Unsere Heimat ist die ganze Welt - Das anarchistische Lied
Teil 1: Italien
Italien hat eine lange und starke Tradition des Liedes. Seit dem Mittelalter war es in den Gebieten des Lazio und den sie angrenzenden Regionen der Toskana und der Abruzzen vor allem in der Bauernschaft verankert. Hier allerdings noch sehr variabel in Themenwahl und Vortragsweise.
Mit dem Kampf um die nationale Einheit tauchten die ersten Lieder auf, die sich direkt aus einer Bewegung heraus entwickelten. Vor allem Lieder um den Nationalhelden Garibaldi und die roten Hemden seiner Mitstreiter "Camicie rosse" begleiteten den Weg in die Unabhängigkeit Italiens.
Diese Lieder dienten dann oft auch als Propaganda beim analphabetischen größeren Teil der Bevölkerung.
Das Aufkommen des Proletariats und die dabei entstehende anarchistische Bewegung nutzten diese Rolle des Liedes um ihr eigenes Repertoire zu entwickeln. Der wohl bekannteste Liedermacher dabei war Pietro Gori, ein Anarchokommunist, der anfangs mit seinen anarchistischen Gedichten aufmerksam machte.
Als der französische Präsident Carnot von Sante Caserio ermordet wurde, wurde Gori mit dem Vorwurf von der italienischen Polizei festgenommen, er habe Caserio durch ein Lied über ihn unterstützt und seine Tat dabei gebilligt.
Gori emigrierte anschließend in die Schweiz, um dort erneut festgenommen, des Attentates auf irgendeine Königin beschuldigt und eingesperrt zu werden. Er musste dann mit fünfzehn anderen Anarchisten erneut ein Land verlassen. In dieser Zeit entstand das wohl populärste Lied der italienischen Anarchisten "Addio Lugano bello":
"Leb wohl, schönes Lugano/willkürlich vertrieben/ reisen die Anarchisten ab/ und singen mit der Hoffnung in ihrem Herzen/ zwar immer wieder verbannt/gehen wir von Land und Land/um den Frieden zu verbreiten/und um den Krieg zu ächten (...) Friede den Unterdrückten/aber Krieg den Unterdrückern"
Gori veröffentlichte auch Lieder wie "Gesang der Arbeiter des Meeres" (Il canto dei lavatori del mare) oder "Lieber Rebell" (Amore Ribelle), eine Liebeslied für die Revolution.
Zur selben Generation wie Gori: Luigi Molinari. Bei dessen Bildungsprojekten zwischen den Arbeiter*innen und Bauern sah er auch Lieder als Propagandamöglichkeit an und schrieb z.B. das "Kirchenlied der Revolte".
Die Fabrikarbeiter im Norden Italiens brachten einen neuen Schwung des anarchistischen Liedes. In "Söhne der Fabriken" propagierten sie den Kampf gegen den mörderischen Ersten Weltkrieg, der erst vor kurzem geendet hatte.
In den folgenden Jahren wurden die Faschisten in Italien immer stärker. 1922 übernahm Mussolini die Macht. Spötter meinten später, die Faschisten hätten deshalb so viele Leute für sich gewinnen können, weil sie die "bessere Musik" hatten.
Na ja, sei hier dafür kurz das Lied "Il Popolo degli arditi" das Lied des Widerstand der anarchistischen Arbeiter, dagegen gestellt, an dem es bestimmt nicht gelegen hat, dass die libertäre Bewegung in Italien durch diese Zeit zerschlagen wurde, viele ins Exil gingen, andere in den Untergrund.
"Und mit den schwarzen Hemden(der Faschisten) / machen wir einen einzigen Knoten / und auf dem Dorfplatz / wird damit ein schönes Feuer entfacht" (Textzeile aus "Il popolo degli arditi").
Der anarchistische Widerstand der vierziger Jahre brachte neue Lieder. Das bekannteste ist wohl "Dai monti di Sarzana" ("Von den Bergen von Sarzana") der Brigade "Gino Lucetti", so genannt nach einem Genossen, der 1926 ein Attentat auf Mussolini versuchte.
Schon 1948 arbeitete der CIA einen Plan aus, um Italien und Frankreich zu "entmagnetisieren". In Italien traf sie sich in den nächsten Jahren mit dem militärischen Geheimdienst, den Neofaschisten und dem Netzwerk "Gladio" und sie entwickelten die "Strategie der Spannung" , eine Serie von Bombenanschlägen und anschließender Desinformation, um vor allem die linksradikale Bewegung, die zu Beginn der 70er Jahre immer stärker wurde, zu zerstören.
