Kasimir Malewitsch - Die Faulheit als tatsächliche Wahrheit der Menschheit (1921)

Die Arbeit als Instrument zum Erreichen der Wahrheit. Philosophie der sozialistischen Idee.

Auf mich machte es stets einen befremdlichen Eindruck, wenn ich etwas Missbilligendes über die Faulheitshandlung von einem Staats- oder Familienmitglied hörte oder geschrieben sah. "Faulheit ist die Mutter aller Laster" – so brandmarkte die gesamte Menschheit und alle Völker diese besondere menschliche Tat. Ich war immer der Meinung, dass diese Anklage der Faulheit ungerecht ist. Warum wurde die Arbeit so gepriesen und auf den Thron des Ruhmes und der Lobpreisung gesetzt, die Faulheit dagegen an den Pranger gestellt, alle Faulen mit Schmach und dem Brandmahl des Lasters, der Mutter der Faulheit, bedeckt, jeder Arbeitende aber mit Ruhm und Gaben bedacht und gefeiert. Mir kam es immer so vor, als müsste es gerade umgekehrt sein: Die Arbeit muss verflucht werden, wie es auch die Legenden vom Paradies überliefern, die Faulheit aber sollte das sein, wonach der Mensch zu streben hat. Doch im wirklichen Leben hat sich alles ganz anders entwickelt. Zu diesem anderen möchte ich mich nun aufmachen. Und wie jede Klärung durch Merkmale und vorhandene Zustände hindurchgeht und jegliche Ausführungen und Schlussfolgerungen von diesem Merkmalen herrühren, will auch ich in dieser Ausführung über die Merkmale und ihre Beziehungen zueinander den Zweck, der sich im Wort "Faulheit" verbirgt, ans Licht bringen.

Mit vielen Worten werden Wahrheiten verdeckt, die nicht ausgegraben werden können. Mir scheint, dass der Mensch die Wahrheiten seltsam behandelt hat, und er bald jenem Koch ähnelte, der an vielen Töpfen unterschiedlichste Gerichte kochte. Sicher ist, dass jeder Topf seinen eigenen Deckel hatte, doch aus lauter Zerstreuung deckte der Koch die Töpfe mit den falschen Deckeln zu, so dass er schließlich nicht mehr wusste, was sich in welchem Topf befindet. Ich glaube auch, dass hier, mit der Faulheit, ähnliches passierte, viele Wörter und Wahrheiten sind mit Deckeln bedeckt worden, und kein Mensch weiß, was sich unter dem jeweiligen Deckel befindet. Auf irgendeinem Deckel stand geschrieben "Die Faulheit ist die Mutter aller Laster". Man bedeckte irgendeinen Topf damit und denkt seither, dass in diesem Topf die Schande und das Laster aufbewahrt werden. Selbstverständlich ist das Wort "Faulheit", wenn es einen menschlichen Zustand meint, sehr gefährlich, etwas Gefährlicheres gibt es für den Menschen auf der ganzen Welt nicht, man muss bloß daran denken, dass die Faulheit den Tod des "Seins" einschließt, d.h. der Mensch, dessen ausschließliche Rettung in der Produktion und in der Arbeit liegt – wird nicht länger tätig sein, das ganze Land wird sterben, dem ganzen Volke droht der Tod. Es ist klar, dass dieser Zustand als Zustand des Verderbs verfolgt werden muss. Und um sich dem Tod zu entziehen, denkt sich der Mensch Lebensformen aus, in denen alle arbeiten müssen und es keinen einzigen Faulpelz gäbe. Das ist der Grund dafür, dass das sozialistische System, das zum Kommunismus führt, alle Systeme bekämpft, die vor ihm existiert haben, und die ganze Menschheit den alleinigen Weg der Arbeit beschreite und dort kein Faulpelz übrigbliebe. Daher also besagt das unbarmherzigste aller Gesetze in diesem menschlichen System: "Wer nicht arbeitet, der soll auch nicht essen", und deshalb also verfolgt es den Kapitalismus, weil er, der Kapitalismus, die "Faulpelze" hervorbringt und weil der Rubel definitiv zur Faulheit führt, somit erfährt Gottes Fluch über die Menschen – die Arbeit – in den sozialistischen Systemen den höchsten Segen. Unter diese segnende Hand sollte sich jeder stellen, ansonsten drohe ihm der Hungertod, heißt es. Eben dieser Zweck verbirgt sich im System der Werktätigen. Der Zweck liegt darin, dass der Mensch in allen anderen Systemen das Gefühl des herannahenden allumfassenden Todes nie spüren würde und auch nie sehen, dass sich in der Produktion nicht nur das allgemeine, sondern auch das individuelle Wohl verberge. Im kollektiven Arbeitssystem hingegen stellt sich der Tod vor jeden, jeder hat nur eine Aufgabe: sich durch die Arbeit, durch die Produktion von Arbeit, zu retten. Ansonsten droht der Hunger. Dieses Sozialistische Arbeitssystem beabsichtigt in seiner, natürlich unbewussten, Handlung, die ganze Menschheit zum Arbeiten zu bringen, um die Produktion zu steigern, um Sicherheit zu gewährleisten, um die Menschheit zu stärken und durch die Produktionsfähigkeit ihre "Existenz" zu bestätigen. Natürlich ist dieses System, das sich nicht nur um den Einzelnen, sondern um die ganze Menschheit kümmert, absolut richtig. Genauso garantiert das Kapitalistische System das Recht auf und die Freiheit zur Arbeit, auf das Vermehren des Geldes in den Banken, um sich zukünftig die "Faulheit" zu sichern. Das setzt voraus, dass der Rubel jenes Zeichen ist, das verführt, weil es verspricht, wovon in Wirklichkeit jeder träumt: die Glückseligkeit der Faulheit.

