Erich Mühsam - Sacco und Vanzetti (1927)

Hierzulande heißen die Richter Jürgens, Niedner oder Vogt, in den U.S.A. erfreuen sich die Arbeiter ihrer Verwandten, die etwa auf den Namen Thayer hören. Herrn Thayer dürstet es nach Blut - vielmehr, da man im modernen Amerika nicht mehr wie bei uns die Köpfe abhackt, wenn darin unbeliebte Lebensauffassungen gären, nach Elektrizität.

Sieben Jahre sitzen die beiden anarchistischen Arbeiter Sacco und Vanzetti jetzt im Gefängnis, wegen Raubmordes zum Tode verurteilt. Sieben Jahre lang warten sie von Tag zu Tag auf die Aufhebung oder die Vollstreckung des Urteils. Sieben Jahre hindurch werden Beweise über Beweise zusammen getragen, die jede Möglichkeit längst zerstört haben, als ob die beiden Streikführer mit dem ihnen zur Last gelegten Raubmord das geringste hätten zu schaffen haben können. Der Mann, der den Mord tatsächlich begangen hat, ist ermittelt und hat die Tat zugegeben. Tut nichts: Herr Thayer hat das Todesurteil in dieses Mal letzter Instanz endgültig bestätigt, und jeder neue Morgen läßt uns zweifeln, ob unsre Genossen Sacco und Vanzetti noch am Leben sind.

Im November werden es 40 Jahre sein, seit man die Genossen Parsons, Spieß, Schwab, Fischer und Singg auf den Galgen zog; die dieses Urteil gefällt hatten und vollstrecken ließen, wußten genau so gut, daß jene anarchistischen Streikführer mit dem Bombenwurf am Chikagoer Haymarkt nichts zu tun hatten, wie Herr Thayer heute weiß, daß Sacco und Vanzetti für ein Verbrechen büßen sollen, das sie nicht begangen haben. Macht aber die zuständige Stelle von ihrem Begnadigungsrecht keinen Gebrauch, so wird man es später ebenso machen, wie vor 40 Jahren in Chikago: man wird bedauernd feststellen, daß sich die Unschuld der Hingerichteten leider nachträglich doch noch erwiesen habe, und daß das Mittel, Tote wieder zum Leben zu erwecken, leider noch nicht gefunden ist.

Aber die Aguren werden grinsen, weil die irrtümlich als Raubmörder erledigten Anarchisten künftig keine Streiks mehr organisieren werden, wie das auch die Opfer von Chikago nach ihrem Tode unterlassen haben. Der Vertreter des Landes der Edlen und Freien in Berlin, der Botschafter Schurmann hat es abgelehnt, eine Deputation des Friedenskartells, nämlich die Pazifisten Ludwig Quidde, Helmut v. Gerlach und Helene Stöcker zu empfangen, die ihm vortragen sollten, daß die Hinrichtung von Sacco und Vanzetti von jedem anständigen Menschen als verruchter Justizmord angesehen würde. Herr Schurmann zeigt sich mit Herrn Thayer solidarisch; zeigen wir uns solidarisch mit Sacco und Vanzetti!

Aus: Fanal, 1. Jahrgang, Nr. 8, Mai 1927. Digitalisiert von www.anarchismus.at anhand eines PDF der Anarchistischen Bibliothek und Archiv Wien


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