Robbenfamilien im Brennpunkt. Heute: Familie Anarcosindicalismo
In der anarchosyndikalistischen Bewegung wird die Frage der Betriebsräte heftig diskutiert, in einigen Ländern führte sie auch zu Spaltungen anarchosyndikalistischer Gewerkschaften. Eine erfrischende Aufbereitung dieses "anarchosyndikalistischen Familienzwists" liefert Robbe Thomas von der queerfeministischen Anarchorobbenfront mit diesem Beitrag.
Willkommen zu Robbenfamilien im Brennpunkt. Die heutige Show befasst sich mit der Familie Anarcosindicalismo. Die Familie Anarcosyndicalismo ist eine riesige Familie, die über die ganze Robbenwelt verteilt ist. Sie hat eine lange und durchaus vorzeigbare Familiengeschichte. Aus ihren Reihen sind tolle Schriftsteller_innen, große Organisator_innen und Kämpfer_innen hervorgegangen. Aber seit einiger Zeit kriselt es. Die Robbe Revolucia hatte einen Riesenstreit mit ihrem Bruder Reforma. Angefangen hat alles mit dem leidigen Thema der Frage zu den Betriebsratswahlen. Dieses Problem wurde von Generation zu Generation innerhalb der Familie weitergereicht, es war schon immer eine schwierige Frage für die es keine Patentlösung gab, aber man konnte sich immer einigen, weil man wusste, dass man sich aufeinander verlassen konnte und sie sich trotzdem alle lieben auch wenn man nicht immer derselben Meinung ist. Bis heute? Aber alles nacheinander. Zunächst stellen wir ihnen einmal Revolucia und Reforma vor.
Revolucia ist 24 Jahre alt und lässt fast keine Party aus. Nachdem Motto “Das Leben ist zu kurz um die Zeit zu vergeuden” lebt sie in den Tag hinein. Anscheinend ohne Probleme und Sorgen. Wenn sie sich einmal dazu durchringt, sich einen Job zu suchen, dann ist dieser meistens nicht von Dauer. Auf ihren Kündigungen, die sie uns vorzeigte, stehen Entlassungsgründe wie: „aufgrund von aufrührerischer Aktivitäten“ oder „Entlassung aufgrund revolutionärer Umsturzversuche innerhalb des Betriebs“. Zu ihrem Bruder hat sie nach seiner Wahl zum Betriebsratsmitglied keinen Kontakt mehr. „Mein Bruder würde unsere Ideale selbst für ein Fisch eintauschen!“, sagt sie uns.
Reforma ist 32, verheiratet und hat 2 Kinder. Er lebt in einen schönen kleinen Iglu in der Schollenstraße. Von Beruf her ist er gelernter Eishauer und arbeitet schon seit 10 Jahren im selben Betrieb. Von seinen Kolleg_innen bekommt er ausschließlich gute Kritiken: “Er macht seine Arbeit mit viel Leidenschaft“ oder „Er hat sich immer für unsere Rechte eingesetzt“. Seine Abende verbringt er am liebsten mit seiner Frau und den Kindern. Oft findet man ihn auch mit einem Buch von Rocker, Kropotkin oder Bakunin vor dem Kamin. Auch er hat keinen Kontakt mehr zu seiner Schwester: “Das mit dem Anarchismus ist ja alles richtig, aber wir leben nun einmal im Kapitalismus da muss man nun einmal Kompromisse machen.“ Abwertend fügt er noch an: „Meine Schwester? Die ist doch Weltfremd“!