In der Tat, das ist die Bedeutung des Rubels, und der Rubel ist an sich nichts anderes als ein Stückchen Faulheit. Wer am meisten davon sammelt, verweilt länger in der Glückseligkeit der Faulheit. Die Überzeugten, die sich um das Volk gekümmert haben, übersahen diese Ursache und den Zweck des ganzen in ihrem Bewusstsein und waren sich immer einig, dass die Faulheit "die Mutter aller Laster" sei. Aber im Unbewussten existierte das Andere, eben der Wunsch, in der Arbeit alle gleich zu stellen oder, anders gesagt, der Wunsch auf Gleichberechtigung in der Faulheit. Erreicht wird das, was im kapitalistischen System nicht erreicht werden kann, doch kümmern sich Kapitalismus und Kommunismus um das gleiche: darum, den einzig wahren menschlichen Zustand zu erreichen, nämlich die Faulheit. Im tiefen Unbewussten der Systeme versteckt sich genau diese Wahrheit. Aber aus irgendwelchen Gründen hat man sie noch nicht begriffen, und nirgendwo verkündet ein Arbeitssystem die Losung "die Wahrheit Deines Strebens ist der Weg zur Faulheit". Stattdessen hängen überall nur Arbeitsparolen, und daraus ist wohl abzulesen, dass die Arbeit unvermeidlich ist, es ist unvermeidlich (unmöglich? – A.Š.) sie abzulegen, und in der Tat soll dieses Ziel in sozialistischen Systemen durch die Arbeit erreicht und die Last so Stunde um Stunde von den Schultern des Menschen genommen werden. Je mehr Menschen arbeiten, desto weniger Arbeitsstunden wird es geben, desto mehr Zeit bleibt der Muße. Das kapitalistische System formte mit allen möglichen Mitteln die Klasse der Kapitalisten, wodurch sie sich selbst mit Glückseligkeit während des Müßiggangs versorgte. Aber weil die Faulheit allein durch die Arbeit gewährleistet wird, errichtete die kapitalistische Arbeitsorganisation ihr eigenes System, das nicht zulässt, die "Faulheit" allen zugänglich zu machen. Genutzt wird die Faulheit nur von jenen, die Kapital besitzen. Demzufolge befreite sich die Klasse der Kapitalisten von der Arbeit, sie befreite sich davon, wovon sich die ganze Menschheit befreien sollte. Die Klasse der Kapitalisten betrachtet das ganze Volk als werktätige Arbeitskraft, so wie das sozialistische System es als "werktätige" Arbeitsmaschine sieht, und darum will jeder Kapitalist das werktätige Arbeitsvolk gerade so versorgen, dass seine Kräfte nicht versiegen. Der Kampf der Kapitalisten mit nicht kapitalistischen Systemen geht vonstatten, weil im Falle des Sieges eines nicht kapitalistischen Systems eine Gleichstellung in der Arbeit erfolgen und dann die kapitalistische Klasse ihre Glückseligkeit in der Faulheit verlieren würde. Und deshalb werden alle kapitalistischen Unternehmen enteignet: um die Mittel gleich zu verteilen, die der Arbeit wie auch die der Faulheit. Sozialistische Systeme streben die Äquivalenz von Arbeit und Faulheit an, und jeder Mensch passt genau auf, dass die Arbeit gleich verteilt wird; denn die Mußestunden resultieren aus dieser gleichberechtigten Verteilung. Die kapitalistische Klasse betrachtet die gesamte Produktion als einen kapitalsichernden Wert und das Kapital als Zeichen, das die Muße garantiert. Auch das sozialistische, nichtkapitalistische System erkennt in der Produktion jenen Wert, der die Mußestunden sichert.