Im Dezember 1969 tötete eine dieser Bomben 16 Menschen in Mailand. Sofort wurden die Anarchist*innen als die Täter benannt, Giuseppe Pinelli bei einem Verhör im Polizeihauptquartier aus dem Fenster des vierten Stockes geworfen.
Bei den anschließend stattfindenden Protesten und Demonstrationen entstanden eine Vielzahl von Liedern, oft spontan auf bekannte Melodien getextet.
Lieder entstanden auch zu Franco Serantini, der im Gefängnis starb, sowie zur Inhaftierung von Giovanni Marini, der zuvor zusammen mit einem Freund durch eine faschistische Horde angegriffen wurde.
Bis heute entstehen all diese Lieder im Zusammenhang der jeweiligen sozialen Bewegungen, werden oft vor Ort auf bekannte Volksmelodien getextet.
In der Tradition des anarchistischen Liedes steht vor allem der 1999 verstorbene Fabrizio de André. Sein 1973 veröffentlichtes Album Storia di un impegiato (Geschichte eines Angestellten) mit u.a. den Liedern "Il Bombarolo"(Der Bombenleger) und "Nella Mia Ora Di Liberta" ("In den Stunden meines Hofgangs") ist wohl das bekannteste.
Der Bombenleger
Wer herum erzählt
Ich würde meine Arbeit hassen
Weiss nicht mit wieviel Liebe
Ich mich dem Sprengstoff widme…
Ich bin Bombenleger…..
Ein verzweifelter Dreissigjähriger
Vor dem Parlament
Auf die Explosion wartend
Die sein Talent beweisen sollte,
Es gab den, der ihn weinen sah
Einen Schwall aus Selbstlauten
Als er explodieren sah
Einen Zeitungskiosk.
Doch was ihn verletzte
Zutiefst in seinem Stolz
War ihr Bild
Das sich auf jedem Blatt hervorhob
Fern der Lächerlichkeit
Mit der sie ihn alleine liess,
Aber auf der ersten Seite
Col bombarolo.
Mit dem Bombenleger….
In den letzten Jahren kamen einige Berufssänger in die Öffentlichkeit, die zumindest zurzeit noch den anarchistischen Bewegungen in Italien nahe stehen. Hier als Beispiel : Alessio Lega
"… e in una Genova liberata, senza chiusura, senza sgomento
senza sott‘occhio la via di fuga, senza furore, senza spavento
avrà senso cadere in ginocchio, alzare e prendersi le mani
piangere in piazza Alimonda… pardon in Piazza Carlo Giuliani…"
und in einem freien Genua, ohne Absperrungen, ohne Schrecken, ohne nach Fluchtmöglichkeiten zu suchen, ohne Zorn, ohne Angst, dann wird es einen Sinn haben auf die Knie zu fallen, die Hände zu erheben und einander zu reichen um auf der Piazza Alimonda zu weinen – pardon, auf der Piazza Carlo Giuliani… "
Es bleibt abzuwarten, ob sie die lange und fruchtbare Tradition des anarchistischen Liedes in Italien mit erhalten können oder nur ein weiterer zahnloser schmerzfreier Teil der affirmativen Kultur werden wollen.
Teil 2: Frankreich
"Weg mit der Macht der Religion,
des Kapitals und der Nation,
Die Stürme, die der Wind entlässt,
entladen sich als Freudenfest.
Womit man uns an Waffen droht,
Es bringt den Bossen selbst den Tod.
Niemand soll uns je mehr regiern,
von unsern Kämpfen profitiern."
(Vaneigem: Das Leben rauscht an uns vorbei)
Wie viele andere politische Gruppen haben die Anarchist*innen Musik immer als ein Mittel der Agitation und der Propaganda gesehen und in vielen Ländern gehörte es zu einem ihrer bevorzugten Mittel der populären Bildung.
"Ah, wir werden es schaffen,
Die Adeligen an die Laterne!
Ah, wir werden es schaffen,
Die Adeligen werden wir aufknüpfen!
