Pierre Ramus - Michael Bakunin als Denker und Kämpfer

"Gewöhnlichkeit ist Feindin des Verdienstes,
Beschützerin des Kleinen, des Gemeinen,
Was ihr an Kraft und Größe überlegen,
Das muß sie schwächen, Glänzendes besudeln.
Was kühnen Aufschwung nimmt, sie schlägt es nieder,
Das ringende Talent, mit Wenn und Aber
Wird es herabgesetzt, im Keim erstickt,
Und wennes irgend geht, totgeschwiegen..."
(Aus Multatulis "Fürstenschule")

Blättern wir in der Geschichte jener werdenden Kultur, die zu schaffen wir und der Edelwille einer nach Freiheit drängenden Menschengemeinde der Unterdrückten und Versklavten berufen, blättern wir in dem Buche der Kulturgeschichte des Sozialismus, so stoßen wir, angelangt bei den moderneren Phasen des sozialen Ringens, hauptsächlich auf zwei Namen, bei denen das Auge unwillkürlich verweilt und die eine Welt von Gedanken heraufbeschwören: auf die Namen Blanqui und Bakunin.

Michael Bakunin ist ein Erbe jenes Revolutionsprinzips, wie es Blanqui als erster dem Sozialismus gegeben. An Charakter, an Ausdauer, an Heftigkeit des Willens gleichen sich beide sehr, obwohl Bakunin in geistiger Hinsicht weit Bedeutungsvolleres schuf, als Blanqui es vermochte. Denn wenn wir auch in Bakunin stets vor allen Dingen den großartigen Tatenmenschen ersehen müssen, der alle die kleinen Funken und Fünkchen sozialen Ingrimms auf dem ganzen Erdenrund zusammenfachen und emporlodern lassen wollte zum großen Weltenbrand der sozialen Läuterung unserer gesellschaftlichen Einrichtungen, so faßt man unseren unvergänglichen Vorkämpfer dennoch nur unvollständig auf, wenn man in ihm den Verächter des Geistes, einen heldenmütigen, wenn auch geistig dumpfen Netschajeff erblickt.

Bakunin ist nie ein solcher gewesen und die Streitschrift, die Netschajeff wider ihn in London herausgab, dreht sich gerade um diese besonderen Gegensätze in dem Naturell der beiden Männer: Netchajeff als finsterer Konspirator, dem der Zweck alle Mittel heiligte, der, allerdings ein ehern fester Konsequenzenmensch und eine tiefstinnerlich vollständig vom idealen Befreiungsdrang erfüllte Gestalt, aber zu jeder diesem widerspruchsvollen Aktion greifen wollte, wenn es sich darum drehte, Menschen seinen besonderen Ideen gefügig zu machen; Michael Bakunin, der nur deshalb den Namen eines Tatenmenschen erstklassigster Rasse verdient, weil er jenes besondere Erhabene in sich hatte, die Tat dann sprechen zu lassen, wenn die Zeit laut nach Taten forderte, der aber sonst auch ein Denker, ein Geistesempfinder und ein Verstehender des Ideals ist, daß die gesamte nachmalige Entwicklung des Anarchismus sich von seinen Schultern abhebt.

Aus den Wirbeltagen der achtundvierziger Jahre mit ihren Dutzenden von staatssozialistischen Systemen, mit ihren zahllosen Utopien und in der Nachreaktion, hob sich unausrottbar eine Anschauung hervor, die gewissermaßen wie ein belebender Scheinwerfer des Lichtes in dieser Zeitperiode, insbesondere in der nachachtundvierziger, wirkt; es ist dies der Proudhonsche Feuergedanke eines konstruktiven Sozialismus, der die produktive Kraft des Proletariats in den Konsumdienst dieser selben Klasse stellen und mittels der den eigenen Lebenszwecken- und Bestrebungen zugewendeten Arbeitskraft eine Art neues, genossenschaftliches Kapital bilden wollte, das in seiner Kreditverausgabung es dem Unbemittelten ermöglichen sollte, sich auf der Grundlage des genossenschaftlichen Eigentums unabhängig zu machen. Von Proudhon hat der ganze Sozialimus der damaligen Zeit gezehrt; ihm verdanken Louis Blanc und Lassalle ihre Ideen über Produktivgenossenschaften. Nur ein Unterschied bestand; sie wollten den Staat als Organisator, als Bankier und Kreditgläubiger, während der geniale Proudhon den Staat vollständig ausschaltete. Die Ideen einer wahren befreienden Selbsthilfe des Sozialismus sind die Ideen Proudhons; die Ideen einer staatlichen Hebung der arbeitenden Klassen, die niemals zur Freiheit gedeihen kann, waren jene eines Blanc und Lassalle.