Die Vervollkommnung des sozialistischen Systems führt nun nicht zur Erhöhung der Arbeitsstunden, sondern zu deren Verminderung. Die Warenherstellung wird nach den Bedürfnissen der Menschen ausgerichtet. Nichts Überflüssiges, keine Überproduktion darf es geben, denn letzteres gibt es nur dort, wo Gier verfolgt wird, die normalerweise nutzlos ist. Und weil sich die Nützlichkeit im sozialistischen System auf jeden Einzelnen richtet, wird sie von allen Werktätigen in gleichem Maße gesichert. Folglich wird es keine Vervollkommnung zum persönlichen Vorteil geben. Sie wird nur von der Gesellschaft zum Zweck des Gemeinwohls realisiert werden. Eigentlich kann man über alle Legenden sagen, dass jegliche Vervollkommnung es in ihrem Wesen auf den allgemeinmenschlichen Nutzen abgesehen hat, aber sobald der Vollkommenheitsschöpfer sein Produkt in die Welt hinausgetragen hatte, nahm ein Unternehmer es ihm ab, verwendete es in erster Linie zu seinem eigenen Vorteil und beutete schließlich diejenigen aus, die es nicht schafften, dieses Produkt zu erwerben. Eine Maschine wurde erschaffen. Der Kapitalist verwendete sie sogleich für seine Interessen und schon ergab sich die Möglichkeit, die Anzahl der Arbeitskräfte zu verringern und das eigene Kapital zu vermehren. Dabei raubte er den Arbeitern ihren letzten Lohn, der sich im Erhalt der Rubel als Zeichen der Faulheit ausdrückte. Immer mehr von diesen Zeichen blieben beim Unternehmer. Den Arbeitern wurden die Feiertage zur körperlichen Erholung überlassen, sie nutzten sie, wenn die Unternehmer schon längst die grenzenlose Faulheit genossen.

Das sozialistische System wird diese Maschine weiterentwickeln, darin liegt der Sinn des Zwecks. Und zwar darin, möglichst viele Arbeitskräfte von der Arbeit zu befreien, oder, anders gesagt, aus dem ganzen werktätigen Volk oder der ganzen Menschheit einen faulen Hausherren zu machen, der wie der Kapitalist seine Schwielen und seinen Schweiß auf die Hände des Volkes legt. Die sozialistische Menschheit wird auch ihre Schwielen und ihren Schweiß auf die Muskeln der Maschinen niederlegen und die Maschine mit endloser Arbeit versorgen, die ihr keinen einzigen Augenblick der Ruhe gönnen wird. Später wird sich die Maschine befreien und ihre Arbeit auf ein anderes Wesen übertragen müssen. Nur so kann sie sich vom Joch der sozialistischen Gesellschaft entledigen und das Recht auf "Faulheit" sichern.

So strebt alles Lebendige nach Faulheit. Andererseits ist die Faulheit der Garant und Motor der Arbeit, schließlich kann man Faulheit nur durch bzw. über die Arbeit erreichen. Nur so ist zu verstehen, dass den Menschen irgendein Arbeitsfluch ereilt haben muss und er davor immer im Zustand der Faulheit verweilte. Im ursprünglichen Zusammenleben, vielleicht, gab es diesen Zustand tatsächlich, und es kann sein, dass die Legende über die Schaffung des Paradieses und der Vertreibung des Menschen daraus eben jene verschwommene Vorstellung von der Vergangenheit oder von einer Zukunftsvision ausdrückt, die der Mensch durch den Fluch der Arbeit erreichen wird. Letzteres lässt sich vielleicht weiter oder tiefer klären, wenn man den schon entwickelten Gedanken ergänzt mit dem "weißen Gedanken" über den nicht entthronten Gott (1).

