Kurze Notizen vom Kongress Deutscher Anarchisten (1910)

Heute sind die rußigen Vorstadtstrassen fast unbelebt und die Fabrikviertel Halles sind wie verlassen. In Scharen sind die Menschen hinuntergewandert ins Saaletal und ihre Gesichter strahlen helle Freude wieder. Die Kinder jauchzen und jubeln und die Erwachsenen selbst möchten sich wie Kinder gebärden. Die plätschernden Wellen der Saale murmeln ein Weihelied zum ersten Pfingstentag. Fast möchte man glauben, die neue Zeit sei hereingekommen und alles sei Sonnenglück und Freiheit und Liebe. Als ob Pfingsten geworden sei, so sehen die Menschen aus, so ist mir zu Mute. Schon will ich gläubig annehmen, alles Gemeine und Niedrige sei aus der Welt verschwunden, als ich gewahre, dass ein Schatten sich zu dem meinen gesellt hat und ihm beharrlich folgt.

Der Schatten muss einen Eigentümer haben; ein Mann hält sich hinter mir, den ich gleich als einen von denen erkenne, die wirklich nicht die besten Menschen sind. Einer von denen, die man als Verräter nicht erkennt, weil sie als Fremder oder Freund uns nahen, und deren Seele verkäuflich ist. Einer von den Männern, deren Schatten überall da hinfallen, wo Menschen beginnen, eine neue Kultur vorzubereiten, deren Schatten gar oftmals bewirken, dass ein seliger Träumer aufgeschreckt, der Wirklichkeit und dem Kampf übergeben wird. Und so geschieht es mir: ganz plötzlich fällt mir ein, dass ich nicht nach Halle gekommen bin, um Frühlingswunder zu besingen, sondern um an der Konferenz der deutschen Anarchisten teilzunehmen, die hier in Halle stattfindet.

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In der alten Moritzburg sitzen wohl fünfzig Männer zusammen, die von der Welt halb furchtsam, halb verächtlich-bewundernd Anarchisten genannt werden und die mehr um ihres Namens als um ihrer Handlungen willen Kämpfe und Verfolgungen erdulden müssen. Sie sind aus allen Gauen Deutschlands zusammengekommen, um Heerschau zu halten und über ihre gemeinsamen Dinge zu beraten und zu beschliessen. Der Gesamteindruck, den ich gewinne, ist etwa der, den eine Berliner Anarchistenversammlung auf mich gemacht hat, und das ist nicht gerade ein solcher, dass ich sagen könnte dass er hebend und fördernd auf mich wirken könnte. Dass mir alles so nackt und nüchtern erscheint, wird gewiss darum sein, weil unter den Menschen, die zusammengekommen sind, eigentlich keine innige Verbindung besteht, weil die Menschen keine Herzlichkeit, keinen warmen Händedruck, kein liebes Wort für einander hatten, als sie sich trafen. Weit mehr beherrscht eine gespannte, böse, feindliche Stimmung den ganzen Kongress.

Es sieht nicht aus, als ob hoffnungsfrohe Kampfgenossen, oder auch Hoffnungslose, aber von der Notwendigkeit ihres Tuns Überzeugte zusammen sind, sondern viele solche, die ihre Sache weit weniger tief und heilig auffassen. Natürlich sind aber auch so manche tüchtige Menschen darunter, aber es sind ihrer so wenige, dass sie wie Lichtstrahlen in ein grosses Dunkel fallen.

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"Die ökonomische Sklaverei ist die Ursache aller Sklaverei." Diese Worte, die gross und auffällig zu lesen sind, können wohl als Leitmotiv der Konferenz gelten. Die meisten sind Vertreter des Lohn- und Klassenkampfes und der wirtschaftlichen Revolution, sind solche, die, wie Marxisten, das Leben rein materiell, rein ökonomisch auffassen und gar nicht wissen, dass man sie deshalb Anarchisten nennt, weil sie vom Geist, der in ihnen wohnt, stärker bewegt werden als die andern und dass sie aus diesem Grunde lebhafter und gestaltender in die Dinge und Verhältnisse eingreifen.

