Äußere Bedingungen eines linken Massenwiderstandes in Deutschland (1933-1935)
Vergleicht man den illegalen antifaschistischen Kampf der deutschen mit dem der italienischen Linken, so stößt man auf eine scheinbar widersprüchliche Entwicklung: In beiden Ländern etablierte sich ein faschistisches Regime. Der italienischen Linken gelang es, einen Widerstand zu organisieren, der sogar zu bewaffneten Erhebungen führte. Anders in Deutschland: Zwar existierte hier bis 1933 eine der zahlenmäßig stärksten Arbeiterbewegungen der Welt, dennnoch nahm ihr Kampf in der Illegalität keine größeren Ausmaße an - erst recht nicht gelang es ihr, den faschistischen Staat entscheidend zu schwächen. Wir wollen daher an dieser Stelle einige äußere Faktoren aufzeigen, die unserer Meinung nach auf den illegalen Kampf der Linken einwirkten und seine fehlende Massenwirkung zu erklären helfen.
Für eine Einschätzung des illegalen Widerstandskampfes nach 1933 ist es zunächst von Bedeutung, seine Ausgangsposition zu beleuchten:
Was die großen Arbeiterparteien, KPD und insbesondere SPD, betrifft, so waren diese in keiner Weise auf eine Illegalität vorbereitet. Dies hatte seine Ursache zum einen darin, daß in diesen Organisationen die Ansicht vorherrschte, der Faschismus könne noch durch Wahlsiege besiegt werden, so daß sich ihre Politik völlig auf diese Ebene ausrichtete. Zum anderen vertraute man auch auf die zahlenmäßige Stärke der eigenen Organisation, die ihre Zerschlagung unmöglich erscheinen ließ.
Generell war man darauf bedacht, die Partei im Falle eines Verbotes so gut als möglich in einer Art Halblegalität zu erhalten bis Hitler an den wirtschaftlichen Problemen in Deutschland gescheitert sei. Diese Falscheinschätzung, gepaart mit dem Unvermögen, die Organisationen nach dem Rechtsputsch für die Illegalität rechtzeitig zu dezentralisieren, führte zu ungeheuren Verlusten unter den Mitgliedern der KPD und SPD, insbesondere unter den Funktionären.
Anders stellte sich die Situation den linksradikalen, außerparlamentarischen Gruppen: Ihnen war klar, daß sie bei einem faschistischen Staatsstreich allein schon aufgrund ihrer geringen Stärke der Repression als erste in voller Breite ausgesetzt sein würden. Auch hatten sie, die sie den außerparlamentarischen Kampf propagierten, nicht die Hoffnung, den Faschismus noch auf der parlamentarischen Ebene besiegen zu können.
Obgleich sowohl die Rätekommunisten als auch die Anarchisten und Syndikalisten den Faschismus noch zu Anfang der dreißiger Jahre weit unterschätzten, setzte sich dennoch relativ rasch bei ihnen die Erkenntnis durch, daß der Faschismus, ist er erst an den Schalthebeln der Macht, kaum mehr zu besiegen sei. Sie entwickelten daher - ebenso wie die großen Parteien - eine intensive antifaschistische Propagandatätigkeit. Ihre Forderungen nach Massenaktionen, speziell die Ausrufung des Generalstreiks, beruhte jedoch weniger auf einer Analyse der konkreten politischen Verhältnisse, sondern entsprach ihren schon seit Jahren vertretenen Prinzipien.
Eine Resonanz auf ihre Vorschläge von Seiten der etablierten Parteien und Gewerkschaften blieb aus. Die außerparlamentarischen Gruppen zogen daraus den - internen - Schluß, daß es nun an der Zeit sei, für eine mögliche Machtergreifung der Faschisten die entsprechenden strukturellen Vorkehrungen innerhalb der eigenen Organisation zu schaffen (vgl. Abschnitt III zu: Der Anarcho-Syndikalistische Widerstand in Deutschland). Diese Maßnahmen hielten die Zahl der Verhaftungen in ihren Reihen zunächst relativ gering; was sich auch auf den späteren Aufbau der syndikalistischen und rätekommunistischen Widerstandsgruppen positiv auswirken sollte.