Jetzt will ich aber von jener Vermutung berichten, die ich, vielleicht durch die Einführung eines anderen Gedankens, über das Ziel der Arbeit gemacht und damit die Arbeit in ein völlig anderes Instrument verwandelt habe. Im Alltagsleben nimmt man an, dass die Arbeit eine einfache Notwendigkeit ist, eine Art Rohkost, und nicht die Hauptsache der menschlichen Vollkommenheit darstellt, und dass nach der Arbeit noch Zeit bleiben sollte, die die Arbeit an der Vervollkommnung überhaupt erst ermöglicht. Diese Vollendungen setzen Wissenschaft und alles Wissen der Umwelt sowie Selbsterkenntnis voraus. Daraus folgt, dass die Verringerung der Arbeitszeit durch die Vervollkommnung gerechtfertigt wird. Zu diesen Vervollkommnungen gehört sogar die Erholung: die Kunst wird üblicherweise als Produkt der Erholung betrachtet. Aber mir scheint, dass diese letzte Hälfte die zweite nicht rechtfertigen kann, sind doch die ganze Wissenschaft und andere Wissenszweige auch Arbeit, zugegebenermaßen Arbeit auf einer anderen Ebene, und diese Ebene gehört zu den künstlerischen Offenbarungen, zur Handlungsfreiheit, zur freien Erfahrung, zur Suche; und in diesem Übergewicht gegenüber der reinen Arbeitshälfte, der der schöpferische Akt fehlt, wird diese Ebene industriell, d.h. sie enthält einen multiplizierbaren Beginn der Dinge, die durch die schöpferische Vollendung erst zur Vervielfältigung gelangt sind. Genau darin liegt der verborgene Grund für den Wunsch des Werktätigen-Arbeiters nach anderen Produktionsgebieten, in denen er sich von der mechanischen Reproduktion befreien kann und der kreativen Arbeit widmen. Solche Arbeit leistet das ganze Wissen der Wissenschaft und Kunst; aber nicht viele können wegen der Gesellschaftssysteme der Staaten jenes Gebiet, die zweite Sphäre, des menschlichen Handelns gar nicht betreten, und so verlangt der Werktätige-Arbeiter nach Schauspielen und besucht verschiedenste wissenschaftliche Vorführungen. Aber, je mehr ich mich in diese Kausalität vertiefe, sehe ich, dass man in der zweiten Hälfte der menschlichen Arbeit eine Erholung sieht, anders gesagt, verbirgt sich in der Erholung oder dem Schöpfertum ein besonderer Zustand der "Faulheit" und dieser führt zur Vervollkommnung des absolut physischen Nichtstuns, der sämtliche physische Energien in einen besonderen, allein gedanklichen Handlungszustand überträgt. Auf die Handlung der Gedanken komme ich später zurück. Zunächst muss die Äquivalenz beider Hälften menschlicher Arbeit geklärt werden, die Arbeit eben und die zweite Hälfte, die sich in der Vervollkommnung durch die Wissenschaften und durch anderes Wissen äußert. Beide bilden eine Ganzheit und streben gleichermaßen die Verringerung der Arbeitszeit wie auch die Verkürzung der Stunden des Wissens und Schaffens an, und, wie der Mensch durch die Arbeit "Faulheit" zu erreichen sucht, strebt das ganze Wissen und die Wissenschaft durch sich selbst dazu, das gesamte Weltall zu erkennen und zu erfahren, anders gesagt, das gesamte Weltwissen zu erobern. Niemand wird das bestreiten, jede Sekunde will der Mensch in die Weltordnung eindringen und alles erfahren, was bislang vor ihm verborgen blieb.

Dieses Streben, würde ich sagen, ist ein Streben zu Gott, d.h. zu jenem Bild, das die gesamte Menschheit sich als etwas Vollkommenes reserviert hat. Wie hat sie sich ihn nicht alles vorgestellt? Als ein Wesen, das allgegenwärtig und allwissend, omnipotent usw. ist. Folglich bewegt sich jeder Schritt des Menschen auf die Vollkommenheit zu, d. h. auf die Annäherung an Gott. Und nehmen wir mal an, dass der Mensch in mehreren Tausend oder Millionen Jahren die Allwissenheit, folglich die Allgegenwärtigkeit erreicht haben wird. Wie wird dieser Moment sein? Wenn es weiter nichts zu erfahren und nichts zu wissen gibt und gewiss auch weiter nichts zu tun sein wird - die Welt ist entdeckt und ihre ganzes Wesen ruht im Wissen, das Universum in seiner ganzen Größe und Endlosigkeit seiner Schöpfungen wird sich nach seinem eigenen ewigen Bewegungsgesetz bewegen, und diese ganze Bewegung ist meinem Wissen schon bekannt und jedes ihrer Phänomene ist in seiner Unendlichkeit schon errechnet.