„Liebe Robinnen und Robben hier sind sie Revolucia und Reforma“: begrüßt der Moderator Progressivo seine Gäste. Applaus schallt durch den Raum: “Schildert uns doch noch einmal kurz wie es zu euren Streit gekommen ist.“
„Mein Bruder hat sich einfach in den Betriebsrat wählen lassen, obwohl er doch genau weiß, dass Holger, Inge und ich schon immer ein Problem damit hatten. Eigentlich sollte man das Ding ja auch lieber Betriebsparlament nennen, mit einem Rat im Sinne eines Arbeiterrates hat das doch nichts zu tun. Das Ding dient doch nur dazu, die Angestellten ruhig zu halten und den Betriebsfrieden zu wahren. Was hätten nur unsere Großeltern dazu gesagt!“
“Stimmt das Reforma?“ – “Ja natürlich. Aber genau der letzte Satz ist doch das Problem! Unsere Großeltern lebten in ganz anderen Zeiten. Das waren revolutionäre Zeiten, da brauchte man keinen Betriebsrat. Wer zweifelt heut zu Tage schon am Kapitalismus? Da muss man jede Gelegenheit ausnutzen, die sich bietet, um auch nur die kleinsten Verbesserung zu erreichen und seine Ideale auch einmal zurückstellen.“
„Du hast deine Ideale nicht zurückgestellt sondern verkauft!“, schreit Revolucia ihren Bruder an. „Wie willst du Leuten unsere Ideale näher bringen, wenn du selber nicht danach handelst. Ich weiss schon wieso du das wirklich gemacht hast. Der Bruder, der Cousin von Inge hat mir erzählt dass du letztens frei genommen hast während deine Kolleg_innen sich einen abschuften. Das ist es doch, worum es dir geht, eine Arbeitsplatzsicherung und dann noch Urlaub auf Kosten anderer Angestellter.“
„Wenn du schon solche Gerüchte in die Welt setzt, solltest du sie auch einmal prüfen, Revolucia. Natürlich habe ich frei bekommen aber wenn du eine 9 stündige Arbeitsrechtsschulung als Urlaub bezeichnest haben wir unterschiedliche Vorstellung von Erholung.“
Nachdenkliches Schweigen beider erfüllt den Raum. Progressivo ergreift das Wort: “Ich sehe schon, so kommen wir hier nicht weiter, gibt es denn nichts was ihr an dem anderen vermisst?“
Nach einigen Sekunden der Ruhe fasst sich Reforma ein Herz:“ Na ja es ist schon seltsam diese Familienfeste ohne Revolucia, Holger und Inge. Der Alltag kann manchmal ziemlich bitter und anstrengend sein. Da war es immer sehr hilfreich wenn man sie dabei hatte, um sein wirkliches Ziel nicht aus dem Auge zu verlieren. Auch wenn diese ständige Idealismuskeule manchmal nervt“.
„Möchtest du was dazu sagen Revolucia?“, fragt Progressivo. Etwas zurückhaltend antwortet Sie: “Eigentlich haben diese Familienfeste mir immer sehr geholfen. Ich bin ja auch nur eine Robbe und habe ja auch reelle Probleme im Kapitalismus, die ich mit Utopie im Augenblick nicht lösen kann.“
„Also laufen eure Familienfeste jetzt zurzeit so ab, dass die eine Hälfte um Revolucia sich trifft und die andere sich um Reforma trifft, ist das richtig?“ Beide antworten mit Ja. „Aber wenn ich das richtig beurteilen kann, macht euch das beide nicht wirklich glücklich.” Sie Nicken zurückhaltend mit den Kopf.
„Okay dann mache ich euch jetzt ein Vorschlag“: sagt Progressivo: “Entscheidet das Situationsabhängig. Ihr setzt euch jetzt alle zusammen und analysiert die Situation in Reformas Betrieb. Falls ihr das Potential seht, eine Alternative zu einem Betriebsrat aufzubauen, z.B. eine autonome Betriebsgruppe, dann tut das. Das ist natürlich das Beste, was euch passieren könnte. Wenn Reformas Kolleg_innen dazu natürlich nicht bereit sind, dann solltet ihr darüber nachdenken, ob es nicht doch sinnvoll ist, das Reforma im Betriebsrat ist. So kann er seinen Kolleg_innen besser helfen und evtl. das Interesse bei ihnen für eine autonome Betriebsgruppe wecken.
Ich gebe jedem von euch jetzt noch einen persönlichen Rat mit. Reforma, ich denke nicht, dass du blind an jeder Betriebsratswahl teilnehmen solltest, du weißt ja wahrscheinlich selbst am besten, dass Revolucia grundlegend recht hat mit der Funktion, welche dieser sogenannte „Rat“ einnimmt.“ Betroffen schaut Reforma zu Boden.
„Revolucia es ist nicht immer möglich eine autonome Betriebsgruppe aufzubauen, dadurch kann es unter gewissen Umständen nötig sein, sich in den Betriebsrat wählen zu lassen. Auch wenn es nicht toll ist, aber wenn du dogmatisch an diesem Ideal festhältst, wirst du nie von anderen Robben wahrgenommen. Dann kannst du eure Ideen auch niemand mehr näher bringen.“ Auch Revolucia schaut zu Boden.
Ruhe umgibt das Studio. „Meine liebe Robbinnen und Robben das war Robben Familien im Brennpunkt, ich hoffe wir konnten heute einige Probleme lösen und freue mich aufs nächste Mal.“
Originaltext: http://anarchorobben.blogsport.de/2012/03/05/robbenfamilien-im-brennpunkt-heute-betriebsratsfrage/