Anarchosyndikalistischer Widerstand - Rückblicke
Rückblick 1 (Aktivist aus Aachen)
Eine allgemeine Einschätzung des Widerstandes im Nationalsozialismus, geschrieben von Curt Moeller - als Anhang zum Kapitel "Aachen":
"Schon die in der deutschen Arbeiterbewegung seit jeher vorherrschende Führerhörigkeit machte eine solidarische Verbundenheit zwischen den Anhängern der verschiedenen Massenparteien und Gewerkschaften unmöglich.
Von Partei- und Gewerkschaftsführungen ausgesäter Haß ließ ein Miteinander in der Abwehr gegen die drohende Gefahr von rechts nicht aufkommen. Damit wurde der Sieg der Diktatur eine zwangsläufige Folge...
Auf das, was uns bevorstand, waren wir innerlich vorbereitet. Manche Emigranten aus dem Osten, Südosten und Süden konnten uns Kunde über das Wesen der Diktatur geben. Die wenigen noch überlebenden Kamaraden nach 1945 von dies- und jenseits der beiden (belg. und holl.) Grenzen bleiben auch jetzt noch in der Beurteilung der damaligen Einstellung und Verhaltensweise miteinander einig. Anläßlich verschiedener Treffen an der Aachener Grenze, so auch in Vaals, Verviers und Brüssel (Ferrer-Kundgebungen 1959 und 1961) machte man Rückblicke auf das Geschehen der Vergangenheit.
Noch bis in die Zeit der 60er Jahre war man unter den alten Libertären klar und deutlich in der Auffassung, daß die außerhalb Nazideutschlands geschmiedeten Parolen vom "innerdeutschen Widerstand" ein unverantwortliches Spektakelbedürfnis der Berufspolitikanten verschiedener Observance waren.
Die eingeschleusten Drucksachen waren selten sachlich im Verhältnis zur Situation. Vieles trug dazu bei, die unsinnigsten Vorstellungen in den Gruppen zu entwickeln, da kritisches Denken keine Rolle spielte, ja sogar verhaßt war. Leichtfertiges Verhalten bis zur Naivität bot der Spitzeltätigkeit beste Chancen. Mit der ungeheuren Zahl unnötiger Opfer lichteten sich die Kreise der letzten Kräfte. Das Überbleibsel war quantitativ und auch qualitativ zermürbt und erwies sich für den nach dem Umbruch so nötigen Versuch eines Neubeginns - wie er sein sollte - nicht mehr fähig. Mit Abschluß des Zweiten Weltkriegs hatten die Kräfte der Zerstörung nicht nur physisch sondern noch mehr psychisch ihr Programm erfüllt. Damit war der Reaktion in der ganzen Welt, in Ost und West, neue Möglichkeit gegeben.
Erst mit einer neuen Generation kann die Befreiung von Parteien- und Kirchengläubigkeit erwartet werden; und damit auch die Befreiung von den verhängnisvollen Fesseln des Zentralismus. Der neue Weg bedeutet Zusammenschluß von der Basis aus zu Organisationen nach den freiheitlichen Grundsätzen des Föderalismus."
Rückblick 2 (Aktivistin aus Köln)
Der im folgenden abgedruckte "Rückblick" wurde uns - nach einem Interview - von einer heute 70-jährigen Anarcho-Syndikalistin übergeben. Sie stand in den Jahren 1933-1937 aktiv im Kölner Widerstand:
"Wenn ich die heutige Lage in der Welt und Deutschland mit den Jahren 1929-1933 in der damaligen Weimarer Republik vergleiche, so zeigen sich eine Menge Parallelen: Zersplitterung der Arbeiterschaft aufgrund der vielen Parteien, Arbeitslosigkeit, Wirtschaftskrise, Ruck nach Rechts, die Unfähigkeit der Regierung, dem Machtstreben der Rechtsradikalen Einhalt zu gebieten.
So kam es damals dazu, daß die Nationalsozialisten bei der entscheidenden Wahl 1932 mit 107 Abgeordneten in den Reichstag einzogen.
