Leo Tolstoi - Die Sklaverei unserer Zeit
1. Siebenunddreißigstündige Arbeit (1)
Ein Bekannter von mir, ein Wagemeister der Moskau-Kasanjschen Eisenbahn, erzählte mir einmal unter anderem, daß die Bauern, die an seiner Wage als Lader arbeiteten, ihre Arbeit ununterbrochen 36 Stunden hindurch verrichten. Trotz meines vollen Vertrauens zu der Wahrheitsliebe des Erzählenden konnte ich ihm nicht glauben, ich meinte, daß er sich entweder irre, oder übertreibe, oder daß ich irgend etwas nicht recht verstehe.
Aber der Wagemeister erzählte mir so ausführlich von den Bedingungen, unter denen diese Arbeit vor sich geht, daß man nicht zweifeln konnte. Nach seiner Erzählung sind 250 derartiger Lader bei der Moskau-Kasanjschen Eisenbahn angestellt. Sie alle sind in Gruppen zu fünf Mann geteilt und arbeiten im Akkord; sie erhallten 1 Rubel odjer 1 Rubel 15 Kopeken für 1000 Pud verladener oder ausgeladener Ware.
Sie kommen am Morgen, arbeiten den Tag und die Nacht als Auslader und treten sofort nach Ende der Nacht am Morgen, auf der Verladungsstelle an, wo sie noch einen Tag arbeiten. Ihre Arbeit besteht darin, Ballen von 7, 8 und bis zu 10 Pud zu schleppen- Zwei wälzen die Ballen auf den Rücken der drei anderen und diese tragen die Ballen. Sie verdienen mit solcher Arbei bei eigener Beköstigung weniger als einen Rubel pro vierundzwanzig Stunden und arbeiten ständig, ohne Feiertage.
Die Erzählung des Wagemeisters war so ausführlich, daß man an ihrer Wahrheitstreue nicht zweifeln konnte, ich beschloß aber dennoch, mich von den Tatsachen mit eigener Augen zu überzeugen und fuhr nach dem Warenbahnhof.
Auf dem Warenbahnhof fand ich meinen Bekannten und sagte ihm, daß ich gekommen sei, um das, was er mir erzählt hätte, zu sehen.
"Wem ich’s auch erzählt habe, — keiner glaubt es mir" sagte ich.
"Nikita," wandte sich der Wagemeister, ohne mir zu antworten, an irgend jemand in dem kleinen Häuschen, "komm mal her!" Aus der Tür trat ein großer, hagerer Arbeiter in zerrissenem Bauernrock.
"Wann seid Ihr zur Arbeit angetreten?" "Wann? Gestern Morgen."
"Und wo waret ihr die Nacht?"
"Beim Ausladen, natürlich."
"Habt Ihr in der Nacht gearbeitet?" fragte nun ich.
"Natürlich gearbeitet."
"Und wann seid Ihr jetzt hierangetreten?" "Am Morgen, wann denn sonst?"
"Und wann hört ihr auf zu arbeiten?" "Wir hören auf, wenn man uns losläßt."
Es traten noch vier Arbeiter heran, die zusammen mit dem ersten eine Gruppe von fünf Mann bildeten. Alle waren sie ohne Pelze, in zerissenen Röcken, obgleich das Thermometer unter 20 Grad stand.
Ich begann sie nach den Einzelheiten ihrer Arbeiten auszufragen. Durch mein Interesse an einer, wie es ihnen schien, so gewöhnlichen und einfachen Sache, wie ihre sechsunddreißigstündige Arbeit, setzte ich sie offenbar in Erstaunen.
Sie waren alle vom Lande, meisten teils meine Landsleute — aus dem Tulaschen; es waren auch welche da aus dem Orlowschen und aus dem Woroneshschen. Sie leben in Moskau in Mietwohnungen, einige mit ihren Familien, die meisten allein. Die, welche ohne Familien leben, schicken den Vierdienst nach Hause.
Sie beköstigen sich alle einzeln bei ihren Wirten. Die Kost kommt ihnen 10 Rubel monatlich zu stehen; Fleisch essen sie stets, ohne die Fasten zu beachten.
Auf Arbeit befinden sie sich nicht 36 Stunden nacheinander, sondern immer mehr da durch den Weg von der Wohnung und zurück mehr als eine halbe Stunde verloren geht und sie außerdem häufig auch über die festgesetzte Zeit zurückgehalten werden - Bei einer solchen ununterbrochenen sechsunddreißigstündigen Arbeit verdienen sie etwa 25 Rubel monatlich, das Kostgeld nicht abgerechnet.
Auf meine Frage, warum sie eine derartige Fronarbeit leisteten, erhielt ich zur Antwort: "Wo soll man denn hin?"
"Aber warum denn sechsunddreißig Stunden nacheinander arbeiten? Kann man es denn nicht so einrichten, daß man sich ablöst?" "Wie's befohlen wird."
"Aber wozu geht ihr denn darauf ein?" "Wozu wir darauf eingehen? Weil wir Futter brauchen. Wenn’s dir nicht paßt — kannst du gehen. Kommt man eine Stunde zu spät, gleich hat man den Arbeitsschein zurück und: Marsch! Für deine Stelle sind zehn Leute da..."
Die Arbeiter waren junge Menschen, nur einer war etwas älter, wahrscheinlich übler Vierzig. Sie alle hatten hagene, abgehärmte Gesichter und müde Augen, als hätten sie getrunken. Der hagere Arbeiter, mit dem ich zuerst zu sprechen angefangen hatte, frappierte durch die seltsame Müdigkeit seines Blickes. Ich fragte ihn, ob er nicht heute getrunken hätte?
"Ich trinke nicht!" antwortete er, ohne sich zu besinnen, wie Menschen, die wirklich nicht trinken, immer diese Frage zu beantworten pflegen.
"Und rauchen tue ich auch nicht", fügte er hinzu.
"Und die anderen trinken?" fragte ich.
"Ja. Es wird hergebracht."
"Die Arbeit ist nicht leicht. Immerhin stärkt es einen etwas" sagte der ältere Arbeiter. Dieser Arbeiter hatte auch heute getrunken, aber man merkte es ihm ganz und gar nicht an.
Nachdem ich noch eine Weile mit ihnen gesprochen, ging ich, mir die Ausladearbeiten anzusehen. Ich kam an langen Stapeln aller möglichen Waren vorüber und erblickte Arbeiter, die langsam einen beladenen Waggon vor sich herrollten. Das Rollen der Waggons und das Wegschaufeln des Schnees von den Plattformen müssen die Leute, wie ich später erfuhr, kostenlos verrichten. Das steht mit in dem Kontrakt.
Diese Arbeiter waren ebenso hager und zerrissen, wie die, mit denen ich vorher gesprochen hatte. Als sie die Waggons an Ort und Stelle gerollt hatten und stehlen blieben, trat ich an sie heran und fragte, wann sie die Arbeit begonnen und wann sie zu Mittag gegessen hätten. Man antwortete mir, daß sie von sieben Uhr an arbeiteten und erst jetzt ihre Mahlzeit eingenommen hätten. So verlangte es die Arbeit, man ließe sie nicht eher frei.
"Wann seid Ihr denn frei?"
"Wie es kommt, zuweilen erst um zehn Uhr" antworteten die Arbeiter, als prahlten sie mit ihrer Ausdauer.
Als sie mein Interesse an ihrer Lage merkten, umringten sie mich und teilten mir, einer den anderen unterbrechend, das mit, was die Hauptursache ihrer Unzufriedenheit war; sie hielten mich wahrscheinlich für einen Vorgesetzten. Am meisten waren sie offenbar damit unzufrieden, daß der Raum, in welchem sie zuweilen zwischen der Tag- und dem Beginn der Nachtarbeit sich ein wenig erwärmen und vielleicht ein Stündchen hätten schlafen können, zu eng war. Alle drückten ihre große Unzufriedenheit darüber aus.
"Es kommen da gegen hundert Mann zusammen. Und nirgends kann man sich hinlegen. Sogar auf der Diele unter den Pritschen ist’s zu eng" sprachen unzufriedene Stimmen. "Überzeugen Sie sich selbst — es ist nicht weit"
Der Raum war allerdings sehr eng. In der zehn Arschin weiten Stube konnten auf den Pritschen gegen vierzig Personen Platz finden. Einige der Arbeiter betraten mit mir die Stube, und alle beklagten sich gereizt über die Enge des Raumes.
"Nicht mal unter den Pritschen hat man Platz" sagten sie.
Zuerst erschien es mir sonderbar, daß diese Menschen, die bei 20 Grad Kälte ohne Pelze arbeiteten, die siebenunddreißig Stunden lang Lasten von zehn Pud auf ihren Rücken schleppten und ihr Mittagessen nicht dann, wenn sie es brauchten, einnehmen konnten, sondern dann, wann es ihren Vorgesetzten gefiel, daß diese Menschen, die in jeder Hinsicht schlechter situiert waren als ein Lastpferd, nur über die Enge in ihrem Wärmeraum klagten. Zuerst erschien mir das sonderbar, aber als ich mich in ihre Lage hineindachte, begriff ich, was für ein qualvolles Gefühl diese sich nie ausschlafenden, erfrorenen Menschen empfinden müssen, wenn sie, anstatt auszuruhen und sich zu erwärmen, auf der schmutzigen Diele unter die Pritschen kriechen und dort in der stickigen, infizierten Luft, ihre Glieder nur noch mehr verrenken und lähmen.
Nur in dieser qualvollen Stunde vergeblichen Suchens nach Schlaf und Ruhe fühlen sie wahrscheinlich krankhaft den ganzen Schrecken ihrer das Leben untergrabenden, siebenunddreißigstündigen Arbeit, und daher empört sie ein scheinbar so unbedeutender Umstand, wie die Enge des Raumes, ganz besonders.
Nachdem ich einige Gruppen bei ihrer Arbeit beobachtet und noch mit einigen Arbeitern gesprochen hatte, wobei ich von allen einunddasselbe hörte, fuhr ich nach Hause, jetzt allerdings überzeugt, daß das, was mir mein Bekannter erzählt hatte, die lautere Wahrheit war.
Es war Wahrheit, daß für ein Geld, welches nur zur notdürftigen Ernährung reichte, Menschen, die sich für frei hielten, es für notwendig fanden, sich zu einer Arbeit zu verdingen, in die während der Leibeigenschaft nicht der grausamste Sklavenbesitzer seine Sklaven geschickt hätte.
Ein Sklavenbesitzer! Nein, kein Fuhrmann hätte sein Pferd dazu hergegeben, denn das Pferd kostet Geld, und es hat keinen Zweck, durch eine, über die Kräfte hinausgehende siebenunddreißigstündige Arbeit das Leben des kostbaren Tieres zu verkürzen.
2. Die Gleichgültigkeit der Gesellschaft
Die Menschen zu einer siebenunddreißigstündigen ununterbrochenen Arbeit ohne Schlaf zu zwingen, ist gewiß nicht nur grausam, sondern auch unvernünftig. Und doch, was für eine unvernünftige Ausnutzung menschlichen Lebens geschieht unaufhörlich um uns herum.
Gegenüber dem Hause, in dem ich wohne, befindet sich eine Seidenfabrik, die nach den letzten Errungenschaften der Technik eingerichtet ist. Es arbeiten und leben dort gegen dreitausend Frauen und siebenhundert Männer.
Eben, wo ich an meinem Tisch sitze, höre ich das ununterbrochene Getöse der Maschinen, und ich weiß, da ich dort gewesen bin, was dieses Getöse zu bedeuten hat. Dreitausend Frauen stehen zwölf Sunden lang vor den Stühlen inmitten betäubenden Lärmes und wickeln und spinnen seidene Fäden zur Fabrikation von Seidenstoffen. Alle Frauen, mit Ausnahme der eben vom Lande gekommenen, haben ein ungesundes Aussehen. Die meisten von ihnen führen ein sehr unmäßiges und sittenloses Leben; fast alle Frauen und Mädchen schicken ihre Kinder gleich nach der Geburt ins Dorf oder ins Findelhaus, wo 80 Prozent dieser Kinder umkommen; die Mütter selbst nehmen die Arbeit am zweiten oder dritten Tage nach der Niederkunft wieder auf, um ihre Stellung nicht zu verlieren.
So ließen im Laufe von zwanzig Jahren, wie ich weiß, zehntausende junger, gesunder Frauen und Mütter ihr Leben und das Leben ihrer Kinder verkümmern und lassen es auch jetzt noch verkümmern, um samtene und seidene Stoffe anzufertigen.
Gestern begegnete ich einem jungen Bettler auf Krücken, von riesigem aber verkrüppeltem Wuchs. Er arbeitete mit Karren, stürzte und trug eine innere Verletzung davon. Was er hatte, verausgabte er für die Ratschläge alter Weiber und Ärzte, und jetzt ist er seit acht Jahren ohne Unterkunft, bettelt und klagt Gott an, daß er ihm nicht den Tod schickt. Und wieviele solcher verbrauchter Leben gibt es, von denen wir nichts wissen, oder von denen wir wohl wissen, die wir aber nicht beachten, da wir meinen, daß es so sein müsse.
Ich kenne auf der Tulaschen Eisengießerei Arbeiter bei den Hochöfen, die, um von zwei Sonntagen einen frei zu haben, nach ihrer Tagesarbeit noch für die Nacht dableiben und vierundzwanzig Stunden nacheinander arbeiten. Ich habe diese Arbeiter gesehen. Sie trinken alle Schnaps, um die Energie aufrecht zu erhalten, und sie verbrauchen offenbar ebenso schnell, wie die Lader bei der Eisenbahn, nicht die Prozente, sondern das Kapital ihres Lebens.
Und der Lebensverbrauch all der Menschen, die als schädlich bekannte Arbeiten verrichten: die Setzer und Drucker, die durch den Bleistaub infiziert werden, die Arbeiter, die in Spiegel-, Karten- Zündholz-, Zucker-, Tabak- Glasfabriken arbeiten, die Bergarbeiter, die Abortreiniger?
Die statistischen Ergebnisse in England bezeugen, daß das Durchschnittsalter der höheren Klassen fünfundfünfzig Jahre, das der Arbeiter ungesunder Berufe neunundzwanzig Jahre beträgt. Es sollte doch scheinen, daß es uns, den Menschen, die diese menschenmörderische Arbeit sich zu Nutzen machen, unmöglich sein sollte, ruhig zu bleiben, wenn wir das alles wissen — und man kann nicht umhin, es zu wissen. Und doch benutzen wir wohlsituierten, liberalen und humanen Menschen, wir, die wir so zartfühlend nicht nur gegenüber den Leiden der Menschen, sondern auch der Tiere sind, und doch benutzen wir unaufhörlich diese Arbeit, bemühen uns immer reicher und reicher zu werden, d.h. immer mehr und mehr diese Arbeit in Anspruch zu nehmen, und bleiben dabei vollständig ruhig.
Nachdem wir zum Beispiel von der siebenunddreißigstündigen Arbeit der Lader und von den schlechten Verhältnissen ihres Erholungsraums erfahren haben, werden wir sofort dorthin einen gutbezahlten Inspektor schicken, eine mehr als zwölfstündige Arbeit verbieten, indem wir es den um zwei Dritteln ihres Lohnes gebrachten Arbeitern anheimstellen, ihren Unterhalt, wie sie wollen, zu erwerben; wir werden ferner die Eisenbahn verpflichten, einen bequemeren und größeren Erholungsraum für die Arbeiter einzurichten, und werden dann erst mit vollständig ruhigem Gewissen diese Eisenbahn zum Empfang und zur Absendung von Waren benutzen, Gehalt, Dividende, Renten von Häusern und Gütern beziehen usw.
Wenn wir aber erfahren, daß in der Seidenfabrik die fern von ihren Familien, inmitten von Verführungen lebenden Frauen und Mädchen sich und ihre Kinder zu Grunde richten, daß der größte Teil der Wäscherinnen, die unsere gestreiften Hemden bügeln und der Setzer, welche die uns zerstreuenden Bücher und Zeitungen setzen, an Schwindsucht zu Grunde gehen, zucken wir nur die Achseln und sagen, daß wir sehr bedauern, daß das so sei, daß wir aber dagegen gar nichts tun könnten. Und wir werden mit ruhigem Gewissen fortfahren, Seidenstoffe zu kaufen, gesteifte Wäsche zu tragen und des Morgens unsere Zeitung zu lesen.
Wir sind sehr besorgt um die Sonntagsruhe der Handlungsgehilfen, noch mehr um die Nichtübermüdung unserer Kinder in den Gymnasien, wir verbieten den Lastfuhrleuten aufs strengste, ihre Pferde zu überlasten, wir richten sogar Schlachthöfe ein, in denen die Leiden der zum Schlachten bestimmten Tiere auf das Minimum reduziert werden sollen. Was ist denn das für eine sonderbare Umnachtung, die uns befällt, sobald es sich um die Millionen von Arbeitern handelt, die sich überall langsam und oft qualvoll zu Grunde richten durch jene Arbeiten, deren Erzeugnisse wir zu unserer Bequemlichkeit und zu unserem Vergnügen gebrauchen.
3. Die bestehende Ordnung und die Wissenschaft
Die geistige Umnachtung der Menschen der herrschenden Kreise kann man sich nur dadurch erklären, daß die Menschen, wenn sie schlecht handeln, sich immer eine derartige Weltanschauung ersinnen, die ihre schlechten Handlungen schon nicht mehr als schlechte Handlungen erscheinen läßt, sondern als Folgen unabänderlicher, außerhalb der menschlichen Machtsphäre stehender Gesetze.
Früher bestand diese Weltanschauung darin, daß ein unergründlicher und unabänderlicher Wille Gottes bestehe, der den einen eine niedere Stellung und Arbeit, den anderen eine hohe Stellung und den Genuß der Güter des Lebens bestimmt habe. Über die Grundlage dieser Weltanschauung wurde eine kolossale Menge von Büchern geschrieben und eine unzählige Masse von Predigten gehalten. Diese Grundlagen wurden von den verschiedensten Seiten bearbeitet. Es wurde bewiesen, daß Gott verschiedene Menschen erschaffen habe — Sklaven und Herren. Und die einen und die anderen müßten mit ihrem Schicksal zufrieden sein. Dann wurde bewiesen, daß die Sklaven es in jener Welt besser haben würden. Später wurde erklärt, wenn die Sklaven auch Sklaven seien und solche bleiben müßten, so könne ihre Lage nicht übel sein, wenn die Herren ihnen gegenüber gnädig wären. Und endlich, schon nach Aufhebung der Sklaverei, war die letzte Erklärung die, daß der Reichtum von Gott den einen Menschen gegeben sei, damit sie einen Teil desselben für Wohltaten verwendeten, und daß dann der Reichtum der einen und die Armut der anderen nichts Schlimmes mehr seien.
Diese Erklärungen befriedigten die Armen sowohl, als auch die Reichen, besonders aber die Reichen, sehr lange. Aber es kam eine Zeit, wo sich diese Erklärungen als unzureichend erwiesen, besonders für die Armen, die anfingen, sich ihrer Lage bewußt zu werden. Und da zeigte sich das Bedürfnis nach neuen Erklärungen. Sie erschienen auch gerade zur rechten Zeit.
Diese neuen Erklärungen präsentierten sich in Gestalt einer Wissenschaft - der Nationalökonomie, die behauptet, daß sie die Gesetze gefunden habe, denen zufolge sich unter den Menschen die Arbeit und die Nutznießung ihrer Erzeugnisse verteile. Diese Gesetze bestehen nach der Lehre jener Wissenschaft darin, daß die Verteilung der Arbeit und deren Ausnützung von der Nachfrage und dem Angebot abhängt, von dem Kapital, der Rente, dem Lohn, den Werten, dem Gewinn usw., überhaupt also von unabänderlichen Gesetzen, die die wirtschaftliche Tätigkeit der Menschen bedingen.
Über dieses Thema wurden in kurzer Zeit nicht wenige Bücher und Broschüren verfaßt und nicht wenige Vorträge und Vorlesungen gehalten, als über das frühere Thema Traktate geschrieben und theologische Predigten gehalten worden waren; und auch jetzt werden darüber unaufhörlich Berge von Broschüren geschrieben und Vorlesungen gehalten. Und alle diese Broschüren und Vorlesungen sind ebenso nebelig und schwer verständlich, wie die theologischen Traktate und Predigten und erfüllen, ebenso wie diese vollkommen den gewollten Zweck: sie geben für die bestehende Ordnung der Dinge eine Erklärung, die es dem einen Teil der Menschen gestattet, ruhig seine Zeit ohne Arbeit zu verbringen und sich die Tätigkeit anderer Menschen zunutze zu machen.
Wenn nun für die Forschungen dieser vermeintlichen Wissenschaft nicht die Lage der Menschen der ganzen Welt und der ganzen historischen Zeit als Grundlage genommen wurde, sondern die Lage der Menschen in dem kleinen, in durchaus exzeptionellen Verhältnissen befindlichen England am Ende des vorigen und zu Anfang des jetzigen Jahrhunderts, — so hinderte das die Anerkennung der Richtigkeit der Schlüsse, zu denen die Forscher gelangt waren, durchaus nicht, ebensowenig wie dieses jetzt die endlosen Streitigkeiten und Meinungsverschiedenheiten der Vertreter dieser Wissenschaft hindert, die Streitigkeiten über den Begriff der Rente, des Wertes, des Gewinnes usw.
