Nach dem erfolgreichen Generalstreik am 29. März reagiert die herrschende konservative PP mit massiver Repression auf das Erstarken Sozialer Bewegungen in Spanien. Neben Verhaftungen von AktivistInnen des M29 - unter ihnen GewerkschafterInnen von UGT, CCOO und CGT - plant die Regierung Gesetzesverschärfungen, die es in sich haben. Diese laufen auf eine umfangreiche Kriminalisierung sozialer Proteste hinaus.
Zu den Verhaftungen
In Folge des Generalstreiks kam es in den letzten Tagen immer wieder zu Verhaftungen sozialer AktivistInnen, die sich am Streik beteiligt haben. So wurden am 19.4. in Katalonien 6 Menschen festgenommen, zwei davon in Tarragona und 4 in Barcelona. Den Beschuldigten wird vorgeworfen, am 29. März an "gewalttätigen Aktionen" teilgenommen zu haben, so werden ihnen z.T. Brandstiftung, Sachbeschädigung, die "Behinderung der Ausübung von Grundrechten und öffentlichen Freiheiten", sowie die "Störung der öffentlichen Ordnung" vorgeworfen. Am 23. April folgten Festnahmen von GewerkschafterInnen der UGT, der CCOO und der CGT. Bereits seit dem Streik befinden sich drei Personen in Barcelona in Untersuchungshaft. Weitere Festnahmen sind von der Polizei zudem angekündigt. In den nächsten Tagen soll außerdem eine Polizeihomepage mit den Fotos oder Videoaufnahmen von vorerst 80 am Streik beteiligten Personen online gehen, bei deren Identifizierung die Polizei auf Denunziation setzt.
Mit der harten Linie will die Regierung vor den anstehenden weiteren Protesten DemonstrantInnen einschüchtern. So findet vom 2. - 4. Mai das Treffen der Europäischen Zentralbank in Barcelona statt, am 1. Mai, dem 12. Mai und dem 15. Mai werden zudem weitere Sozialproteste in Spanien erwartet. Für das EZB-Treffen werden 6.500 Riotcops in Barcelona bereitstehen, das Schengener Abkommen wird für Grenzkontrollen außer Kraft gesetzt.
Zu den Gesetzesvorhaben
Während die Verhaftungen international kaum Beachtung finden, haben es die Gesetzesvorhaben der konservativen Regierung in die internationalen Medien geschafft. "Wir brauchen ein System, das den Demonstranten Angst macht" - mit diesen Worten brachte der katalanische Innenminister Felip Puig die Pläne der Regierung auf den Punkt. Ab 2013 sollen beispielsweise Sachbeschädigungen im Zuge von Demonstrationen mit Terrorismus gleichgesetzt und mit dem Strafmaß der kale borroka (baskisch für "Straßenkämpfe") bestraft werden. Dies hätte zur Folge, dass die Mindeststrafe für die Störung der öffentlichen Ordnung von einem auf zwei Jahre erhöht wird. RichterInnen hätten damit auch die Möglichkeit, Freiheitsstrafen anzuordnen.
Außerdem sieht das geplante Gesetz vor, Mitglieder krimineller Organisationen zu einer Haftstrafe von über zwei Jahren verurteilen zu können. Jeder und jede, der / die über Kommunikationsmedien wie das Internet oder soziale Netzwerke dazu aufruft, die öffentliche Ordnung zu stören, soll als Mitglied einer kriminellen Organisation eingestuft werden. Flexibel interpretierbarer "passiver Widerstand" soll ebenso mit zwei Jahren Haft bestraft werden.