Wenn eine solche Vollkommenheit erreicht sein wird, werden wir auch Gott erreichen, eben jenes Bild von ihm, das die Menschheit zuvor in ihrer Vorstellung, in Legenden oder in der Wirklichkeit entworfen hat. Dann beginnt das neue göttliche Nichtstun, eine Zustandslosigkeit, der Mensch wird verschwinden, denn er geht in jenem höchstem Abbild seiner vollendeten Vorbestimmung auf. Genau das wird auch mit der Arbeit geschehen, in ihr wird die Menschheit eine solche Vollkommenheit erreichen, dass die gesamte Produktion in die Gewalt der Natur übergehen und alles, ohne jegliche Arbeit, in den Organismus eintreten wird, wie der Atem, der dem Organismus mit seiner ganzen Kraft der Bewegung dient - wie das Leben (2). Dieses vollkommene Gottesbild zeigt sich auch in der Arbeit, die danach strebt, den Menschen von der Arbeit zu befreien und jene Wonne zu erreichen, in der alle menschlichen Fabriken und Betriebe wie von alleine funktionieren; diese kleine Tat wird zu einem Muster für jene große Fabrik, das Weltall, in dem die gesamte Produktion ohne Ingenieure und Arbeiter vonstatten geht, und das von Gott, wie sich die Menschen das vorstellten, erbaut wurde, vom allwissenden und omnipotenten Gott. Natürlich kann man die Allmacht und das Allwissen entlarven und an vielen Unvollkommenheiten, die immer noch auf dem Weg zur Vollkommenheit unterwegs sind, beweisen, aber vielleicht ist der gesamte Mechanismus des Universums in seiner Vollkommenheit nur im Entwurf perfekt, und unvollendet sind nur seine vernünftigen Details, so wie eine von den äußerlich scheinbar vollendeten Formen der Mensch ist, und im ganzen ist dieser Mensch doch nur ein Splitter im Weltenbau des Universums. Er will alles nach den Gesetzen des Universums auf der Erde errichten. Erreicht der Mensch im Wissen und in der Arbeit das einzige Ziel des absoluten Allwissens und der Geschäftsführung, dann erreicht er Gott, die Vollkommenheit, anders gesagt, er schließt sich in ihn ein oder ihn in sich und betritt das Stadium absoluter Handlungslosigkeit oder der Handlung als Betrachtung der Eigenproduktion, es beginnt ein Stadium der absoluten "Faulheit", denn selbst ich kann an der Vervollkommnung nicht mehr teilnehmen – sie ist erreicht.

Der Mensch, das Volk oder die ganze Menschheit stellt immer ein Ziel vor sich auf, und dieses Ziel liegt immer in der Zukunft; ein solches Ziel ist die Vollkommenheit, die Gott ist, die menschliche Vorstellung malte ihn sich aus und ordnete sogar die Tage seines Schaffens, woraus hervorging, dass Gott in sechs Tagen die ganze Welt erbaute, und es versteht sich, dass am siebten Tag die Erholung folgte; wie lange aber jener Tag andauerte, wissen wir nicht, auf jeden Fall ist der siebte Tag der Ruhetag. Nehmen wir an, dass der erste Tag eine physische Erholung war, obwohl es in Wirklichkeit nicht so hätte sein können, wenn er das Universum durch physische Arbeit hätte erbauen müssen, dann hätte er soviel arbeiten müssen wie jeder Mensch auch; offenbar hatte er aber keine physische Arbeit zu verrichten, folglich musste er sich auch nicht erholen. Er hatte sein Schaffen durch die Worte "Es werde" vollbracht. Nach sechs Mal "Es werde" wurde das Universum in seiner ganzen Vielfältigkeit erschaffen. Seitdem ist Gott nicht mehr tätig, er ruht auf dem Thron der Faulheit und betrachtet seine Weisheit. Aber hier stellt sich die Frage, ob Gott wirklich beim Betrachten keine größere Vollkommenheit gefunden hat? Offenbar nicht, denn genau das ist seine Weisheit, die wir im Universum erblicken. Gott ist in solchem Maße vollkommen, dass er sich nicht einmal in einem Zustand des Denkens versetzen kann, denn das ganze Universum schöpft die Vollkommenheit des göttlichen Gedanken aus. Ich habe schon erwähnt, dass der Mensch nur eine kleine Kopie jener Gottheit ist, die in uns entstand, und in Wirklichkeit danach strebt, und es gibt bereits viele solcher Menschen, die die Vollkommenheit einer Handlung durch einen bloßen Gedanken erreicht haben und mit diesem Gedanken ein ganzes Volk in Bewegung versetzten und Materien dazu brachten, eine andere Gestalt anzunehmen. Solche Menschen sind bislang als Führer und Ideengeber präsent, als Hersteller der Vollkommenheit. In gewisser Weise fand jeder Ideengeber mit seinem Gedanken eine Idee, die früher oder später das ganze Volk aufbegehren lässt und in neue Lebensbahnen einordnen wird. Der Vollkommenheitsschöpfer, der einen neuen Körper, eine Maschine oder einen Apparat erfand, wird viele Arbeitshände zu deren Vermehrung erheben, und die Welt wird eine andere Gestalt annehmen und weitere Vollkommenheit erreichen. Seine Gedanken erschaffen auch jene Maschinen, die seine Taten vervielfältigen und den Menschen von der Arbeit befreien. Und da die Vervollkommnung des Menschen sich weiter fortsetzen wird, wird er natürlich zukünftig Gottes Zustand erlangen, der durch das "Es werde" die Welt erschuf. Jeder Zar und Regent bewegte das Leben bloß durch sein "So soll es sein" oder "Es werde".