Ab dem 30.1.1933, Herren der Lage, machten sie ganz schnell für jedermann deutlich, wie sie sich ihren "Sozialismus" vorstellten. Alle Organisationen linker Prägung wurden verboten. Die Gewerkschaften wurden ebenfalls zerschlagen, ihr Vermögen beschlagnahmt und ihre Mitglieder in die neue "Deutsche Arbeitsfront" zwangsüberführt.
Mit äußerster Brutalität wurde gegen Andersdenkende vorgegangen. Davon waren alle Richtungen betroffen; ob Kommunisten, Sozialdemokraten, Anarcho-Syndikalisten, Liberale, Christen, Sektenmitglieder (Bibelforscher) und nicht zu vergessen die Intelligenz sowie Schriftsteller und Journalisten, kurz alles was gegen den Strom schwamm. Konzentrationslager, nach Plan unseres Altbundespräsidenten und Architekten Heinrich Lübke, waren sehr bald erstellt und nahmen alles auf, was den Nazis verdächtig war. Denunziationen feierten ihren Höhepunkt.
Wenn wir anfangs glaubten oder wünschten, der Spuk würde schnell vergehen, oder sich nicht allzu lange halten können, so sahen wir uns bald getäuscht. Das System festigte sich immer mehr und die Brutalität wurde immer stärker. Zudem tat man nun alles, um möglichst alle Deutschen in Organisationen zu erfassen. Das fing bei Kleinkindern an und zog sich durch alle Altersgruppen hin.
Ziemlich bald nach der Machtergreifung wurde schon für den Krieg gerüstet. 1935, bei einem Urlaub auf der Insel Rügen, stellten wir fest, daß längsseits der Insel, auf der Halbinsel Bug, schon schwere Bomben lagerten in Baracken, die mit "Bäckerei" oder "Teehaus" deklariert waren. An einem Unterseebootshafen wurde dort auch unterirdisch gebaut. Die ganze Halbinsel war natürlich Sperrgebiet. Wir erfuhren aber diese Dinge von Menschen, die dort arbeiteten. In der Öffentlichkeit wurde natürlich immer häufiger vom friedliebenden Führer gesprochen. Abrüstungskonferenzen gab es damals auch schon am laufenden Band, mit dem Erfolg, daß man dem Krieg immer näher rückte. Es gingen ja auch dann bald die Annexionen los - man besetzte die Tschechei und Österreich. Dies alles geschah unter den Augen der Westmächte ohne Protest.
Es blieb nicht aus, daß sich unter gefahrvollen Aktivitäten auch der Widerstand entwickelte.
Wir trafen uns geheim in Privatwohnungen, stellten Flugzettel her, die in Häusern in die Briefkästen wanderten oder in öffentlichen Gebäuden unter aller Vorsicht dem Publikum zugängig gemacht wurden. Wir fuhren ins nahe Ausland und holten illegales Aufklärungsmaterial von Gesinnungsfreunden. Wir trafen uns sonntags mit anderen Gruppen auf Wanderungen im Wald zum Austausch von Gedanken und Aktivplänen. Jedoch, der Druck der Nazi-Diktatur bewirkte eine immer größerwerdende Angst unter den Menschen in Deutschland und daher kam es zu keiner größeren Eskalation. Es waren schon zu viele Opfer in den KZ’s gemordet worden.
Es kam zum Krieg und das Morden ging im Ausland weiter. Die deutsche Wehrmacht machte alles mit, solange die Siege und Besetzungen an der Tagesordnung waren. Als sie aber 1944 ihre Felle davonschwimmen sah, und der Krieg als verloren galt, rafften sich einige Offiziere auf, den vielbesungenen Führer zu beseitigen. Dies mißlang, wie jeder weiß, und die "Attentäter" fanden den Tod.
Nun gings rapide dem Untergang des Reiches entgegen, und der Schluß ist jedem bekannt, der ihn erlebte.
Aus: Theissen / Walter / Wilhelms: Anarcho-Syndikalistischer Widerstand an Rhein und Ruhr. Zwölf Jahre hinter Stacheldraht und Gitter. Originaldokumente. Ems-Kopp-Verlag 1980. Digitalisiert von www.anarchismus.at