Bakunins Geist war damals schon vom Sozialismus inspiriert; und von allen Systemen, die er kennen lernte, zog jenes Proudhons ihn am mächtigsten an. Aber hier lernen wir unseren Bakunin schon in seiner ganzen nachmaligen Entwicklung kennen. Bakunin begreift es sofort, daß es nur die Revolution ist, die irgend einem echten System des Sozialismus zum Siege verhelfen kann; niemals etwas anderes. Er begriff es rascher als Proudhon, der erst durch die bittere Erfahrung, die er mit seinem Tauschbankprojekt machte, durch den Anschlag Louis Bonapartes, der sich ja eigentlich auf dieses richtete, während er Proudhon zur Flucht zwang, um einer dreijährigen Gefangenschaft zu entgehen — Proudhon hat es erst später, niemals aber mit jener völligen, durchdringenden Klarheit verstanden, daß nur die Revolution die Schöpferin der Freiheit sein könne. Aber wenn wir Bakunin hier in seiner geistigen Gänze zu begreifen versuchen, so dürfen wir dennoch das eine niemals vergessen: ohne des unvergänglichen Einflusses, den Proudhon auf ihn ausübte, hätte seine revolutionäre Tatkraft der Allvernichtung der Gegenwartsinstitutionen nimmer jenen schöpferischen, jenen konstruktiven Teil bekommen, den die Revolutionsauffassung Bakunins besitzt. Gewiß, er war vor allem Anarchist, und sein Ideal einer amorphen Gesellschaft ist ein festerer Grundstein einer klar begriffenen Philosophie der echten Freiheitsmöglichkeit, als alle die lächerlich kleinen Schematiker und Systemeausklügler ihn je zu finden vermochten. Doch es darf niemals übersehen werden, daß Bakunin in seinem heiligen Zerstörungseifer gegen alles Veraltete, Schlechte, Bedrückende ein unendlich fruchtbares Prinzip der Neuschaffung besaß, dasjenige konstruktive Element des Schöpfersinnes der Volksmassen, der in ungehemmter sozialer Freiheit aus sich heraus ein neues Leben des Glücks und Friedens zaubern würde. Ich muß immer mitleidig lächeln, wenn mir wohlwollende Gegner vorhalten, daß die Weltanschauung des Anarchismus nichts Erzeugendes, nichts Schaffendes habe, nur lauter vernichtende und verneinende Urteile oder Elemente.

Dasselbe Gefühl wandelt mich an, wenn ich manche davon reden höre, daß Bakunin nichts Aufbauendes und Erhaltendes besaß, sondern nur den Geist der reinen Kritik walten ließ. Weshalb begreift man es denn endlich nicht, wie Bakunin es tat, daß in dem Wesen der Freiheit selbst all das Schöpferische gelegen, das wir bloß ahnen, aber niemals diktieren können? Ebenso wie die Welt der Autorität ihre, im ersten Stadium ganz unerwartete Entwicklungsresultate ergab, ebenso wird die Freiheit, die Herrschaftslosigkeit, jenen Zaubergarten eines Menschheitslebens hervorbringen, der seine eigene Lebensspende und Gebärerin haben wird. Wer wirklich die volle Freiheit des Individuums erstrebt, der will auch neue Menschen zeugen, und, sozial aufgefaßt, entrollt sich damit ein so großes Bild aufbauender, neubelebender, großzügig schaffender Tätigkeit einer alles erfüllenden Ruhe und gesellschaftlicher Friedensrast, daß man einen solchen Kämpfer sehr wohl auch in die Reihe der wahren Baumeister der Gesellschaftstechnik rechnen darf. Solch ein Mensch war Bakunin; er mußte viel zerstören, um sein Ideal der gesellschaftlichen Auferstehung gedanklich verwirklichen und in ungetrübter Reinheit seinen nachfolgenden Jüngern hinterlassen zu können.