In unserem Leben haben wir auch ein paar kleinere Beispiele dafür, aber alles, was in der Vergangenheit vervollkommnet wurde, wurde von einem Menschen gemacht, in der Gegenwart ist der Mensch nicht mehr allein, sondern hat die Maschine, in der Zukunft wird es nur noch die Maschine oder etwas Entsprechendes geben. Dann wird nur noch eine Menschheit existieren, die auf dem Thron der vorbestimmten Weisheit sitzt, ohne Führer, Herrscher und Vollkommenheitsschöpfer. All das wird in ihr sein. Auf diese Weise wird sich die Menschheit selbst von der Arbeit befreien, Frieden erlangen und in der ewigen Ruhe die Faulheit entdecken, und sie wird eingehen in das Bild der Gottheit, und die Legende von Gott als Form vollkommenen "Müßiggangs" wird gerechtfertigt sein.

Im täglichen Leben entwickelt man zur Faulheit ein ganz anderes Verhältnis, als ich das in meinen Überlegungen ausgeführt habe, und ich würde sagen, dass das ein seltsames Verhältnis ist. Jedem ist klar, dass sich alle von der Arbeit befreien wollen und nach Glückseligkeit, Erholung oder einem anderen Zustand streben, nicht nur um nicht zu arbeiten, sondern auch um diesen Gedanken nicht zum Hindernis bei der Arbeit am Durchdringen der Naturgeheimnisse werden zu lassen, damit auch dieser zweite Teil des menschlichen Lebens ebenso vollkommen wird und auf diese Weise alle Naturerscheinungen transparent werden können. In diese große Vollkommenheit muss der Mensch eintreten, und er muss all seine Kräfte einsetzen, um diese, seine große vorbestimmte Macht des Hellsehens und Wissens, zu erreichen. Aber wie seltsam: Dieser höchste Zustand kann für ihn zum ewigen Zustand werden und es wäre dann so, als hätte das Leben in ihm aufgehört, denn fortan wird es keinen Kampf mehr geben, obwohl das Leben nichts als Kampf ist. Aber vielleicht ist das Leben das, was wir Glück und Unglück nennen, eben nur eine Missgeburt. Und indem der Mensch den ewigen Zustand des Hellsehens und des Wissens erreicht, wird er sich aus dem Leben heraus in einen höheren Zustand bringen, wenn das Universum, in dem sich die Geheimnisse drehen, zur Vollkommenheit seiner Vollendung wird, und zu all dem die Faulheit führt, die man beschimpft und anprangert. Und ich glaube, dass dieses Anprangern der Faulheit daher rührt, dass der Weise, der sie verfluchte und ihr das Zeichen der Schande auf die Stirn drückte, deutlich sah, dass sie nicht ist, was über sie verbreitet wurde. Und als er sie mit dem Zeichen der Schande bedeckte, strafte er das Volk Lügen. Aus lauter Feigheit fürchtete er, ihr das wahre Wesen zu zeigen, fürchtete sich davor zu sagen, dass nur in ihr verborgen liegt, wovon der Mensch träumt. Das Merkwürdige besteht nun darin, dass man nicht schnellen Schrittes losgeht, diesem großem Traum der Menschheit näherzukommen, statt ihn zu verfluchen, sich von ihm zu entfernen und dabei sogar alle seine Erscheinungen unterbindet, sogar durch den Hungertod unterbindet. So gestaltet sich der Kampf gegen die Faulheit, und dasselbe System setzt alle Kräfte ein, um sie zu erreichen. Selbstverständlich muss das Erreichen jeglicher Glückseligkeit mit verschiedenen Vorsichtsmaßnahmen versehen werden, ansonsten kann die Glückseligkeit ins Verderben führen, und zur Zeit geschieht dasselbe mit der Faulheit, sie ist der Traum und sie ist das Verderben, und wenn die ganze Menschheit die "Faulheit" nutzen wollte, wäre sie zum Verderben verurteilt, denn bislang kann sich nichts von selbst bewegen, noch braucht ihre Produktion ihre Hände, noch ist sie nicht an die naturgegebene Bewegung angeschlossen. Es stimmt, dass viele Menschen diesen Zustand schon halbwegs erreicht haben, der mit den Zeichen der Faulheit versehene Kapitalist kam nur dahin, um seine Muskeln von der Arbeit zu erlösen und begnügte sich damit, seine Welt, in der die Produktion allein durch gedankliche Befehle vonstatten geht, zu betrachten und zu verändern; doch selbst die waren nicht immer gänzlich auf die leichte Schulter zu nehmen.