Was unter "Störung der öffentlichen Ordnung" zu verstehen ist, hat Innenminister Fernández Díaz längst klargemacht. Darunter fällt auch, wer öffentliche Plätze oder Einrichtungen blockiert oder im Internet dazu aufruft ("gefährdet die öffentliche Ordnung im schweren Ausmaß", Fernández Díaz). Die Reformpläne sind wie maßgeschneidert auf die Proteste der "Empörten". Denn deren Mobilisierung und Koordination des Protestlagers "Acampada Sol" im Jahr 2011 fand über Facebook und Twitter statt. Und so verwundert es wenig, dass bereits eine eigene Polizeisondereinheit die Online-Aktivitäten der Bewegung "Democracia Real Ya" (Echte Demokratie Jetzt) überwacht, die hinter dem für den 12. Mai geplanten Aktionstag steht.
Weit darüber hinausgehend sind Kriminalisierungspläne der Regierung, die Parteien und Gewerkschaften für alle Schäden bei von ihnen veranstalteten Demonstrationen verantwortlich machen wollen. Bereits nach dem Generalstreik hatte Felip Puig angekündigt, die beiden anarchosyndikalistischen Gewerkschaften CNT und CGT juristisch verfolgen zu lassen. Zudem sollen Eltern für alle Schäden haftbar gemacht werden, die ihre Kinder bei Demos anrichten.
"Wir wollen, und so haben wir es dem Justizministerium mitgeteilt, dass alle Schäden, die Kinder und Jugendliche anrichten, durch ihre Eltern zu bezahlen sind“, lässt der Staatssekretär im Innenministerium, Ignacio Ulloa, keinen Zweifel an den Absichten, „und wenn die Täter bei solchen Schäden zu einer Partei, einer Gewerkschaft oder anderen Vereinigungen gehören, wird die juristisch verantwortliche Person dieser Institutionen nicht nur zivilrechtlich sondern auch straftrechtlich dafür haftbar gemacht."
Die Repressionsmöglichkeiten des Staates sollen also umfassend erweitert werden: Nicht nur jene, die bei Demonstrationen Gewalt anwenden, sollen strafrechtlich belangt werden können - sondern auch jene juristischen Personen, die diese organisiert und angemeldet haben. Diese stehen also bei jeder von ihnen organisierten Großprotestaktion quasi mit einem Bein im Knast - denn wer kann schon garantieren, dass bei zehntausenden TeilnehmerInnen jedeR Einzelne gewaltfrei bleibt...
Was also ist das Ziel dieser Gesetzesideen? "Eltern sollen vor den Folgen zittern, wenn ihr Nachwuchs zur Demo geht. Parteien und Gewerkschaften sollen sich darüber klar sein, dass sogar ihr Existenzrecht oder mindestens die finanzielle Grundlage der Organisation in Gefahr sind, wenn sie zu Protestaktionen aufrufen, deren Verlauf unmöglich vorherzusehen oder komplett zu kontrollieren sind." fasst uhupardo in seinem / ihrem Blog zusammen.
Europa, Jahr 2012 - Quo vadis?
Aktualisierung 25.4.2012: Die Polizeihomepage mit Fahndungsfotos ist inzwischen online - und die Verhaftungen von GewerkschafterInnen und Sozialen AktivistInnen gehen weiter. Inzwischen wurde auch Laura Gómez, Sekretärin der Lokalföderation der CGT in Barcelona, auf dem Weg zu ihrer Arbeit festgenommen. Ihr wird von der berüchtigten Polizeispezialeinheit Mossos vorgeworfen, an den Aktionen vor der Börse von Barcelona beteiligt gewesen zu sein. Konkret hatten die GewerkschafterInnen in einer symbolischen Aktion Eier gegen die Börse geworfen und Papier in einer Mülltonne angezündet. Die Vorwürfe lauten nun "arson and fire damage to the Barcelona Stock Exchange".