Die Möglichkeit, breitere Bevölkerungskreise in den Widerstand mit einzubeziehen wurde durch das perfekt ausgebaute Spitzelsystem des NS-Staates zunichte gemacht. Die Nationalsozialisten begannen sofort nach Erlangung der Macht, den Aufbau ihrer Organisation auf die gesellschaftlichen Strukturen zu übertragen. Endziel war die totale Kontrolle der Gesellschaft. Die Grundlage dazu stellte die NSDAP mit ihren Millionen von Mitgliedern (Höhepunkt: ca 8 Mio). Das ganze Reich wurde durchorganisiert vom Block, über die Zelle, zur Ortsgruppe über den Kreis, zum Gau:
"Die Aufgabe der Blockwarte bestand darin, alle Einwohner genauestens zu überwachen und ihnen bei jeder Gelegenheit die Sammelbüchse der Partei unter die Nase zu halten."(R. Grunberger: Das 12jährige Reich)
"Die Blockwarte waren die gefürchtetsten Spitzel des Systems, denen selbst höhere Funktionäre Respekt zollten. Vier bis sechs Blocks ergaben eine Zelle, die geführt wurde vom Zellenleiter. Bei Kriegsende gab es im deutschen Reich 121.406 Zellen. Seine Aufgabe bestand vor allem in der politischen Indoktrination und ebenfalls der Überwachung. Darüber saßen die Ortsgruppenleiter, die 890 Kreisleiter des Großdeutschen Reiches und in der Chefetage saßen immerhin noch 43 Gauleiter, die ihren Gau wie mittelalterliche Fürsten verwalteten, soweit es um die Beziehungen zur Parteizentrale ging. Da es zwischen der NSDAP und den verschiedenen anderen braunen Massenorganisationen wie die paramilitärischen SS und SA, dem NS-Kraftfahrkorps und wie sie alle hießen, auch noch starke Rivalitäten bestanden, herrschte ein totales Mißtrauen aller gegen alle." (D. Gerhard: Antifaschisten)
Diese Organisierung der totalen sozialen Kontrolle bedeutete eine ungeheure Einschränkung jeglicher geheimer Widerstandstätigkeit.
Ein weiteres Problem des deutschen Widerstandes lag in der mangelnden Unterstützung durch ausländische Kräfte. Während beispielsweise der französichen Resistance-Bewegung eine logistische und ideologische Hilfe von Seiten der Alliierten zukam, waren die Widerstandskämpfer in Deutschland fast ohne jede Unterstützung. Dies wirkte sich gerade zu Beginn der faschistischen Herrschaft, als ein Widerstand - insbesondere von Seiten der Arbeiterbewegung - noch breitere Ausmaße hätte erlangen können, verhängnisvoll aus. Die Nachbarstaaten des Deutschen Reichs arrangierten sich sehr schnell mit dem neuen Regime. Einige moralische Proteste gegen offensichtliche Menschenrechtsverletzungen waren die einzigen Reaktionen auf das Terrorregime in Deutschland.
Als mögliche Unterstützung bot sich den Widerstandskämpfern daher nur die Hilfe ihrer ins Exil geflüchteten Kameraden. Diese versuchten auch in Zusammenarbeit mit den ausländischen Bruderorganisationen eine logistische Basis für die im Reich arbeitenden Genossen aufzubauen. Dabei wurden sie jedoch in der Regel von der politischen Polizei des jeweiligen Landes verfolgt und überwacht, zum Teil sogar inhaftiert und ausgeliefert. In der Schweiz wurden beispielsweise regelrechte Lager für politisch aktive Linke aus Deutschland eingerichtet.
Die Unterstützungsarbeit im Ausland mußte sich folglich, da sie selbst meist "im Untergrund" ablief, auf die Herstellung von Zeitschriften, Broschüren und Flugblätter beschränken; an andere - außer den publizistischen - Tätigkeiten war nicht zu denken.
Schließlich wirkte sich auch die wirtschaftliche Entwicklung im Reich ungünstig auf den Widerstand aus. Ab 1935 war eine gewisse Stabilisierung der deutschen Wirtschaft zu verzeichnen. Die Arbeitslosigkeit ging zurück. Dies war zwar nicht auf irgendwelche besonderen wirtschaftspolitischen Fähigkeiten der Nationalsozialisten zurückzuführen, sondern ein Resultat der enormen Aufrüstung (was übrigens die Staatsverschuldung ins Unermeßliche trieb), doch nutzten die Propagandisten der NSDAP die Gunst der Stunde und begannen, dem Volk den "Mythos Hitler, der die Arbeitslosigkeit besiegt hat" einzuhämmern.
Die Besserung der materiellen Lage in Verbindung mit den propagandistischen Bemühungen der Faschisten hatte zum Resultat, daß das Regime nun auch eine gewisse Zustimmung in der Arbeiterschaft fand. Wenn auch der Anteil der Arbeiter in der NSDAP noch vergleichsweise gering war (siehe Abbildung), so ist doch davon auszugehen, daß der Großteil der Arbeiterschaft das neue Regime nun mehr oder minder wohlwollend tolerierte.
Damit war dem linken Widerstand ein Teil seiner Basis entzogen; er war nun für seine Arbeit auf die wenigen, noch nicht verhafteten Aktiven der früheren Arbeiterbewegung angewiesen.
Aus: Theissen / Walter / Wilhelms: Anarcho-Syndikalistischer Widerstand an Rhein und Ruhr. Zwölf Jahre hinter Stacheldraht und Gitter. Originaldokumente. Ems-Kopp-Verlag 1980. Digitalisiert von www.anarchismus.at