Die Party des Stärkeren
Endlich mal wieder eine richtig nette Party: Ausgelassene Stimmung, Alkohol fließt in Strömen und draußen wird es langsam hell. An der Bar wird Tanja von einem Typen angequatscht, die beiden kennen sich bisher nur vom sehen. Es soll auch so bleiben: er nervt. Sie dreht sich weg. Er checkt‘s nicht. Schließlich steht sie auf, geht woanders hin. Er kommt kurz später hinterher, die Szene wiederholt sich.
Später tanzt Tanja ausgelassen auf der überfüllten Tanzfläche. Plötzlich spürt sie eine unangenehme Berührung. Sie öffnet die Augen. Da ist zwar ein komischer Typ, aber es ist eng und er scheint nichts bemerkt zu haben. War wohl keine Absicht. Sie tanzt weiter. Diesmal spürt sie deutlich eine Hand an ihrem Hintern. Jetzt reicht es ihr. Sie stellt den Typen zur Rede. Er schaut sie überrascht an und fragt, was ihr Problem sei. Eine der umstehenden Personen mischt sich ein und findet, dass Tanja sich mal nicht so aufregen solle. Es sei ja schließlich eine Party und man sei doch hier um Spaß zu haben.
Ja, genau, Spaß. Der ist ihr jetzt vergangen, sie geht nach Hause und ärgert sich den Rest des Abends darüber, dass der Typ von vorher weiterhin auf der Party Spaß hat und vielleicht noch anderen Menschen die Lust auf Party verdirbt.
Dem Typen sind ihre Wünsche und Gefühle herzlich egal. Ohne Rücksicht darauf, ob sie vollgelabert oder angebrabscht werden möchte, nimmt er sich das Recht dazu und kommt damit durch. Wie kann das sein? In der Folge dieser Grenzüberschreitung wird Tanja aus einem Raum verdrängt, in dem sie sich unter anderen Umständen gerne aufhalten würde.
Die meisten von euch werden solche oder vergleichbare Szenen schon erlebt oder beobachtet haben. Und zwar so gut wie immer in dieser Geschlechterverteilung. Zufall? Wohl kaum.
Grenzüberschreitungen erscheinen zwar erst einmal als individuelle Angelegenheiten. Aber spätestens nach einer rudimentären Auseinandersetzung mit Sexismus, werden die strukturellen Aspekte klar. Erst im größeren Kontext einer Herrschaftsstruktur wird verständlich, warum Grenzüberschreitungen meist nur in die eine Richtung funktionieren. Versuche sie zu unterbinden, müssen daher auch eine gesellschaftliche Analyse mit einbeziehen.
Geteilte Räume
Wir alle bewegen uns ständig in gemeinsam genutzten Räumen. In Seminaren, auf Partys, in emanzipatorischen Projekten. So unterschiedlich die Ansprüche an diese Räume sind, die Gemeinsamkeit ist, dass gesellschaftliche Herrschaftsstrukturen, wie eben Sexismus oder Heterosexismus, nicht vor ihnen Halt machen – unabhängig davon, ob der jeweilige Raum als „offen und emanzipatorisch“ oder als Party deklariert ist. Grenzüberschreitungen wie im Eingangsbeispiel werden durch diese Herrschaftsstrukturen erst möglich.
Es sind eben nie weiße gesunde heterosexuelle Männer, die Grenzüberschreitungen erleiden. In der Folge sind es immer die jeweils anderen, die beständig die Erfahrung machen aus Räumen verdrängt zu werden und diese dann eventuell von vorne herein meiden.
Ein wichtiger Aspekt gesellschaftlicher Herrschaftsstrukturen ist es, dass sie erst einmal (zumindest aus der dominierenden Position) unsichtbar sind. Werden nun demzufolge Grenzüberschreitungen als individuelle Streitigkeiten thematisiert und also die sexistische Dimension verschleiert, ist der dahinter stehende Sexismus nicht mehr als solcher benennbar, also nicht angreifbar.