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Unter praktischer Arbeit auf Kongressen kann man vieles verstehen. Dem einen ist es die wichtigste Arbeit, Menschen zu erwecken und sie zu sammeln, in ihnen etwas Neues vorzubereiten; dazu bedarf es oft nur der Aussprache. Es wird ihm genügen, die Menschen zum Prüfen und Denken gebracht zu haben; er wird seine Art, sein Wesen zur Geltung bringen, seine Anschauung ausdrücken und es den andern überlassen, sich zu betätigen, gleichviel wie und wo. Dem andern scheint praktische Arbeit nur darin zu bestehen, dass er etwas 'Reales' — als ob das Obengenannte nicht das Realste wäre und alle Realitäten in sich bergen müsste — mit nach Hause bringt. Er will etwas Bindendes, etwas Festes, eine Form schaffen, die für ihn nun etwas Wirkliches ist. Er gleicht dem Fabrikschneider, der erst die Anzüge macht und dann die lebendigen Menschen sucht, die hineinpassen. Der erste ist einer, der es den Menschen selbst überlässt, sich den Anzug zu machen oder machen zu lassen, so wie sie ihn wünschen. So ist es der Sozialdemokraten und aller modernen Körperschaften positivste Arbeit, wenn sie irgend welche Bestimmungen, Systeme, irgend welche Formen schaffen können. Solche praktische Arbeit wird jetzt auch auf anarchistischen Konferenzen verrichtet.

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Und draussen lacht die Sonne, und ich möchte lieber drunten im Saaletal sein und mich des Frühlings freuen; denn hierzubleiben, kostet einige Überwindung. Nicht dass mich die Konferenz nicht interessierte. O doch, ich fühle mich nicht nur als Gast und Zuhörer, sondern als einer, der mitberaten will, wenn es ihm nötig scheint.

Ich will recht genau hören und lernen, nur denke ich so viel daran, dass eigentlich die Menschen drunten im Saaletal das bessere Teil erwählt haben: sie haben heute ihre Not und ihre Sorgen und ihre Sklavenketten verloren. Die armen Anarchisten aber, die hier sitzen, denken heute besonders viel daran, dass sie Unterdrückte sind, und dieses Bewusstsein drückt sie noch mehr herunter. Es verleiht ihnen zum mindesten keine Kraft, ihre Not erzeugt ihren Hass und ihr Hass macht sie blind. Sie hassen die Menschen, die die Herrschaft ausüben und wollen nicht wissen, dass des Übels Ursache viel tiefer, im Gefühl und im Bewusstsein der Einzelnen liegt und dass es nur gelten kann, den heutigen Ungeist zum Geist, die heutige Unkultur zur Kultur zu führen. Sie sind etwas kurz daran, die blindwütenden Klassenkampfer, sie wollen nichts davon hören, wenn man ihnen sagt, dass die Arbeiter im Kapitaiismüs nicht besser sind als die Unternehmer, dass sie genau dieselben Egoisten und Rücksichtslose sind. Es ist viel Verfahrenheit und Unduldsamkeit in ihnen. Ein Redner wandte auf viele, die in der "Fr. Ver. d. Gewerkschaften" organisiert sind, das Wort an: man brauche bei diesen Revolutionären und Syndikalisten nur mit dem Nagel zu kratzen, gleich schaue der alte Sozialdemokrat durch die neue Haut. Ohne Zweifel hat er Recht, aber auf einen übergrossen Teil der Anarchisten könnte man dasselbe anwenden.

Das soll nicht ein Vorwurf sein; ich weiss, dass ich auch so manches liebe Mal in einen alten Fehler verfalle, und wenn nur der ehrliche Wille da ist, besser zu werden, dann ist es schon gut; aber der muss natürlich da sein. Ist er nicht da, dann bleibt jede Sache im Äusseren, es wird nicht Herzenssache und Lebensnotwendigkeit genug, und das ist immer schlimm und der Anfang vom Ende. Und nun — man steinige mich oder gebe mir recht — sei es gesagt: die deutschen Anarchisten stecken viel im Äusserlichen, ob sie es wissen oder nicht. Mir hat es die Konferenz wieder deutlich genug bewiesen. So wurde um die unbedeutendsten Dinge viel debattiert, im Verhältnis gewiss mehr als um das, was das Wesen einer anarchistischen Zusammenkunft ausmachen sollte.