Aktualisierung 28.4.2012: Die Polizeiseite mit Fahndungsfotos wurde gehackt - einige Bilder wurden mit Bildern von PolitikerInnen ausgetauscht. Die Stellungnahme der CGT liegt inzwischen auf deutsch vor und auch die FAU hat auf ihrer Homepage Informationen zur Repression veröffentlicht. Laura Gómez befindet sich nun in Untersuchungshaft: "Laura wird u.a. vorgeworfen, sie habe sich an einer Brandstiftung beteiligt. Der Brandstiftung eines Pappkartons! Der Karton, gefüllt mit Banknoten-Imitaten war am 29. März im Rahmen einer symbolischen und angekündigten Aktion unter Anwesenheit von Presse auf dem Bürgersteig gegenüber der Börse von Barcelona von mehreren AktivistInnen der CGT in Brand gesteckt worden." Auch die spanische CNT hat sich ebenso wie andere anarchosyndikalistische Gewerkschaften international (hier CNT-F) mit Laura und den anderen Verhafteten solidarisiert.
Aktualisierung 30.4.2012: "Künftig soll auch passiver Widerstand wie Sitzenbleiben oder Unterhaken als "Anschlag auf die Staatsgewalt" gewertet werden. Darauf stehen vier bis zehn Jahre Haft." berichtet Reiner Wandler für den Standard aus Madrid. Zudem sei einmal angemerkt: Die aktuelle spanische Regierung steht massiv unter Einfluss der katholisch-fundamentalistischen Sekte Opus Dei. Neben dem Innenminister sind auch der Außenminister, der Verteidigungsminister und die Gesundheitsministerin Opus Dei-Mitglied, der Wirtschaftsminister steht dieser nahe. Im Franquismus war das Opus Dei eine der wesentlichen Herrschaftsstützen des Systems. Was von Wahlversprechen von PolitikerInnen zu halten ist, hat PP-Chef Rajoy wiedermal eindrücklich dargelegt. Was sein "Reformpaket" zur Marktberuhigung beiträgt, legte "der Markt" wunderbar dar.
Aktualisierung 7.5.2012: Inzwischen gab es zahlreiche Solidaritätsaktionen, Kundgebungen und Demonstrationen für die inhaftierte Gewerkschaftsaktivistin Laura. Am 1. Mai wurden in Barcelona vermummte Zivicops der Mossos enttarnt und von der Demo geschmissen. Zur Diskussion sei auch ein aus Spanien übersetzter und in der Direkten Aktion veröffentlichter Beitrag gestellt, der sich mit der Wirkung gewaltförmiger Auseinandersetzungen auf libertäre Kultur- und Gewerkschaftsarbeit auseinandersetzt.
Aktualisierung 12.5.2012: Auch die hauptsächlich von LandarbeiterInnen und Landlosen getragene andalusische Gewerkschaft "Sindicato Andaluz de Trabajadores" (SAT) ist massiv von Repression betroffen. Gegen ihren Pressesprecher wurde Haftbefehl erlassen, gegen mehr als 400 GewerkschafterInnen laufen Verfahren und die SAT sieht sich mit Strafzahlungen von rund 500.000.- Euro sowie insgesamt 60 Jahren Haftandrohungen gegen Mitglieder konfrontiert.
Aktualisierung 15.5.2012: Unter Laura Llibertat! Freiheit für Laura Gómez gibt es Aktualisierungen zur Repression gegen Laura und andere GewerkschafterInnen.
Aktualisierung 1.6.2012: In Málaga wurde Antonio Campón, ein inzwischen pensionierter Aktivist des Gewerkschaftsbundes CCOO, zu einem Jahr Haft verurteilt. Er soll in eine Auseinandersetzung bei einem Streikposten am 29. März verwickelt gewesen sein.
Laura im Interview:
http://www.youtube.com/watch?v=YlooCD7mI-8
- Zu den anarchosyndikalistischen Mobilisierungen am 29. März
- Bodenfrost - Polizei sucht Denunzianten
- Uhupardo - Back to Franco reloaded. Innenministerium kriminalisiert Parteien und Gewerkschaften
- TAZ - Wer Torten wirft, ist ein Terrorist
- Süddeutsche - Geplante Gesetzesverschärfungen in Spanien
- Unterhaken als Anschlag auf die Staatsgewalt
- Verhaftungen in Barcelona
- Verhaftung von GewerkschafterInnen