Anarchosyndikalistischer Widerstand - Dülken, Mönchen-Gladbach, Krefeld
Dülken
Dülken, ein kleiner Ort nordwestlich von Mönchen-Gladbach, erhielt aufgrund seiner geographischen Lage eine besondere Bedeutung für den syndikalistischen Widerstand. Von hier wurden die aus Duisburg kommenden Flüchtlinge über die nur 15 km entfernte holländische Grenze gebracht. Auch den Schmuggel illegaler Schriften übernahm die kleine, aber sehr aktive Dülkener Gruppe. Unterstützung erhielten sie dabei von Genossen aus den Nachbarorten Süchteln und Viersen.
Als im Juni 1933 der Provinzialarbeiterbörsenobmann Fritz Schröder in Dülken eintraf, um von dort nach Amsterdam zu reisen, waren die Dülkener für einen Flüchtlingstransfer noch gänzlich unvorbereitet. Dennoch übernahm der Syndikalist Dortans die Begleitung Schröders und brachte ihn sicher über die Grenze nach Venlo.
Dortans war jedoch aufgrund seiner früheren Tätigkeit als Kreisarbeiterbörsenobmann der FAUD und Veranstaltungsredner der "Gruppe Revolutionärer Antimilitaristen" der Staatspolizei bekannt. Von daher konnte er die Begleitung der Flüchtlinge nicht mehr übernehmen. Als Organisator fungierte in der Folgezeit der bis dahin wenig in Erscheinung getretene Anarcho-Syndikalist Heinrich Hillebrandt. Er entwickelte schon bald eine beachtliche Aktivität: Während er sich einerseits als "die geeignete Persönlichkeit für die Flüchtlingsbeförderung" (Nolden) erwies, beteiligte er sich auch wesentlich an der Beschaffung und Verteilung illegaler Schriften. Ab August 1933 fuhr er regelmäßig nach Venlo, um vom dortigen Postamt die aus Amsterdam gesandten Schriften abzuholen und die Pakete über die "Grüne Grenze" zu schmuggeln. Ein Großteil dieser Broschüren und Zeitschriften gab er nach Duisburg. Die übrigen Exemplare zirkulierten in Dülken, Viersen und Mönchen-Gladbach nach den gleichen Prinzipien, welche sich auch in den anderen Städten bewährt hatten: Verteilung nur an zuverlässige Mitglieder, mündliche Verbreitung des Inhalts sowie Einziehung von Lesegeldern, die zur Unterstützung der Flüchtlinge dienten.
Ein Gestapo-Spitzel in der befreundeten Mönchen-Gladbacher Gruppe sollte auch den Syndikalisten in Dülken zum Verhängnis werden - Weihnachten 1936 verhaftete die Polizei den Kreis um Heinrich Hillebrandt wie auch verschiedene Genossen in Süchteln und Viersen.
Mönchen-Gladbach
In der Phase des illegalen antifaschistischen Widerstandes entwickelte sich zumeist keine Zusammenarbeit zwischen den Anarcho-Syndikalisten und anderen linksorientierten Organisationen. Abgesehen von einzelnen Kontakten (1) beschränkten die Syndikalisten ihre Tätigkeit auf das von ihnen selbst an Rhein und Ruhr aufgebaute Verbindungsnetz. Diese Abgrenzung ergab sich zum einen aus den ideologischen Differenzen dieser Gruppen, vor allem aber aus rein praktischen Sicherheitserwägungen.
Eine Ausnahme bildeten insofern die Mönchen-Gladbacher Anarcho-Syndikalisten. Dieser Widerstandsring basierte auf dem Zusammenschluß enger Freundeskreise, in denen nicht nur Syndikalisten sondern auch Mitglieder der KAPD und KPD(O) Möglichkeiten zu einer gemeinsamen illegalen Arbeit fanden. Der Kern der Gruppe umfaßte 21 Leute (2) aus den verschiedenen Stadtteilen. Um den Zusammenhalt zu gewährleisten, traf man sich regelmäßig auf dem Markt oder - bei schlechtem Wetter - in einer öffentlichen Billardhalle. Ihre politischen Ansichten machten sie vor allem in Arbeitsämtern und Stempelstellen breiteren Bevölkerungskreisen zugänglich. Zu diesem Zweck gaben sie auch eine auf einer Vervielfältigungsmaschine im Querformat hergestellte Zeitung heraus, die "Freiheit".