Die Tyrannei wird ihren Geist aushauchen,
Die Freiheit wird triumphieren,
Ah, wir werden es schaffen,
Es gibt weder Adelige noch Priester mehr,
Ah, wir werden es schaffen,
Die Gleichheit wird überall herrschen."
Seit der französischen Revolution gab es in Frankreich ne Menge von solchen Liedern. Die bekannte Liedform des "Chansons" wurde benutzt, um politische Ideen zu transportieren. So waren fast täglich "singende Flugblätter" in den Gassen und in den "Goguettes" zu hören, die von ruhmreichen Daten eines Babeuf berichteten. Die "Goguettes"( "Schwips", auch "fröhlicher Gesang") waren im 19.jh Chansonlokale der fortschrittlichen Handwerker und Arbeiter – ohne Lizenz und unter den kritischen Augen der Polizei wurden alle Arten von Liedern und Versen gesungen – immer wieder gerne gegen die Kirche und das Regime.
Diese Lokale schufen durchaus eine Bewusstseinsbildung für das so genannte "gemeine Volk", was die Polizei dazu brachte, eine Kampagne gegen die Goguettes zu führen und viele von ihnen zu schließen. Die wiederhergestellte Monarchie erließ anschließend Gesetze, mit denen es der Polizei leichter fiel, das Singen eines einzelnen Liedes schon als Grund zur Schließung zu benutzen.
Das Jahr 1848 brachte eine Reihe neuer, politischer Lieder. Während viele nun die Republik unterstützten und zur sozialen Versöhnung neigten, sah u.a. Eugène Pottier – Dichter und Sänger der Gougettes – die künftigen sozialen Konflikte und deren revolutionäre Entwicklung voraus. Pottier war der einzige, der sich von Anfang an zum Sozialismus bekannte und zum Anarchisten wurde.
Unter der Herrschaft Napoleons dem Dritten wuchs der kulturelle Widerstand. Hier entstand eines der vielleicht schönsten, auf jeden Fall für die Menschen aus Frankreich das populärste Lied aus dieser Epoche "Die Zeit der Kirschen"( Le Temps des Cerises ) von Jean- Baptiste Clément.
Er schrieb es 1867, wo die Gougettes langsam verschwanden und der Berufsmusiker zum ersten Mal in den so genannten Kaffeekonzerten der Bourgeoisie auftauchte.
Clément selbst jedoch wurde einer der wichtigsten Liedermacher der "Pariser Kommune". In "Blutige Woche" (La semaine sanglante) beschrieb er ihre Niederschlagung im Mai 1871. Seine "Zeit der Kirschen" – nachträglich einer Kommunardin gewidmet – wurde zwar der Ausdruck der enttäuschten Hoffnungen, aber auch Erkennungslied der Arbeiterschaft –
Das Erkennungslied für alle Verdammten und Unterdrückten dieser Erde wurde allerdings "Die Internationale" , getextet von dem schon erwähnten Eugene Pottier wird es auch heute noch auf der ganzen Welt nicht nur von Arbeiterorganisationen gesungen.
Anarchistische Internationale
Steht auf, Verdammte dieser Erde,
die euch man noch zum Hunger zwingt,
dass Recht dem Menschen endlich werde
und Freiheit euch die Zukunft bringt.
Verjagt, vertreibt nun alle die Bedränger,
versklavte Menschen, steht nun auf,
ein nichts zu sein ertragt nicht länger,
alles zu werden, kommt zu hauf!
|: Leute, hört die Signale, auf zum Kampf, zum Gefecht,
die Internationale kämpft für das Menschenrecht!:|
Es rettet uns kein höheres Wesen,
kein Gott, kein Kaiser, noch Tribun.
Uns aus dem Elend zu erlösen,
können wir nur selber tun.
|: Leute, hört die Signale, auf zum Kampf, zum Gefecht,
die Internationale kämpft für das Menschenrecht!:|
In Stadt und Land, ihr Arbeitsleute,
vertraut bloss keiner der Parteien,
sie kassieren bloss die grosse Beute
und lassen lassen uns in der Not allein.
Euer Schicksal nehmt in eigene Hände,
sprengt die Grenzen in jedem Land,
wenn alle HERRschaft erst zuende
ist das der Freiheit höchster Stand
|: Leute, hört die Signale, auf zum Kampf, zum Gefecht,
die Internationale kämpft für das Menschenrecht!:|
Die Entwicklung einer eigenen libertären Bewegung forderte ihre eigenen Lieder. Die Anarchist*innen in Frankreich hatten es satt, weiterhin die alten Lieder von 1789 und der Republik zu singen. Zwischen 1884 und 1894 entstanden nun eine Vielzahl eigener Lieder. Sie wurden bei Versammlungen und Treffen gesungen und endeten spät in der Nacht mit dem Ruf "Es lebe die Anarchie".