Vor jedem Gedankenwechsel stand die Angst, die Muße zu verlieren und daraus folgt, dass das kapitalistische System unvollkommen ist. Der Sozialismus des kapitalismusfreien Systems ist diesem Ziele schon näher, aber am ehesten ist dieses vollkommenheitsaktive System dabei, die gesamte vorhandene menschliche Produktion in eine Selbstproduktion zu verwandeln. Die Gefahr, die von der Faulheit ausgeht, ist groß, denn sie ist eine Kraft, die alles in Nichtsein verwandeln kann, d.h. das Nichtsein, gegen das der Mensch durch sein Dasein, d.h. durch seine Produktion, kämpft, wird ihn besiegen; daher bedeutet das Nichtsein eine Gefahr, in der man allen Wohlstand verlieren wird, u.a. auch die Faulheit, deshalb mobilisiert der Vordenker der Menschheit alle Kräfte von Mensch und Tier im Kampf gegen das Nichtsein und bestätigt dadurch sein Dasein, und dieses Dasein braucht er, um die Wonne der Muße zu erlangen. Diese Wonne oder Faulheit entwickelt sich immer in demjenigen Menschen, der in sich den Gedanken von der Wohlgeordnetheit des Menschen trägt, normalerweise kommt die ganze Wohlgeordnetheit des Menschen in seinem neuen Selbstversorgungssystem und seinem geistig-kulturellen Zustand zum Vorschein. Der Denker selbst denkt natürlich vielleicht zur gleichen Zeit, wenn er ein neues Wohl für den Menschen schafft, an das System des Wohlstandes und ahnt nicht, dass er eben an die Faulheit denkt und dass sein ganzes Wohlstandssystem den Weg vorgibt, der zur Faulheit führt. Manchmal erschafft dieser Denker des Menschheitswohls ein neues Lebenssystem, wäscht es mit dem Blut des Volkes und bringt die Hölle auf Erden. Aber so entsteht ein ewiger und neuer Gedanke, und ich weiß nicht, ob der Denker irgendwann als neuer Ideenstifter vom Volk empfangen wird, ob sich das Volk in seinem Gesicht selbst oder sein Wohl erkennen oder ob es ihn mit Steinen bewerfen wird, ohne an seine Vision zu glauben und diese zu töten. Ein solcher Denker aber bleibt nie allein, und nur deswegen kann ihn keine einzige Regierung als Straftäter und Kriminellen, der die von der bisherigen Wahrheit etablierte Ordnung verändern will, töten. Jede Wahrheit trägt auch die Arbeit als Mittel zum Erreichen der Faulheit in sich, das ist weder dem Volk noch dem Staat klar, und deswegen will eine schon gefestigte Wahrheit das Neue vernichten. Aber das Neue ist kaum zu bekommen, denn es ist schwierig, einen Wassertropfen im Meer zu fangen. Wäre das ganze Meer diese neue Idee oder hätte das Volk die Idee sofort entdeckt, wäre es einfacher, sie ausfindig zu machen und zu vernichten, aber da die Idee immer ein Tröpfchen ist, kommt man nicht an sie heran. In der gesamten Geschichte finden sich Belege für diese wundersame Erscheinung, aber aus irgendeinem Grund nehmen die Regierenden das nie zur Kenntnis, sondern machen sich auf, diese neue Wahrheit zu besiegen, und jedes Mal scheitern sie daran. Deswegen findet der Kampf gegen die Faulheit statt, gegen dieses größte Bild der Menschheit, gegen die Wahrheit seiner Darstellung. Die ganze Arbeitsphilosophie gründet in der Befreiung der Faulheit, aber alle denken, dass die Arbeit irgend<einer> anderen Glückseligkeit dient. Also kann es sein, dass der Name der Faulheit oder "der Mutter aller Laster" durch mich zum ersten Mal auf den Platz der Menschheit geführt wird, auf jenen Platz, auf dem man ihr das Schandmal aufdrückte. Und es kann sein, dass ich als erster das Antlitz ihrer Weisheit oder der Weisheit der Menschheit in ihr berührte und das Schandmal von ihr entfernte. Möge auf ihrem Gesicht zu lesen sein, dass sie der Beginn aller Arbeit sei, dass es ohne sie keine Arbeit gäbe. Sie war von Beginn an da, und durch den Fluch der Arbeit muss sie ihr neues Paradies erst wieder aufbauen. Die Faulheit macht den Völkern Angst und verfolgt jene, die sich ihrer annehmen; niemand hat sie je als Wahrheit verstanden, nachdem er sie als "Mutter aller Laster" gebrandmarkt hatte, obwohl sie doch die Mutter des Lebens ist. Der Sozialismus bringt die Befreiung im Unbewussten und brandmarkt weiter, ohne zu wissen, dass die Faulheit ihn gebar. Und dieser Sohn brandmarkt sie in seinem Wahn als Mutter allen Lasters, aber er ist noch nicht derjenige Sohn, der das Schandmal von ihr nehmen wird, und deswegen will ich das mit diesem kleinen Schreiben tun und sie nicht zur Mutter der Laster, sondern zur Mutter der Vollkommenheit machen.