Über ein Jahrzehnt des tötlichsten Gefängnislebens, der Verbannung hat sein Geist überlebt. Und trotz all der vielen, ungezählten Einzeleindrücke, die auf ihn einstürmten, oder, was weit großartiger, trotz der abstumpfenden Öde des Gefängnisdaseins und der besonders damaligen Weltverschlagenheit Sibiriens, konnte jener eine große Gedanke der vollständigen menschlichen Befreiung aus seinem Geistesleben nicht nur nicht verwischt, nein, nicht einmal gemildert werden. Und sobald Bakunin wieder den europäischen Kontinent betrat, sehen wir ihn in den vordersten Reihen der Kämpfenden.

Nun erst wird in ihm das doppelt lebendig, was stets in ihm gelodert. Der Revolutionsgedanke vereinigt sich in zweckmäßigster Harmonie mit jenem Proudhonschen Wollen und Wirken, das sich stets auf des Arbeiters, auf des Menschen ureigener Kraft stützt. Bakunins ganze Ideen auf gewerkschaftlichem Gebiete sind der französischen Bewegung dieser Art entlehnt, die in Proudhon ihren Gipfelpunkt erreichte. Jedoch, er war gerade hierin außerordentlich schöpferisch und eigenartig. Während er das Prinzip der Selbsthilfe im Kampfe — im Gegensatz zur Selbsthilfe der Schultzsche-Delitzschen Sparvereine, wie sie leider bis heute noch dem wahren Wesen der Selbsthilfe anhaften und es verdunkeln — propagierte und seine herzlichste Freude an jeder noch so kleinen ökonomischen Kraftanstrengung des Jurabundes hatte, wußte Bakunin, daß diese ganze revolutionär-gewerkschaftliche Bewegung nur die Erstlingsetappe einer ganzen Reihe weiterer Bewegungs — richtiger Betätigungsformen sei und sie überhaupt nur als Kampfesbewegung gegen die Verelendungstendenzen der heutigen Kapitalistengesellschaft Berechtigung habe. Sein weitschauender Blick flog in die Ferne, und dort verwandelte sich die Gewerkschaft in eine freie Kampfesgruppierung der sozialen Revolution, die in sich die Keime der Lösung des sozialen Problems trug: sie, diese freie Kampfesgruppierung, geläutert durch die Erkenntnis von der Relativität alles im Gegenwartsstaat Erkämpften und zu Erringenden, könnte die erste Organisationsform der neuen. Gesellschaft der Anarchie sein, die auf dem Grundprinzip der Verwerfung jedes Monopolbesitzes, jeder Kirchen- oder Staatsorganisation, durch die völlige Ungezwungenheit ihrer sie zusammensetzenden Elemente erbaut ist; Elemente, die nur durch das Band gegenseitiger Interessensolidarität miteinander vereinigt, einzig und allein im Stande sind, die unzähligen Sozialtriebe des Gesellschaftslebens einer freien Menschheit zur Ausgestaltung zu bringen.

Als junger Goetheschwärmer tat Novalis einmal den treffenden Ausspruch: "Goethe ist jetzt der wahre Statthalter des poetischen Geistes auf Erden!" Man wird es mir nicht verübeln, wenn ich eine Variation dieser Worte auf Bakunin anwende und behaupte, daß er, in dieser klaren Vereinigung des Augenblickskampfes mit dem Endziel, in seinen theoretisch-wissenschaftlichen Darlegungen darüber, heute der Statthalter all dessen geworden ist, was sich unter Sozialismus-Anarchismus begreift. Ein Moment soll bei dieser Betrachtung nicht aus dem Auge verloren werden: Während fast alle späteren Werke Proudhons durch die barocken Gedankengänge des Hegelianismus verunziert und in ihrem Wert sehr bedeutend verringert wurden, weil ihr Verfasser sich nie mehr vom Hegelianismus befreien konnte, war Bakunin geistig so jugendlich-spannkräftig, sich vollständig von dem zu entledigen, was er in seiner Erstperiode für philosophisch grundlegend erachtet hatte. Bakunin durchschaute diese ganze philosophische Scholastik und dialektisch-metaphysische Spielerei des Hegelianismus. Er überwand ihn. Und nicht das kleinste oder unbedeutendste Stück seiner Lebensleistungen ist in seinem Kampfe wider den Marxismus gerade darin gelegen, daß sein Kampf, von philosophischer Warte aus beurteilt, um eine Befreiung des Sozialismus aus den Dogmenfallstricken der Hegelei rang. Marx begründete sein System des Sozialismus auf total trügerischen Voraussetzungen, die vornehmlich der Hegeischen Philosophie entlehnt waren; Bakunin wieder entrang dieser den Sozialismus und stellte ihn auf die einzig mögliche Grundlage: auf die wirtschaftliche Tatkraft des Menschen und auf den geschlossenen Erkenntnisfonds menschlichen, energischen Wollens.