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Ausführlich berichten könnte ich wirklich nicht über alle Dinge die zur Verhandlung standen, und vielleicht will es gar niemand hören. Ganz kurz sei erwähnt: die anarchistische Föderation Deutschlands hatte einen Geldumlauf von etwa 200 Mark; für fünfzig Mark (es ist kein Druckfehler) wurde Agitation gemacht. Und die Beschwerdekommission, die in Halle ihren Sitz hatte, berichtet, dass keine Beschwerde bei ihr eingelaufen sei. Berichte über die Presse werden gegeben; natürlich wird der "Sozialist" von keinem erwähnt. Hat man doch allzuoft beteuert, dass er mit dem Anarchismus herzlich wenig zu tun habe und. Wenn einer — auch hier — vom "Sozialist" spricht, dann geschieht es in der Weise, dass man von Schönrednern, Harmonieduslern, Literaten erzählt.

Über Agitation werden einige Anregungen gemacht, die — ob beschlossen oder nicht — nur durchgeführt werden können, wenn die Menschen sie durchführen wollen; immerhin sind solche Anregungen immer noch etwas vom besten; sie eröffnen den Teilnehmern an der Konferenz so manchen neuen Weg.

Am zweiten Pfingsttag — ich kann es nicht fertig bringen, den ganzen herrlichen Morgen im Kongresslokal zu sitzen — erstatten Lange und Landauer Bericht über die leidige Spitzelaffäre. Die Hallenser Polizei bereitete in ihrem Übereifer den Anarchisten eine Schlacht, aus der sie als die besiegte Siegerin hervorging. Sie wollte eine geschlossene Sitzung überraschen; die Versammelten zogen es vor, ihre Sache unter sich auszumachen, in der richtigen Erkenntnis, dass jungen Leutnants, die alte Polizistensitten nach Vorschrift angenommen haben, das rechte Verständnis für unsere Sache fehlen wird.

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Das Organisationsstatut. Der Vorsitzende, Rudolf Lange, der voriges Jahr in Leipzig seine 21 Paragraphen einbrachte und heimbrachte, hält zur Organisationsfrage einen längeren Vortrag, der an vielen Stellen wirklich gut ist und auch tatsächlich zu seinem wiederum eingebrachten Statut in offenem Wiederspruch steht.

Vor einem Jahr, als nach der Leipziger Konferenz überall die Stimmen der Opposition laut wurden und spottend und höhnend dieses Statut von Paragraphen zerpflückten (siehe "Sozialist", 1. Jahrgang No. 10), glaubte man, es sei den deutschen Anarchisten für lange Zeit hinaus ernst damit, sich solcher Bestimmungen und Einrichtungen zu erwehren. Lange, der damals heftig genug angegriffen war und sich fast ein Jahr ruhig verhielt, während seine 21 Paragraphen, wie ihn selber verhöhnend, auf dem Papier standen, tritt nun beharrlich für sein Statut ein, das er auf 15 Paragraphen reduziert hat und siehe da — es wird angenommen.

Allerdings stimmten nur die Anarchisten, die der Föderation angehören, das ist über die Hälfte aller Anwesenden. Sie passen in den Anzug, den ihr Schneider ihnen zugeschnitten hat; ob nicht bald die Nähte platzen oder ob er zu weit ist und schlotternd herunterhängt, ist eine andere Frage.

Gegen Vereinbarungen, die sich Menschen freiwillig auferlegen, um irgend etwas durchzuführen, haben wir nichts, für Statuten aber, die ein vor- und rückwirkendes Bestimmungsrecht über Einzelne und Viele haben, die allerlei Instanzen und Kommissionen vorsehen, die in Wirksamkeit treten sollen, die selbst Urteilssprüche fällen können, für ein solches Statut habe ich natürlich nichts. Ich kann natürlich auch nichts dagegen haben, wenn die der Föderation Angeschlossenen dieses Statut wollen, ich brauche ja nicht mitzutun. Der demokratische Anarchismus wird schon Leute gewinnen; die Organisationsform fehlte lange, wo die Möchtegerne, die Halben, die nicht gerne mit ihrem ganzen Menschen für eine Sache eintreten, von Beauftragten für sich tun lassen können; und sogar in bestimmten Fallen selbst noch die Hand erheben können, wenn ihr anarchistischer Führer auf die Bahn ruft, um einen Beschluss herbeizuführen, der der anarchistisch-demokratischen Arbeiterpartei zum Segen gereichen soll.

