Robert Reitzel - „…und heute sage ich, wie vor zehn Jahren: Ich bin Anarchist!“

Januar 1849. Robert Reitzel wird als Sohn des Schullehrers Reinhard Reitzel und Katharina Reitzel in Weitenau geboren.

Er wächst als ständiger Querulant auf und muss verschiedene Male die Schule wechseln um sein Abitur zu erlangen. Schließlich beginnt er ein Theologie- und Philosophiestudium, verbringt seine Zeit aber nicht mit Studieren sondern trinkt und spukt mit Corps-Brüdern herum. Sein Vater stellt ihn daher vor die Wahl Soldat zu werden, oder nach den Vereinigten Staaten auszuwandern. Da Reitzel stets Gegner des Militarismus war, sticht er in See.

In Amerika angekommen, verliert er oft die schwer ergatterte Arbeit und landet schließlich völlig verwahrlost bei einem Pfaffen, der sich zunächst als Retter aufspielt. Schließlich, als Reitzel wieder auf der Höhe ist, beschließt er, inspiriert durch Heine und Feuerbach den Ausstieg. Zu dem Zeitpunkt war er selbst Pfaffe in einer amerikanischen „Privatkirche“ und hatte eine 5 köpfige Familie.Er steigt nun ziemlich rasch in den Kreisen der deutschsprachigen Linken Amerikas auf und gründet 1884 den „Armen Teufel“ mit der finanziellen Unterstützung eines freidenkerischen Brauereibesitzers. Die Krisen des Kapitalismus begannen in den USA bereits weniger als 100 Jahre nach seiner Etablierung. Von da stammt auch die amerikanische Gewerkschafts- und Streikbewegung, die schon früh die Partizipation von Anarchisten wie Johann Most verzeichnen konnte.

Die Popularität der anarchistischen Beteiligung an den Arbeitskämpfen gipfelte in dem Haymarket-Vorfall, wobei 1886 eine Bombe einen Polizisten tötete und mehrere Polizisten und ein Streikender im Verlauf der darauffolgenden Schießerei getötet wurden. Die Bewaffnung der streikenden Arbeiter rührte damals von der mörderischen Verfolgung durch paramilitärische Polizeieinheiten, die von den Kapitalisten aufgehetzt waren, die Situation auch mit Mord zu „befrieden“. Soviel zur realen „Sozialpartnerschaft“ – Hallo DGB-Verräter, lest mal ein Geschichtsbuch!

Nach diesem Zwischenfall, der der Regierung nicht gerade ungelegen kam und dem späteren Attentat auf den Zaren, kam die derzeitige anarchistische „Propaganda der Tat“ in Verruf.Im „Armen Teufel“ spricht sich Reitzel jedoch für ein Recht auf Bewaffnung der Arbeiter und Revolutionäre aus, welches er damit begrenzt, der „Bestialität des Staates“ und des Kapitalismus keine ebensolche „Bestialität“ entgegenzusetzen, sondern maßvoll zu kämpfen und die freiheitlichen Ziele nicht aus den Augen zu verlieren.Im Folgenden beschreibt Ulrike Heider die verschiedenen politischen und literarischen Strömungen und ihre Einflussnahme bzw. die Reaktionen in Reitzels „Armen Teufel“. So beschreibt sie das Treffen von Reitzel mit Emma Goldmann, deren spätere Schilderungen von Reitzel vor Zuneigung strotzen. Diese Tatsache und der Sachverhalt, dass Reitzel sich für freie Liebe und besonders für die Emanzipation der Frau aussprach, zeigen, dass sich der trunkene Hallodrie von Einst gewandelt hatte. Mitte der 1890ger Jahre erkrankt Reitzel, wie sein Vorbild Heinrich Heine, an Knochentuberkulose. Der Krankheitsverlauf zieht sich über 4 Jahre, bis er 1898 stirbt. Später wird der „Arme Teufel“ noch einmal ein Revival erfahren, in Deutschland und unter der Feder u.a. Erich Mühsams.

Ulrike Heiders Biographie über den Herausgeber des „Armen Teufel“ ist flüssig lesbar und enthält viele stilistisch gewandte Konstruktionen, die den Leser an die Lektüre fesseln und sie durch und durch interessant gestalten, wobei sie der bloßen wiedergebenden Monotonie entgeht.

Leider beginnt die Autorin im Kapitel „Nietzsche im Armen Teufel“ eine private Abrechnung mit dem Werk des Philosophen worin sich offensichtliche Interpretationsfehler der „Alt68gerin“ zeigen. Dieser abwegige Exkurs zieht das Gesamtbild ein wenig herunter, was aber angesichts des letzten Kapitels, in dem sie sehr sensibel mit dem Ableben Reitzels umgeht und der Leserschaft noch seine „letzten Worte“ in Gedichtform präsentiert wieder ausgeglichen wird. Sie seien als Schlusswort in dieser kurzen Rezension zitiert:

„Das Leben ist der schwüle Tag,
Der Tod, das ist die kühle Nacht.
Es dämmert schon, mich schläfert,
Der Tag hat mich müde gemacht.

Über mein Bett erhebt sich mein Baum,
Darin singt die Nachtigall,
Sie singt von lauter Liebe,
ich hör’ es sogar im Traum.“

Reitzels letzte Zeilen, „Der Arme Teufel“, 9.4.1898 aus Ulrike Heider „Der arme Teufel“

Originaltext: http://syndikalismus.wordpress.com/2012/03/07/robert-reitzel-%E2%80%9Eund-heute-sage-ich-wie-vor-zehn-jahren-ich-bin-anarchist!


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