibt prächtige Schulen und eine mit den verschiedensten Büchern recht gut ausgestattete Bibliothek. Die Kollektivität hat ihre eigene Druckerei und eine Buchhandlung. Eine Gewerbeschule ist eröffnet worden, die von mehr als 60 Dorfjugendlichen besucht wird und in der sich alle fortbilden können. In demselben Gebäude ist ein Museum für Malerei und Skulptur eingerichtet worden. (...)
Das Dorfleben ist verändert worden, und durch dieses Beispiel fängt das Leben aller umliegenden Dörfer an, sich zu verändern. Man hat die Revolution gemacht.
Aus: "Die Aktion" Nr. 161/164 - Dossier zu Spanien 1936
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