Nur die eine Grundthese dieser Wissenschaft wird von allen anerkannt: die menschlichen Beziehungen werden nicht dadurch bestimmt, was die Menschen für gut oder schlecht halten, sondern dadurch, was den Menschen vorteilhaft erscheint, die sich in einer vorteilhaften Lage befinden.
Es ist als unantastbare Wahrheit erkannt worden, wenn sich in der Gesellschaft viele Räuber und Diebe zeigen, die den arbeitenden Menschen die Erzeugnisse ihrer Arbeit wegnehmen, so kommt dieses nicht daher, daß die Räuber und Diebe schlecht handeln, sondern daher, daß dies die unabänderlichen wirtschaftlichen Gesetze sind, die sich nur durch eine langsame, von der Wissenschaft festgesetzte Evolution ändern können. Und daher können, nach der Lehre der Wissenschaft, die Räuber, Diebe und Hehrer, die von Raub und Diebstahl leben, ruhig im Genießen des Gestohlenen und Geraubten fortfahren.
Wenn auch die Mehrzahl der Menschen unserer Welt diese beruhigenden Erklärungen der Wissenschaft in ihren Einzelheiten nicht kennt - wie auch die früheren Menschen die Einzelheiten der theologischen Erklärungen, die ihre Lage rechtfertigten, nicht kannten -, so wissen doch alle, daß diese Erklärungen existieren, daß gelehrte und kluge Menschen unzweifelhaft bewiesen haben und fortfahren zu beweisen, daß die jetzige Ordnung der Dinge so sei, wie sie sein müsse und daß man daher bei dieser Ordnung der Dinge ruhig weiter leben könne, ohne sie ändern zu wollen.
Nur so kann ich mir jene sonderbare Umnachtung erklären, in der sich die guten Menschen unserer Gesellschaft befinden, die aufrichtig das Wohl der Tiere wünschen, aber mit ruhigem Gewissen das Leben ihrer Brüder aufzehren.
4. Die Behauptung der Nationalökonomie
Die Theorie, es sei Gottes Wille, daß die einen Menschen über die anderen herrschen sollen, beruhigte sehr lange die Menschen. Aber diese Theorie, indem sie die Grausamkeiten der Menschen rechtfertigte, führte die Grausamkeit bis zu dem höchsten Maße und rief dadurch eine Reaktion hervor und Zweifel an der Richtigkeit der Theorie.
So ist es auch jetzt mit der Theorie, daß die wirtschaftliche Evolution sich nach unabänderlichen Gesetzen vollzieht, denen zufolge die einen Menschen Vermögen ansammeln müssen, die anderen dagegen das ganze Leben hindurch für die Vergrößerung dieser Vermögen zu arbeiten haben, indem sie sich zu der ihnen versprochenen Kommunalisierung der Produktionswerkzeuge vorbereiten. Diese Theorie, die eine noch größere Grausamkeit der einen Menschen den anderen gegenüber hervorruft, beginnt ebenfalls, besonders unter einfachen, durch die Wissenschaft nicht hypnotisierten Menschen, einige Zweifel an ihrer Richtigkeit hervorzurufen.
Sie sehen z.B. die Lader, die ihr Leben durch siebenunddreißigstündige Arbeit verkürzen, oder die Frauen in der Fabrik, oder die Wäscherinnen, oder die Setzer, oder alle die Millionen von Menschen, die in den drückenden, widernatürlichen Verhältnissen eintöniger, verdummender Fronarbeit leben, und sie fragen sich natürlich: was hat diese Menschen in diese Lage gebracht und wie könnte man sie davon befreien? Und die Wissenschaft antwortet ihnen, daß sich diese Leute deswegen in solcher Lage befinden, weil die Eisenbahn einer gewissen Gesellschaft, die Seidenfabrik einem gewissen Herrn gehört, und weil überhaupt alle Fabriken, Druckereien, Waschanstalten Kapitalisten gehören. Die Besserung dieser Lage aber wird dadurch erzielt werden, daß die Arbeiter sich zu Parteien und Gewerkschaften zusammenschließen und durch Streiks und Anteilnahme an dem Regieren der Staaten immer mehr und mehr auf die Arbeitgeber und die Regierungen einwirken werden und so anfangs eine Herabsetzung der Arbeitszeit und Erhöhung des Lohnes erreichen werden. Dann aber wird die Folge, daß sämtliche Produktionswerkzeuge in ihre Hände übergehen und alles wird gut sein; jetzt aber geht alles, wie es gehen muß und jede Einmischung ist überflüssig.
Diese Antwort kann ungelehrten Leuten und besonders uns Russen nicht anders als sehr sonderbar erscheinen.
Erstens erklärt der Umstand, daß die Produktionswerkzeuge den Kapitalisten gehören, gar nichts, weder in Bezug auf die Lader und die Frauen in der Seidenfabrik, noch in Bezug auf all die Millionen anderer Arbeiter, die unter der schweren, ungesunden und verdummenden Arbeit leiden. Die Produktionswerkzeuge, die Ackerbaugeräte jener Arbeiter, die jetzt bei der Eisenbahn als Lader beschäftigt werden, haben sich die Kapitalisten durchaus nicht angeeignet: diese Arbeiter besitzen Land, Pferde, Pflüge, Eggen und alles, was zum Ackerbau nötig ist; ebenso sind die Fabrikarbeiterinnen zu ihrer Arbeit durchaus nicht dadurch gezwungen worden, daß man ihnen etwa die Produktionswerkzeuge genommen hat, sondern, im Gegenteil, — sie verlassen, meistenteils gegen den Willen ihrer älteren Familienmitglieder, ihre Häuser, wo ihre Arbeit sehr nötig ist und wo es ihnen ganz und gar nicht an Produktionswerkzeugen fehlt. In ebensolcher Lage befinden sich Millionen von Arbeitern in Rußland und in anderen Ländern. So kann denn die Ursache der traurigen Lage der Arbeiter durchaus nicht in der Besitzergreifung der Produktionswerkzeuge durch die Kapitalisten erblickt werden. Die Ursache muß dieselbe sein, die die Menschen aus den Dörfern, von ihrem Lande vertreibt.
Dieses erstens.
Zweitens aber kann die Befreiung der Arbeiter aus dieser Lage — auch nicht einmal in jener fernen Zukunft, in welcher die Wissenschaft diese Befreiung verspricht — weder durch die Verminderung der Arbeitszeit, noch durch die Erhöhung der Löhne, noch durch die versprochene Verstaatlichung der Produktionswerkzeuge erreicht werden.
Alles dieses kann die Lage der Arbeiter aus dem einfachen Grunde nicht verbessern, weil das Elend der Arbeiter auf der Eisenbahn, in der Seidenfabrik und in jedem anderen größeren Etablissement nicht in der größeren oder geringeren Arbeitszeit besteht (die Landwirte arbeiten oft achtzehn von vierundzwanzig Stunden und zuweilen fast sechsunddreißig Stunden hintereinander und fühlen sich dabei glücklich), nicht in dem geringen Lohne und nicht darin, daß die Eisenbahn oder die Fabrik nicht ihnen gehören, sondern darin, daß die Arbeiter gezwungen sind, unter den unnatürlichen und häufig für das Leben gefährlichen Bedingungen des städtischen Kasernenlebens zu arbeiten, und inmitten von Verführungen und Unsittlichkeit eine fremde und erzwungene Arbeit zu Verrichten.
In der letzten Zeit wurde die Stundenzahl der Arbeit vermindert und der Arbeitslohn erhöht, aber diese Verminderung der Arbeitszeit und die Erhöhung des Lohnes hat die Lage der Arbeiter nicht verbessert. Wenn man darunter nicht ihre luxuriöseren Lebensgewohnheiten versteht — Uhren und Uhrketten, seidene Tücher, Tabak, Schnaps, Fleisch, Bier und so weiter —, sondern ihren wahren Wohlstand, d.h. ihre Gesundheit und Sittlichkeit und vor allem ihre Freiheit.
In der mir bekannten Seidenfabrik arbeiteten vor zwanzig Jahren hauptsächlich Männer. Sie arbeiteten vierzehn Stunden und verdienten durchschnittlich etwa fünfzehn Rubel und schickten, was ihnen übrig blieb, ihren Angehörigen aufs Land. Jetzt sind dort fast nur Frauen beschäftgt; sie arbeiten elf Stunden und manche verdienen bis zu fünfundzwanzig Rubel monatlich, im Durchschnitt aber mehr als fünfzehn Rubel. Das Geld schicken sie nicht mehr nach Hause, sondern geben es in der Stadt aus, hauptsächlich für Putz, Trunk und andere Laster. Die Verminderung der Arbeitszeit aber erhöht nur die Zeit, die in den Wirtschaften verbracht wird.
Dasselbe findet mehr oder weniger auch in allen anderen Fabriken und industriellen Etablissements statt. Überall, trotz der Herabsetzung der Arbeitszeit und der Erhöhung des Verdienstes, verschlechtert sich im Vergleich zum Landleben der Gesundheitszustand, vermindert sich das Durchschnittslebensalter und geht die Sittlichkeit verloren, wie das bei der Loslösung von den die Sittlichkeit am meisten fördernden Elementen — von dem Familienleben und einer freien, gesunden, mannigfaltigen, intelligenten Arbeit — auch gar nicht anders sein kann.
Es ist sehr leicht möglich, daß, wie die Nationalökonomen behaupten, mit der Herabsetzung der Arbeitszeit, der Erhöhung des Lohnes, der Verbesserung der sanitären Zustände in den Fabriken die Gesundheit der Arbeiter und ihre Sittlichkeit zu einem höheren Niveau gelangen, als es früher der Fall gewiesen war. Es ist sogar auch möglich, daß die Lage der Fabrikarbeiter in der letzten Zeit und in einigen Gegenden äußerlich eine bessere geworden ist, als die der Landbevölkerung. Aber in den einzelnen Ländern oder Gegenden, wo das eingetreten ist, kommt es nur daher, weil die Regierung und die Gesellschaft unter dem Einfluß der Wissenschaft alles mögliche zur Verschlechterung der Lage der Landbevölkerung und zur Verbesserung der Lage der Fabrikarbeiter tun.
Wenn die Lage der Fabrikarbeiter in einigen Gegenden auch besser ist — aber auch nur in äußerer Hinsicht — als die der Landarbeiter, so beweist dieser Umstand höchstens, daß man durch allerlei Bedrückungen auch die beste Lebenslage zu einer jammervollen gestalten kann, und daß es keine noch so unnatürliche und schlimme Lebenslage gibt, in die sich der Mensch nicht hineinfinden und hineingewöhnen könnte, wenn er in ihr mehrere Geschlechter hindurch verbleibt.
Das Elend der Lage des Fabrik- und überhaupt des Stadtarbeiters besteht nicht darin, daß er lange arbeitet und wenig verdient, sondern darin, daß er der natürlichen Lebensbedingungen inmitten der Natur, seiner Freiheit verlustig geht und zu einer unfreiwilligen, fremden und einförmigen Arbeit gezwungen wird.
Und daher kann die Antwort auf die Fragen, warum die Lage der Stadt- und Fabrikarbeiter eine elende ist und wie dem abgeholfen werden könnte, durchaus nicht die sein, daß das daher käme, daß die Kapitalisten sich der Produktionswerkzeuge bemächtigt hätten, und daß die Lage der Arbeiter durch Herabsetzung der Arbeitszeit, Erhöhung des Lohnes und Kommunalisierung der Produktionswerkzeuge verbessert werden würde; all das kann die Antwort auf die Frage nicht sein.
Die Antwort auf diese Fragen muß in der Nennung der Ursachen bestehen, die die Arbeiter um die natürlichen Lebensbedingungen inmitten der Natur gebracht und sie in die Fabriksklaverei getrieben haben, und in der Nennung der Mittel, die Arbeiter von der Notwendigkeit zu befreien, ihr freies Landleben gegen die Sklaverei der Fabriken einzuwechseln.
Und daher enthält die Frage, warum die Arbeiter in der Stadt sich im Elend befinden, vor allen Dingen die Frage, welche Ursachen diese Menschen vom Lande vertrieben haben, wo sie oder ihre Vorfahren gelebt haben und leben könnten, und wo bei uns in Rußland noch jetzt solche Leute leben, und die Frage, was sie gegen ihren Willen in die Fabriken getrieben hat und heute treibt.
Wenn es aber auch solche Arbeiter gibt, die, wie in England, Belgien, Deutschland, schon mehrere Geschlechter hindurch in den Fabriken leben, so führen auch diese ein solches Leben nicht aus freiem Willen, sondern weil ihre Eltern, Großeltern oder Urgroßeltern durch irgend etwas gezwungen worden waren, das Ackerbauleben, das sie liebten, gegen das Leben in Städten und Fabriken einzutauschen, das ihnen schwer erschien.
Die Landbevölkerung wurde zuerst ihres Landes beraubt, sagt Karl Marx, vertrieben und zum Vagabundenleben gezwungen, und dann wurde sie, zufolge grausamer Gesetze, mit Zangen, glühendem Eisen und Peitschen gemartert, um sie den Forderungen der Privatarbeit unterzuordnen.
Und daher scheint mir die Frage, wie man die Arbeiter aus ihrer elenden Lage befreien könnte, ganz von selbst auf die Frage hinauszukommen, wie man die Ursachen beseitigen soll, die diese Menschen aus der Lage, die sie für eine gute hielten und halten, entweder schon vertrieben haben oder noch vertreiben wollen und sie in eine Lage treiben, die sie für eine schlechte hielten und halten.
Die Nationalökonomie aber weist zwar unter anderem auch auf die Ursachen hin, die die Arbeiter vom Lande vertrieben haben, beschäftigt sich jedoch nicht mit der Aufgabe, diese Ursachen zu beseitigen, sondern wendet ihre ganze Aufmerksamkeit der Verbesserung der bestehenden Lage der Arbeiter in den Fabriken zu, als nehme sie an, daß die Lage der Arbeiter in diesen Fabriken etwas Unabänderliches sei, etwas, das durchaus bestehen bleiben müsse für jene, die schon in den Fabriken sind, und das diejenigen, die das Land und den Ackerbau noch nicht verlassen haben, seinerzeit ereilen müßte.
Obgleich alle Weisen und Poeten der Welt immer nur in den Verhältnissen des Ackerbaulebens die Verwirklichung des Ideals menschlichen Glückes gesehen haben; obgleich alle Arbeiter mit noch nicht verdorbenen Gewohnheiten immer den Ackerbau jeder anderen Arbeit vorgezogen haben und vorziehen; obgleich die Fabrikarbeit immer ungesund und eintönig, die Feldarbeit aber die gesündeste und mannigfaltigste ist; obgleich die Feldarbeit immer eine freie ist, bei der der Arbeiter je nach seinem Willen Ruhe und Arbeit wechseln kann, die Fabrikarbeit aber, selbst wenn die Fabriken das Eigentum der Arbeiter wären, immer eine unfreie, von den Maschinen abhängige ist; obgleich die Fabrikarbeit eine abgeleitete ist, die Feldarbeit aber die Grundform der Arbeit darstellt, ohne welche die Fabriken überhaupt nicht existieren könnten, — so ist die Nationalökonomie doch derart von der Notwendigkeit überzeugt, daß alle Landarbeiter den städtischen Fabrikstand passieren müssen, daß sie behauptet, die Landleute litten alle nicht nur nicht unter dem Übergang vom Dorf- zum Stadtleben, sondern sie strebten selbst danach und wünschten sich dieses Leben.
5. Warum die Behauptung der Nationalökonomie unrichtig ist
Wie falsch ohne Zweifel die Behauptung der Vertreter der Wissenschaft auch ist, das Wohl der Menschheit müsse in etwas bestehen, was dem menschlichen Gefühl tief zuwider ist, — in der eintönigen, zwangsweisen Fabriksarbeit — so mußten die Vertreter der Wissenschaft zu dieser offenbar falschen Behauptung dennoch notwendigerweise kommen, ebenso wie die Theologen auch notwendigerweise zu der ebenso falschen Behauptung kommen mußten, daß die Sklaven und die Herren verschiedenartige Wesen seien und daß die Ungleichheit ihrer Lage in dieser Welt im Jenseits kompensiert werden würde.
Die Ursache der offenbar falschen Behauptung ist die, daß die Menschen, die die Satzungen der Wissenschaften feststellten und feststellen, zu den wohlhabenden Klassen gehören und sich so an die vorteilhaften Lebensbedingungen, in denen sie sich befinden, gewöhnt haben, daß sie den Gedanken, die Gesellschaft könnte auch außerhalb dieser Bedingungen existieren, gar nicht zulassen.
Die Lebensbedingungen aber, an die die wohlhabenden Klassen gewöhnt sind, bestehen vor allem in der reichlichen Produktion der verschiedensten, der Bequemlichkeit und dem Vergnügen dienenden Gegenständen, einer Produktion, die nur dank der jetzt bestehenden Fabriken und nur bei der jetzigen Organisation derselben in solcher Fülle möglich ist. Und daher setzen die zu den wohlhabenden Klassen gehörenden Vertreter der Wissenschaft, wenn sie von der Verbesserung der Lage der Arbeiter reden, immer nur solche Verbesserungen voraus, bei denen die Fabriksproduktionen und daher auch die ihnen zu Gute kommenden Bequemlichkeiten des Lebens dieselben bleiben.
Selbst die aller vorgeschrittensten Gelehrten, die Sozialisten, setzen immer voraus, wenn sie die Übergabe der Produktionjswerkzeuge an die Arbeiter verlangen, daß in denselben oder in ebensolchen Fabriken und bei der nämlichen Arbeitsteilung, immer dieselben oder fast dieselben Gegenstände produziert werden, wie sie jetzt gemacht werden.
Der Unterschied soll nach ihrer Vorstellung darin bestehen, daß dann nicht nur sie allein, sondern alle Menschen dieselben Bequemlichkeiten genießen werden, die jetzt ihnen allein zu Gute kommen. Dunkel stellen sie sich vor, daß bei der Verstaatlichung der Arbeitswerkzeuge auch sie, die Männer der Wissenschaft und überhaupt der regierenden Klassen, ebenfalls an den Arbeiten teilnehmen werden, aber hauptsächlich als Leiter, als Zeichner, Gelehrte, Künstler. Wer aber in Maulkörben die Wismutschminke fabrizieren wird, wer die Heizer, Bergarbeiter und Kloakenarbeiter sein werden, davon schweigen sie entweder, oder nehmen an, daß die technischen Hilfsmittel so vervollkommnet sein werden, daß dann die Arbeit in den Kloaken und in den Berggruben zu einer angenehmen Beschäftigung werden wird. So stellen sie sich das wirtschaftliche Leben in Utopien, wie die von Bellamy und in wissenschaftlichen Traktaten vor.
Ihrer Theorie nach, sollten sich die Arbeiter blos zu Gewerkschaften vereinigen, sich zur Solidarität erziehen und durch Vereine, Strikes und Vertretung in den Parlamenten endlich soweit kommen, daß sie alle Produktionswerkzeuge, auch den Grund und Boden, ihrem Staat übertragen. Und dann werden sie sich so gut nähren, so gut kleiden, an Sonntagen derartige Vergnügungen haben, daß sie das Leben in der Stadt zwischen Steinen und Essen dem Landleben in freier Natur zwischen Pflanzen und Haustieren vorziehen werden, daß ihnen die eintönige Maschinenarbeit nach dem Glockensignal angenehmer sein wird, als die mannigfaltige, gesunde und freie Arbeit des Bauern.
Obgleich diese Annahme ebensowenig wahrscheinlich ist, wie die Annahme der Theologen bezüglich des Paradieses, welches im Jenseits den Arbeitern dafür zu Teil wird, daß sie sich in dieser Welt mit Arbeit abgequält haben, so glauben kluge und gebildete Menschen unserer Gesellschaft dennoch an diese seltsame Lehre, ebenso wie die früheren Gelehrten und Gebildeten an das Arbeiterparadies glaubten.
Es glauben aber die Gelehrten und ihre Schüler — meist Leute aus den wohlhabenden Klassen — darum an diese Lehre, weil sie garnicht anders können. Vor ihnen steht das Dilemma: entweder sie müssen begreifen, daß alles, was sie im Leben benutzen, von der Eisenbahn an bis zu den Zündhölzchen und Zigaretten, die viele Menschenleben kostende Arbeit ihrer Brüder ist, und daß sie selbst, indem sie an dieser Arbeit nicht teiltnehmen, wohl aber dieselbe ausnutzen, sehr unehrliche Menschen sind; oder aber sie müssen daran glauben, daß alles, was geschieht, zufolge unabänderlicher Gesetze der Nationalökonomie zum allgemeinen Wohle geschieht.
Darin besteht jener psychologische Grund, der gelehrte, kluge und gebildete, aber nicht aufgeklärte Männer zwingt, mit Zuversicht und Beharrlichkeit eine so offenbare Unrichtigkeit zu behaupten, wie die, daß es für das Wohl der Arbeiter besser sei, ihr glückliches und gesundes Leben im Schoße der Natur zu verlassen, um ihre Körper und ihre Seelen in den Schlund der Fabriken zu werfen.