Durch die Reisen einiger von ihnen wurden die Lieder weit über ihre Grenzen hinaus bekannt.
Nach 1894 trat unter anderem Gaston Couté hervor – Dichter und Songschreiber. Neben ihm sei Charles d’Avray wähnt, der das libertäre Lied für die wirksamste Propaganda vor allem anderen benannte. Er tourte dann auch mit einem Genossen singend und dichtend durch das Land, immer wieder von der Polizei beobachtet und in manchen Städten auch verhaftet – sein wohl bekanntestes ist "Triumph der Anarchie".
Mit der Rückkehr der Gougettes gab es die ersten Vereine des libertären Liedes. "La Muse Rouge" – wurde 1901 gegründet, unterstütze Liedermacher und brachte eine spezielle Zeitschriftenreihe des anarchistischen Liedes heraus.
Der Zweite Weltkrieg beendete 1939 die weitere Entwicklung von "La Muse Rouge" – danach war nichts mehr wie zuvor. Die Kommunisten versuchten noch, "La Muse Rouge" zu übernehmen, doch die darauf folgende Spaltung brachte die Vereinigung endgültig zu Fall.
Die Nachkriegsjahre brachten wohl einen der berühmtesten und populärsten Sänger der Bewegung hervor. Georges Brassens, Mitarbeiter der "Anarchistischen Föderation" -
veröffentlichte seine ersten Texte in ihrer Zeitschrift. Offen in seinen Ansichten, wählte er oft Spott und Satire für seine radikalen Verse. Irgendwann konnte er von seinen Liedern zwar leben, verblieb aber weiterhin bis zu seinem Tode in der "Föderation".
Ein weiterer, Boris Vian, war in seinen antimilitaristischen Liedern, seinem Abscheu gegenüber Religion und Bürokratie nahe an der Bewegung.
Leo Ferré und Georges Moustaki verwiesen ihrerseits oft auf den Anarchismus oder traten auf Solidaritätsfesten auf.
1974 leisteten die französischen Situationisten ihren Beitrag zum subversiven Lied. In ihrem Album " Lieder des revolutionären Proletariats – für das Ende der Lohnarbeit." veröffentlichten sie Lieder die angeblich von der Bonnotgang, der Machnowbewegung und spanischen Anarchisten geschrieben waren. Es waren Pseudonyme –dahinter steckten Guy Debord, Alice Becker-Ho und Raoul Vaneigem. Leider erschien – entgegen ihrer Ankündigung – nur ein Album.
Ab 1981 öffnete sich auch das Radio der "Anarchistischen Föderation" Radio Libertaire dem Lied. Alte Lieder wurden mit neuen Sängern wieder belebt.
Die anarchistische Bewegung der 90erjahre schien das libertäre Lied wieder neu zu entdecken. Gruppen wie "Les Beruriers Noirs" verbanden den Musikgeschmack und die Widerstandsform der Zeit mit den Ideen des Anarchismus zu einem höchst modernen Stil. Als der Kommerz sie umarmen wollte, lösten sie sich auf.
Teil 3: ...und der Rest der Welt
Angel Cappeletti – einer der lateinamerikanischen Historiker zu den Ideen des Anarchismus – behauptet, dass der Anarchismus eine große Tradition in Lateinamerika hat, reich an gewaltlosen wie gewaltsamen Kämpfe, manifestiert durch individuelle wie kollektive Handlungen, in Organisation, mündlicher, schriftlicher, oder praktischer Propaganda, in literarchischen Werken ebenso wie in Theaterstücken, Pädagogik, in Kooperativen als auch in gemeinschaftlichen Experimenten.
Sein Niedergang – nachdem die libertäre Bewegung zwischen 1870 bis 1930 eine herausragende Rolle gespielt hatte – lässt sich nach seiner Meinung auf drei Ursachen zurückverfolgen: Zum einen waren es die Staatsstreiche in den 30erJahren mit der sich an schließenden Repression, dann die Gründung der kommunistischen Parteien, die dank der Unterstützung der Sowjetunion immer stärker wurde und das Aufkommen der national-populistischen Strömungen, die mal mehr, mal weniger immer in Zusammenhang mit Armee und Militär standen.