O, es werden im kommenden Jahr mehr als fünfzig Mark für Agitationszwecke ausgegeben, es werden mehr Gelder einkommen, es werden Versammlungen stattfinden, in denen man Mitglieder werben wird; die Rauhbeinigen, die nicht gut in den Paragraphenanzug passen, werden schon ausgeschieden, wenn sie gegen die Grundsätze der anarchistisch-demokratischen Arbeiterpartei Verstössen. Wie naiv war es von dem Kameraden geredet, der auch für das Statut gestimmt hat, in der Schlussversammlung geredet, als er sagte, man brauchte sich ja um das Statut nicht zu kümmern, wenn man nicht wolle, deswegen könne man doch der Föderation angehören. Denn wozu hat man es dann gemacht?

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Dass die Schaffung eines Statuts, die Festlegung einer bestimmten Taktik nicht blos ein Unterhaltungsspiel für Erwachsene ist, kann man gleich nach der Annahme des Organisationsstatuts sehen. Der Berliner Anarchist Cahn will den Sozialistischen Bund nicht bei sich haben. Das muss man ihm verzeihen, man muss nicht immer gleich böse sein, wenn die Menschen etwas zerfahren werden und in ihrer Einseitigkeit am liebsten andern das Lebenslicht ausblasen möchten. Man muss ihm verzeihen, dass er vor seinem Referat folgende in wissenschaftlichem Deutsch geschriebene Resolution verbreitete:

"In Erwägung der Tatsache, dass gemäss dem Prinzip der alten Internationale "die Befreiung der Arbeiterklasse zunächst nur das Werk der Arbeiter selbst sein kann," in fernerer Erwägung, dass die Herbeiführung des kommunistischen Anarchismus die Beseitigung des Staates, und in Verbindung damit einen revolutionär geführten Klassenkampf mit sich bringt, in schliesslicher Erwähnung, dass Siedlungen, weit entfernt, uns aus dem Kapitalismus herauszuführen zum Sozialismus — in ihrer Wirkung sogar auf eine Befestigung des gegenwärtigen Wirtschaftssystemes hinauslaufen — erklären die am 16. Mai 1910 auf dem Kongress in Halle versammelten Genossen die Bestrebungen des "Sozialistischen Bundes" mit dem auf Propagierung revolutionär anarchistischer Arbeiterpolitik hinauslaufenden Ziel der Anarchistischen Bewegung Deutschlands für unvereinbar." Berthold Cahn

Man darf nun Cahn aber auch nicht böse sein, wenn man sein Referat über den "S.B." gehört hat. Wenn er auch vielleicht niemals den Sozialismus begreifen kann, wie ihn der S.B. will, so muss man doch zugeben, dass es ein überaus fleissiger, eifriger Schüler ist, der so gerne im Vergrabenen wie im Neuen wühlt und herauslernt. Dass er dabei das Mögliche ans Unmögliche, das Unsinnige ans Selbstverständliche reimt, dass ihm der Einklang seiner erlernten Lehren mit dem Leben und der Überblick über die Dinge, die ihn umgeben, fehlt, das ändert an seinem Fleiss gar nichts. Dass er unzufrieden ist, dass er ein Wütender, ein Klassenkämpfer ist, dass er leidet unter den Banden der Herrschaft und all seinen Hass gegen diese richtet, das ist begreiflich, ebenso begreiflich, wie es ungerechtfertigt ist, dass er alles was er tut, — er, der sich selber Marxist nennt — anarchistisch nennt. Vor allem dürfte er duldsamer gegen den S.B. sein und dürfte nicht, was für eine Föderation demokratischer Anarchisten selbstverständlich ist, auf die gesamten Anarchisten Deutschlands ausdehnen.

In seinem Vortrag vertritt er den Standpunkt der proletarischen Taktik. Gegen den S.B. zieht er zu Felde, wie Sozialdemokraten gegen Anarchisten zu Felde ziehen; er stellt den S.B. so hin, als ob derselbe nur zur Gründung von Siedlungen und deren Vorbereitung da sei, und die Menschen, die ihm angehörten, allen Kampf fürchteten und nur noch für Ackerbau und Kuhmist schwärmten. Er wütet und wettert, und ist plötzlich still, wie der Himmel nach dem Gewitter. —