6. Die Unzulänglichkeit des staatssozialistischen Ideals (2)
Aber wenn 'man auch die offenbar unrichtige und aller Eigenart der menschlichen Natur zuwiderläufende Behauptung zugibt, daß es die Menschen besser haben würden, in Städten zu leben und in Fabriken eine unfreiwillige Maschinenarbeit zu verrichten, als auf dem Lande eine freie Handarbeit auszuführen, wenn man das auch zugibt, so enthält dann jenes Ideal, zu dem der Lehre der Wissenschaft nach die wirtschaftliche Evolution führen soll, einen inneren Widerspruch, der unmöglich gelöst werden kann.
Dieses staatssozialistische Ideal besteht darin, daß die Arbeiter glauben, wenn sie dem durch sie zur Macht gebrachten Staat alle Produktionsmittel übergeben, durch ihn zu Besitzern der Produktionswerkzeuge gemacht zu sein, und daß dann sie alle die Bequemlichkeiten und Vergnügungen genießen werden, die jetzt nur wohlhabende Leute genießen. Alle werden sich gut kleiden, alle werden gut wohnen, sich gut nähren, alle werden bei elektrischer Beleuchtung auf Asphalt spazieren, Konzerte und Theater besuchen, Zeitungen und Bücher lesen, in Automobilen fahren usw. Und alles das wird der sozialistische Staat für sie besorgen!
Aber um gewisse Gegenstände der Benutzung allen zugänglich zu machen, muß man die Produktion der gewünschten Gegenstände festsetzen, also auch festsetzen, wie viel Zeit jeder Arbeiter zu arbeiten hat. Wie soll das festgesetzt werden?
Die statistischen Ergebnisse können — und auch das nur unvollkommen — die Bedürfnisse der Menschen, einer durch Kapitalismus, Konkurrenz und Not gefesselten Gesellschaft, festsetzen; aber keine statistischen Zahlen werden uns sagen können — wieviel und was für Gegenstände man zur Befriedigung der Bedürfnisse der Menschen einer solchen Gesellschaft brauchten wird, in der die Produktionswerkzeuge der staatssozialistischen Gesellschaft selbst gehören werden, einer Gesellschaft, die also angeblich aus freien Menschen bestehen wird.
Die Bedürfnisse einer solchen staatssozialistischen Gesellschaft wird man ganz und gar nicht festsetzen können, denn die Bedürfnisse einer solchen Gesellschaft werden immer unzählige Mal größer sein, als die Möglichkeit des sozialistischen Staates, sie zu befriedigen. Jeder wird sich alles das Wünschen, was jetzt nur die Allerreichsten haben, und daher wird es unmöglich sein, die Anzahl der für eine solche Gesellschaft nötigen Gegenstände festzusetzen. (3)
Außerdem: Wie soll man die Menschen zur Anfertigung von Gegenständen veranlassen, die die einen für nötig, die anderen für unnütz und sogar schädlich halten werden? Wenn es eruiert wird, daß zur Befriedigung der Bedürfnisse der Gesellschaft jeder, wenn auch nur sechs Stunden täglich arbeiten muß, wer wird dann ein Mitglied einer freien Gesellschaft zwingen können, wenn der Mensch weiß, daß ein Teil dieser Stunden zur Produktion von Gegenständen aufgeht, die er für unnütz oder sogar schädlich hält?
Es ist kein Zweifel, daß bei der jetzigen Gestaltung der Gesellschaft, dank der Maschinen und vor allem der Arbeitsteilung, mit großer Ökonomie der Kraft außerordentlich komplizierte und bis zum höchsten Grade der Vollkommenheit gebrachte verschiedenartige Gegenstände fabriziert werden, deren Produktion den Fabrikanten sehr vorteilhaft und deren Benutzung uns sehr bequem und angenehm ist. Daß aber diese Gegenstände an sich sehr gut und mit geringem Kraftaufwand gearbeitet sind, daß sie den Kapitalisten vorteilhaft sind und daß wir sie für notwendig halten, beweist noch nicht, daß auch freie Leute ohne Zwang fortfahren würden, diese Gegenstände anzufertigen.
Es ist kein Zweifel, daß Krupp bei der jetzigen Arbeitsteilung sehr schnell und geschickt ausgezeichnete Kanonen herstellt, ebenso schnell und geschickt bunte Seidenzeuge, SS— Parfums, Atlaskarten, den Teint erhaltenden Puder, Pochow — vorzüglichen Schnaps usw., und daß dieses sowohl für die Konsumenten dieser Artikel, als auch für die Fabriksbesitzer sehr vorteilhaft ist.
Aber die Kanonen, Parfüms und Schnäpse erscheinen nur denen wünschenswert, die die chinesischen Märkte gewinnen wollen oder den Trunk lieben, oder mit der Erhaltung ihres Teints beschäftigt sind; es wird jedoch auch Leute geben, die die Fabrikation dieser Gegenstände für schädlich halten werden. Und wenn man auch diese Gegenstände beiseite läßt, so wird es immer Leute geben, die finden werden, daß Ausstellungen, Akademien, Bier und Fleisch unnütz und sogar schädlich sind. Wie soll man diese Menschen zwingen, an der Herstellung derartiger Gegenstände teilzunehmen?
Aber wenn die Menschen sogar ein Mittel ausfindig machen sollten, das Einverständnis aller zur Herstellung gewisser Gegenstände zu erlangen — wenn schon es ein solches Mittel nicht gibt und nicht geben kann, es sei denn der Zwang (4) — wer soll denn in einer freien Gesellschaft, ohne Konkurrenz oder Angebot und Nachfrage, wer soll es denn bestimmen, welcher Produktion die Kräfte vorzugsweise zugeführt werden sollen: was zuerst, was später gemacht werden soll? Soll man zuerst die Sibirische Eisenbahn bauen und dann Port Arthur befestigen und dann erst auf dem flachen Lande Chausseen anlegen, oder umgekehrt? Was soll man zuerst einrichten: elektrische Beleuchtung oder Felderberieselung?
Und dann kommt noch die, bei der Freiheit der Arbeiter unlösbare Frage: wie sollen die einzelnen Arbeiten verteilt werden? Es ist klar, daß es jedermann angenehmer sein wird, sich mit Wissenschaften zu beschäftigen oder zu zeichnen, als Heizer oder Kloakenreiniger zu sein. Wie soll man diese Verteilung zur allgemeinen Zufriedenheit ausführen?
Auf diese Fragen kann keine Statistik eines sozialistischen Staates eine Antwort geben. Nur eine theoretische Lösung dieser Fragen ist möglich: es werden Leute da sein, denen die Macht gegeben sein wird, über alles das zu verfügen. Die einen Menschen werden diese Frage lösen, und die anderen werden gehorchen.
Aber außer der Verteilung und der Richtung der Produktion und der Wahl der Arbeit, tritt bei der Verstaatlichung der Produktionswerkzeuge noch eine und die allerwichtigste Frage auf; die Frage, wie weit die Arbeitsteilung in einer staatssozialistisch organisierten Gesellschaft durchzuführen sein wird?
Die jetzt bestehende Arbeitsteilung basiert auf der Not der Arbeiter. Der Arbeiter ist bereit, sein ganzes Leben unter der Erde zu verbringen, oder sein Leben lang ein Hundertstel eines Gegenstandes anzufertigen, sein ganzes Leben lang mitten im Getöse der Maschinen eine einzige Armbewegung zu machen — nur weil er sonst seinen Lebensunterhalt nicht finden würde. Aber der Arbeiter, der angeblich selbst Besitzer der Produktionswerkzeuge ist und daher keine Not leidet, wird nur durch Zwang dazu zu bewegen sein, sich in die, alle Seeleneigenschaften tötenden, verdummenden Verhältnisse der Arbeitsteilung zu finden, wie sie jetzt herrscht. Die Arbeitsteilung ist ohne Zweifel sehr vorteilhaft und den Menschen auch eigentümlich. Wenn die Menschen aber frei sind, ist die Teilung der Arbeit nur bis zu einem gewissen, von unserer Gesellschaft schon längst überschrittenen Grade möglich.
Wenn ein Bauer hauptsächlich das Schuhmacherhandwerk treibt, seine Frau webt, ein anderer Bauer ackert, der dritte schmiedet, und sie alle eine ausschließliche Geschicklichkeit in ihrer Arbeit erwerben und dann ihre Erzeugnisse gegenseitig austauschen, so ist eine Teilung für alle vorteilhaft, und freie Menschen werden ganz natürlich ihre Arbeit so untereinander verteilen. Aber eine Arbeitsteilung, bei welcher ein Arbeiter sein ganzes Leben lang nur den hundertsten Teil eines Gegenstandes anfertigt, oder ein Heizer in der Fabrik bei einer Temperatur von 50 Grad arbeitet, an schädlichen Gasen erstickend, — eine solche Arbeitsteilung ist für die Menschen unvorteilhaft, obgleich dabei wichtige Dinge gewonnen werden, das köstlichste Ding aber, das menschliche Leben, untergraben wird. Und daher kann eine Arbeitsteilung, wie sie jetzt existiert, nur als Folge eines Zwanges existieren.
Rodbertus sagt, daß die Arbeitsteilung die Menschheit kommunistisch verbindet. Das ist richtig, aber nur eine freie Arbeitsteilung, d.h. eine solche, bei der die Menschen sich freiwillig in eine Arbeit teilen, verbindet die Menschheit.
Wenn die Menschen beschlossen haben, eine Straße zu bauen, und der eine gräbt, der andere Steine herbeischafft, der dritte die Steine zerschlägt u.s.w., so verbindet eine solche Arbeitsteilung die Menschen. Aber wenn, unabhängig von dem Willen der Arbeiter, oft auch gegen ihren Willen, eine strategische Eisenbahn gebaut wird, oder der Eiffelturm, oder alle die Dummheiten, von denen die Pariser Weltausstellung voll war, errichtet werden, und der eine Arbeiter gezwungen ist, Eisen zu gewinnen, der andere Kohle zu fördern, der dritte das Eisen zu gießen, der vierte Bäume zu fällen, der fünfte sie zu behauen, ohne daß einer von ihnen auch nur die geringste Ahnung von der Bestimmung der von ihm bearbeiteten Gegenstände hat, so verbindet eine solche Arbeitsteilung nicht nur nicht die Arbeiter untereinander, sondern im Gegenteil, sie trennt sie.
Und daher werden bei der Verstaatlichung der Erwerbswerkzeuge die Menschen, wenn sie frei sein werden, nur eine solche Arbeitseinteilung akzeptieren, bei der der Nutzen von der Teilung ein größerer sein wird, als der Schaden, den dieselbe den Arbeitern zufügt.
Da aber jeder Mensch ganz natürlich sein Wohl in der Erweiterung und Mannigfaltigkeit seiner Tätigkeit sicht, so wird offenbar eine Arbeitsteilung, wie sie jetzt existiert, in einer freien Gesellschaft unmöglich sein.
Sobald nun aber die jetzige Verteilung der Arbeit sich ändert, so wird sich auch in sehr bedeutendem Maße die Produktion der Gegenstände verringern, die wir jetzt benutzen und die, wie man annimmt, im sozialistischen Staate die ganze Gesellschaft benutzen wird.
Anzunehmen, daß bei der Verstaatlichung der Produktionswerkzeuge derselbe Überfluß der Produktion durch die zwangsweise Verteilung der Arbeit erreicht werden wird, ist dasselbe, wie die Annahme, daß nach der Aufhebung der Leibeigenschaft dieselben Hausorchester, Gärten, Teppiche, Spitzen, Theater bleiben sollten, die nur durch die Ausnützung der Arbeit des Leibeigenen möglich gewesen wären. So enthält denn die Annahme einen offenbaren inneren Widerspruch, daß bei der Verwirklichung des staatssozialistischen Ideals alle Menschen frei werden und zugleich alles das, oder fast alles das besitzen werden, was jetzt die wohlhabenden Klassen genießen.
7. Kultur oder Freiheit?
Es wiederholt sich genau dasselbe, was zur Zeit der Leibeigenschaft geschah. Wie damals die Mehrzahl der Besitzer von Leibeigenen und überhaupt die der besitzenden Klasse die Lage der Leibeigenen zwar als eine nicht ganz gute anerkannte, aber zu der Besserung derselben nur solche Änderungen vorschlug, die den hauptsächlichsten Vorteil des Gutsbesitzers nicht beeinträchtigten, — so erkennen auch jetzt die besitzenden Klassen zwar an, daß die Lage der Arbeiter eine nicht ganz gute sei, schlagen aber zur Verbesserung derselben nur solche Maßnahmen vor, die die vorteilhafte Lage der besitzenden Klassen nicht beeinträchtigen.
Wie damals der wohlgesinnte Gutsbesitzer von der väterlichen Gewalt sprach und, wie Gogolj, den Gutsbesitzern anriet, gütig zu sein und für ihre Leibeigenen zu sorgen, aber den Gedanken an die Befreiung, die ihm schädlich und gefährlich erschien, überhaupt nicht zuließ, — genau ebenso rät auch jetzt die Mehrzahl der Besitzenden den Arbeitgebern an, für das Wohl ihrer Arbeiter zu sorgen, läßt aber ebenso nicht einmal den Gedanken an eine derartige Änderung der wirtschaftlichen Lage zu, die die Arbeiter vollständig frei machen könnte.
Und wie damals die liberalen Fortschrittler den Stand der Leibeigenen zwar als einen unabänderlichen ansahen, aber von der Regierung die Beschränkung der herrschaftlichen Gewalt verlangten und der Aufwiegelung der Leibeigenen sympathisch gegenüberstanden, so erkennen auch die Liberalen unserer Zeit die bestehende Ordnung als eine unabänderliche an, verlangen jedoch von der Regierung eine Beschränkung der Gewalt der Kapitalisten und Fabrikanten und sympathisieren mit den Vereinen, Strikes und überhaupt jeder Bewegung unter den Arbeitern.
Und wie damals die Radikalen die Befreiung der Leibeigenen forderten, diese aber dennoch von den Grundeigentümern in dieser oder jener Weise abhängig wissen wollten, so verlangen auch die jetzigen Radikalen die Befreiung der Arbeiter von den Kapitalisten, die Verstaatlichung der Produktionswerkzeuge, belassen aber dabei die Arbeiter in der Abhängigkeit von der heutigen Verteilung und Teilung der Arbeit, die ihrer Meinung nach unabänderlich bleiben müssen.
Die Lehre der Nationalökonomie, zu der sich, oft ohne in die Detailis einzudringen, alle sich für gebildet und aufgeklärt haltenden und wohlhabenden Leute bekennen, erscheint bei oberflächlicher Betrachtung liberal, ja sogar radikal, indem sie die reichen Klassen der Gesellschaft angreift; ihrem Wesen nach ist aber diese Lehre im höchsten Grade konservativ, roh und grausam.
So oder anders wolllen die Vertreter der Wissenschaft und mit ihnen alle wohlhaben den Klassen um jeden Preis die jetzt bestehende Distribution und Teilung der Arbeit retten, weil sie die Möglichkeit geben, jene große Anzahl von Gegenständen zu erzeugen, die ihnen zu gute kommen.
Die bestehende wirtschaftliche Ordnung nennen die Vertreter der Wissenschaft und mit ihnen alle Mitglieder der wohlhabenden Klassen — Kultur, und erblicken in dieser Kultur, in den Eisenbahnen, Telegraphen, Telephonen, Photographien, Röntgenstrahlen, Kliniken, Ausstellungen, hauptsächlich aber in den Mitteln des Komforts, etwas so Geheiligtes, daß sie überhaupt den Gedanken an irgendwelche Änderungen, die alles das, oder auch nur einen geringen Teil dieser Errungenschaften vernichten könnten, nicht zulassen wollen.
Alles kann man, den Lehren dieser Wissenschaft nach, ändern, aber nur nicht das, was sie die Kultur nennen. Und doch offenbart es sich immer mehr und mehr, daß diese Kultur nur dank des Zwanges der Arbeiter zur Arbeit existieren kann. Aber die Vertreter der Wissenschaft sind so überzeugt davon, daß diese Kultur das höchste der Güter sei, daß sie dreist das Gegenteil davon behaupten, was früher die Juristen sagten. Fiat justitia — pereat mundus (5) so sagte man früher: Jetzt hieißt es: fiat cultura — pereat justitia.
Und es heißt nicht nur so, sondern es wird auch so gehandelt. Man kann alles sowohl in der Praxis, als auch in der Theorie ändern. Aber nur nicht die Kultur, nur nicht alles das, was in den Fabriken geschieht, und vor allem nicht, was in den Magazinen verkauft wird.
Ich aber glaube, daß aufgeklärte Menschen, die sich zur christlichen Lehre von der Brüderlichkeit und Nächstenliebe bekennen, etwas ganz Entgegengesetztes sagen müßten: Die elektrische Beleuchtung, die Telephone, Ausstellungen, Konzertgärten, Schaustellungen, Zigarren, Zündholzdosen, Armbänder, Automobile — das ist alles sehr schön; aber hol das alles der Kuckuck, und nicht nur das, sondern auch alle Eisenbahnen und Fabrikstoffe der Welt, wenn es zu ihrer Herstellung nötig ist, daß neunundneunzig Hundertstell der Menschen in Sklaverei verfallen und Tausende in den dazu nötigen Werkstätten hinsiechen.
Wenn es dazu, daß London und Petersburg elektrisch beleuchtet sind, oder daß man Äusstellungsgebäude erbaut, oder daß es schöne Farben gibt, oder daß schnell und viel schöne Stoffe gewebt werden, — wenn es dazu notwendig ist, daß auch nur die geringste Anzahl von Leben geopfert oder verkürzt wird (die Statistik zeigt uns aber, wieviele solcher Leben geopfert werden), so mögen London und Petersburg mit Gas oder Öl beleuchtet werden, so möge es gar keine Ausstellungen, Farben und Stoffe geben, wenn es nur keine Sklaverei gibt und keine damit verbundene Aufopferung von Menschenleben.
Wahrhaft aufgeklärte Menschen werden es immer vorziehen, zu den primitivsten Beförderungsmitteln zurückzukehren, meinetwegen sogar die Erde mit Stöcken und Händen zu graben, als auf Eisenbahnen zu fahren, die regelmäßig jährlich so und so viel Menschen nur darum überfahren, weil die Besitzer der Bahnen es für vorteilhafter halten, den Familien der Getöteten Entschädigungen zu zahlen, als die Eisenbahnen so zu bauen, daß keine Menschen überfahren werden können, wie es in Chicago geschieht.
Die Devise der wahrhaft aufgeklärten Menschen ist nicht: fiat cultura — pereat justitia, sondern: fiat justitia — pereat cultura.
Aber die Kultur, die nützliche Kultur, wird auch gar nicht vernichtet werden. Die Menschen werden in keinem Falle zum Graben der Erde mit den Händen und zur Beleuchtung durch Kienspäne zurückkehren müssen. Nicht umsonst hat die Menschheit bei ihrer sklavischen Organisaton so große Forschritte in der Technik gemacht. Wenn nur die Menschen begreifen, daß man zu seinen Vergnügungen nicht das Leben seiner Brüder ausnützen darf, so werden sie es schon verstehen, alle Fortschritte der Technik so anzuwenden, daß dadurch nicht das Leben ihrer Brüder aufgezehrt wird. Sie werden es schon verstehen, alle die errungenen Machtmittel über die Natur so auszunützen, daß dazu die Sklaverei ihrer Bruder nicht notwendig sein wird.
8. Die Sklaverei unter uns
Stellen wir uns einen Menschen vor, der aus völlig fremdem Lande kommt, nicht die geringste Vorstellung von unserer Geschichte und unseren Gesetzen hat, und den man fragt, nachdem man ihm unser Leben in seinen mannigfachsten Manifestationen gezeigt hat, welchen Hauptunterschied er in der Lebensweise der Menschen unserer Welt erblickte.
Der Hauptunterschied in der Lebensweise der Menschen, auf den dieser Fremdling weisen wird, wird der sein, daß die einen — eine geringe Anzahl von Menschen — reine, weiße Hände haben, sich gut nähren, gut kleiden, gute Wohnungen haben, sehr wenig und leicht, oder überhaupt gar nicht arbeiten und sich nur zerstreuen und unterhalten, indem sie für Unterhaltung Millionen von schweren Arbeitstagen der anderen Menschen verausgaben. Die anderen aber, immer schmutzig, arm gekleidet, in ärmlichen Wohnungen, ärmlich genährt, mit schwieligen, schmutzigen Händen arbeiten vom Morgen bis zum Abend ununterbrochen für die, die nicht arbeiten und sich nur amüsieren.
Zwischen den Skllaven und den Sklavenbesitzern unserer Zeit ist es vielleicht schwer, eine so scharfe Trennungslinie zu ziehen, wie sie früher die Sklaven von den Sklavenbesitzern trennte, und es gibt unter den Sklaven unserer Zeit auch solche, die nur zeitweilig Sklaven sind und dann selbst Sklavenbesitzer werden, oder auch solche, die zu gleicher Zeit Sklaven und Sklavenbesitzer sind. Aber diese Vermischung der einen und anderen Kategorie in ihren Berührungspunkten erschüttert in keiner Weise die Wahrheit des Satzes, daß die ganze Menschheit unserer Zeit in Sklaven und Herren ebenso scharf geteilt ist, wie sich vierundzwanzig Stunden trotz der Dämmerung in Tag und Nacht teilen.
