FAUD - Antiwahlbroschüre Reichstagswahl 1932
Auszug aus dem "Syndikalist":
Die Bedeutung des Kurswechsels
... Die Regierung der Barone wirft den Männern von gestern vor,daß sie "den Staat zu einer Art Wohlfahrtsanstalt zu machen versuchten und dadurch die moralischen Kräfte der Nation geschwächt hätten, ...
Aber gerade der republikanische Staat mit der "freisten Verfassung der Welt" und der schwarz-rot-goldenen Kellnergeduld hat den "altpreußischen Leuten" und dem industriellen Raubrittertum von Schlot und Esse märchenhafte Summen ausgeliefert in der Gestalt von Subventionen, Sanierungsaktionen, Krediten, Osthilfe, Fürstenentschädigungen und hohen Pensionen, und es ist geradezu ungeheuerlich, daß eine Regierung es wagen darf, den Arbeitslosen, die durch die Verbrechen der kapitalistischen Mißwirtschaft in das gräßlichste Elend gestoßen wurden, die mageren Pfennige vorzurechnen, die man ihnen notgedrungen zahlen muß, damit sie mit ihren Familien nicht auf einmal verhungern. Es gehört wahrlich Mut dazu, von einer "moralischen Zermürbung des Volkes" zu sprechen in einer Zeit, wo ein Wirtschaftsskandal den anderen jagt und immer größere Betrügereien, Bestechungen und herzlose Gaunereien ans Tageslicht bringt, die gerade von jenen begangen wurden, die über die Begehrlichkeit der Massen Zedermordio schreien, während sie selber das Stehlen im Großen fast als vaterländisches Verdienst betrachten. Die Namen Nordwolle und Fawag sind ein Symbol dieser inneren Fäulnis der kapitalistischen Wirtschaft, deren Träger sich berufen fühlen, dem werktätigen Volke Moral beizubringen.
Dachte die Regierung der Barone an diese Dinge, als sie von einer moralischen Schwächung der nationalen Kräfte redete? Oder dachten sie daran, als die Herren Luther und Stresemann, auf die politischen Hoheitsrechte des Reichstags pfeifend, den Schnapphähnen der deutschen Schwerindustrie 700 Millionen Goldmark aushändigten, die aus dem Schweiß und Blut der Ärmsten geprägt waren? Derselben Schwerindustrie, die unter der Führung von Stinnes den Ruhrkrieg provozierte, welcher das deutsche Volk die Kleinigkeit von 15 Milliarden Goldmark kostete; derselben Schwerindustrie, die sich aus patriotischer Begeisterung die Steuern stunden ließ und aus den Papierkrediten der Reichsbank ungeheure Gewinne ergatterte?
Der Ernst der Stunde!
Barone regieren, Industrielle diktieren, Bankfürsten residieren! Der Reichstag ist aufgelöst! Dicke Subventionen fließen - für die Agrarier und die Schlotfürsten. Renten werden gekürzt, Unterstützungen abgehaut, Löhne gesenkt. Elend braust über das Land - für die Arbeiter und für die Armen.
SA-Kolonnen in der Kloakenfarbe uniformiert, marschieren und knüppeln die klassenbewußten Proletarier zusammen. Nazi-Zeitungen speien Pech und Schwefel gegen die Arbeiterbewegung. Arbeiterorganisationen werden aufgelöst, die Arbeiterpresse geknebelt. Die Arbeitermassen werden terrorisiert.
Der schleichende Faschismus des von und zu Kabinetts triumphiert
Und ihr sollt wählen, sollt als Volk, einig in seinen Stämmen, in Staatsgewalt machen!
Ihr sollt einen neuen Reichstag wählen! Wofür? Damit er morgen, wenn es dem Monopolisten, den Ausplünderern des Volkes in den Kram paßt, wieder aufgelöst werden kann. Ist das der Zweck eurer Entscheidung?
Arbeiter! Am 31. Juli entscheidet sich gar nichts
Das Parlament ist noch niemals eine Stätte der Entscheidungen gewesen. Heute, in der Zeit der Monopole und Trusts, der Geheimdiplomatie und der Herrenklubs, der zahlenmäßig starken Arbeiterorganisationen ist das Parlament weniger denn je fähig, die gesellschaftliche Entwicklung in bestimmte Bahnen zu lenken. Die entscheidenden Faktoren im heutigen politischen und wirtschaftlichen Leben liegen in der Wirksamkeit der Wirtschaftsgewaltigen, der großen Tagespresse, der Reichswehr und Polizei, der Arbeiterorganisationen und nicht zuletzt der braunen Mordarmee Hitlers. Das sind die großen Kräfte, die uns vorwärts oder rückwärts ziehen können, die es zu beachten gilt.
"Wahltag - Abrechnungstag"
so haben wir es von SPD, USPD, KPD, SAPD immer wieder gehört.
Der Faschismus steht vor der Tür, die Arbeitslosigkeit ist ins Unermeßliche gewachsen, der Kapitalismus ist nicht im geringsten erschüttert, die Zölle sind so hoch wie noch nie, auf allen Gebieten herrscht die Reaktion.