Genossen außerhalb ihres Kreises empfahlen sie, sich zu selbständigen Gruppen zusammenzuschließen und dadurch Möglichkeiten zur Fortführung der illegalen Arbeit zu entfalten. Dies geschah dann auch in der Folgezeit, so daß Treffen der verschiedenen Gruppen im Mönchen-Gladbacher Kaiserpark, vor dem Arbeitsamt, in den Stempelstellen und vor allem in der genannten Billardhalle stattfinden konnten.
Kontakte ergaben sich über den Anarcho-Syndikalisten Michael Delissen auch zu den Syndikalisten in Düsseldorf, Dülken und Viersen, von denen sie Broschüren und anderes Schriftenmaterial erhielten.
Ein KPD-Mitglied stellte ferner die Verbindung zur illegalen KPD her, wobei er aus Köln Zeitschriften nach Mönchen-Gladbach brachte, die über Polen und die Schweiz ins Deutsche Reich eingeschleust worden waren. Schließlich bestanden auch einzelne Kontakte zu SAP- und KPD(O)-Gruppen in Duisburg.
Aufgrund dieser Vielzahl von Verbindungen schien es nur eine Frage der Zeit, bis die Gestapo der Mönchen-Gladbacher Gruppe auf die Spur kommen mußte. Im Dezember 1936 schlug die Polizei zu. Es kam zu einer Reihe Verhaftungen, die bald auch auf andere Städte übergriffen. Interessant ist hier noch, wie es zu den Festnahmen in Mönchen-Gladbach kommen konnte:
Die ersten Informationen über die Existenz der Gruppe kamen von einem ehemaligen FAUD-Mitglied, Sch. , der sich wegen eines anderen Verfahrens in Untersuchungshaft befand. Die Aussicht auf eine Strafmilderung veranlaßte ihn, Angaben über ihm bekannte Syndikalisten in Mönchen-Gladbach an die Gestapo weiterzugeben. Daraufhin gelang es der Polizei, in die Gruppe einen Spitzel einzuschleusen, der allerdings sehr schnell enttarnt wurde. Nun versuchte die Gestapo jemanden zu finden, dem die Gruppenmitglieder Vertrauen entgegenbrachten. Diesen Mann fand sie in dem ehemaligen KPD-Mitglied Pr. , der zu vielen aus dem Kreis freundschaftliche Kontakte pflegte. Man hegte kein Mißtrauen gegen ihn, da er den meisten noch aus der Zeit vor 1933 als zuverlässig bekannt war. Er lieferte die entscheidenden Informationen, die schließlich Ende 1936 zu den Verhaftungen führten.
Krefeld
Auch in Krefeld, der "Stadt von Samt und Seide" am linken Niederrhein, hatte der Anarchismus und Syndikalismus zu Beginn der zwanziger Jahre viele Anhänger gefunden. Während der revolutionären Kämpfe nach dem 1. Weltkrieg, insbesondere der Streikbewegungen, stellten die Aktiven der FAUD in Krefeld und den kleineren Nachbarorten Willich und Uerdingen / Hafen den kämpferischsten Teil der streikenden Arbeiter.
Noch 1924, als im Januar ein Generalstreik im Rhein-Ruhr-Gebiet ausgerufen wurde, gehörten die Anarcho-Syndikalisten in Krefeld zu den treibenden Kräften. Dieser Streik, der sich um die Erhaltung des 8-Stundentags drehte, wurde mit äußerster Verbissenheit geführt. Bei Kämpfen zwischen Streikposten und der Polizei wurden viele Arbeiter verwundet; ein Mitglied der FAUD kam ums Leben.