Wenn der Sklavenbesitzer unserer Zeit keinen Sklaven Iwan hat, den er in den Abort schicken kann, seine Exkremente zu entfernen, so hat er drei Rubel, welcher Hunderte von Iwans so sehr bedürfen, daß der Sklavenbesitzer unserer Zeit sich nach Belieben einen von den Hunderten auswählen kann und diesem noch dadurch eine Wohltat erweist, daß er es gerade ihm vor allen anderen erlaubt, in die Abortgrube zu steigen.
Sklaven sind in unserer Zeit nicht nur alle die Fabriksarbeiter, die sich ganz und gar in die Gewalt der Fabriksherren begeben müssen, um existieren zu können, Sklaven sind auch fast alle Ackerbauern, die unermüdlich auf fremden Feldern fremdes Korn säen und ernten und ihre eigenen Felder nur dazu bebauen, um die Prozente von untilgbaren Schulden an die Banken zu zahlen. Ebensolche Sklaven sind auch alle die unzähligen Köche, Lakais, Stubenmädchen, Hausknechte, Kutscher, Badediener, Kellner usw., die ihr ganzes Leben lang die dem menschlichen Wesen fremdesten und ihnen selbst widerwärtigsten Pflichten erfüllen.
Die Sklaverei besteht in ihrer vollen Kraft, aber wir erkennen sie nur nicht an, ebensowenig wie in Europa am Ende des achtzehnten Jahrhunderts die Leibeigenschaft als Sklaverei anerkannt wurde. Die Menschen jener Zeit meinten, daß die Lage der Leute, die verpflichtet waren, den Acker ihrer Herren zu bebauen und ihren Herren zu gehorchen, eine natürliche und unumgängliche Lebensbedingung sei, und sie hielten diesen Zustand für keine Sklaverei.
Dasselbe geschieht auch unter uns: die Menschen unserer Zeit halten die Lage der Arbeiter für eine natürliche, unumgängliche wirtschaftliche Bedingung und nennen sie nicht Sklaverei. Und wie gegen Ende des achtzehnten Jahrhunderts die Menschen in Europa allmählich zu begreifen anfingen, daß das, was früher als eine natürliche und unumgängliche Form des wirtschaftlichen Lebens erschienen war, wie die Lage der Bauern, die sich in der vollen Gewalt der Herren befanden, nicht gut, nicht gerecht, nicht moralisch sei und eine Änderung verlange, — so beginnen auch die Menschen unserer Zeit zu begreifen, daß die früher gesetzlich und normal erschienene Lage der Arbeiter nicht so sei, wie sie sein müsse, und daß sie einer Änderung bedürfe.
Die Sklaverei unserer Zeit befindet sich in derselben Phase, in welcher sich gegen Ende des achtzehnten Jahrhunderts in Europa die Leibeigenschaft befand, in dem zweiten Viertel des neunzehnten Jahrhunderts in Amerika die Sklaverei und um dieselbe Zeit bei uns in Rußland wiederum die Leibeigenschaft.
Die Arbeitersklaverei unserer Zeit beginnt erst eben von den fortschrittlichsten Menschen unserer Gesellschaft erkannt zu werden; die meisten aber sind noch völlig überzeugt, daß unter uns überhaupt keine Sklaverei existiert. Die Menschen unserer Zeit werden in dem Mißverstehen ihrer Lage noch dadurch bestärkt, daß wir erst vor kurzem in Rußland und in Amerika die Sklaverei aufgehoben haben. In Wirklichkeit aber war die Aufhebung der Leibeigenschaft und der Sklaverei nur das Aufheben einer veralteten und unnütz gewordenen Form der Sklaverei und der Ersatz dieser Form durch eine neue, festere und eine größere Anzahl von Sklaven, als die frühere Form der Sklaverei umfaßte.
Die Aufhebung der Leibeigenschaft und der Sklaverei ähnelte dem, was die Krimschen Tataren mit ihren Gefangenen machten, wenn sie ihnen die Sohlen aufschnitten und gehackte Borsten hineintaten. Nach dieser Operation pflegten sie den Gefangenen die Ketten und Fußschelten abzunehmen.
Die Aufhebung der Leibeigenschaft in Rußland und der Sklaverei in Amerika beseitigte zwar die frühere Form, aber nicht das Wesen der Sklaverei und wurde zudem erst dann vorgenommen, als die Borsten in den Sohlen schon Geschwüre gezeitigt hatten und man vollständig sicher sein konnte, daß die Gefangenen auch ohne Ketten und Schellen nicht weglaufen, sondern arbeiten würden.
Die Nordstaaten Amerikas verlangten darum so kühn die Vernichtung der alten Sklaverei, weil unter ihnen die neue, die Geldsklaverei, schon offenbar das Volk umfangen hatte. Die Südstaaten erblickten noch keine sicheren Anzeichen der neuen Sklaverei und zauderten daher, die alte abzuschaffen.
Bei uns in Rußland wurde die Leibeigenschaft erst dann aufgehoben, als die Ländereien schon alle annektiert waren. Wenn den Bauern aber auch einiges Land gegeben wurde, so wurden sie mit Steuern belastet, die die Bodensklaverei ersetzten.
In Europa begann man die Steuern, durch die das Volk in Sklaverei gehalten wurde, erst dann aufzuheben, als das Volk schon proletarisiert, des Ackerbaus entwöhnt und durch die Ansteckung von städtischen Bedürfnissen in vollständige Abhängigkeit von den Kapitalisten versetzt worden war. Erst dann wurden in England die Getreidesteuern aufgehoben. Jetzt beginnt man in Deutschland und in anderen Ländern nur darum die Steuern von den Arbeitern auf die Reichen abzuwälzen, weil die Mehrheit des Volkes sich schon in der Gewalt der Kapitalisten befindet.
Das eine Mittel der Sklaverei wird vom Staat immer nur dann beseitigt, wenn es bereits durch ein anderes ersetzt worden ist.
Dieser Mittel aber gibt es mehrere. Und Wenn nicht das eine, so ist es das andere derselben, oder es sind gar mehrere zusammen, die das Volk in Sklaverei halten, d.h. es in jene Lage versetzen, in welcher der eine, kleinere Teil der Menschen die vollständige Gewalt über die Arbeit und das Leben des größeren Teiles der Menschen hat. In dieser Knechtung des größeren Teiles eines Volkes durch den kleineren, besteht eben die wichtigste Ursache der elenden Lage des Volkes.
Und daher muß das Mittel zur Besserung der Lage der Arbeiter darin bestehen, daß erstens anerkannt wird, daß die Sklaverei in unserer Gesellschaft existiert — und zwar nicht in irgendeinem übertragenen, metaphorischen Sinne, sondern in dem allereinfachsten und direktesten Sinne —, eine Sklaverei, die die einen Menschen, die Mehrheit, in der Gewalt der anderen, der Minderheit, hält; daß zweitens, nachdem das Bestehen der Sklaverei zugegeben worden ist, die Ursachen der Knechtung der einen Menschen durch die anderen gefunden werden; daß drittens diese Ursachen, nachdem sie gefunden worden sind, vernichtet werden. Darin besteht das einzige Mittel zur Besserung der Lage der Arbeiter.
9. Worin besteht die Sklaverei?
Worin besteht denn die Sklaverei unserer Zeit? Was und welche Kräfte machen die einen Menschen zu Sklaven der anderen?
Wenn wir alle Arbeiter, sowohl in Rußland, wie auch in Europa und Amerika, sowohl in den Fabriken, wie auch in verschiedenen anderen Dienststellungen in den Städten und auf dem Lande danach fragen, was sie gezwungen habe, die Lage zu wählen, in der sie sich befinden, so werden sie alle sagen, daß sie dazu geführt hat: entweder der Umstand, daß sie kein Land hätten, auf dem sie leben und arbeiten könnten (das werden alle russischen Arbeiter und sehr viele von den europäischen sagen); oder daß man von ihnen direkte oder indirekte Steuern verlangte, die sie nicht anders zahlen könnten, als wenn sie fremde Arbeit verrichteten; oder auch noch, daß die Verführungen luxuriöserer Lebensweise, an die sie stich gewöhnt hätten, und die sie nur durch den Verkauf ihrer Arbeit und ihrer Freiheit bestreiten könnten, sie in den Fabriken zurückhielten.
Die beiden ersten Umstände, der Mangel an Land und die Steuern, treiben gleichsam den Menschen in die unfreie Lage, der dritte Umstand — die unbefriedigten erhöhten Bedürfnisse locken ihn in diese Lage und halten ihn dann in derselben zurück.
Man kann sich nach dem Projekt Henry Georges die Befreiung des Bodens von dem Rechte persönlichen Eigentums vorstellen, und somit die Beseitigung des ersten Umstandes der die Menschen in die Sklaverei treibt — des Mangels an Land. Man kann sich auch die Aufhebung der Steuern vorstellen, ihre Überwälzung auf die Reichen, wie das jetzt in einigen Ländern auch geschieht.
Aber eines kann man sich nichht vorstellen: daß bei der jetzigen wirtschaftlichen Lage ein Zustand möglich Wäre, bei dem unter den reichen Menschen nicht immer luxuriöse und luxuriösere, oft schädliche Gewohnheiten um sich greifen und dann nicht unaufhaltsam unfehlbar wie das Wasser in die trockene Erde, in die mit den Reichen in Berührung kommenden Arbeiterklassen eindringen würden. Dieses kann man sich nicht vorstellen. Unaufhaltsam schreitet der Luxus fort, infiziert zuerst die Wohlhabenden und wird dann auch zum Bedürfnis, zu dessen Befriedigung die Arbeiter bereit sind, ihre Freiheit zu verkaufen.
So bildet denn dieser dritte Umstand, ungeachtet seiner Willkürlichkeit — denn man sollte doch meinen, daß der Mensch den Verführungen auch widerstehen könnte —, ungeachtet dessen, daß die Wissenschaft ihn garnicht als eine Ursache des Elends der Arbeiter anerkennt, so bildet denn dieser dritte Umstand dennoch die hartnäckigste und unbezwingbarste Ursache der Sklaverei.
Die Arbeiter, die in der Nähe von reichen Leuten leben, werden immer durch neue Bedürfnisse angesteckt und können diese Bedürfnisse nur in dem Maße befriedigen, in dem sie für diese Befriedigung die angestrengteste Arbeit hingeben. Sodaß die Arbeiter in England und Amerika, die oft zehnmal mehr erhalten, als zur Existenz nötig ist, fortfahren, ebensolche Sklaven zu bleiben, wie sie es früher waren.
Drei Ursachen erzeugen, nach der Erklärung der Arbeiter selbst, die Sklaverei, in der sie sich befinden; und die Geschichte der Knechtung der Arbeiter, als auch die Tatsache ihrer jetzigen Lage bestätigen die Richtigkeit dieser Erklärung.
Alle Arbeiter sind in ihre gegenwärtige Lage gebracht und werden in derselben erhalten durch diese drei Ursachen. Diese Ursachen sind, indem sie auf die Menschen von verschiedenen Seiten einwirken, derart, daß kein Mensch sich ihrer Einwirkung entziehen kann.
Der Ackerbauer, wenn er gar kein Land hat oder nicht im nötigen Umfange, wird immer gezwungen sein, um sich von dem Lande ernähren zu können, sich in ständige oder zeitweilige Sklaverei derer zu begeben, die im Besitze des Landes sind.
Wenn er aber auf diese oder jene Weise sich so viel Land beschafft, daß er imstande wäre, sich auf demselben durch seine Arbeit zu ernähren, so werden von ihm auf direktem Wege soviel Steuern verlangt werden, daß er zu deren Zahlung wieder gezwungen sein wird, sich in Sklaverei zu begeben.
Wenn er aber, um sich von der Sklaverei auf dem Lande zu befreien, aufhört, das Land zu bebauen und, auf fremdem Lande lebend, sich mit einem Handwerk zu beschäftigen anfängt, indem er für seine Erzeugnisse die Gegenstände, die er braucht, eintauscht, so werden ihn einerseits die Steuern, andererseits die Konkurrenz der Kapitalisten, die dieselben Gegenstände wie er mit vervollkommten Werkzeugen produzieren, dazu zwingen, sich in ständige oder zeitweilige Abhängigkeit zu dem Kapitalisten zu begeben.
Wenn er aber bei dem Kapitalisten arbeitet, nur zu diesem in ein Verhältnis treten könnte, bei welchem er sich seiner Freiheit nicht zu begeben brauchte, so würden ihn doch die sich unabweisbar aufdrängenden neuen Gewohnheiten und Bedürfnisse über kurz oder lang dazu zwingen, auf diese Freiheit zu verzichten.
So wird denn der Arbeiter so oder anders immer in die Sklaverei jener Menschen geraten, die über die Steuern, den Boden und die Gegenstände verfügen, die zur Befriedigung seiner Bedürfnisse notwendig sind.
10. Die Gesetze betreffs der Steuern
Die deutschen Sozialisten haben die Gesamtheit aller Ursachen, die die Arbeiter unter die Gewalt der Kapitalisten stellen, das eiserne Gesetz des Arbeitslohnes genannt, indem sie mit der Bezeichnung "eisern" sagen wollen, daß dieses Gesetz etwas unabänderliches sei.
Aber diese Ursachen haben nichts Unabänderliches an sich. Diese Ursachen sind nur die Folgen menschlicher Gesetze bezüglich der Steuern, des Bodens und vor allem der zur Befriedigung der Bedürfnisse dienenden Gegenstände, d.h. des Eigentums.
Gesetze aber werden von Menschen erdacht und wieder abgeschafft.
So sind es denn nicht irgend welche eiserne, soziologische, Gesetze, die die Sklaverei der Menschen verursachen, sondern einfache menschliche Gesetzgebungen. Nicht eiserne Elementargesetze sind es daher, die die Sklaverei unserer Zeit hervorgebracht haben, sondern — und das ist durchaus klar und sicher — menschliche Gesetzgebungen bezüglich des Bodens, der Steuern und des Eigentums.
Es existiert ein Gesetz, ein von Menschen erfundenes Gesetz, demzufolge der Grund und Boden in beliebigem Umfange das Eigentum von Privatpersonen bilden und von einer Person an die andere durch Vererbung, Testament, Kauf übergehen kann; es existiert ein anderes Gesetz, demzufolge jeder Mensch die Steuern, die von ihm verlangt werden, unweigerlich zahlen muß; und es existiert ein drittes Gesetz, demzufolge jede beliebige Menge auf welchem Wege immer erworbener Gegenstände das unbestreitbare Eigentum derjenigen Menschen bildet, die sich im Besitze dieser Gegenstände befinden; und als Folge dieser Gesetze existiert die Sklaverei.
An alle diese Gesetze haben wir uns dermaßen gewöhnt, daß sie uns als ebenso natürliche Bedingungen des menschlichen Lebens erscheinen, — Bedingungen, an deren Gerechtigkeit und Notwendigkeit nicht der geringste Zweifel bestehen kann — wie uns früher die Gesetze über Leibeigenschaft und Sklaverei erschienen; wir sehen in ihnen nichts Schlimmes. Aber wie eine Zeit gekommen war, wo die Menschen die schlimmen Folgen der Leibeigenschaft erkannten und an der Gerechtigkeit und Notwendigkeit der Gesetze, die diese Institution erhielten, zu zweifeln begannen, ebenso muß man auch jetzt, wo die schlimmen Folgen der jetzigen wirtschaftlichen Ordnung offenbar werden, unwillkürlich an der Gerechtigkeit und Notwendigkeit der Gesetze zweifeln, die diese Folgen gezeitigt haben: der Gesetze über den Boden, die Steuern und das Eigentum.
Wie man sich früher fragte, ob es gerecht sei, daß die einen Menschen den anderen angeboren und nichts ihr Eigen nennen durften, sondern alle Erzeugnisse ihrer Arbeit an ihre Herren abgeben mußten, so müssen auch wir uns jetzt fragen: ist es gerecht, daß die Menschen den Boden, der als Eigentum anderer gilt, nicht benutzen dürfen? Ist es gerecht, daß die Menschen in Form von Steuern an andere die Teile ihrer Arbeit abgeben müssen, die von ihnen verlangt werden? Ist es gerecht, daß die Menschen die Gegenstände nicht benützen dürfen, die als das Eigentum anderer gelten?
Ist es wahr, daß die Menschen den Boden nicht benutzen sollen, wenn er als Eigentum anderer Menschen, die ihn nicht bebauen, gilt?
Man pflegt zu sagen, daß dieses Gesetz darum geschaffen worden sei, weil das Grundeigentum eine notwendige Bedingung des Gedeihens der Landwirtschaft sei, und daß die Menschen einander von dem in Besitz genommenen Boden vertreiben würden, wenn kein vererbbares Privateigentum existieren würde, und daß niemand arbeiten würde, das Stück Land, auf dem er sitzt, zu kultivieren und zu verbessern.
Ist das wahr?
Die Antwort auf diese Frage geben die Geschichte und die Tatsachen der Gegenwart. Die Geschichte sagt, daß das Grundeigentum nichts weniger als durch die Absicht entstanden ist, die Kultivierung des Bodens zu sichern, sondern durch die Annektierung des im Allgemeinbesitz befindlichen Landes und die Verteilung desselben unter denen, die in den Diensten der Eroberer gestanden haben. So daß also die Schaffung des Grundeigentums nicht die Begünstigung der Ackerbauer zum Zwecke hatte.
Die Tatsachen aber zeigen die Unrichtigkeit der Behauptung, daß Grundeigentum den Ackerbauern die Garantie biete, daß ihnen der Boden, den sie bebauen, nicht genommen werden würde. Die Tatsachen zeigen, daß überall das Gegenteil geschah und geschieht. Das Recht des Grundeigentums, welches hauptsächlich den Großgrundbesitzern zu gute kommt, hat es bewirkt, daß alle oder wenigstens die große Mehrheit der Grundbesitzer sich jetzt in der Lage von Menschen befinden, die fremdes Land bebauen und von diesem Lande durch solche, welche es nicht bebauen, willkürlich vertrieben werden können.
So ist denn das heute zu Recht bestehende Grundeigentum nichts weniger als ein Schutz der Rechte des Ackerbauers, die Resultate der dem Boden gewidmeten Arbeit genießen zu können, sondern diese Einrichtung ist ein Mittel, den Menschen den Boden wegzunehmen, die ihn bearbeiten und ihn den Nichtarbeitenden zu übergeben. Und daher ist dieses Institut durchaus nicht ein Mittel zur Förderung des Ackerbaues, sondern im Gegenteil zur Schädigung desselben.
Von den Steuern wird behauptet, daß die Menschen sie zahlen müßten, weil die Steuern unter allgemeinem, wenn auch schweigsamen Einverständnis auferlegt und im öffentlichen Interesse zum Vorteil aller verbraucht würden.
Ist das wahr?
Auch auf diese Frage geben die Geschichte sowohl, als die Tatsachen der Gegenwart eine Antwort. Die Geschichte sagt, daß die Steuern niemals mit allgemeinem Einverständnis eingeführt wurden, sondern im Gegenteil immer nur in der Weise, daß die einen Menschen, nachdem sie durch Eroberung oder sonstige Mittel die Gewalt über andere Menschen gewonnen hatten, diesen letzteren feinen Tribut nicht im öffentlichen, sondern in ihrem eigenen Interesse, auferlegten. Das nämliche geschieht auch jetzt. Steuern treiben diejenigen Menschen ein, die die Macht dazu haben.
Wenn aber auch ein Teil dieses "Steuer" genannten Tributes jetzt zu öffentlichen Zwecken verbraucht wird, so sind diese Zwecke zum größten Teil derartige, daß sie für die Mehrzahl der Menschen eher schädlich als nützlich sind.
So wird zum Beispiel in Rußland dem Volke ein Drittel seines Gesamteinkommens abgenommen, für das wichtigste Bedürfnis aber, für den Volksunterricht nur ein Fünfzigstel der Einkünfte Verwandt, und noch dazu für einen Unterricht, der dem Volke, indem er es verdummt und borniert, mehr schadet als nützt. Die übrigen 49/50 werden für unnütze, und dem Volke schädliche Zwecke verwendet, wie für die Bewaffnung des Heeres, für strategische Eisenbahnen, Festungen, Gefängnisse, für den Unterhalt der Geistlichkeit, des Staates, für die Besoldung von Militär- und Zivilbeamten, d.h. für den Unterhalt der Menschen, die die Möglichkeit, dem Volke dieses Geld abzunehmen, unterstützen. (6)
Dasselbe geschieht nicht nur in Persien, in der Türkei, in Indien, sondern auch in allen christlichen konstitutionellen Monarchien und demokratischen Republiken: es wird der Mehrheit des Volkes nicht soviel Geld abgenommen, wie nötig ist, sondern soviel wie möglich ist, und das vollständig unabhängig von dem Einverständnis oder Nichteinverständnis der Besteuerten (alle wissen, wie die Parlamente zusammengesetzt werden und (wie wenig sie den Willen des Volkes repräsentieren). Und verwendet wird dieses Geld nicht zum allgemeinen Nutzen, sondern dazu, was die regierenden Klassen für sich nützlich halten; zum Kriege auf Kuba und den Philippinen, zum Raube der Reichtümer Transvaals usw.