Wenn folglich eine vermeintlich neutrale Position, also ein De-thematisieren von Herrschaftsstrukturen, selbige stützt, kann der Wille sie anzugreifen nur bedeuten: Parteinahme für die strukturell unterdrückte Position. Vorausgesetzt ist dabei der Anspruch, dass sich alle Menschen an dem betreffenden Ort wohl fühlen können. Dies erfordert gemeinhin, dass die selbstbestimmten Grenzen der anwesenden Personen respektiert werden.
Um dies zu gewährleisten muss mehr passieren, als individuell korrekter Umgang. Es muss eine Atmosphäre geschaffen werden, in der das Wahren von Grenzen eine Selbstverständlichkeit ist, Grenzüberschreitungen dagegen nicht geduldet werden. So ist im Einzelfall allen klar wer der Störer ist, nämlich die Person, die die Grenzüberschreitung begeht und nicht die Person, die das thematisiert.
Aufeinander achten
Um nun Grenzen achten zu können, muss zuerst einmal eingesehen werden, dass Grenzen subjektiv sind. Daher kann ausschließlich eine betroffene Person feststellen, was eine Grenzverletzung darstellt. Denn was Personen als angenehm oder akzeptabel empfinden, unterscheidet sich bisweilen stark. Es kann also keine objektiven Kriterien dafür geben, wann dies der Fall ist. Soll nun der vorherrschende Umgang aufgebrochen werden, ist zuerst einmal folgendes anzuerkennen:
Stellt eine von Sexismus betroffene Person eine Grenzverletzung fest, dann hat eine Grenzverletzung stattgefunden. Weiterer Rechtfertigungszwang erübrigt sich damit. Denn wozu soll eine genaue Aufschlüsselung des Vorfalles gut sein, wenn es keine objektiven Kriterien geben kann? Entweder dient sie den Fragenden doch dazu den Vorfall mit Kriterien abzugleichen, die sie für legitim – also objektiv gültig – halten oder es ist bloß Neugierde bzw. Voyeurismus. Beides ist für die betroffene Person in der Regel mindestens unangenehm.
Die Frage kann also nur sein, wie mit der Grenzüberschreitung umgegangen werden soll. Am naheliegendsten ist es, auf Wünsche oder Forderungen der Betroffenen einzugehen. Wünscht sie beispielsweise, dass die Person, die die Grenzüberschreitung begangen hat, die Party verlässt, dann muss diese Person gehen. Im Hinblick auf eine angenehme Party für alle ist dies häufig sinnvoll, da die Anwesenheit der Person es im Weiteren erfordern würde aufzupassen und sich mit ihr zu beschäftigen.
Grenzüberschreitungen spielen sich aber nicht immer zwischen zwei Personen ab. Auch sexisische, homophobe oder andere derartige Äußerungen sind verletzend und ausschließend. Selbst wenn man nicht selbst Adressat_in solcher Äußerungen ist, sollte man also darauf reagieren und sei es nur, weil man sich sonst den Rest des Abends über die Person ärgert oder das Gefühl hat ein Auge auf sie haben zu müssen, damit nichts passiert. Auch in diesem Fall kann ein Rauswurf angebracht sein.
Im Idealfall haben sich die Menschen, die die Party organisieren (oder auch das Kneipenkollektiv etc.), vorher Gedanken darüber gemacht, stehen als parteiische Ansprechpartner_innen zur Verfügung und haben dies vorher bekannt gegeben.
Es ist wichtig dabei zu bedenken, dass es nicht um Bestrafung geht (diese würde ja auch objektive Kriterien erfordern, deren Möglichkeit hier angezweifelt wird). Es geht darum, dass niemand durch sexistisches, mackerhaftes, prolliges Verhalten verdrängt werden soll. Wird dieses an den Tag gelegt, ist es der betreffende Typ, der den Konsens über die Raumnutzung aufkündigt und das Wohlfühlen der anderen bedroht. Ein darauf Hinweisen und als letzte Konsequenz ein Rausschmiss kann nun den Konsens wieder herstellen. Daraus folgt aber weder automatisch Hausverbot noch lebenslange Ächtung.
