Über die Einordnung und Abgrenzung des Syndikalismus und anderer anarchistischer Bewegungen

Das Gleiche wollen wir schon lange nicht mehr. In der jüngeren Vergangenheit brachte die antiautoritäre Linke ein hohes Maß an neuen Theorien und Strategien zur gesellschaftlichen Transformation hervor, die sich gegenseitig beeinflussten und auf die organisatorische Praxis der gesamten Bewegung wirkten. Auch der Syndikalismus blieb von diesem Prozess nicht unbeeindruckt, und gerade dort, wo seine Organisationen noch klein sind, nehmen externe Impulse starken Einfluss. Was zu einem gewissen Grad als natürlicher Prozess des gegenseitigen Lernens begrüßt werden kann, produziert jedoch auch Missverständnisse hinsichtlich syndikalistischer Konzepte, die sich durch eine ganz eigene Art von Progressivität auszeichnen. Grund genug einmal genauer hinzuschauen und herauszuarbeiten, was den Syndikalismus auszeichnet.

Die Rückkehr zur Quantität – Organisationen im Syndikalismus

Zentral und unumgänglich: Die Rolle der Massenorganisation im Syndikalismus. Von Neo-anarchistischer Seite gerne als Organisations- (oder spezieller) Gewerkschaftsfetischismus kritisiert, dreht sich das syndikalistische Revolutionsverständnis ganz Grundlegend um die Annahme, dass nur starke Organisationen gesellschaftlichen Fortschritt produzieren können. Nicht nur weil sie die strukturelle Macht ihrer Mitglieder in sinnvolle Bahnen lenken und generationsübergreifende Wissensweitergabe gewährleisten, sondern auch, weil die Arbeit in einer gleichberechtigten Massenorganisation gewisse Lernprozesse anstößt, die sozialisierend auf die Mitglieder wirken.

Der Syndikalismus wendet sich von Konzepten wie der geschlossenen „autonomen Kleingruppe“ ab und sucht bewusst Vielfalt und Größe, was weitere strukturelle Konsequenzen nach sich zieht. Vieles dreht sich um verbindliche und selbstverpflichtende Strukturen. Lockere Strukturen und informelle Entscheidungsfindungen stehen zwar oft im Ruf „freiheitlicher“ und „unbürokratischer“ zu sein, produzieren jedoch bei genauerem Hinsehen demokratische und organisatorische Probleme. Beginnen tun diese bei der Einbindung von Neumitgliedern. Kann eine Person nicht von Anfang an nachvollziehen wie eine Gruppe funktioniert und wie sie Entscheidungen trifft, wird ihr schlichtweg die Teilhabe an der Organisation erschwert, während charakterlich dominante Menschen und Mitglieder die schon länger dabei sind, klare Vorteile gewinnen. Das wirkt wiederum demobilisierend auf weniger präsente Mitglieder. Die langwierigen Debatten um informelle Hierarchien und ständige Selbstreflexion versucht der Syndikalismus schlichtweg durch allgemein verbindliche Strukturregelungen zu umgehen. Die Formalisierung von Prozessen wird so zu einer Stütze der Gleichberechtigung unter den Mitgliedern. Das ist weit von der behaupteten Autorität solcher Organisationsstatuten entfernt.

Auch das viel bemühte Konsensprinzip stellt im anarchistischen Kontext ein großes Diskussionsfeld dar. Was in einem kleinen und ideentechnisch geschlossenen Rahmen noch funktionieren kann, wirft für eine Organisation mit Massenanspruch Probleme auf. Es stellt sich die Frage, ob der Konsens in einer Organisation sinnvoll eingesetzt werden kann, die aus ihrer Größe und der Verschiedenheit ihrer Mitglieder ihr revolutionäres Potenzial schöpft. In der Praxis größerer syndikalistischer Organisationen in anderen Ländern, konnte sich der Konsens nicht durchsetzten und vor allem dort, wo Organisationen anfangen Verantwortung für die wirtschaftliche Existenz ihrer Mitglieder zu übernehmen, wird es fragwürdig ob man sich eine solche Entscheidungsfindung leisten kann.