Überhaupt müssen wir bei diesem Punkte etwas verweilen. Bakunin als Denker kann nicht so ohne weiteres abgetan werden. Dabei denken wir sogar weniger an all das, was er geschrieben hat, mehr an das, was man zwischen den Zeilen herauslesen kann und welche unendliche Aurfassungskraft und Erkenntnisklarheit ein Mensch besitzen muß, um alle diese historischen, sozialökonomischen Verallgemeinerungen formulieren zu können, wie Bakunin dies tat. Kristallhell sind seine Erläuterungen, die aufrichtige Einfachheit, dabei aber gründlichste Tiefe spricht aus jeder Zeile. Er ist darin Russe, daß das kindlich-unverdorbene Element der edelsten Naivität bei ihm stets die Oberhand behält im geistigen Verkehr mit Menschen. Sein Denken ist umfassend, denn all das, was Bakunin geschrieben hat, umfaßt vollkommen die politische Signatur seiner Zeit, erschöpft sie gewissermaßen. Sein Blick ins Menschenleben, ins ringende Dasein der unterdrückten Klassen, erspähte stets neue Bedingungen ihres Aufstieges aus dunkler Not zum strahlendsten Licht, förderte immer neue Gedanken der Befreiung und der natürlichen Menschlichkeit zu Tage. Bakunins Denken ist fortreißend, ist für Gebildete wie auch für Ungebildete bestimmt; er gräbt tiefer im Gefühl der Leser als andere Schriftsteller im Geiste derselben und die großen, erhabenden Gedanken entstehen beim Leser aus seinem aufgewühlten, aufgerüttelten Empfinden, das dann spielendleicht das Denken auslöst. Bakunin als Denker, als Vorkämpfer für neue Gedanken, ist ein Genius der Menschheit gewesen.

Nehmen wir ihn nun als Ganzen, als Vollkommenen, in all seinen für ihn ehrenden optimistischen Hoffnungsträumen, in seinen positiven, klargeschauten und erkannten Urteilen — und wir finden Bakunin, wie er geistig und eingebungsvoll heute unter uns weilt, weilen muß, wenn wir überhaupt je den Kampf, um dessentwillen wir ausgezogen, zu Ende, zum siegreichen Ende führen wollen. Es ist wahr: der Wesensbegriff des Sozialismus hat sich für uns geklärt, wir sind keine Kollektivisten mehr, sondern Kommunisten. Aber dies ist ein Fortschritt, den wir nur in der sachlichen Wortbildung über Bakunin hinaus gemacht haben; denn wer, der Bakunins sozialistische Theorien kennt, weiß es nicht, daß das, was er im Protestgegensatz zum Staatskommunismus seinen Kollektivismus nannte, im Wesenskern gar nichts anderes war, als der heute von uns auch namentlich verständlich ausgedrückte anarchistische Kommunismus. Sonst, in allen übrigen Elementen unseres Wissens und Kämpfens zehren wir nach wie vor an dem Geistes Vermächtnis dieses Intellektgiganten der künftigen sozialen Revolution. Er hat uns einen Halt geboten, durch dessen Stütze, wir das Kleine und Unscheinbare des täglichen Massenkampfes auf die Bahn des Großen geleiten können; und wenn die moderne anarchistische Bewegung auch mit ganz anderen gegnerischen Kräfteverhältnissen zu rechnen hat, als es zur Zeit Bakunins der Fall war, aus diesem Grunde die Zeit des konspirativen Gruppentums, zwecks Ausbruches einer Revolution, überwunden ist durch die gewaltige Vertiefung unserer Anschauungen und eine zähe, unendlich schwierige Aufklärungsarbeit, um die Psychologie und das Denkleben der Menschen zu verändern — geblieben ist uns dennoch, bleiben wird uns stets jenes leuchtende Kampfziel der Befreiung, dem alle unsere hintreibenden Anstrengungen gelten, ganz wie es bei Bakunin war: die soziale Revolution.