Die anarchosyndikalistschen Gruppen ergriffen für die meisten Bauern und Arbeiter in den ersten Jahren des 20.Jh. eine große kulturelle Initiative – Proklamationen aus Zeitungen und Büchern wurde auf Theaterbühnen gebracht, in die Malerei oder verwandelten sich in Gedichte und Lieder. In Argentinien wurden die libertären " payadores" die Chronisten und Ausrufer der ländlichen Kämpfe des Südens. Aktivisten komponierten Tangos und Milongas, um an erfolgreiche Arbeitskämpfe zu erinnern oder an blutige Repressionen der Regierung.
In Mexiko drückten Zapatisten und Magonist*innen in Corridos ihre Forderungen nach Land und Freiheit aus.
Seine bedeutsamste Entwicklung und Popularität fand das libertäre Lied jedoch jenseits des Rio Grande – durch die Zusammenarbeit mit "Big Union", der "Industrial Workers of the World(IWW)"
Im Oktober 1902 kommt der 23jährige Joseph Hillstrom in die USA und beteiligt sich ziemlich schnell an Streiks und politischen Bewegungen, die sich für die Rechte der Einwanderer einsetzten. Mit einem neuen Namen, Joe Hill, schließt er sich 1910 der "Industrial Workers of the World" an. Ein Jahr später, während der Streiks an den Piers von San Pedro(Kalifornien), schreibt er seinen ersten Song. Während die Southern Pacific Streikbrecher einstellt, versucht Joe Hill den Streikenden mit seinen Liedern Mut zu machen.
Etwas fast Magisches geschieht: Die aus verschiedenen Ländern Eingewanderten, in verschiedenen Sprachen sprechenden Arbeiter beginnen seine Lieder zu übersetzen und auch zu singen – und begegnen so den Spaltungsversuchen der Eisenbahngesellschaft.
Joe Hill zog von Streik zu Streik und der Hass der Behörden und Kapitalisten wuchs mehr und mehr. Sein musikalisches Konzept war simpel: Auf bekannte Volksmelodien legte er aktuelle Texte, kreativ, witzig, kämpferisch und für alle mit zu singen. Die "IWW" nutzte diese Art der Propaganda und brachte ein entsprechendes Buch heraus, das "Rote Liederbuch" mit 13 seiner bekanntesten Songs.
Eine Kampagne der jeweiligen Behörden brachte ihn wegen angeblichen Mordes ins Gefängnis. In dieser Zeit schrieb er weitere Lieder und forderte seine Kollegen auf, mit dem Kampf nicht aufzuhören. Am 19.November 1915 wurde er von einem Erschießungskommando- hingerichtet. Einige seiner letzten Worte waren: "Vergeudet nicht eure Zeit mit Trauer, organisiert euch."
Erwähnenswert: Woody Guthrie – geboren 3 Jahre nach der Ermordung von Joe Hill und doch ähnlich in seinem Anliegen und Wirken. Sein Repertoire umfasst mehr als 1000 Protestlieder, in denen er über gute Banditen und ermordete Anarchisten sang, immer in Güterzügen unterwegs mit Mundharmonika und Gitarre, auf der geschrieben stand: "Diese Maschine tötet Faschisten."
In den 60 Jahren wurde er zum Vorbild vieler US-amerikanischer Folksänger*innen, wie Bob Dylan, Joan Baez u.a.
Vierzig Jahre später gibt es wieder Proteste in den USA und Zusammenstösse mit der Polizei. In Städten wie Seattle, New York, Washington D.C., San Francisco usw. tragen diverse Gruppierungen ihre Kritik auf die Strasse. In einem "Karneval des Widerstands" wird dabei getanzt und gesungen. Durchaus in der Tradition von Joe Hill und Woody Guthrie, verkörpert durch solche Sänger*innen wie Ethan Miller, David Rovics und Karen Brandow.