So ist denn die Behauptung, daß die Menschen deswegen die Steuern bezahlen müßten, weil diese unter allgemeinem Einverständnis eingesetzt und zum allgemeinen Nutzen verbraucht würden, ebenso unrichtig, wie die, daß das Grundeigentum zur Förderung des Ackerbaues geschaffen sei.
Ist es wahr, dass die Menschen die Gegenstände, welche sie zur Befriedigung ihrer Bedürfnisse nötig haben, nicht benutzen sollen, wenn diese Gegenstände das Eigentum anderer Menschen bilden? Es wird behauptet, daß das Recht auf Eigentum an den erworbenen Gegenständen dazu eingesetzt sei, um dem Arbeiter die Garantie zu bieten, daß ihm niemand das Erzeugnis seiner Arbeit wegnimmt.
Ist das wahr?
Man braucht nur einen Blick darauf zu werfen, was in unserer Gesellschaft, wo das Eigentumsrecht besonders streng gewahrt wird, geschieht, um sich zu überzeugen, wie wenig die Tatsachen unseres Lebens diese Erklärung bestätigen.
In unserer Gesellschaft geschieht, infolge des Eigentumsrechtes an den erworbenen Gegenständen, gerade das, was durch dieses Recht vermieden werden soll, nämlich daß alle die Gegenstände, die von den Arbeitern erzeugt werden, denen, die sie erzeugen, je nach Maßgabe ihrer Fertigstellung abgenommen werden. So ist denn die Behauptung, daß das Eigentumsrecht den Arbeitern die Möglichkeit des Genusses der Erzeugnisse ihrer Arbeit garantiere, offenbar noch unrichtiger, als die Rechtfertigung des Grundeigentums und beruht auf demselben Sophismus. Zuerst wurden den Arbeitern ungerechterweise und gewaltsam die Erzeugnisse ihrer Arbeit abgenommen und dann Gesetze geschaffen, denen zufolge diese den Arbeitern ungerechter- und gewaltsamerweise abgenommenen Erzeugnisse als unantastbares Eigentum der Räuber anerkannt wurden.
Das Eigentum an einer durch eine Reihe von Betrügereien und Spitzbübereien an den Arbeitern erworbenen Fabrik wird als ein Erzeugnis der Arbeit betrachtet und ein geheiligtes Eigentum genannt; das Leben der Arbeiter aber, die sich durch die Arbeit in dieser Fabrik zu Grunde richten, und ihre Arbeit, werden nicht als ihr Eigentum betrachtet, sondern gewissermaßen als das Eigentum des Fabrikanten, sofern er, die Notlage der Arbeiter ausnutzend, sie auf eine gesetzlich erlaubte Weise gebunden hat.
Hunderttausende Pud Getreide, die durch Wucher und Erpressung den Bauern abgenommen sind, werden als das Eigentum des Kaufmannes angesehen; aber das von den Bauern kultivierte Getreide wird als das Eigentum eines anderen betrachtet, wenn dieser andere den von den Bauern bebauten Boden als Erbschaft von seinen Groß- und Urgroßvätern erhalten hat, die diesen Boden den nämlichen Bauern abgenommen hatten.
Es heißt, daß das Gesetz in gleicher Weise das Eigentum sowohl des Fabriksbesitzers, Kapitalsten oder Grundbesitzers, als auch des Fabriksarbeiters und des Ackerbauers schützt. Die Gleichheit zwischen dem Kapitalisten und dem Arbeiter ist die nämliche wie die Gleichheit zwischen zwei Kämpfern, von denen dem einen die Hände gefesselt, dem anderen aber Waffen gegeben wurden, während beim Prozesse des Kampfes beiden gegenüber gleich strenge Bedingungen gewährt sind.
So sind denn alle Behauptungen von der Gerechtigkeit und Notwendigkeit der drei genannten Gesetze ebenso falsch, wie die Erklärungen der Gerechtigkeit und Notwendigkeit der früheren Leibeigenschaft falsch waren. Alle diese drei Gesetzte sind nichts anderes als die Einsetzung jener neuen Form; der Sklaverei, die die alte ersetzt hat. Wie früher die Menschen aufgestellt hatten, daß die einen Menschen andere Menschen kaufen und verkaufen, über sie herrschen und sie zur Arbeit zwingen konnten, und dieses die Sklaverei ergab; so haben jetzt die Menschen Gesetze aufgestellt, daß die Menschen nicht das Land benützen dürfen, welches als das Eigentum eines anderen gilt, nicht die Gegenstände benützen, die als das Eigentum anderer angesehen werden, dagegen die Steuern zahlen müssen, die von ihnen verlangt werden, — und dieses ergibt die Sklaverei unserer Zeit.
11. Gesetze sind die Ursache der Sklaverei
Die Sklaverei unserer Zeit wird durch dreierlei Gesetze geschaffen: bezüglich des Bodens, bezüglich der Steuern und bezüglich des Eigentums. Und daher richten sich die Versuche der Menschen, die die Lage der Arbeiter bessern wollen, unwillkürlich, wenn auch unbewußt gegen diese drei Gesetze.
Die einen heben die Steuern auf, die auf den Arbeitern lasten, und übertragen sie auf die Reichen; die anderen wollen das Eigentum am Boden aufheben, und es gibt schon Versuche zur Realisierung dazu in Neuseeland und in einem der Staaten Nord-Amerikas (die Beschränkung des Verfügungsrechtes über den Boden in Irland ist ebenfalls ein Schritt dazu); die Dalitten, die Sozialisten, welche die Verstaatlichung der Produktionswerkzeuge erstreben, schlagen vor, die Einkünfte und Erbschaften zu besteuern und die Rechte der kapitalistischen Unternehmer zu beschränken.
Man sollte glauben, daß damit die nämlichen Gesetze abgeschafft werden, die die Sklaverei verursachen, und daß daher dieser Weg zur Vernichtung der Sklaverei führen sollte. Aber man braucht sich nur die Verhältnisse, unter denen diese Gesetze abgeschafft oder abgeschafft werden sollen, näher anzusehen, um sich zu überzeugen, daß alle und nicht nur die praktischen, sondern auch die theoretischen Projekte für Verbesserung der Lage der Arbeiter nur in dem Ersatz der einen Gesetze, die die Sklaverei herbeiführen, durch andere Gesetze, die eine neue Form der Sklaverei schaffen, bestehen.
Diejenigen zum Beispiel, die die Besteuerung der Armen abschaffen, indem sie zuerst die direkten Steuern aufheben und dann die Steuern von den Armen auf die Reichen überführen, müssen unbedingt das Eigentum am Boden, an den Produktionswerkzeugen und an anderen Gegenständen beibehalten, um auf diese die ganze Last der Steuern zu wälzen. Die Beibehaltung aber des Grund- und anderen Eigentums befreit zwar die Arbeiter von den Steuern, überliefert sie aber der Sklaverei der Großgrundbesitzer und Kapitalisten.
Diejenigen nun, die wie Henry George und seine Anhänger, das Eigentum an Grund und Boden aufheben, schlagen neue Gesetze bezüglich einer obligatorischen Bodenrente vor. Die obligatorische Bodenrente aber muß unumgänglich eine neue Sklaverei schaffen, denn der Mensch, der zur Zahlung der Rente oder einheitlichen Steuer gezwungen ist, wird bei jeder Mißernte, jedem Unglücksfall genötigt sein, Geld zu leihen bei dem, der es hat, und wird also wieder in die Sklaverei geraten.
Diejenigen endlich, die wie die Staatssozialisten, in ihrem Projekt das Eigentumsrecht am Boden und an den Produktionswerkzeugen abschaffen, behalten die Steuern bei und müssen außerdem notwendigerweise den Arbeitszwang einführen, errichten also wieder die Sklaverei in ihrer ursprünglichen Form in ihrem neuen Staat.
So sind denn bis jetzt in dieser oder jener Weise alle, sowohl praktischen, als auch theoretischen Abschaffungen von Gesetzen, welche die eine Form von Sklaverei erzeugten, immer durch neue Gesetze ersetzt worden, die die Sklaverei in einer anderen, neuen Form zur Folge hatten und haben müssen.
Es geschieht etwas dem ähnliches, was der Gefängniswärter macht, der die Ketten von dem Halse des Gefangenen auf die Hände, von den Händen an die Beine legt, oder sie ganz abnimmt, dafür aber die Verschlüsse und Gitter verstärkt.
Alle bis jetzt vorgenommenen Verbesserungen der Lage der Arbeiter waren von solcher Art.
Die Gesetze bezüglich des Rechtes der Herren, die Sklaven zur unfreiwilligen Arbeit zu zwingen, wurden durch Gesetze ersetzt, denen zufolge das ganze Land den Herren gehörte.
Die Gesetze bezüglich des Grundeigentums der Herren wurden durch Gesetze bezüglich der Steuern ersetzt, über die die Herren durch den Staat verfügen.
Die Gesetze bezüglich der Steuern wurden durch die Beschützung des Eigentumsrechtes an den Produktionswerkzeugen und den Gebrauchsgegenständen ersetzt.
Die Gesetze bezüglich des Eigentumsrechtes am Boden, an den Gegenständen des Konsums und den Produktionswerkzeugen sollen jetzt durch gesetzlichen Arbeitszwang ersetzt werden.
Die ursprüngliche Form der Sklaverei war der einfache Zwang zur Arbeit. Nachdem nun die Sklaverei den ganzen Kreislauf aller möglichen versteckten Formen: des Grundeigentums, der Steuern, des Eigentumsrechtes an den Gebrauchsgegenständen und den Produktionswerkzeugen gemacht hat, kehrt sie zu ihrer ursprünglichen Form, zum direkten Arbeitszwang — wenn auch in veränderter Gestalt — zurück.
Es ist daher klar, daß die Aufhebung eines Gesetzes, das die Sklaverei unserer Zeit erzeugt — der Steuern, des Grundeigentums oder des Eigentumsrechtes an den Produktionswerkzeugen und den Gebrauchsgegenständen — die Sklaverei nicht vernichten, sondern nur eine ihrer Formen aufheben wird, die sofort durch eine neue ersetzt werden würde, wie es mit der Aufhebung der persönlichen Sklaverei der Leibeigenschaft, mit der Aufhebung der Steuern war.
Selbst die gleichzeitige Aufhebung aller drei Gesetze würde die Sklaverei nicht vernichten, sondern nur eine neue Form hervorrufen, die uns noch unbekannt, sich schon jetzt allmählich bemerkbar macht in den Gesetzen, die die Freiheit der Arbeiter beschränken durch die Begrenzung der Arbeitszeit, des Alters, des Gesundheitszustandes, durch den Schulzwang, die obligatorische Teilnahme an Emeritur- und Krankenkassen, durch alle möglichen Maßregeln der Fabriksinspektion, durch die Zwangsregulative der Gewerkschaften usw. Alle diese Erscheinungen sind nichts anderes, als die Vorläufer einer neuen Gesetzgebung, die eine neue, noch nicht gekannte Form der Sklaverei durch den allmächtigen Staat vorbereiten.
So wird es denn klar, daß das Wesen der Sklaverei nicht in den drei Gesetzen liegt, auf denen sie jetzt basiert, und sogar überhaupt nicht in diesen oder jenen bestimmten Gesetzen, sondern darin, daß es überhaupt Gesetze gibt, daß es Menschen gibt, die die Möglichkeit haben, Gesetze zu schaffen, die für sie vorteilhaft sind. Und solange die Menschen diese Möglichkeit haben werden, wird es auch Sklaverei geben.
Früher war es den Menschen vorteilhaft, einfache Sklaven zu haben: und sie schufen Gesetze zum Zwecke der persönlichen Sklaverei. Dann wurde es vorteilhaft, eigenes Land zu besitzen, Steuern zu erheben, das erworbene Eigentum für sich zu behalten: und es wurden dem entsprechende Gesetze geschaffen. Jetzt ist es den Menschen vorteilhaft, die bestehende Distribution und Teilung der Arbeit aufrecht zu erhalten: und sie ersinnen Gesetze, die die Menschen zwingen sollen, bei der bestehenden Distribution und Teilung der Arbeit zu arbeiten.
Und daher bilden die Hauptursache der Sklaverei die Gesetze, — und daß es Menschen gibt, die Gesetze vorschreiben können.
12. Organisierte Vergewaltigung
Was sind die Gesetze und was gibt den Menschen die Möglichkeit, Gesetze aufzustellen?
Es existiert eine ganze Wissenschaft, älter, lügnerischer und nebeliger als die Nationalökonomie, deren Diener im Laufe der Jahrhunderte Millionen von — meist einander widersprechenden — Büchern geschrieben haben, um diese Fragen zu beantworten. Aber da der Zweck dieser Wissenschaft, ebenso wie der der Nationalökonomie, nicht darin besteht, zu erklären, was ist und was sein müßte, sondern darin, zu beweisen daß das was ist, auch sein muß, so kann man in dieser Wissenschaft sehr viel Raisonnements über das Recht, das Objekt und Subjekt, die Idee des Staates und über ähnliche Gegenstände finden, Raisonnements, die nicht nur den Schülern, sondern auch den Lehrern dieser Wissenschaft oft unverständlich sind, aber irgend eine klare Antwort auf die Frage, was das Gesetz sei, findet man nicht.
Nach der Wissenschaft ist das Gesetz der Ausdruck des Willens des ganzen Volkes; aber da es immer mehr Menschen gibt, die die Gesetze verletzen oder verletzen möchten, so ist es klar, daß die Gesetze keineswegs als die Willensäußerung des ganzen Volkes aufgefaßt werden können.
Es gibt zum Beispiel Gesetze, daß man die Telegraphenpfosten nicht beschädigen dürfe, daß man gewissen Menschen seine Ehrfurcht bezeugen müsse, daß jedermann seinen Militärdienst leisten und Geschworener sein müsse, oder daß man gewisse Gegenstände nicht über eine gewisse Grenze bringen dürfe, daß man nicht Land benutzen dürfe, welches als das Eigentum eines anderen gilt, daß man nicht Wertzeichen fabrizieren dürfe, daß man nicht Gegenstände benutzen dürfe, die als das Eigentum anderer gelten.
Alle diese und viele andere Gesetze sind in ihrer Gesamtheit sehr mannigfaltig und können die mannigfaltigsten Motive haben, keines von ihnen drückt aber den Willen des ganzen Volkes aus. Der gemeinsame Zug aller dieser Gesetze ist nur einer, und zwar der, daß diejenigen, die sie geschaffen haben, bewaffnete Menschen schicken werden, wenn irgend ein Mensch diese Gesetze nicht erfüllt, und daß diese bewaffneten Menschen den Übertreter schlagen, seiner Freiheit berauben oder sogar töten werden.
Wenn ein Mensch nicht den von ihm als Steuer verlangten Teil seiner Arbeit abgeben will, so werden bewaffnete Leute kommen, und ihm das entreißen, was von ihm verlangt wurde; wenn er aber Widerstand leistet, wird er geschlagen, seiner Freiheit beraubt, zuweilen sogar getötet werden.
Das nämliche wird dem Menschen passieren, der Boden benützen wird, der als das Eigentum eines anderen gilt.
Dasselbe wird mit dem Menschen geschehen, der Gegenstände benutzen will, die er zur Befriedigung seiner Bedürfnisse oder zu seiner Arbeit braucht, die aber für das Eigenturm eines anderen gehalten werden; es werden bewaffnete Menschen kommen, ihm das, was er genommen, wieder zu entreißen und sie werden ihn, wenn er Widerstand leistet, schlagen, seiner Freiheit berauben, oder sogar töten.
Und nichts anderes wird dem Menschen widerfahren, der der Person oder Institution, denen gegenüber es vorgeschrieben ist, seine Ehrfurcht zu bezeugen, diese nicht bezeugen wird, und nichts anderes dem, der die Forderung, Soldat zu werden, ablehnt, oder der Wertzeichen fabrizieren wird.
Für jede Nichterfüllung der bestehenden gesetzlichen Vorschriften werden die Schuldigen bestraft werden: sie werden von den Menschen, die die Gesetze geschaffen haben, geschlagen, ihrer Freiheit beraubt oder sogar getötet werden.
Es sind viele verschiedene Verfassungen ersonnen worden, angefangen von der englischen und amerikanischen bis zur japanischen und türkischen, (7) denen zufolge die Menschen glauben sollen, daß alle Gesetze, die in ihrem Staate gegeben werden, nach ihrem eigenen Willen gegeben werden. Aber alle wissen es, daß nicht nur in den despotischen, sondern auch in den angeblich freiesten Staaten, wie in England, Amerika, Frankreich usw., die Gesetze nicht nach dem Willen aller, sondern nur nach dem Willen derer gegeben werden, die im Besitze der Macht sind. Und daher gibt es immer und überall nur solche Gesetze, die denen, die im Besitze der Macht sind, vorteilhaft sind, — bestehen diese Machthaber nun aus vielen, mehreren oder auch nur einer Person.
Die Erfüllung der Gesetze wird aber immer und überall nur dadurch erreicht, wodurch man immer und überall die einen Menschen zwingt, den Willen der anderen zu tun, durch Schläge, Freiheitsentziehung und Mord, — wie es auch anders gar nicht sein kann.
Es kann aber nicht anders sein, weil die Gesetze einen Befehl bedeuten, gewisse Regeln zu erfüllen. Man kann aber die einen Menschen nicht anders zwingen, gewisse Regeln, d.h. das, was andere Menschen von ihnen wollen, zu erfüllen, als durch Schläge, Freiheitsentziehung und Mord. Wenn es Gesetze gibt, so muß es auch eine Macht geben, die die Menschen zwingen kann, diese Gesetze zu erfüllen. Die einzige Macht aber, die die Menschen zur Befolgung von Gesetzen, d.h. von dem, was der Wille anderer ist, zwingen kann, ist die Gewalt oder die Vergewaltigung. Nicht nur die einfache Gewalt, die die Menschen einander gegenüber in Augenblicken der Leidenschaft anwenden, sondern eine organisierte Vergewaltigung, die ganz bewußt von Menschen angewandt wird, die die Macht dazu haben, andere Menschen zu zwingen, stets die von ihnen festgesetzten Gesetze zu erfüllen, d.h. das, was sie, die ersteren, wollen.
Und daher besteht das Wesen der Gesetze durchaus nicht im Subjekt oder Objekt des Rechts, nicht in der Idee des Staates, nicht in dem gemeinsamen Willen des Volkes und ähnlichen vagen und verworrenen Begriffen, sondern darin, daß es Menschen gibt, die über ein organisiertes Vergewaltigungssystem verfügen, und die Möglichkeit haben, andere zur Erfüllung ihres Willens zu zwingen. So daß also eine genaue, allen verständliche und unbestreitbare Definition der Gesetze folgende sein wird: Gesetze sind Regeln, festgestellt von Menschen, die über ein von ihnen organisiertes Vergewaltigungssystem verfügen, deren Nichterfüllung die Schuldigen Schlägen, Freiheitsentziehung und sogar dem Tode aussetzt.
Diese Definition schließt auch die Antwort auf die Frage ein: Was gibt den Menschen die Möglichkeit, Gesetze aufzustellen?
Die Möglichkeit, Gesetze aufzustellen, wird durch dasselbe gegeben, was die Erfüllung der Gesetze garantiert — durch ein organisiertes Vergewaltigungssystem.
13. Was ist die Regierung?
Die Ursache der elenden Lage der Arbeiter ist die Sklaverei.
Die Ursache der Sklaverei sind die Gesetze.
Die Gesetze aber basieren auf dem organisierten Vergewaltigungssystem.
Und daher ist eine Besserung der Lage der Menschen nur durch die Vernichtung des organisierten Vergewaltigungssystems erreichbar.
Aber das Vergewaltigungssystem ist — die Regierung, und kann man denn ohne Regierung leben? Ohne Regierung wird ein Chaos, eine Anarchie entstehen, alle Fortschritte der Zivilisation werden untergehen und die Menschen werden zum ursprünglichen, wilden Zustand zurückkehren. Rührt nur die bestehende Ordnung der Dinge an, sagen gewöhnlich nicht nur die, denen diese Ordnung der Dinge vorteilhaft ist, sondern auch die, für die sie offenbar unvorteilhaft ist, die sich an diese Ordnung aber so gewöhnt haben, daß sie sich ein Leben ohne Vergewaltigungen von seiten der Regierung gar nicht vorstellen können, rührt nur diese Ordnung an, vernichtet die Regierung, und es wird das größte Unglück entstehen: Aufruhr, Raub und Mord, aus deren Folge die Herrschaft der Schlechten und die Unterjochung aller Guten kommen wird.
Aber, wenn man auch ganz beiseite läßt, daß alles dieses, d.h. Aufruhr, Raub und Mord und als deren Folge die Herrschaft der Schlechten und die Unterjochung der Guten, schon da gewesen ist und auch jetzt existiert, wenn man das auch beiseite läßt, so beweist die Annahme, daß der Umsturz der bestehenden Ordnung Aufruhr und Unruhen hervorrufen wird, noch nicht, daß diese Ordnung eine gute sei.
"Rührt nur an der bestehenden Ordnung und es wird das größte Unglück einbrechen".