Bakunin wirkte auf einem historischen Boden, der damals noch beständig erschüttert ward von den Nachwehen der unerfüllten revolutionären Tradition einer bloß 20jährigen Vergangenheit, die abgelöst wurde durch ein neues gigantisches Sturmgewitter, das über ganz Europa brausen zu wollen schien. Bakunin hatte recht: Wenn es damals geglückt wäre, alle vorhandenen revolutionären Kräfte auf das eine Ziel der Staatsüberwindung zu konzentrieren, solch bloßer Ansturm auf den Gegner hätte genügt, um all das latent Revolutionäre der damaligen Zeit auszulösen — und die Geschichte der Autorität, der Menschheitssklaverei wäre um viele Jahrzehnte verkürzt worden. In seinem großglühenden, edlen Optimismus, in seinem Glauben an die Menschen, darin täuschte Bakunin sich; nicht aber in den historischen Möglichkeiten für die Revolution, die er erstrebte. Heute wissen wir es, daß der Boden unter unseren Füßen steinig geworden ist; eben durch das, was Bakunin selbst als den Sieg der Reaktion für die nächsten fünfzig Jahre erklärte. Die breiten Massen müssen gelehrt werden zu sehen, was ist; die Ideale der Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit des Anarchismus müssen nun endlich geläutert durch historische Erfahrung in das große Menschenherz der Massen gesenkt werden. Dies ist keine Arbeit für einen hochherzigen Augenblickssinn; es ist die Arbeit, die undankbare Arbeit von Jahrzehnten, die uns bevorsteht, wir müssen dieser Tatsache ins strenge Antlitz schauen können.

Nur die dieses können, werden Sturmvögel dessen sein, was allerdings kommen muß dank der Geisteserweckung der Menschheit, dank dem nimmerendenden Elend im Gefüge des Bestehenden, dank der ganzen erbärmlichen Bettelhaftigkeit unser aller Gegenwartsexistenz: Die soziale Revolution!

Kulturarbeit ist es, die wir brauchen, und sie hat uns Bakunin in reichlichem Maße gewiesen. Seine Gedanken, seine Ideale, wenn sie einmal Wurzel gefaßt haben werden in nur einigen Hunderttausenden von Menschen einer jeden Völkergruppe — dann ist die soziale Revolution da, die Werdezeit einer grandiosen Kultur der Freiheit, also der Mannigfaltigkeit aller Triebe der Kultur. Sie hat Bakunin vorausgesehen, und in dieser Philosophie und Taktik ist er für uns geworden ein Unvergänglicher bis zum endlichen Siege.

Ein Gemälde Sascha Schneiders kommt mir in den Sinn. Dessen Lichtwirkung ist ein häßliches, schwefelgelbes Dunkel, das sich gespenstisch über ein schauriges Gebirgstal breitet. Oben der Himmel, tiefbewölkt; überall an den Seiten befindet sich wildes Getier, sphinxartige Halbmenschen, ekelhafte Männergestalten, die wie Menschenaffen aussehen. Haß und geifernde Wut drücken diese Augenzüge aus, sie stieren — sie stieren auf eine kraftvolle edelmännliche, schönheitsadelige Meistergestalt, die aufrechten Hauptes, mit vernichtenden Blicken, über sie hinwegschreitet. Und der Name dieser bildlichen Darstellung, den Sascha Schneider seinem Kunstwerk gab, er ist es, den wir auch Bakunin nachrufen, wir, die ihm so unendlich viel verdanken, unserem Bakunin, der ein Denker, Kämpfer — ein "Außergewöhnlicher" war.

Aus: "Die Freie Generation. Dokumente der Weltanschauung des Anarchismus", 3. Jahrgang, Nr. 1, Juli-August 1908. Digitalisiert von der Anarchistischen Bibliothek und Archiv Wien. Nachbearbeitet (Scanungenauigkeiten entfernt, ae zu ä, That zu Tat usw.) von www.anarchismus.at.


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