Aufgrund ihrer kompromißlosen Haltung gewann die FAUD eine relativ große Anhängerschaft in der Krefelder Arbeiterschaft. Doch die Zahl der zahlenden Mitglieder schmolz in der nachrevolutionären Zeit rasch dahin. Im Jahre 1929 existierten in Krefeld vier der FAUD angeschlossene Industrieföderationen: Metallarbeiter, Textilarbeiter, Band- und Gummiweber sowie Fliesenleger. Die Mitgliederzahl belief sich noch auf ca. 1.000 - 1.500.
Im gleichen Jahr ging man in den Ortsgruppen Krefeld-Oppum, Bockum und Linn daran, eine Konsumentengenossenschaft aufzubauen, deren Gründung am 16. August 1929 unter dem Namen "Freie Wirtschaftliche Arbeiterbörse" erfolgte.
Neben der FAUD existierten in Krefeld während der zwanziger Jahre mehrere kleinere anarchistische Gruppen, die in den verschiedensten Bereichen tätig waren: So die "Föderation Kommunistischer Anarchisten"(FKA), deren Mitglieder häufig zugleich auch in der FAUD organisiert waren; ferner die "Gruppe Revolutionärer Antimilitaristen", eine Kriegsgegnerorganisation. Von größerer Zahl war die Krefelder Gruppe der anarcho-syndikalistischen Jugend. Diese organisierte neben kleineren Veranstaltungen zu den Themen Faschismus und Arbeitsdienst (1931) zumeist Esperanto-Sprachkurse, gemeinsame Fahrten und Zeltlager.
Schließlich sei hier noch eine weitere Gruppe genannt, auf die die politische Polizei Krefelds ein besonderes Augenmerk hatte: Dies war eine militante anarchistische Siedlergruppe aus dem Raume Uerdingen, deren Ziel es war, durch Landbesetzungen Siedlungsprojekte der ärmeren Bevölkerung zu initiieren.
Dieses recht breite Spektrum anarchistischer und anarcho-syndikalistischer Gruppen in Krefeld und Umgebung läßt vermuten, daß sie auch nach 1933 (illegal) weiterexistierten. Die Frage nach der Entwicklung der anarcho-syndikalistischen Bewegung im Raume Krefeld erörterten wir in einem Gespräch mit einem ehemaligen Aktivisten der anarcho-syndikalistischen Jugend Krefelds:
Frage: Sie waren Mitglied der FAUD und auch aktiv in der anarchistischen Jugendbewegung tätig. Können Sie uns etwas berichten über den Aufbau und Umfang der syndikalistischen FAUD in Krefeld, insbesondere zur Zeit der Machtergreifung des Faschismus 1933?
Antwort: Es gab in Krefeld 1933 noch zwei Föderationen: die Metall- und die Textilarbeiter. Bei uns in Fischeln (ein Vorort im Süden Krefelds) existierte eine Ortsgruppe von etwa 60 Mitgliedern. Insgesamt hatte die FAUD als sie 1933 aufgelöst wurde in Krefeld nach meiner Schätzung ca. 400 bis 500 Mitglieder.
Frage: Wie erklärt sich Ihrer Meinung nach diese im Vergleich zu anderen Städten recht hohe Zahl organisierter Anarcho-Syndikalisten in Krefeld?
Antwort: Wir waren im Gegensatz zu vielen anderen Ortsvereinen der FAUD noch eine rein gewerkschaftliche Organisation, d. h. wir hatten eine größere Basis in den Betrieben als die Gruppen in den anderen Städten. In dem Zusammenhang möchte ich noch etwas zu den Beiträgen sagen, die wir damals zahlten: Die Sätze waren, gemessen an den heutigen Beiträgen, sehr hoch; 1 RM wöchentlich nebst vielen Sondermarken (zum Vergleich: Ein Dreher verdiente damals 90-95 Pfg). Daß die Mitglieder der FAUD bereit waren, wöchentlich soviel von ihrem Lohn abzugeben, verdeutlicht wohl die starke Verbundenheit zu ihrer Organisation.