Rührt nur an einem von den tausenden Ziegeln; die zu einer hochgebauten, schmalen Säule aufgeschichtet sind, und all die Ziegel werden zusammenstürzen und zerschlagen sein. Aber das, daß jeder herausgezogene Ziegel und jeder Stoß eine solche Säule und alle Ziegel zerstören würden, beweist noch durchaus nicht, daß es vernünftig sei, die Ziegel in einer so unnatürlichen und unbequemen Lage aufzubewahren, im Gegenteil, es beweist das, daß man die Ziegel nicht in einer solchen Säule halten, sondern so legen soll, daß sie eine sichere Lage haben und man sie benützen kann, ohne die ganze Einrichtung zu zerstören.
Dasselbe ist es auch mit der jetzigen Einrichtung der Staaten.
Die Einrichtung der Staaten ist eine sehr künstliche und unsichere, und daß der geringste Stoß dieselbe zerstören kann, beweist nicht, daß diese Einrichtung notwendig ist, sondern zeigt nur im Gegenteil, daß sie, wenn sie vielleicht einmal notwendig gewesen ist, jetzt ganz und gar nicht mehr nötig und daher schädlich und gefährlich ist.
Sie ist schädlich und gefährlich, weil bei dieser Einrichtung all das Übel, das in der Gesellschaft existiert, nicht nur nicht verringert und gebessert wird, sondern sich immer mehr vergrößert und befestigt. Und es vergrößert und befestigt sich, weil es entweder gerechtfertigt und in anziehende Formen gehüllt, oder verdeckt wird.
Die ganze Wohlfahrt der Völker, die wir in den durch Gewalt regierten, sogenannten wohlgeordneten Staaten zu sehen glauben, ist doch nur ein Schein — eine Fiktion. Alles, was den äußeren guten Eindruck stören könnte, alle Hungrigen, Kranken, abschreckend Lasterhaften, alle werden sie an Orten versteckt, wo man sie nicht sehen kann. Aber weil man sie nicht sieht, ist nicht bewiesen, daß sie nicht existieren; im Gegenteil, es gibt ihrer nur um so mehr, je mehr sie versteckt werden und je grausamer diejenigen zu ihnen sind, die sie hervorbringen.
Es ist wahr, daß jede Störung, um so mehr aber die Aufhebung der Tätigkeit der Regierung, d.h. des organisierten Vergewaltigungssystems, den schönen äußeren Schein des Lebens beeinträchtigen würde, aber es würde dadurch nicht die Zerstörung des Lebens hervorgerufen, sondern nur das aufgedeckt werden, was verborgen gewesen ist, und es würde dadurch die Möglichkeit einer Besserung eröffnet werden. Die Menschen dachten und glaubten bis heute, bis zum Ende des jetzigen Jahrhunderts, daß sie ohne eine Regierung nicht leben könnten. Aber das Leben schreitet fort, die Lebensbedingungen und die Anschauungen der Menschen ändern sich. Und ungeachtet der Anstrengungen der Regierungen, die darauf gerichtet sind, die Menschen in jenem kindlichen Zustand zu erhalten, in welchem es dem Beleidigten leichter scheint, wenn jemand da ist, dem er klagen könnte — ungeachtet dessen wachsen die Menschen, besonders die Arbeiter, nicht nur in Europa, sondern auch in Rußland, immer mehr und mehr aus ihrem Kindheitszustand heraus und beginnen die wahren Verhältnisse ihres Lebens zu verstehen.
"Ihr sagt, daß ohne Euch die Nachbarvölker, die Chinesen und Japaner uns unterjochen würden", sprechen jetzt schon Leute aus dem Volke, "aber wir lesen die Zeitungen und wissen, daß uns niemand mit Krieg bedroht, daß nur Ihr allein, ihr, die Regierenden, zu irgend welchen uns unverständlichen Zwecken einander reizt und erbost und dann unter dem Vorwande der Beschützung Eurer Völker Kriege anfangt, wie jetzt mit den friedliebenden Chinesen, indem Ihr uns ruiniert durch Steuern zur Unterhaltung von Flotten, zu Rüstungen und strategischen Bahnen, die nur Eurem Ehrgeiz und Eurer Ruhmsucht nützlich sind. Ihr sagt, daß Ihr zu unserem Wohle das Grundeigentum schützt, aber Eure Beschützung bewirkte nur, daß der ganze Grund und Boden in die Hände von nicht arbeitenden Kompagnien, Bankiers und Kapitalisten übergegangen ist und übergeht, während wir, die große Mehrheit des Volkes, ohne Land bleiben und in der Gewalt der Nichtarbeitenden sind. Ihr mit Euren Gesetzen über das Grundeigentum schützt nicht den Grundbesitz, sondern entreißt ihn denen, die arbeiten, ihr sagt, daß Ihr jedem Menschen das Erzeugnis seiner Arbeit sichert, tut aber genau das Gegenteil; alle Menschen, die kostbare Gegenstände produzieren, sind dank Eures Schutzes in eine Lage versetzt, in der sie nie den Wert ihrer Arbeit erhalten können und ihr ganzes Leben lang in vollständiger Abhängigkeit und in der Gewalt der nicht arbeitenden Menschen bleiben."
So beginnen die Menschen zu denken und zu einander zu sprechen.
Und das Erwachen aus dem Schlafzustande, in dem die Regierungen die Menschen gehalten haben, geschieht in einer sich immer verstärkenden Progression. Während der letzten fünf bis sechs Jahre hat sich die öffentliche Meinung des Volkes nicht nur in den Städten, sondern auch auf dem flachen Lande, nicht nur in Europa, sondern auch bei uns in Rußland ganz überraschend geändert.
Man sagt, daß ohne die Regierungen die Bildungs-, Erziehungs- und Wohlfahrtsanstalten, die alle brauchen, nicht existieren wurden. Aber warum soll man das annehmen? Warum soll man glauben, daß Nichtregierungsmenschen es nicht verstehen würden, für sich selbst ihr Leben ebensogut einzurichten, wie es die Regierungsmenschen nicht für sich selbst, sondern für andere einrichten?
Wir sehen im Gegenteil, daß zu unserer Zeit die Menschen unter den verschiedenstem Umständen sich selbst ihr Leben unvergleichlich besser einrichten, als es für sie die sie regierenden Menschen tun. Die Menschen bringen ohne jegliche Einmischung der Regierung und oft trotz der Einmischung derselben, alle möglichen gemeinnützigen Unternehmungen zustande: Arbeitervereine, Konsumvereine, Eisenbahngesellschaften, Genossenschaften, Syndikate.
Wenn zu einem öffentlichen Werke Sammlungen nötig sind, warum soll man denn glauben, daß freie Menschen nicht ohne Gewalt, sondern freiwillig die nötigen Mittel sammeln und alles das einrichten könnten, was mit Hilfe der Steuern eingerichtet wird — wenn nur diese Einrichtungen allen nützlich sind?
Warum soll man nicht glauben, daß auch Gerichte ohne Gewalt bestehen könnten? Ein Gericht, das aus Menschen besteht, zu denen die Streitenden Vertrauen haben, hat immer bestanden und wird bestehen und bedarf keiner Gewalttätigkeit.
Wir sind durch die lange Sklaverei so verbildet worden, daß wir uns eine Verwaltung ohne Gewalttätigkeit gar nicht vorstellen können. Es ist aber nicht wahr, daß sie nicht existieren kann.
Russische Bauerngemeinden, die in entfernte Gegenden, wo die Regierung sich in ihre Angelegenheiten nicht einmischt, auswandern, richten selbst ihre Sammlungen ein, ihre Verwaltung, ihr Gericht, ihre Polizei und fühlen sich immer solange wohl, als sich die Gewalttätigkeit der Regierung nicht in ihre Verwaltung einmischt.
Ebensowenig Grund hat man, anzunehmen, daß die Menschen nicht unter allgemeinem Einverständnis die Benutzung des Bodens unter sich verteilen könnten.
Ich habe Menschen gekannt — Kosaken vom Ural — die lebten, ohne das Eigentumsrecht am Boden anzuerkennen. Und es herrschte in der ganzen Gesellschaft eine solche Ordnung und Wohlfahrt, wie sie in einer Gesellschaft, wo der Grundbesitz durch Gewalt geschützt wird, nicht zu finden sind. Ich kenne auch jetzt Gemeinden, die leben, ohne das Eigentumsrecht eines einzelnen Menschen am Boden anzuerkennen. Ich erinnere mich noch der Zeit, wo das ganze russische Volk den Privatgrundbesitz nicht kannte. Die Beschützung des Grundbesitzes durch die Gewalt der Regierung beseitigt nicht nur nicht den Kampf um den Grundbesitz, sondern verstärkt meistenteils nur diesen Kampf und ruft ihn hervor.
Wenn nicht der Schutz des Grundeigentums existieren würde und als Folge desselben die Steigerung des Wertes des Bodens, so würden die Menschen sich nicht an einzelnen Stellen zusammendrängen, sondern sie würden sich über das freie Land verteilten, von dem es auf der Erdkugel noch soviel gibt. Jetzt aber geschieht ein immerwährender Kampf um den Boden, ein Kampf mit den Mitteln, welche die Regierung mit ihren Gesetzen über das Grundeigentum liefert. Und in diesem Kampf siegen stets nicht diejenigen, die den Boden bearbeiten, sondern die Menschen, die sich an den Gewalttätigkeiten der Regierung beteiligen.
Dasselbe gilt von den durch Arbeit erzeugten Gegenständen. Gegenstände, die wirklich durch die Arbeit eines Menschen erzeugt sind und die der Mensch zum Leben notwendig braucht, werden immer durch die Sitte, die öffentliche Meinung, den Sinn für Gerechtigkeit und Gegenseitigkeit geschützt und bedürfen keines Schützes durch die Gewalt. Zehntausende Deßjatinen Wald, die einem Besitzer gehören, während daneben Tausende von Menschen kein Holz zur Feuerung haben, bedürfen eines gewaltsamen Schutzes. Ebenso brauchen einen gewaltsamen Schutz die Fabriken, in denen mehrere Geschlechter von Arbeitern ausgeplündert wurden und ausgeplündert werden. Noch mehr bedürfen des Schutzes Hunderttausende von Pud Getreide, die einem Besitzer gehören, der die Hungersnot abwartet, um das Getreide für den dreifachen Preis an das hungernde Volk zu verkaufen.
Aber kein Mensch, sei er noch so entsittlicht (mit Ausnahme eines Reichen oder eines Regierungsmenschen), wird einem Landmann, der sich durch seine Arbeit ernährt, die von ihm erarbeitete Ernte oder die von ihm großgezogene und seine Kinder ernährende Kuh oder den von ihm angefertigten und benutzten Pflug, seine Sense oder seine Schaufel wegnehmen. Wenn sich aber auch ein Mensch finden sollte, der dennoch dem anderen die von diesem angefertigten notwendigen Gegenstände wegnehmen sollte, so würde ein solcher Mensch eine derartige Entrüstung von Seiten aller in gleichen Verhältnissen befindlichen Menschen hervorgerufen, daß seine Handlungsweise ihm kaum vorteilhaft erscheinen könnte. Wenn dieser Mensch aber so unsittlich ist, daß er es trotzdem tut, so wird er auch bei dem strengsten Schutze des Eigentums durch Gewalt dasselbe tun.
Gewöhnlich sagt man: Versucht nur das Eigentumsrecht am Boden und an den erzeugten Gegenständen aufzuheben, und niemand wird, da er nicht die Sicherheit hat, daß ihm das Erarbeitete nicht weggenommen wird, mehr arbeiten. Man muß genau das Gegenteil sagen: die jetzt angewandte Beschützung des ungerechten Eigentums durch Gewalt hat in den Menschen das natürliche Gefühl der Gerechtigkeit gegenüber der Benutzung von Gegenständen, wenn nicht vollständig vernichtet, so doch bedeutend geschwächt, dieses Gefühl für das natürliche und angeborene Eigentumsrecht, ohne welches die Menschheit nicht leben könnte, und welches in der Gesellschaft immer existiert.
Und daher ist nicht die geringste Veranlassung vorhanden, anzunehmen, daß ohne ein organisiertes Gewalttätigkeitssystem die Menschen nicht imstande sein werden, ihr Leben einzurichten.
Man begreift, daß man sagen kann, die Pferde und Ochsen könnten ohne Verübung von Gewalt durch vernünftige Wesen wie die Menschen nicht leben. Aber warum die Menschen nicht leben können, ohne sich unter der Gewalt — nicht irgend welcher höheren Wesen, sondern eben solcher Menschen wie sie selbst — zu befinden, ist nicht einzusehen. Warum müssen die Menschen sich der Gewalt gerade derjenigen beugen, die im gegebenen Augenblick im Besitze der Macht sind? Was beweist, daß diese Menschen vernünftigere Menschen sind als die, an denen sie Gewalt verüben?
Wenn sie sich erlauben, Gewalt an Menschen zu verüben, beweist das nur, daß sie nicht vernünftiger, sondern weniger vernünftig sind, als die, die sich vor ihnen beugen.
Die chinesischen Mandarinenexamina bieten, wie wir wissen, nicht die Garantie, daß die Gewalt in die Hände der Vernünftigsten, der besten Menschen gelängt. Ebensowenig garantieren dieses die Vererbung, die Wahlen und alle hierarchischen Einrichtungen in den europäischen Staaten. Im Gegenteil, der Gewalt bemächtigen sich immer die Leute, die weniger gewissenhaft und weniger moralisch sind, als die anderen.
Man sagt: wie können die Menschen ohne Regierungen leben, d.h. ohne Gewalt? Man muß im Gegenteil sagen: wie können die Menschen, vernünftige Wesen, leben, indem sie als den inneren Zusammenhang ihres Lebens die Gewalt und nicht die vernünftige Eintracht anerkennen?
Eines von beiden: entweder sind die Menschen vernünftige, oder unvernünftige Wesen. Wenn sie unvernünftige Wesen sind, so sind sie es alle, und dann wird bei ihnen alles durch Gewalt entschieden, und es ist kein Grund, daß die einen das Recht zur Gewalttätigkeit haben, und die anderen nicht. Und die Gewalt der Regierung hat keine Begründung. Sind aber die Menschen vernünftige Wesen, so müssen ihre Beziehungen auf der Vernunft beruhen und nicht auf der Gewalt der Menschen, die sich zufällig derselben bemächtigt haben. Und daher hat die Gewalt der Regierung auch keine Begründung.
14. Vernichtung der Regierungen
Die Sklaverei der Menschen wird durch die Gesetze verursacht, die Gesetze aber werden durch die Regierungen geschaffen, und daher ist die Befreiung der Menschen von der Sklaverei nur durch die Vernichtung der Regierungen erreichbar.
Aber wie soll man die Regierungen vernichten?
Alle Versuche, die Regierungen auf gewaltsame Weise zu vernichten, haben bis jetzt überall und immer nur dazu geführt, daß an Stelle der gestürzten Regierungen neue entstanden, häufig noch grausamere, als die, die sie ersetzten. So daß die Versuche, Gewalt durch Gewalt zu vernichten, bis jetzt nichts erreicht haben, und auch in Zukunft die Menschen offenbar nicht zur Befreiung von der Gewalt und also auch nicht von der Sklaverei führen werden.
Es kann nicht anders sein. Gewalt wird von den einen Menschen anderen gegenüber nur dazu angewendet (die Ausbrüche der Wut und Rache ausgenommen), um die einen Menschen zu zwingen, gegen ihren Wunsch den Willen der anderen zu tun. Die Notwendigkeit aber, gegen seinen Wunsch den Willen anderer zu tun, ist eben gerade die Sklaverei. Und daher wird auch die Sklaverei existieren, solange irgend eine Gewalt existiert, deren Zweck es ist, die einen Menschen zu zwingen, den Willen der anderen zu tun.
Alle Versuche, die Sklaverei durch Gewalt zu vernichten, gleichen dem Löschen des Feuers durch Feuer oder dem Eindämmen des Wassers durch Wasser, oder der Zuschüttung der einen Grube durch Erde, die einer anderen entnommen wird.
Und daher, wenn es ein Mittel zur Befreiung von der Sklaverei gibt, muß dieses Mittel nicht in der Errichtung einer neuen Gewalt, sondern in der Vernichtung dessen bestehen, was die Möglichkeit der Gewalttätigkeit der Regierungen erzeugt. Die Möglichkeit aber der Existenz sowohl der Gewalttätigkeiten der Regierungen, als auch jeder Gewalt einer kleinen Anzahl von Menschen über eine große, wurde und wird immer nur dadurch erzeugt, daß die kleine Anzahl bewaffnet ist, die Mehrheit aber wehrlos; oder die kleine Anzahl ist besser bewaffnet als die große.
So war es bei allen Eroberungen: so unterjochten die Griechen, die Römer, die Ritter, die Kortez, so unterjocht man auch jetzt die Menschen in Asien und Afrika, so halten in Friedenszeiten die Regierungen ihre Untertanen in Unterwürfigkeit.
Wie im Altertum, so herrschen auch jetzt die einen Menschen nur darum über die anderen, weil die einen bewaffnet sind, die anderen aber nicht. Im Altertum überfielen die Krieger mit ihren Führern die wehrlosen Einwohner, unterwarfen sie sich und plünderten. Und alle teilten sich in die Beute, nach Maßgabe ihrer Teilnahme, ihrer Tapferkeit und Grausamkeit, und jedem Krieger war es klar, daß die von ihm verübten Gewalttaten für ihn vorteilhaft seien.
Jetzt aber überfallen die bewaffneten Menschen, die hauptsächlich dem Arbeiterstande entnommen sind, wehrlose Menschen, streikende Arbeiter, Aufrührer, oder die Bewohner fremder Länder, unterwerfen dieselben und plündern sie (d.h. zwingen sie, ihre Arbeit abzugeben), aber nicht für sich selbst, sondern für Menschen, die an der Unterwerfung nicht einmal teilnehmen.
Der Unterschied zwischen den Eroberern und den Regierungen besteht nur darin, daß die Eroberer selbst mit ihren Kriegern die wehrlosen Einwohner überfielen und, im Falle des Ungehorsams, die angedrohten Marter und Morde zur Ausführung brachten, die Regierungen aber, im Falle des Ungehorsams, die Marter und Morde an wehrlosen Einwohnern nicht selbst zur Ausführung bringen, sondern betrogene und besonders dazu bestialisierte Menschen dieses zu tun zwingen, Menschen, welche demselben Volke entnommen sind, das sie nun vergewaltigen müssen. So daß früher die Gewalttätigkeiten durch persönliche Anstrengungen vollführt wurden, durch die Tapferkeit, Grausamkeit, Gewandtheit der Eroberer selbst; die jetzigen Gewalttätigkeiten werden aber durch Betrug verübt.
Wenn man sich früher bewaffnen mußte, um sich von den Gewalttätigkeiten der bewaffneten Menschen zu befreien, und der bewaffneten Gewalt bewaffnete Gewalt entgegensetzen mußte, so ist jetzt, wo das Volk nicht durch direkte Gewalt, sondern durch Betrug unterworfen ist, zur Vernichtung der Gewalt nur die Aufdeckung jenes Betruges nötig, der der kleinen Anzahl von Menschen die Möglichkeit gibt, an der größten Anzahl Gewalt zu verüben.
Der Betrug, mit dessen Hilfe dieses geschieht, besteht darin, daß die geringe Anzahl der herrschenden Menschen, welche die von den ursprünglichen Eroberern geschaffene Macht von ihren Vorgängern erhalten haben, der Mehrzahl sagt: "Euer sind viele, Ihr seid dumm und ungebildet und könnt weder Euch selbst regieren, noch Eure öffentlichen Angelegenheiten einrichten, und daher nehmen wir diese Sorgen auf uns. Wir werden Euch vor den äußeren Feinden schützen, wir werden unter Euch die innere Ordnung gestalten und aufrecht erhalten, wir werden Eure Richter sein, wir werden Euch allgemeinnützliche Institutionen schaffen, Schulen, Verkehrswege, Posten, und wir werden überhaupt für Euer Wohl sorgen. Dafür aber erfüllt Ihr alle die kleinen Anforderungen, die wir an Euch stellen werden. Unter anderem müßt Ihr auch versprechen, daß Ihr uns zur vollständig freien Verfügung einen besonderen Teil Eurer Einkünfte geben wollt und selbst in die Heere eintretet, die zu Eurer Sicherheit und zu Eurer Lenkung nötig sind."
Und die Mehrzahl der Menschen geht darauf ein, nicht weil die Menschen die Vor- und Nachteile dieser Bedingungen erwogen hätten (sie haben niemals die Möglichkeit, dieses zu tun), sondern weil sie sich seit ihrer Geburt in diesen Verhältnissen befinden.
Wenn auch in den Menschen Bedenken aufsteigen, ob das alles nötig sei, so denkt jeder nur an sich und fürchtet, die Kündigung dieser Bedingungen büßen zu müssen. Jeder hofft, diese Bedingungen zu seinem Vorteil ausnutzen zu können, und so erklären sich denn alle damit einverstanden, indem sie meinen, daß die Abgabe eines geringen Teiles ihres Wohlstandes an dii Regierung und die Verpflichtung zum Militärdienst ihr Leben nicht besonders schädigen könnten.
Die Regierungen aber, sobald sie im Besitz des Geldes und der Soldaten sind, an statt die auf sich genommene Verpflichtung, ihre Untertanen vor äußeren Feinden zu schützen und für ihre Wohlfahrt zu sorgen, zu erfüllen, tun alles mögliche zur Reizung der Nachbarvölker und zur Entfachung von Kriegen, und sorgen nicht nur nicht für die Wohlfahrt ihrer Völker, sondern richten die Völker zu Grunde und demoralisieren sie.
