Kevin Carson - Warum selbstorganisierte Netzwerke Hierarchien zerstören werden
In seinem Essay erläutert Kevin Carson die Probleme, mit denen sich Hierarchien systematisch konfrontiert sehen. Da die wenigen Vorteile die sie gegenüber selbstorganisierten Netzwerken haben immer unbedeutender werden, prognostiziert er einen Wettbewerbsvorteil der Netzwerke.
Hierarchien sind aus den folgenden Gründen systematisch dumm und ineffizient.
1. Hayek'sche Informationsprobleme (1): Die Regeln aufstellenden Autoritätspersonen kommen dem Fachpersonal in die Quere, das sich in seinem Bereich auskennt und in unmittelbarem Kontakt zur Situation steht. Die Regelersteller haben keine Ahnung von der Arbeit, in die sie sich einmischen. Sie können von denen, die sich mit der Materie auskennen, üblicherweise nicht zur Rechenschaft gezogen werden. Daraus folgt, dass alle auf Autorität beruhenden Regeln Irrationalität und mangelhafte Ergebnisse hervorrufen, sobald sie in das Urteilsvermögen von direkt mit der Situation Vertrauten eingreifen.
Autoritätspersonen treffen dumme Entscheidungen, weil diejenigen, die ihnen fachlich überlegen sind, ihre Untergebenen sind. Die Menschen hingegen, von denen die Autoritätspersonen zur Verantwortung gezogen werden könnten, kennen sich sogar noch weniger aus.
Damit die Arbeitenden irgendetwas Konstruktives erreichen können, müssen sie die irrationale Autorität als ein zu umgehendes Hindernis behandeln, auf dieselbe Art wie das Internet Zensur als Defekt behandelt und den Datenverkehr um sie herum leitet.
2. Gruppendenken: Hierarchien unterdrücken systematisch negative Rückmeldungen bezüglich der Folgen ihrer Politik. Wie Robert A. Wilson sagte: Niemand ist ehrlich zu einem Mann mit einer Pistole (2). Hierarchien sind sehr gut darin, nackten Kaisern die Eleganz ihrer neuen Kleider zu bestätigen.
Ebenso systematisch unterdrücken Hierarchien das kritische Denkvermögen ihrer Mitglieder. Psychologische Studien zeigen, dass Menschen in Autoritätspositionen seltener Kommunikation aufgrund der ihnen innewohnenden Logik auswerten, als vielmehr basierend auf der Autorität der Quelle.
3. Undurchsichtigkeit von oben: Ein zentrales Thema in James Scotts "Seeing Like a State" ist, dass Staaten anstreben ihre Bevölkerung so durchsichtig wie möglich zu machen, um mehr Kontrolle über sie zu haben. Diese Aussage lässt sich für Hierarchien verallgemeinern. Das Problem der Herrschenden ist, dass eine umfassende Durchleuchtung ihrer Bevölkerung sehr aufwändig, wenn nicht unmöglich, zu realisieren ist.
Krankenhäuser mögen dafür als Beispiel dienen. Der größte Teil der Formulare, die das Pflegepersonal auszufüllen hat, lässt sich aus dem Misstrauen der Verwaltung erklären. Ohne eine unabhängige Prüfmöglichkeit traut sie dem Personal die Erfüllung der von ihr gestellten Aufgaben nicht zu. Die Formulare sind aber wertlos, solange die Verwaltung sich darauf verlassen muss, dass demselben Pflegepersonal das ehrliche Ausfüllen der Formulare anvertraut werden kann. Letztlich läuft es darauf hinaus, dass die Verwaltung sehr genau weiß, dass ihre Interessen denen des Personals diametral entgegenstehen, es aber keine Möglichkeit gibt, den Beschäftigten tatsächlich in den Kopf zu kriechen, durch ihre Augen zu sehen und damit dieses grundsätzliche Stellvertreterproblem zu überwinden. Darum suchen Vorgesetzte stets nach neuen Hilfsmitteln zur Überwindung dieses Pro, die sich als ebenso untauglich erweisen. Die Folge sind endlose Stapel neuer Formulare, die genauso nutzlos sind wie die alten.
Folgerung. Solange hierarchische Organisationen ihren Untergebenen die Freiheit des Austritts lassen, sind sie nicht im gleichen Maße unterdrückerisch wie es der Staat ist. Berücksichtigen wir jedoch, dass Hierarchien aufgrund staatlicher Politik künstlich häufig vorkommen, und dass jene, die unter Autoritäten arbeiten, dies vor allem als notwendiges, aus künstlichen Beschränkungen konkurrierender Alternativen resultierendes Übel tun, dann erkennen wir, dass die Hierarchie einer etatistischen Gesellschaft in Miniatur gleicht, in welcher die Informations- und Stellvertreterprobleme der Autorität im Kleinen die Irrationalität der staatlichen Autorität im Großen widerspiegeln.
Solange die vorherrschenden Produktionsmethoden große Kapitalanhäufungen benötigten, die die Möglichkeiten von Individuen und Kleingruppen überstiegen, und Firmenhierarchien durch staatliche Hierarchien gestützt und verstärkt wurden, konnten die schweren Wettbewerbsnachteile von Hierarchien überwunden werden. Doch der technologische Wandel erodiert rasch die Notwendigkeit großen Kapitalaufwands, hebt die Vorteile des Kapitaleigentums auf und macht Hierarchien verwundbar für externe wie interne Angriffe durch selbstorganisierte Netzwerke.
Hierarchien mangelt es also trotz staatlicher Hilfen zunehmend an Ressourcen um ihre Behinderungen auszugleichen. Der Staat wird sich - gemeinsam mit hierarchischen Konzernen - bei dem verzweifelten Versuch die alte Ordnung aufrechtzuerhalten bloß selbst in den Bankrott treiben.
Dieser Text ist eine Übersetzung durch Hypatia eines englischen Textes unter dem Titel "Why Self-Organized Networks Will Destroy Hierarchies".
Fußnoten:
1. Friedrich August von Hayek schrieb 1974 in seinem Aufsatz "Die Anmaßung von Wissen" für die Zeitschrift "ORDO - Jahrbuch für die Ordnung von Wirtschaft und Gesellschaft" über die Unmöglichkeit, dass eine planende Stelle alle für eine vernünftige Planung notwendigen Informationen zusammen tragen kann. [Anm. d. Ü.]
2. von Robert Anton Wilson, nordamerikanischer Schriftsteller, u.a. "Illuminatus!" [Anm. d. Ü.]
Originaltext: http://www.systempunkte.org/article/warum-selbstorganisierte-netzwerke-hierarchien-zerst%C3%B6ren-werden