Die große Langeweile – anarchistische Revolutionskonzepte jenseits der Romantik

Die strukturellen Besonderheiten des Syndikalismus finden ihre Entsprechung in seinen revolutionstheoretischen Überlegungen, beginnend mit der Gesellschaftsanalyse. Der Anarchosyndikalismus sieht die Gesellschaft wesentlich, aber in keinem Fall ausschließlich, auf ihren Produktionsverhältnissen begründet. In ihrer Rolle als ProduzentInnen oder Dienstleistende, können die Menschen ein Höchstmaß an gesellschaftlichem Einfluss entfalten, einfach dadurch, dass sie die Verteilung von Gütern und die Produktion generell in ihrer Hand haben. Diese soziale Macht erkenn- und benutzbar zu machen ist Aufgabe der gewerkschaftlichen Kämpfe im Syndikalismus. Doch das bedeutet nicht, dass Klassengegensätze als Hauptwiderspruch behandelt werden. Weiterführende soziale Kämpfe sollen in den syndikalistischen Gewerkschaftsorganismus eingegliedert werden um sie in Kombination mit der wirtschaftlichen Macht der Gewerkschaft besonders schlagkräftig zu machen. Dieser Prozessfunktioniert aber nur dort, wo die syndikalistischen Organisationen ihren Auftrag als Gewerkschaft schon erfüllen.

Andere anarchistische Strömungen lehnen den Klassenbegriff inzwischen Aktiv ab, doch im Syndikalismus erhält er eine dynamische Umdeutung, wonach die Identifikation mit der ArbeiterInnenklasse mehr ein Mittel zum Zweck, als Teil einer historischen Mission ist. Um den Übergang zwischen den Gesellschaftsordnungen schnell, aber möglichst reibungslos durchführen zu können wird versucht schon jetzt einen Fuß in die Betriebe zu kommen, um die Umstellung von kapitalistischer in kollektive Produktion im Voraus planen zu können.

Revolutionäre Offenheit – Ein gemeinsames Erbe der Anarchie

Schon für die frühen VertreterInnen des Anarchismus war klar, dass politische Ideen mindestens so vielfältig sind, wie die Menschen selbst. Hieraus ergab sich eine Grundlegende Kritik am Marxismus, denn man hielt den Glauben alle Menschen unter ein einziges Parteiprogramm pressen zu können für realitätsfremd und zudem unmenschlich. Die Antwort der sozialen anarchistischen Bewegungen, war seitdem die Offenheit der eigenen Organisation und die Beendigung politischer Bevormundung unter den Mitgliedern. Ein Ansatz der heute nicht weniger richtig, aber fast vergessen scheint.

Mit dem Niedergang der großen anarchistischen und syndikalistischen Organisationen zur Mitte des 20. Jahrhunderts, verlor die gesamte Bewegung an gesellschaftlichen Einfluss und was übrig blieb war die Überzeugung zumindest das „bessere Bewusstsein“ zu haben. Das Ergebnis dieses Prozesses ist unverkennbar. Aus Ermangelung nachhaltiger Arbeitsfelder und tatsächlichem Einfluss auf die politischen Verhältnisse, steckt die hiesige Szene in einem Wettbewerb darum, wer eben diese Verhältnisse am „radikalsten“ ablehnt. Zu oft geht es bei dieser „Radikalität“ weniger um die allgemeine Anwendbarkeit, als um das politische Lager aus der die Idee stammt und das Label, das mit ihr verbunden wird.

Rudolf Rocker fand nach der gescheiterten Novemberrevolution ähnliche Verhältnisse vor und betitelte sie nicht zu unrecht als eine große „Hanswurstiade“. Denn eigentlich sollte der Anarchismus weiter sein. Weg von elitären Vorurteilen gegenüber frisch politisierten und andersdenkenden, hin zu einer offenen Bewegung. Und hier kommt wieder der Syndikalismus ins Spiel. Denn eine Gewerkschaft ist mehr als wirtschaftliche Interessenvertretung. Sie ist auch ein zivilgesellschaftlicher Raum, in dem Menschen testen und diskutieren können ob ihre Überlegungen etwas taugen. Diesen Raum wiederzugewinnen, nachdem er durch die Entpolitisierung der Gewerkschaften in Deutschland verlorengegangen ist, ist Aufgabe des Syndikalismus. Und das geschieht im Sinne aller AnarchistInnen.

Denn nur dort, wo der Raum für progressive Ideen geschaffen wird, fallen revolutionäre Ideen auf fruchtbaren Boden, egal aus welchem Lager des Anarchismus sie stammen.

Originaltext: Schwarzes Kleeblatt Nr. 13 (März / April 2013), PDF, bearbeitet von www.anarchismus.at


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