In "Tausend und eine Nacht" gibt es eine Erzählung, wie ein Reisender, der auf eine unbewohnte Insel verschlagen ist, dort am Ufer eines Baches einen Greis mit verdorrten Beinen findet. Der Greis bittet den Reisenden, ihn auf den Schultern über den Bach zu tragen. Der Reisende geht darauf ein. Kaum aber sitzt der Greis auf den Schultern des Reisenden, als er sofort mit den Beinen seinen Hals umschlingt und ihn nicht mehr losläßt. Nachdem der Greis sich des Reisenden bemächtigt hat, macht er mit ihm, was er will, pflückt von den Bäumen Früchte, ißt sie selbst, ohne dem Tragenden etwas zu geben, und verhöhnt ihn noch dazu. Dasselbe geschieht mit den Völkern, die den Regierungen Geld und Soldaten gegeben haben.
Für das Geld kauft die Regierung Waffen und mietet oder erzieht willfährige vertierte Militärbefehlshaber. Die Befehlshaber aber bilden die zu Soldaten gemachten Menschen mit Hilfe durch Jahrhunderte hindurch ausgearbeiteter geschickter Verdummungsmittel, die Disziplin genannt werden, zu einem disziplinierten Heer aus. Die Disziplin jedoch besteht darin, daß die Menschen, die in diese Lehre eintreten und eine Zeitlang darin verbleiben, alles dessen verlustig gehen, was für den Menschen nur kostbar ist, der wichtigsten menschlichen Eigenschaft — der vernünftigen Freiheit —, und zu willfährigen, maschinenartigen Mordwerkzeugen werden in den Händen ihrer hierarchisch organisierten Befehlshaber.
Nicht umsonst schätzen alle Könige, Kaiser und Präsidenten so sehr die Disziplin, fürchten so sehr die Verletzung derselben und halten für ihre wichtigste Tätigkeit Revuen, Manöver, Paraden, Zeremonienmärsche und ähnliche Dummheiten. Sie wissen, daß alles das die Disziplin aufrecht erhält; auf der Disziplin aber beruht nicht nur ihre Macht, sondern auch ihre Existenz. Ein diszipliniertes Heer ist das Mittel, durch dessen Hilfe sie mit fremden Händen die größten Übeltaten verrichten können, deren Möglichkeit ihnen eben die Völker unterjocht.
Gerade in diesem disziplinierten Heer liegt das Wesen jenes Betruges, durch den die Regierungen der neueren Zeit über die Völker herrschen. Haben die Regierungen dieses willenlose Werkzeug der Vergewaltigung und des Mordes in ihrer Gewalt, so haben sie das ganze Volk in ihrer Gewalt und lassen es nicht mehr frei. Und so richten sie nicht nur das Volk zu Grunde, sie verhöhnen es auch noch, indem sie ihm durch eine falsche religiöse und patriotische Erziehung, Ergebenheit und sogar Vergötterung ihnen gegenüber einflößen, d.h. den nämlichen Menschen gegenüber, die das ganze Volk in der Sklaverei halten und es quälen.
Und daher ist das einzige Mittel zur Vernichtung der Regierungen nicht die Gewalt, sondern die Aufdeckung dieses Betruges. Die Menschen müssen erstens begreifen, daß in der christlichen Welt nicht die geringste Notwendigkeit besteht, die Völker voreinander zu schützen, daß alle Feindseligkeiten zwischen den Völkern nur durch die Regierungen selbst hervorgerufen werden und daß die Heere nur für die geringe Zahl der Herrschenden nötig sind, für die Völker aber nicht nur unnütz, sondern auch im höchsten Maß schadlich, indem sie als Werkzeug zur Unterjochung der Menschen dienen. Zweitens müssen die Menschen begreifen, daß jene von allen Regierungen so hoch geschätzte Disziplin das größte Verbrechen ist, das nur ein Mensch begehen kann, der klarste Beweis für das Verbrecherische der Ziele der Regierungen.
Die Disziplin ist die Vernichtung der Vernunft und der Freiheit im Menschen und kann keinen anderen Zweck haben, als die Vorbereitung zur Vortführung solcher Greueltaten, die in normalem Zustande kein Mensch verüben kann. Zu einem Volkskriege, der den Zweck der Verteidigung hat, ist sie sogar überhaupt nicht nötig, wie es deutlich der Burenkrieg bewiesen hat. Nötig ist die Disziplin nur und sie ist hauptsächlich dazu da, wozu ein moderner Herrscher (8) ihren Zweck bestimmt hat, zur Verübung der größten Verbrechen — des Bruder- und Vatermordes.
Ebenso handelte auch der schreckliche Greis, der auf dem Reisenden saß: er verhöhnt ihn, wohlwissend, daß der Reisende vollständig in seiner Gewalt bleibt, solange er auf seinem Halse sitzt. Dieser schreckliche Betrug, durch den eine geringe Anzahl schlechter Menschen in Gestalt von Regierungen über die Völker herrschen und sie nicht nur zu Grunde richten, sondern noch das Schlimmste von allem tun - die Völker Geschlechter hindurch von Kind auf demoralisieren, dieser schreckliche Betrug ist es eben, der enthüllt werden muß, damit die Vernichtung der Regierungen und der durch sie geschaffen Sklaverei möglich wird.
Der deutsche Denker Eugen Heinrich Schmitt, (9) der in Budapest die Zeitung "Ohne Staat" herausgab, veröffentlichte in dieser Zeitung einen nicht nur in der Form, sondern auch in der Idee kühnen und richtigen Aufsatz, in welchem er sagte, daß die Regierungen, wenn sie ihre Existenz damit rechtfertigten, daß sie ihren Untertanen eine gewisse Sicherheit garantierten, sich darin in nichts von dem kalabrischen Räuber unterschieden, der alle diejenigen mit einem Tribut belegte, die gefahrlos die Wege befahren wollten. Schmitt wurde wegen dieses Aufsatzes vor das Gericht gestellt, aber die Geschworenen sprachen ihn frei.
Wir befinden uns so sehr unter der Hypnose der Regierungen, daß ein solcher Vergleich uns als eine Übertreibung, ein Scherz, ein Paradoxon erscheint, und doch ist es kein Paradoxon, kein Scherz, und der Vergleich ist nur darum unrichtig, weil die Tätigkeit aller Regierungen um viele Male unmenschlicher und vor allem schädlicher ist, als die Tätigkeit des kalabrischen Räubers.
Der Räuber plünderte hauptsächlich die Reichen, die Regierungen aber plündern hauptsächlich die Armen, die Reichen aber, die ihnen bei ihren Verbrechen behilflich sind, beschützen sie.
Der Räuber riskiert bei Verübung seines Handwerks sein Leben, die Regierungen aber riskieren gar nichts, sondern bauen ihr Handwerk auf Betrug und Lüge auf.
Der Räuber zwingt niemand, in seine Bande einzutreten, die Regierungen aber werben ihre Soldaten meistenteils gewaltsam an.
Bei dem Räuber erhielten alle Tributzahlenden die gleiche Garantie der Sicherheit, in dem Staate aber: je mehr einer sich an dem organisierten Betruge beteiligt, um so größere Sicherheit genießt er und um so größeren Lohn erhält er.
Der größten Sicherheit erfreuen sich die Kaiser, Könige und Präsidenten — immer sind sie von einer Sicherheitswache umgeben — und sie geben am meisten von allen das Geld aus, das den besteuerten Untertanen abgenommen wird. Dann kommen, je nach größerer oder geringerer Beteiligung an den Verbrechen der Regierungen, die Generalfeldmarschale, Minister, Polizeipräsidenten, Gouverneure und so bis zu den Schutzleuten, die die geringste Sicherheit und den geringsten Lohn erhalten. Derjenige aber, der an den Verbrechen der Regierungen gar nicht teilnimmt, indem er den Dienst, die Steuern, die Gerichte ablehnt, der wird, wie bei den Räubern, vergewaltigt.
Der Räuber demoralisiert nicht absichtlich die Menschen, die Regierungen aber demoralisieren zur Erreichung ihrer Ziele ganze Geschlechter von Kindern und Erwachsenen durch lügnerische religiöse und patriotische Lehren. Vor allem aber kann sich kein Räuber — kein Stenjka Rasin, kein Cartouche — an Grausamkeit, Mitleidslosigkeit und Raffiniertheiten den Martern verglichen, nicht nur nicht mit den durch ihre Grausamkeit und ihre Übeltaten berühmten Herrschern, wie Iwan, der Schreckliche, Ludwig XI. Elisabeth usw., sondern auch nicht mit den jetzigen konstitutionellen und liberalen Regierungen mit ihrer Einzelhaft, ihren Disziplinarbataillonen, Niederwerfungen von Aufständen und Metzeleien im Kriege.
Zu den Regierungen, wie zu den Kirchen kann man sich nicht anders verhalten, als entweder mit anbetender Ehrfurcht oder Abscheu. Solange der Mensch nicht begriffen hat, was die Regierung oder die Kirche ist, kann er sich diesen Institutionen gegenüber nicht anders verhalten, als mit Ehrfurcht. Solange er sich durch sie leiten läßt, muß er aus Eigenliebe glauben, daß das, wodurch er sich leiten läßt, etwas Elementares, Großes und Heiliges sei; sobald er aber begriffen hat, daß das, wodurch er sich leiten läßt, nichts Elementares oder Heiliges ist, sondern nur ein Betrug von Seiten schlechter Menschen, die unter dem Vorwande einer Leitung ihn zu ihren persönlichen Zwecken ausnutzen, — sobald er das begriffen hat, wird er diesen Menschen gegenüber nichts anderes als Abscheu empfinden können, und zwar um so stärker, je wichtiger die Seite des Lebens war, nach der er sich hatte leiten lassen.
Das ist es, was die Menschen den Regierungen gegenüber fühlen müssen, wenn sie die Bedeutung derselben erkannt haben.
Die Menschen müssen begreifen, daß ihre Teilnahme an der verbrecherischen Tätigkeit der Regierungen — sei es durch Abgabe ihrer Arbeit in Form von Geld oder durch direkten Militärdienst — nicht eine gleichgültige Handlung ist, wie gewöhnlich angenommen wird, sondern abgesehen von dem Schaden, den sie durch diese Handlungsweise sich und ihren Brüdern zufügen, eben eine Teilnahme an den Verbrechen ist, die unaufhörlich von allen Regierungen begangen werden, oder auch eine Hilfeleistung zur Vorbereitung neuer Verbrechen, da die Regierungen, die disziplinierte Heere unterhalten, sich immer in Vorbereitungen zu Verbrechen befinden.
Die Zeit der ehrfurchtsvollen Haltung den Regierungen gegenüber verschwindet immer mehr und mehr, trotz alles Hypnotisierens, das die Regierungen zur Erhaltung ihrer Position anwenden. Und es ist Zeit, daß die Menschen begreifen, daß die Regierungen nicht nur unnütze, sondern auch schädliche und im höchsten Grade unsittliche Institutionen sind, an denen ein ehrlicher und sich selbst achtender Mensch nicht teilnehmen kann und darf und deren Vorteile er nicht benutzen kann und darf.
Sobald aber die Menschen dieses klar begreifen werden, so werden sie ganz von selbst aufhören, an den Verbrechen der Regierungen teilzunehmen, d.h. den Regierungen Geld und Soldaten zu geben. Beginnt aber erst die Mehrheit der Menschen so zu handeln, so wird auch der Betrug, der die Menschen zu Sklaven macht, ganz von selbst aufhören.
Nur auf diese Weise können die Menschen von der Sklaverei befreit werden.
15. Was muß jeder Mensch tun?
Aber alles das sind nur vage Redensarten; "ob sie nun richtig oder nicht richtig sind — für das Leben sind sie nicht verwendbar", höre ich die Menschen entgegnen, die sich an ihre Lage gewöhnt haben und dieselbe nicht ändern wollen oder nicht ändern zu können glauben.
"Sagen sie, was man tun soll, wie man die Gesellschaft besser organisieren soll?" sagen gewöhnlich die Menschen aus den wohlhabenden Klassen.
Die Menschen, die zu den wohlhabenden Klassen gehören, haben sich an ihre Rolle der Sklavenbesitzer so sehr gewöhnt, daß sie sich gleichsam in der Lage der früheren Grund- und Leibeigenenbesitzer fühlen, wenn die Rede von der Besserung der Lage der Arbeiter ist, und sofort alle möglichen Projekte zu ersinnen beginnen, wie sie ihre Sklaven besser situieren könnten. Das aber kommt ihnen garnicht in den Sinn, daß sie nicht das geringste Recht haben, über andere Menschen zu verfügen, sondern daß sie nur eines machen können und müssen, wenn sie das Wohl der Menschen wünschen — aufhören, das Schlechte zu tun, das sie jetzt tun.
Das Schlechte aber, das sie tun, ist sehr klar und bestimmt. Das Schlechte, das sie tun, besteht nicht nur darin, daß sie die Zwangsarbeit der Sklaven ausnutzen und dieser Nutznießung nicht entsagen wollen, sondern auch darin, daß sie selbst an der Einführung und Aufrechterhaltung dieser Zwangsarbeit teilnehmen. Das ist es, was zu tun, sie aufhören müssen.
Die Arbeiter aber sind durch ihre Zwangsarbeit so demoralisiert, daß es den meisten von ihnen scheint, wenn ihre Lage schlecht sei, daß daran nur die Arbeitgeber schuld seien, die ihnen zu wenig zahlten und sich im Besitze der Produktionswerkzeuge befänden. Es kommt ihnen garnicht in den Sinn, daß ihre schlechte Lage nur von ihnen selbst abhängt und daß es nötig ist, wenn sie wirklich ihre und ihrer Brüder Lage zu bessern wünschen, daß nicht bloß jeder seinen eigenen Vorteil vermehrt, sondern daß das erste, was sie machen müssen, das ist, daß sie selbst aufhören, Schlechtes zu tun.
Das Schlechte aber, das die Arbeiter tun, besteht darin, daß sie erniedrigende, unmoralische Stellungen annehmen und unnütze und schädliche Gegenstände anfertigen, indem sie ihre materielle Lage durch dieselben Mittel, durch die sie selbst zu Sklaven gemacht worden sind, bessern wollen, und so ihre Menschenwürde und Freiheit aufopfern, nur damit sie die Möglichkeit erhalten, die Bedürfnisse, an die sie sich gewöhnt haben, zu befriedigen. Vor allem aber besteht das Schlechte, das sie tun, darin, daß sie die Regierungen unterstützen, Steuern zahlen und Militärdienst leisten, für die Reichen arbeiten und dadurch sich selbst zu Sklaven machen.
Damit die Lage der Menschen sich bessere, müssen sowohl die Menschen aus den besitzenden Klassen, als auch die Arbeiter begreifen, daß man die Lage der Menschen nicht bessern kann, indem man auf seinen eigenen Vorteil bedacht ist, daß man sich nicht in den Dienst der Menschheit stellen kann, ohne Opfer zu bringen und daß daher die Menschen, wenn sie wirklich die Lage ihrer Brüder und nicht nur ihre eigene bessern wollen, bereit sein müssen, nicht nur zur Änderung der ganzen gesellschaftlichen Ordnung, an die sie gewöhnt sind, und zum Verluste der Vorteile, die sie genossen haben, sondern auch zu einem hartnäckigen Kampf — nicht nur mit den Regierungen, sondern mit sich selbst und mit ihren Familien, und darauf gefaßt sein müssen, für die Nichterfüllung der Befehle der Regierungen verfolgt zu werden.
Und daher ist die Antwort auf die Frage, was man tun solle, nicht nur eine sehr einfache und bestimmte, sondern auch eine für jeden Menschen immer außerordentlich leicht anwendbare und ausführbare.
Freilich ist sie nicht so, wie sie diejenigen erwarten, die wie die wohlhabenden Klassen, vollständig überzeugt sind, daß sie berufen seien, nicht sich selbst zu bessern (sie selbst sind auch so gut genug), sondern andere Menschen zu belehren und zu organisieren.
Auch ist diese Antwort nicht so, wie sie diejenigen erwarten, die wie die Arbeiter überzeugt sind, daß an ihrer schlechten Lage nicht sie selbst schuld sind, sondern nur die Kapitalisten, und daß sich diese Lage nur dadurch bessern lasse, daß man den Kapitalisten das, was sie besitzen, wegnimmt und es so einrichtet, daß alle die Annehmlichkeiten des Lebens genießen können, die jetzt nur die Kapitalisten genießen.
Diese Antwort ist sehr bestimmt, sehr wohl anwendbar und erfüllbar, da sie zur Tätigkeit die einzige Person anruft, über die jeder eine wirkliche, gesetzliche und unbezweifelbare Gewalt hat, nämlich sich selbst. Und diese Antwort besteht darin, daß ein Mensch, sei er Sklave oder Sklavenbesitzer, wenn er nicht nur seine eigene Lage, sondern die Lage der Menschen wirklich bessern will — dann selbst aufhören muß, das Schlechte zu tun, das seine und seiner Brüder Sklaverei verursacht.
Um aber das Schlechte, das sein und seiner Brüder Elend verursacht, nicht zu tun, muß der Mensch: erstens, weder freiwillig noch zwangsweise an den Tätigkeiten der Regierungen teilnehmen and daher weder den Beruf eines Soldaten, noch den eines Feldmarschalls, eines Ministers, eines Steuereinnehmers, eines Bürgermeisters, eines Geschworenen, eines Gouverneurs, eines Parlamentsmitgliedes erfüllen und überhaupt keine Stellung annehmen, die mit Gewalttätigkeit verbunden ist.
Dieses erstens!
Zweitens darf ein solcher Mensch nicht freiwillig Steuern an die Regierungen zahlen und eben so wenig das durch Steuern eingetriebene Geld benutzen, sei es in Form von Gehalt oder von Pension, Belohnung etc. Auch darf er nicht die Regierungsämter benutzen, die durch Steuern unterhalten werden, welche mit Gewalt vom Volke eingetrieben sind.
Dieses zweitens!
Drittens darf der Mensch, der nicht nur sein eigenes Wohl erstrebt, sondern die Lage der ganzen Menschheit bessern will, sich nicht um den gewalttätigen Beistand der Regierungen bewerben, weder um seinen Besitz an Grund und Boden und anderen Gegenständen zu sichern, noch zum Schutze seiner eigenen Person und der Seinen, sondern er darf seine Ansprüche auf den Besitz des Bodens, wie auch aller Erzeugnisse seiner oder der anderen Arbeit nur soweit aufrecht erhalten, als diese Gegenstände nicht von anderen Menschen beansprucht werden können.
"Aber eine solche Lebensführung ist unmöglich: aller Teilnahme an den Handlungen der Regierung entsagen, hieße, dem Leben entsagen", wird man darauf erwidern. "Der Mensch, der den Militärdienst verweigert, wird ins Gefängnis gesperrt werden; der Mensch, der die Steuern nicht zahlt, wird bestraft, und die Steuern werden durch den Verkauf seines Eigentums gedeckt; der Mensch, der dem Staatsdienst entsagt, wird mitsamt seiner Familie, wenn er keinen anderen Lebensunterhalt hat, Hungers sterben; dasselbe wird dem Menschen widerfahren, der auf den Schutz seiner Person und seines Eigentums durch die Regierung verzichtet; die mit Steuern belegten Gegenstände nicht zu benutzen, wäre ganz unmöglich, da oft selbst die notwendigsten Gebrauchsgegenstände mit Steuern belegt sind; auch kann man nicht ohne die Regierungsinstitutionen, wie die Post, die Verkehrswege u.a., auskommen."
Es ist ganz richtig, daß es einem Menschen unserer Zeit schwer wird, jeder Beteiligung an den Gewalttätigkeiten der Regierungen zu entsagen; aber daraus, daß nicht jeder Mensch sein Leben so einrichten kann, um in keiner Hinsicht ein Teilnehmer an den Gewalttätigkeiten der Regierungen zu bleiben, geht noch nicht hervor, daß es unmöglich wäre, sich immer mehr und mehr von dieser Teilnahme frei zu machen.
Nicht jeder Mensch wird die Kraft haben, den Militärdienst zu verweigern (aber es gibt und wird solche Menschen geben), Allein jeder Mensch kann sich enthalten, freiwillig in den Militär-, Polizei-, Gerichts- oder Fiskaldienst einzutreten und kann dem vorteilhaften Staatsdienst eine schlechter dotierte Privatstellung vorziehen.
Nicht jeder Mensch wird die Kraft haben, seinem Grundbesitz zu entsagen (obgleich es Menschen gibt, die auch dieses tun), aber jeder Mensch, der das Verbrecherische des Grundbesitzes begreift, kann die Grenzen desselben beschränken.
Nicht jeder kann seinem Vermögen entsagen (es gibt auch solche) und der Benutzung von Gegenständen, die durch Gewalt gehütet werden, aber jeder kann, indem er seine Bedürfnisse verringert, immer weniger und weniger Gegenstände benutzen, die den Neid der anderen Menschen erregen.
Nicht jeder kann dem von der Regierung gezahlten Gehalt entsagen (es gibt auch solche, die das Hungern einer unehrlichen Regierungstätigkeit vorziehen), aber jeder kann ein geringeres Gehalt einem höheren vorziehen, wenn nur der zu leistende Dienst weniger mit Gewalttätigkeit verbunden ist.