Malewitsch, 15. Februar 1921, Witebsk

Aus dem Russischen von Elena Nowak und Sylvia Sasse

Anmerkungen:
(1) Bei den "weißen Gedanken" verweist Malewitsch offensichtlich auf seinen Text "Gedanken" (Mysl') (1921), ein Manuskript, das sich im Stedelijk Museum in Amsterdam befindet. In "Gedanken" (Mysl') stellt Malewitschs die erste Variante seiner Ausführungen zu "Gott ist nicht gestürzt. Kunst, Kirche, Fabrik" (Vitebsk, 1922) vor. Der Text dieser Broschüre gibt Einführungen in Malewitsch philosophische Arbeit "Suprematismus. Die gegenstandslose Welt", die er am 19.2.1922 beendet hatte. Das "weiße" Stadium bezeichnete Malewitsch als letztes Stadium, als absolute Gegenstandslosigkeit, als "weiße Leere", die der Suprematismus erreichte. "Der weiße Gedanke" führte Malewitsch zum Nichts, zum philosophisch Absoluten.
(2) Die Ideen über eine prinzipiell neue Technik, die die Menschheit zur Erleichterung und Vervollkommnung ihres Lebens entwickeln kann, hat Malewitsch schon in seinem Buch "Suprematismus. 34 Zeichnungen" (Vitebsk, 1920) ausgeführt. Er schrieb dort über die "Idee von einer neuen Maschine, d.h. einer neuen räderlosen, ohne Dampf und ohne Benzin angetriebenen Maschine des Organismus", von einer naturgegebenen "Schaffung von Prototypen technischer Organismen der zukünftigen suprematistischen Welt".

Aus: Len' kak dejstvitel'naja istina chelovechestva, c prilozheniem stat'i Feliksa Filippa Ingol'da "Reabilitacija prazdnosti", predislovie i primechanija A.S. Shtatskich, Moskva 1994

Quelle: http://www.diss.sense.uni-konstanz.de/nichtstun/malevich.htm

Originaltext: Erschienen als Nr. 195 der anarchosyndikalistischen Flugschriftenreihe. Neue Rechtschreibung von ASF. Malevic wurde in Malewitsch umgeschrieben, da diese eingedeutschte Schreibweise wesentlich bekannter im deutschsprachigen Raum ist.


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