Arbeiter, habt ihr schon von den Heldentaten Hermann Müllers des Panzerkreuzer-Müller vergessen? Seid ihr so vergeßlich, daß ihr nichts mehr von den Brüningschen Notverordnungen wißt, die von der Sozialdemokratie toleriert wurden? Genügt diese traurige Bilanz einer 14jährigen "Demokratie" und Koalitionspolitik noch immer nicht?
Muß erst der Nationalsozialismus mit seinen Mörderbanden die letzten Spuren der November-Errungenschaften beseitigen? Die Rechte der Arbeiter vollständig abschaffen? Muß erst der zynische Ausspruch der Barons-Regierung verwirklicht sein, daß der Staat keine Wohlfahrtsanstalt ist? Dieser Barons-Regierung, die von Hitlers Gnaden möglich, und die vom Hitler-Faschismus nach bewährtem Muster toleriert wurde, dieses Hitler-Faschismus, der groß geworden ist, durch den beispiellosen Terror, durch die skrupellose soziale Demagogie, durch rücksichtlosen Kampf gegen die Arbeiter und ihre Organisationen.
Gegen den Hitler-Faschismus, gegen den Baronskurs geht der Kampf der Arbeiterklasse
Aber dieser Kampf ist antiparlamentarisch. Wird geführt in den Betrieben und Stempelstellen. In den Häuserblocks und Wohnbezirken, in jedem Dorf, in jeder Stadt, und hier wird er zur Entscheidung gebracht.
Die Arbeiterklasse muss sich auf sich selbst besinnen, denn noch ist die Kraft der Arbeiterorganisationen ungebrochen. Noch können die proletarischen Massen in Demonstrationen, in Streiks usw. kämpfen. Noch kann der Nationalsozialismus geschlagen werden, wenn das Proletariat einig und aktiv ist. Fort mit dem Parteiegoismus, fort mit dem Vertrauen auf den Schutz der Polizei, auf ein Zusammenbrechen des Nationalsozialismus von innen heraus, und vor allem fort mit dem verderblichen Vertrauen auf die Kraft der Wahlstimmen. Es hilft euch niemand, wenn ihr euch nicht selbst helft!
Nicht wählen - Wehren!
Boykottiert die nationalsozialistischen Geschäftsleute!
Heraus aus den Betrieben mit den Nazis, arbeitet nicht zusammen mit ihnen!
Brecht den Mordterror der SA auf den Straßen!
Kämpft gegen den Lohnabbau, gegen die Verschlechterung der Arbeitsbedingungen!
Bereitet euch vor auf die endgültige Niederwerfung des Kapitalismus und seiner Schutzgarde, des Nationalsozialismus, durch einen umfassenden Generalstreik!
Reicht euch die Hand zu direkten Aktionen - ohne Vermittlung eurer Parteibonzen!
Schafft die Arbeiterfront gegen den Faschismus!
Arbeiter! Die Zeichen stehen auf Sturm, verzettelt eure Kraft nicht in Wahleseleien. Laßt euch von der Erfahrung leiten, denkt an das "November-Verbrechen".
Was vorher 40 Jahre nicht fertiggebracht hatten, ein einziger Tag schaffte es. Der 9. November 1918 machte Schluß mit der Fürstenherrlichkeit, mit der Wehrpflicht, mit dem Krieg. Und diese Revolution war nicht die Frucht der über 40jährigen Propaganda, sondern sie geschah gegen den Willen der maßgebenden Parteiinstanzen.
Heute droht das "Dritte Reich"! Das Reich der Reichen und Satten, der Behäbigen und Geruhsamen, der Barone und Schlotjunker, das Reich, welches Tränen und Not, Blut und Verzweiflung für die werktätigen Massen in Stadt und Land bringt.
Wir kämpfen für den Sozialismus!
Gegen den Faschismus - Sozialismus!
Gegen den Nationalismus - Internationalismus!
Gegen den Geist des Militarismus - Antimilitarismus!
Gegen den Völkerhaß - Verbrüderung aller Enterbten und Entrechteten dieser Erde!
Gegen Diktatur und Regierungsterror - Freiheit und Rätesystem!
Gegen soziale Reaktion - soziale Revolution!
Klassengenossen! Erringt euch in solidarischem Zusammenwirken Lebensrecht und Brot! Organisiert mit uns die neue sozialistische Gesellschaft, die den Staatsapparat beseitigt und die Regierungsgewalt abschafft, die in den frei- und von euch selbst gewählten und abrufbaren Räten ihren Verwaltungsapparat findet.
Mit uns voran zum außerparlementarischen Kampf!
Es lebe die Klassensolidarität des Proletariats!
Es lebe die revolutionäre direkte Aktion!
Es lebe der intornationale Sefreiungkampf der Werktätigen!
Freie Arbeiter-Union Deutschlands (Anarcho-Syndikalisten) , Geschäftskommission: R. Busch, Berlin S14, Märkisches Ufer 20
Originaltext: PDF der Broschüre, bearbeitet von www.anarchismus.at