"Das ist kein Friedenslied/es ist eine Kriegserklärung/das ist kein Singekreis/ es ist der Anstieg eines mächtigen Gebrülls"
Über Europa hatten wir schon berichtet und vor allem über Georges Brassens, dessen Lieder auch im benachbarten Spanien große Begeisterung fand. Neben den Liedern, die Brassens selber ins Spanische übersetzte und sang, beeinflusste er auch junge Sänger wie die Spanier Joan Manoel Serrat und Paco Ibanez, der ein ganzes Album mit Brassensliedern besang. Oder Serge Utge Royo, der in den Aktionen der französischen Anarchist*innen involviert war.
Noch interessanter erscheint die Geburt einer Musikrichtung einer unbeugsamen und wilden Gegenkultur, die sich in libertären Zusammenkünften artikulierte: der Punk. Neben einer plötzlichen "Explosion" des baskischen Liedes – hier seien vor allem La Polla Records und Kortatu zu nennen – ergaben sich über den Punkrock neue Möglichkeiten des Widerstands vor allem in den Revolten und Besetzungen – und der Anarchosyndikalismus fand eine neue Ausdrucksform.
Juanito Piquete y Los Mataesquiroles, Black Carcomas und Kolumna Durruti schöpften aus diesem Nährboden für libertäre Lieder, und begleiteten mit entspannten Rhythmen die Wut der Kämpfe. Die Texte dieser neuen Sänger und Sängerinnen der Utopie handelten von Themen, in denen sie oft selber aktiv waren: Kampf gegen die Gefängnisse, gegen den Neoliberalismus – und die Wiederentdeckung der Anarchie.
Es wären noch eine Reihe von Gruppen aufzuzählen, z.B. aus dem deutschsprachigen Raum selbstverständlich die "Ton, Steine, Scherben" "Slime" und "Cochise" – einige von euch werden aus anderen Ländern einige kennen, wie aus Kanada z.b. "Sabotabby".
Im Argentinien der Streiks, der Vollversammlungen und der Verschwundenen finden wir Gabriel Sequeira. Als RocknRoller begonnen, sehen wir ihn in der Nähe der libertären Organisationen von Buenos Aires. Er selbst nennt sich stolz " anarchistischer Troubadour", spielte auf dem Weltsozialforum in Porto Alegre, tritt zusammen mit den "Müttern des Plaza Mayor" auf und für alle, die ihn deswegen um Unterstützung bitten.
In Ecuador hören wir Jaime Guevara - ein"Chamo", (so was wie "Chico") wie sie ihn dort liebevoll nennen, der in seinen Konzerten für Menschenrechte und gegen die Militärregierung(1972-1979) ein großes und treues Publikum gewonnen hatte. Anfangs zusammen mit einer Musikgruppe, tritt er seit einigen Jahren als Solist auf – immer mit einer Gitarre, die bei seinen Verhaftungen mehrmals als "Waffe" beschlagnahmt wurde und die er nach wochenlangem Warten " in Einzelstücke" zurückbekam.
Einmal wurde er, der sich auch für Gewaltlosigkeit und Tierrechte einsetzte, in einem Tierheim verhaftet. In den Jahren 2007 und 2008 wurden über und mit ihm zwei kürzere Filme gedreht, in dem er das Leben der Straßensänger und Troubadoure zeigt. In seinen über 500 Liedern, die er musikalisch zum einen in der Tradition der Rhythmen Ecuadors sieht zum anderen in denen der mittelalterlichen Troubadoure, geht er mit ätzender Kritik und viel Humor gegen die politischen Machthaber vor.
"Kein gutes Wort für die Kapitalisten/auch nicht für die Führer/und das ist "Anarchist" ..."
"Dann erst, wenn das Wort Macht gleichdeutend ist mit Stille, wird Freiheit zum Versprechen. Klangvolle Stimmen werden nicht aufhören, für und mit dem Kampf zu ertönen, für und mit den Gefühlen, die uns als Menschen einzigartig machen. Die modernen Minnesänger unserer heutigen Zeit des Internet und der Nanotechnologie tragen als Waffen ihre Gitarren und ihre Rucksäcke voll mit antiautoritären Werten. Wenn wir ganz genau hinsehen, dann sehen wir vielleicht, wie einer von vor unserer Haustüre vorbeispaziert. Und wenn wir ganz genau hinhören, dann vernehmen wir vielleicht die Balladen, die immer noch ein Gefühl der Unzufriedenheit schüren." (Rafael Uzcategui)
(Nach einem Text von Rafael Uzcategui. Gekürzt und bearbeitet von Radio Chiflado)
Originaltext: http://radiochiflado.blogsport.de