Frage: Was geschah nach der Auflösung der FAUD im Jahre 1933?
Antwort: Als erstes haben wir die vorhandenen Kassenbestände und die Besitzungen der FAUD unter den Mitgliedern aufgeteilt, damit nichts in die Hände der Nazis fiel. Einige Kollegen aus Fischeln haben auf das Geld verzichtet und es für kommende Notfälle bereitgestellt. Das war dann aber auch schon alles. Nur wenige Genossen haben in der Folgezeit dafür gesorgt, daß der Kontakt zu den anderen Gruppen im Reich aufrechterhalten blieb; unter ihnen war auch der Kollege Klingen. Mit ihm habe ich lange Zeit zusammengearbeitet. Beim Johann Klingen fanden des öfteren auch Treffs und Besprechungen statt, an denen manchmal auch Freunde aus Dülken und Duisburg (Julius Nolden) teilnahmen. Über Julius Nolden erhielten wir in Krefeld bis 1934 illegale Schriften und Informationen über den Stand der Bewegung. Mehrmals trafen auch Kuriere aus Mitteldeutschland bei uns ein; einmal ein Sekretär der illegalen Geschäftskommission aus Erfurt, der dann von Dülkener Genossen über die Grenze nach Holland gebracht wurde. Anfang 1937 flogen alle FAUD-Gruppen hier in der Gegend auf. Johann Klingen und zwei seiner Freunde (Anton de Voss und Matthias Decker, Anm. d. Verf.) wurden verhaftet, danach war hier alles vorbei. Auch mich hatten sie festgenommen, aber ich hatte Glück: Da die anderen meinen Namen nicht genannt hatten, konnte ich in den Verhören alles mit Erfolg abstreiten, so daß mich die Gestapo wieder freilassen mußte.
Frage: Die FAUD in Krefeld war also Anfang 1937 endgültig zerschlagen; was aber wurde aus der anarcho-syndikalistischen Jugend, die ja nicht unabhängig von der FAUD existierte?
Antwort: Unsere Jugendgruppe - 12 Jugendliche aus Fischeln und Krefeld - war auf Freundschaft aufgebaut. Wir verstanden uns als eine Gruppe, die gewerkschaftliche Arbeit leistete; unser Anliegen war es auch, durch gemeinsame Unternehmungen die Freizeit zu gestalten. Aufgrund unserer freundschaftlichen Beziehungen zueinander blieben wir auch sehr lange zusammen. In dieser Zeit haben wir nicht an Widerstandsaktionen teilgenommen, aber Leute, die unsere Hilfe brauchten, unterstützt. Dabei war es uns gleichgültig, welcher politischen Richtung sie innerhalb der Linken angehörten, denn wir handelten als Menschen, die ihre Freunde nicht im Stich lassen konnten.
Frage: Wie würden Sie das bisher Gesagte insgesamt beurteilen?
Antwort: Ich meine, daß es nicht als ein Dokument des Widerstands verstanden werden sollte. Und noch etwas: Wir waren keine Helden, wir glaubten an unsere Sache. In dieser Zeit des Faschismus konnten wir nur eines tun, und das war, dem Sozialismus treu zu bleiben.
Fußnoten:
1.) Verbindungen bestanden in Krefeld und Köln zwischen Mitgliedern der anarcho-syndikalistischen Jugend, der kommunistischen Jurgend und des ISK. In Wattenscheid sind Kontakte zwischen einer Gruppe der "Roten Kämpfer" und der FAUD nachzuweisen.
2.) Zwölf Anarchisten und Syndikalisten; neun KPD(O)- und KAPD-Mitglieder
Aus: Theissen / Walter / Wilhelms: Anarcho-Syndikalistischer Widerstand an Rhein und Ruhr. Zwölf Jahre hinter Stacheldraht und Gitter. Originaldokumente. Ems-Kopp-Verlag 1980. Digitalisiert von www.anarchismus.at