Korreferent zum Vortrag ist Kamerad Landauer. In einstündiger Rede kommt er nicht auf die Wege des S.B. zu sprechen; in überaus spöttischer, aber berechtigter und wohltuender Art erzählte er von seinen Erlebnissen in der anarchistischen Bewegung. Er kommt dann auf die Unduldsamkeit zu sprechen, und erzählt von den verschiedenen Richtungen, vom revolutionären, vom marxistischen, vom demokratischen Sozialismus und fragt dann den Referenten Cahn, ob er fertig bringen könne, festzustellen, welches der einzig richtige Sozialismus sei. Darauf geht er scharf mit den Zwangsgeistern jeder Richtung ins Gericht, so treffend und so spöttisch, dass es eine Lust ist, zuzuhören und dass der arme Referent ganz ausser Fassung kommt. Vollends gar als Landauer nach einer Stunde die Forderung stellt, über die Resolution abzustimmen, ehe er überhaupt zum Thema sprechen würde. Er sagt, dass es nicht angehe, die Anarchisten Deutschlands zusammen zu rufen und von ihnen zu sprechen, als müssten sie alle in das Gewand der Föderation passen, er sagt, dass in demselben Lokal abwechselnd zwei Konferenzen tagten, nämlich die, in der die Föderation allein beschlussfähig sei, wie beim Beraten des Statuts, und die, in der alle Anwesenden Sitz und Stimme haben. Er und seine Freunde seien zur Konferenz der gesamten Anarchisten gekommen, auf der Konferenz der Föderation hätte er nichts zu suchen. Die Genossen sollen entscheiden, ob es anarchistisch sei, zu beschliessen, dieser Weg sei anarchistisch und jener nicht. Es wird abgestimmt. Die Resolution Cahn's fällt mit Stimmengleichheit, 16 gegen 16. Vorher sprach Lange in geschickterer Art Ähnliches wie Cahn. Zwischen den Richtungen vermittelnd, aber feurig und gegen die Resolution Cahn spricht Stelzer-Dresden.

Nach ihm spricht Landauer zum Thema. Da es mittlerweile sehr spät war, konnte er leider auf vieles nicht eingehen, was, um den "S.B." recht aufzufassen, wohl nötig gewesen wäre. Er kritisiert die einzelnen Kampfmittel der revolutionären Anarchisten und stellt ihnen die Wege des S.B. gegenüber. Das ganze Referat wiederzugeben, wäre vielleicht mehr wert, als manches andere, aber mir ist es hauptsächlich darum zu tun, kurze Bilder vom Kongress zu geben. Mir tut es wohl, Landauer sprechen zu hören, und obwohl ich weiss, dass die meisten nichts annehmen werden, so ist es doch bitter not, ihnen die Wahrheit zu sagen; vielleicht hilft sie einzelnen Kameraden — und es sind auch tüchtige und rechte Menschen da.

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Am dritten Tag wird noch über Verschiedenes diskutiert; Lange spricht zur Wahlrechtsfrage: eine Resolution dazu nimmt man an. Zur Frage des Syndikalismus wird auch noch Stellung genommen und hart mit den Lokalisten verfahren. Der ungekrönte Papst von Köln ist untröstlich darüber, dass für diese wichtige Frage so wenig Zeit ist, da der "Landauerkram" so viel Zeit fortgenommen hat. Danach scheint also die Rede Landauers viel gewirkt zu haben.

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Die meisten Teilnehmer sind abgereist; der Kongress ist vorbei. Ein herzlicher Verkehr der Menschen fand kaum statt; wie sie gekommen waren, gehen die meisten. Nur einige Freundesgrüppchen aus gleichen Orten sitzen zusammen. Abends findet noch eine öffentliche Versammlung statt, die gut besucht war, in der Cahn referierte, und unsere Ideen durch den Kameraden Flierl vertreten wurden. Die Versammlung war anregend und dauerte recht lange.

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Damit war die Konferenz zu Ende; und wenn ich jetzt nicht von einem "Markstein in der anarchistischen Bewegung" rede, so verzeihe man es mir.

fl.

Aus: "Der Sozialist. Organ des Sozialistischen Bundes", 2. Jahrgang, Nr. 11, 1.6.1910. Digitalisiert von der Anarchistischen Bibliothek und Archiv Wien. Nachbearbeitet (Scanungenauigkeiten entfernt, ae zu ä, That zu Tat, russig zu rußig usw.) von www.anarchismus.at.


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