Nicht jeder kann den Regierungsschulen entsagen (aber es gibt auch solche), aber jeder kann eine Privatschule einer Regierungsschule vorziehen.
Jeder kann immer weniger und weniger die mit Steuern belegten Gegenstände und die Regierungsinstitutionen benutzen.
Zwischen der bestehenden Ordnung der Dinge, die auf roherer Gewalt basiert, und dem Ideal des Lebens, das auf einer durch die Sitten befestigten vernünftigen Vereinbarung beruht, gibt es eine endlose Reihe von Stufen, über die die Menschheit ohne Aufhören fort schreitet, und die Annäherung an dieses Ideal geschieht nur nach Maßgabe der Befreiung der Menschen von der Teilnahme an den Gewalttätigkeiten, von der Benutzung derselben und von der Gewöhnung an dieselben.
Wir wissen nicht und können es nicht voraussehen — noch weniger also vorschreiben, wie dieses die vermeintlichen Gelehrten tun —, auf welche Weise diese allmähliche Schwächung der Regierungen und die Befreiung der Menschen von ihnen vor sich gehen wird; Wir wissen auch nicht, welche Formen das menschliche Leben je nach der allmählichen Befreiung von den Gewalttätigkeiten der Regierungen annehmen wird. Aber wir wissen genau, daß das Leben der Menschen, die das Verbrecherische und Schädliche der Tätigkeit der Regierungen begriffen haben, und sich bemühen werden, dieselbe nicht zu benutzen und an ihr nicht teilzunehmen, ein ganz anderes und mit den Gesetzen und mit unserem Gewissen viel mehr im Einklang stehendes sein wird, als unser jetziges Leben, wo die Menschen, während sie selbst an den Gewalttätigkeiten der Regierungen teilnehmen und dieselben ausnutzen, den Anschein erwecken wollen, als kämpften sie gegen die Regierungen, und doch suchen sie nur durch neue Gewalttätigkeiten die alten zu verdrängen.
Die Hauptsache aber ist, daß die jetzige Lebensordnung eine schlechte ist; damit sind alle einverstanden. Die Ursache dieses Zustandes und der Sklaverei entspringt der Gewalttätigkeit der Regierungen. Zur Vernichtung der Gewalttätigkeit der Regierungen gibt es nur ein Mittel: die Weigerung der Menschen, an den Gewalttätigkeiten teilzunehmen.
Und daher sind die Fragen, ob es den Menschen schwer oder nicht schwer sei, an den Gewalttätigkeiten der Regierungen nicht teilzunehmen, und ob die Früchte einer solchen Stellungnahme sich bald oder nicht bald zeigen würden - unnütze Fragen. Denn zu der Befreiung der Menschen von der Sklaverei existiert nur dieses eine Mittel. Ein anderes gibt es nicht.
In welchem Maße aber und wann in jeder einzelnen Gesellschaft und in der ganzen Welt
die Ersetzung der Gewalt durch eine freie und vernünftige, durch die Sitte herausgebildete Vereinbarung ersetzt werden wird, das wird von der Intensität der Erkenntnis der Menschen und von der Zahl der einzelnen Menschen, die diese Erkenntnis erlangt haben, abhängen.
Jeder von uns ist ein einzelner Mensch und jeder kann ein Teilnehmer werden an der Vorwärtsbewegung der Menschheit durch eine mehr oder weniger klare Erkenntnis oder durch einen edlen Zweck, er kann aber auch ein Gegner dieser Bewegung werden.
Jedem steht die Wahl frei: gegen den Willen Gottes zu gehen, indem er auf dem Sande das Haus seines vergänglichen lügnerischen Lebens baut, oder sich der ewigen, nie ersterbenden Bewegung anzuschließen, die das wahre Leben nach dem Willen Gottes bedeutet.
Aber vielleicht irre ich mich, und man kann aus der Geschichte der Menschheit ganz andere Schlüsse ziehen, und die Menschheit nähert sich garnicht der Befreiung von der Gewalt, und man kann vielleicht beweisen, daß die Gewalt ein notwendiger Faktor des Fortschrittes ist, daß der Staat mit seinen Gewalttätigkeiten eine notwendige Form des Lebens ist, daß die Menschen es schlechter haben werden, wenn die Regierungen, das Eigentum und der Schutz des Eigentums vernichtet werden?
Nehmen wir an, daß es so sei und daß alle die vorstehenden Ausführungen unrichtig seien; aber außer den allgemeinen Betrachtungen über das Leben der Menschheit steht vor jedem einzelnen Menschen noch die Frage nach seinem persönlichen Leben, und ungeachtet aller Betrachtungen über die allgemeinen Gesetze des Lebens, kann der Mensch nicht das tun, was er nicht nur für schädlich, sondern auch für schlecht hält.
"Es ist sehr leicht möglich, daß die Auffassung, der Staat sei eine notwendige Form der Entwicklung der Persönlichkeit und die Gewalttätigkeiten der Regierungen seien für das Wohl der Gesellschaft notwendig, — sehr leicht ist es möglich, daß alles das aus der Geschichte gefolgert werden kann und daß diese Auffassung richtig ist," halten uns manche entgegen.
Auf einen solchen Einwand wird jeder aufrichtige und ehrliche Mensch unserer Zeit antworten: "Aber der Mord ist etwas Schlechtes, das weiß ich sicherer, als alle Redensarten anderes beiweisen können. Wenn Ihr von mir die Leistung des Militärdienstes verlangt oder Geld zum Anwerben und Bewaffnen von Soldaten, zur Anfertigung von Kanonen und zum Bau von Panzerschiffen, so wollt Ihr mich zum Teilnehmer am Morde machen; das aber will und kann ich nicht. Ebenso will und kann ich nicht das Geld benutzen, welches ihr Hungrigen unter Androhung des Todes abgenommen habt, und nicht den Boden und das Kapital, die Ihr beschützt, weil ich weiß, daß Ihr sie nur durch die Androhung des Hungers oder des Todes beschützen könnt.
Ich konnte das alles tun, solange ich nicht das Verbrecherische dieser Handlungen begriff, aber sobald ich das einmal erblickt habe, kann ich nicht aufhören, es zu sehen und kann an diesen Handlungen nicht mehr teilnehmen.
Ich weiß, daß wir alle durch die Gewalt so sehr versklavt sind, daß es schwer ist, sie ganz zu besiegen. Aber ich will doch alles tun, was ich kann, um mich an Gewalttaten nicht zu beteiligen und ich werde mich bemühen, das nicht zu benützen, was durch den Mord erworben ist und beschützt wird.
Ich habe nur ein Leben, und wozu soll ich denn in diesem meinen kurzen Leben gegen die Stimme des Gewissens handeln und Teilnehmer an Euren scheußlichen Taten werden? Ich will und werde es nicht tun. Was aber daraus wird — das weiß ich nicht. Ich meine nur, daß etwas Schlechtes daraus nicht werden kann, wenn ich so handle, wie mir mein Gewissen befiehlt."
So muß jeder ehrliche und aufrichtige Mensch unserer Zeit auf alle Ausführungen bezüglich der Notwendigkeit der Regierungen und der Gewalttaten und auf jede Aufforderung zur Teilnahme an denselben antworten. So bestätigt denn der höchste und kompetenteste Richter — die Stimme des Gewissens — jedem Menschen das, wozu auch die allgemeinen Betrachtungen führen.
16. Gegen jegliche Gewalt!
"Aber das ist ja immer dieselbe Predigt: einerseits die Zerstörung der bestehenden Ordnung, ohne sie durch irgend eine andere zu ersetzen, andererseits — die Predigt des Nichtstuns", werden viele sagen, nachdem sie das Vorstehende gelesen haben.
"Die Tätigkeit der Regierung ist eine schlechte, schlecht ist auch die Tätigkeit des Grundbesitzers oder des Unternehmers; ebenso schlecht ist auch die Tätigkeit der Anarchisten, der Revolutionäre und der Sozialisten, also schlecht ist überhaupt jede wirkliche praktische Tätigkeit, und gut ist nur irgend eine unbestimmte sittliche, seelische Tätigkeit, bei der alles auf ein Chaos und auf ein Nichtstun herauskommt."
So — ich weiß es wohl! — werden viele ernste und aufrichtige Menschen denken und sprechen.
Am meisten verwirrt die Menschen der Umstand, daß bei einer Aufhebung der Gewalt das Eigentum nicht gesichert sein würde, und daß daher jeder Mensch die Möglichkeit haben würde, ungestraft dem anderen das zu nehmen, was er braucht oder wonach er einfach Verlangen trägt. Die Menschen, die an den Schutz des Eigentums und der Person durch Gewalt gewöhnt sind, meinen, daß ohne diesen Schutz eine ständige Ordnungslosigkeit, ein ständiger Kampf aller gegen alle sein müsse.
Ich will nicht wiederholen, was ich an anderer Stelle darüber gesagt habe, daß der Schutz des Eigentums durch Gewalt die Ordnungslosigkeit nicht vermindere, sondern vergrößere. Aber wenn man auch zugibt, daß bei der Aufhebung des Schutzes Unordnungen entstehen könnten, was sollen dann jene Menschen machen, die die Ursache jener Übel, unter denen sie leiden, erkannt haben?
Wenn wir begriffen haben, daß wir in Folge des Trunkes krank geworden sind, so können wir doch nicht fortfahren zu trinken und dabei hoffen, daß wir unsere Lage dadurch bessern, daß wir mäßig trinken, oder ruhig weiter trinken und dabei Medikamente einnehmen, die uns kurzsichtige Ärzte verschreiben.
Das nämliche gilt auch für die Krankheiten der Gesellschaft. Wenn wir begriffen haben, daß wir darum krank sind, weil die einen Menschen die anderen brutalisieren, so können wir nicht mehr die Lage der Gesellschaft dadurch zu bessern suchen, daß wir fortfahren, die Gewalttätigkeit, die existiert, zu unterstützen, oder eine neue — eine revolutionäre staatssozialistische Gewalttätigkeit einzuführen.
Das konnte man nur damals tun, als die Hauptursache der Leiden der Menschen noch nicht bekannt war. Das war nur so lange möglich, als die Grundursache der Leiden der Menschen noch nicht klar erkannt war. Aber sobald es klar wurde, daß die Menschen unter der Gewalt der einen über die anderen leiden, hörte die Möglichkeit schon auf, die Lage der Menschen zu bessern, indem man die alte Vergewaltigungsmethode beibehielt oder eine neue einführte.
Wie es für den kranken Alkoholiker nur ein Rettungsmittel gibt — das Meiden des Weines, der Ursache der Krankheit, so gibt es auch zur Befreiung der Menschen von der schlechten gesellschaftlichen Ordnung nur ein Mittel — das Meiden der Gewalttätigkeit, eben der Ursache der Leiden; das Meiden der persönlichen Gewalttätigkeit, der Propagandierung der Gewalttätigkeit und der Rechtfertigung der Gewalttätigkeit.
Und nicht genug, daß zur Befreiung der Menschen von ihren Leiden dieses Mittel nur das einzige ist, es ist auch darum ein notwendiges Mittel, weil es sich mit den sittlichen Gesetzen eines jeden Menschen unserer Zeit deckt.
Wenn ein Mensch unserer Zeit einmal begriffen hat, daß jeder Schutz des Eigentums und der Person durch Gewalt nur mit Hilfe von Mord erzielt wird, so kann er schon nicht mehr mit ruhigem Gewissen das genießen, was durch Mord und Androhung von Mord erlangt wird, noch weniger aber an dem Morde selbst oder an dem Androhen des Mordes teilnehmen.
So ist denn das, was zur Befreiung der Menschen von ihren Leiden nötig ist, auch zur Befriedigung des sittlichen Gefühles eines jeden einzelnen Menschen nötig. Und so kann denn für jeden einzelnen Menschen kein Zweifel mehr existieren, daß er sowohl zum allgemeinen Wohl, als auch zur Erfüllung der Gesetze seines Lebens nicht an der Gewalttätigkeit teilnehmen, sie nicht entschuldigen, sie nicht benutzen darf.
17. Ein Nachwort - Über den Sinn des Lebens
Wiederholt in Erstaunen setzte und betrübte mich der Umstand, daß dasjenige, was mir so klar ist (ja womit ich lebe), nämlich das Wesen des göttlichen Willens und die Erfüllung desselben, anderen Menschen unklar und zweifelhaft erscheint.
Wenn ich die Arbeiter der Eisengießerei auf der Tula-Straße sehe, kann ich nicht umhin, daran zu denken, daß jedem dieser Arbeiter eine gewisse Arbeit bestimmt ist, die er erfüllen muß. Dasselbe sehe ich auch in der ganzen Natur: jede Pflanze, jedes Tier hat die Bestimmung etwas zu tun, wozu es die entsprechenden Organe hat: Wurzeln, Blätter, Fühler, Sinneswerkzeuge etc. Dazu sehe ich aber, daß der Mensch außer diesen tierischen Organen auch eine Vernunft hat, welche von ihm die Vernünftigkeit aller seiner Handlungen fordert. Diese Vernunft muß denn auch befriedigt werden und den Menschen darauf hinweisen, was er dieser Vernunft gemäß zu tun hat.
So lebten und so werden die Menschen leben, indem sie sich von ihrer Vernunft leiten lassen. Das Leben gemäß der Vernunft bedeutet auch die Erfüllung des göttlichen Willens, ebenso wie bei den Pflanzen und Tieren die Erfüllung des göttlichen Willens in dem Leben nach den Sinnesorganen und Instinkten besteht.
Es wird mir entgegengehalten, daß der eine das gegenseitige Halsabschneiden, der andere das Verzehren des Leibes Christi in Gestalt von Brotkrümmelchen, der dritte die Überzeugung, daß er durch das Blut Christi erlöst ist, für den göttlichen Willen hält.
Diese Verschiedenheit der Auffassung des göttlichen Willens soll die Menschen verwirren, als ob sie sich von der fremden und nicht von ihrer eigenen Vernunft leiten lassen müßten. Die Frage besteht nicht darin, was Dragomirow für den göttlichen Willen hält (es ist dies übrigens noch keineswegs sicher, daß Dragomirow das Halsabschneiden für den göttlichen Willen betrachtet...). Man kann das eine sagen, in Wirklichkeit aber an etwas ganz anderes glauben, — Worte beweisen nichts —, sondern darin, was ich, indem ich meine ganze Vernunft gebrauche, für den Willen Gottes halte, d.h. welchen Sinn ich meiner Existenz in dieser Welt zuschreibe.
Ein Sinn muß hier vorhanden sein, ebenso wie in den Bewegungen, die der Arbeiter in der Fabrik ausführt, ein Sinn vorhanden sein muß. Die ganze Vorwärtsbewegung des menschlichen Lebens besteht darin, daß man sich von einer sehr niederen Lebensauffassung zu einer hohen erhebt: von den Halsabschneidern zu den Brotkrümmelchen, von den Brotkrümmelchen zur Erlösung, von der Erlösung zur Auffassung der christlichen, sittlichen und gesellschaftlichen Lehre.
Ich erblicke den Sinn des Lebens darin, daß wir das Gottesreich auf Erden herstellen, d.h. das gewaltätige, grausame, feindselige Zusammenleben der Menschen durch ein liebevolles und brüderliches ersetzen. Das Mittel zur Erreichung desselben ist die eigene persönliche Vervollkommnung, d.h. die Ersetzung der eigenen egoistischen Bestrebungen durch das den anderen Menschen liebevolle Dienen, wie es im Evangelium heißt und worin auch der Sinn des Gesetzes und der Propheten besteht: Handle den anderen gegenüber so, wie Du willst, daß man Dir gegenüber handle.
Darin sehe ich den höchsten Sinn des Lebens. Ich lebe zwar nicht immer im Namen dieser Lebensidee, aber oft, und gewöhne mich immer mehr, so zu leben. Und je mehr ich so lebe, desto freudiger, freier von allem Äußeren, unabhängiger ist mein Leben und desto weniger fürchte ich den Tod...
Jeder kommt auf seinem Wege zur Wahrheit, eines aber muß ich sagen: das, was ich schreibe, sind nicht nur Worte, sondern ich lebe danach, darin ist mein Glück, und damit werde ich sterben.
Fußnoten:
1.) Die obigen Ausführungen Tolstois gewinnen eine ganz besondere Aktualität angesichts des Umstandes, daß unter dem russischen Bolschewismus im Industriegebiet des südlichen Urals, bei gleichzeitigem Übergang zur Akkordarbeit — der ärgsten Selbstantreiberarbeit — der zwölfstündige Arbeitstag in drei Schichten — also erst nach je 36 Stunden ruht das Werk — eingeführt worden ist. (Diese Mitteilung verbreitete die offizielle Rosta-Agentur laut Angabe der "Pravda", des offiziellen Bolschewikiorgans vom 5. November 1921.)
2.) Es ist wichtig, hier zu beachten, daß Tolstoi in diesem Kapitel sich gegen den autoritären Staatssozialismus wendet, wie er theoretisch von der Sozialdemokratie im Marxismus vertreten wird und im Bolschewismus seinen praktischen Ausdruck gefunden hat. Bezüglich des letzteren darf man konstatieren, daß Tolstois Argumente vollinhaltlich ihre Bestätigung durch die russische Wirklichkeit des Bolschewismus erfahren haben. Dieser hat die Unmöglichkeit jedes Staatssozialismus bewiesen. Und nur, weil dieser die Freiheit nicht verwirklichen kann, das wüsteste Herrschaftsprinzip, eine Diktatur ist, gegen die sich jeder selbstbewußte Menschengeist auflehnen muß. (P. R.)
3.) Vielleicht liegt nicht darin die absolute Unmöglichkeit des Staatssozialismus. Sie besteht unseres Erachtens darin, daß die Aufrechterhaltung eines solchen Staates selbst bei größtem Fleiß der Gesellschaft so unendlich viel von deren Arbeitsprodukt unproduktiv verschlingt, daß die staatssozialistische Gesellschaft immer in Armut bleiben muß, nie zu Wohlstand gelangen kann, dabei die Ausbeutung des Arbeitenden durch den Staat immerzu steigern muß. (P. R.)
4.) In der Tat hat ja der russische Bolschewismus den Arbeitszwang für die Arbeiter eingeführt. Logischer weise, denn Staatssozialismus ist nicht Freiheit, sondern Knechtung.(P. R.)
5.) Zu deutsch: "Die Gerechtigkeit nehme ihren Lauf und sollte die Welt darüber zu Grunde gehen!"
6.) Es hat sich in dieser Beziehung im bolschewistischen Staatskapitalismus im Wesen der Sache nichts geändert. So beträgt z.B. das Budget Sowjetrußlands für die ersten neun Monate 1922 in Millionen Goldrubeln: Allrussisches Exekutiv-Komitee und Sowjet der Volkskommissare 6,5 (0,3 Proz.), Volkskommissariat für Inneres 60 (3,0 Proz.), Volkskommissariat für Nationalitäten 1,4, Finanzkommissariat 40 (2,1 Proz.), Justizkommissariat 23,2 (1,2 Proz.), Außenkommissariat 2 (0,1 Proz.), Bildungskommisssariat 123 (6,5 Proz.), Verkehrskommissariat 278 (14,6 Proz.), Oberster Sowjet der Volkswirtschaft 154 (8,1 Proz.), Landwirtschaftskommissariat 52 (2,7 Proz.), Kriegskommisssariat 556 (29,3 Proz.), Marinekommissariat 72 (3,8 Proz.), Arbeiter- und Bauerninspektion 2,5 (0,1 Proz.), Arbeitskomitee 3,8 (0,2 Proz.), Gesundheitskommissariat 118 (6,2 Proz.), Kommissariat für Soziale Fürsorge 48,8 (2,5 Proz.), Statistische Zentralverwaltung 4,8 (0,2 Prozent), Verpflegungskommissariat 140 (7,4 Proz.), Außenhandelskommissariat 142 (7,5 Proz.), Kommisssariat für Post- und Telegraphenwesen 26 (1,4 Proz.), Dotationsfonds 14 (0,7 Proz.) und Reservefonds des Sowjets der Volkskommissare 12 (0,6 Proz.). (P. R.)
7.) Heute muß man sagen: und bolschewistisch-marxistischen Sowjetdiktatur. (P. -R.)
8.) Gemeint ist der ehrlose Massenmörder-Exkaiser Wilhelm Hohenzollern, ein Mitbrandstifter des Weltkrieges 1914-1918. (P. R.)
9.) Gestorben im September 1916, eine der hellsten Geistesleuchten der Menschheit, Begründer der gnostisch-wissenschaftlichen Richtung im Anarchismus, die eine Vereinigung der Ideen Tolstois und Nietzsches anstrebt, fundiert auf neuer Geisteserkenntnis. (P. R.)
Originaltext: Leo Tolstoi: Die Sklaverei unserer Zeit. Verlag Klaus Guhl, Berlin. O.J. [1979/80]. Reprint der Originalausgabe aus dem Verlag "Erkenntnis und Befreiung", Wien-Klosterneuburg 1921. Gescannt und bearbeitet (giebt zu gibt, UE zu Ü usw., Nummerierung der Überschriften und der Fußnoten) von www.anarchismus.at