Der Fokus liegt ausschließlich darauf einen Raum zu erhalten, in dem sich möglichst viele Menschen wohlfühlen können. Das letzte, was es dafür braucht, ist eine Fetenpolizei, die patrouilliert und darauf wartet endlich total antisexistisch jemanden rauswerfen zu können. (Das erzeugt eine ähnliche Zirkelschluss-Dynamik, wie die Anwesenheit von Großaufgeboten der Polizei auf Demonstrationen: Erstere muss die Sinnhaftigkeit ihrer Anwesenheit, Existenz und Kosten beweisen, also wird sie einen Anlass finden einzuschreiten. Der Polizeieinsatz beweist dann wiederum, dass die Anwesenheit der Polizei notwendig war.)
Entspannt feiern
Ziel der parteiischen Herangehensweise ist es, eine Atmosphäre zu schaffen in der Menschen aufeinander Rücksicht nehmen und die Sicherheit haben, dass es in Ordnung ist, Belästigungen zu thematisieren. Das Konzept funktioniert natürlich umso besser je mehr Menschen es mittragen. Insbesondere ist es hilfreich, wenn die Menschen, die gebeten werden zu gehen, das einsehen. Es mag aus der jeweils subjektiven Position ungerechtfertigt erscheinen. Eine Reflektion darüber, dass es dennoch sein kann, dass es aus der anderen Position gerechtfertigt ist, ist da sehr hilfreich. In der Praxis fordert aber häufig die Person, die rausgeworfen wird oder Freund_innen von ihr eine Diskussion ein. Auch diese kann sich nur auf objektive Kriterien beziehen wollen, mithin die Definition des Vorfalls durch die Betroffene als Grenzüberschreitung in Frage stellen. Um nun allen anderen weiterhin eine schöne Veranstaltung zu ermöglichen und nicht noch mehr Menschen zu zwingen sich mit dem Vorfall auseinander zu setzen, heißt die Devise: erst mal raus.
Findet sich draußen dann eine Person (z.B. aus der Partyorganisation), die die Muße hat mit der betreffenden Person zu reden, ist das sehr schön. Männer über Sexismus aufzuklären kann aber nicht Aufgabe der Orgacrew sein – das ist einfach nicht leistbar. Also muss der Rauswurf unabhängig von langen Erklärungen akzeptiert werden. In dieser Situation gibt es schlichtweg keine Lösung, die alle glücklich macht. Denn es steht die Frage im Raum, wer nicht mehr entspannt feiern kann. Der Typ ist dabei in der gesellschaftlichen Machtposition und vor allem war er es, der die Frage durch sein Verhalten aufgeworfen hat. Dabei ist Unwissenheit und die Tatsache sich bisher nicht mit der Thematik auseinandergesetzt zu haben keine Entschuldigung, eher ein Grund sich in der Zukunft mit Machstrukturen, eigenen Privilegien und zwischenmenschlichen Umgangsformen zu beschäftigen. Ein sensibler Umgang, sowie im Zweifelsfalle nachzufragen, haben sich als effektive Mittel herausgestellt Grenzüberschreitungen und somit eigene Rausschmisse zu verhindern.
Dennoch besteht angesichts des ungewohnten Machtverlustes auf männlicher Seite häufig ein Unbehagen in Form von Angst vor angeblich missbräuchlich angewandten Vorwürfen. In Räumen, die ein solches Konzept praktizieren, stellt sich aber schnell heraus, dass nicht alle zehn Minuten jemand vor die Türe gesetzt wird. Tanzen scheint weiterhin die beliebtere Tätigkeit zu bleiben. Im Gegenteil fragen sich Menschen, die sich von einer Person belästigt fühlen zumeist eher, ob sie es denn jetzt für sich gerechtfertigt finden, einen Rauswurf zu fordern. Oft führt das zu langem Nachdenken über die Situation und dazu, dass die Person im Auge behalten wird, bis eventuell noch etwas vorfällt. Auch hier nimmt die Person Raum ein und zwingt andere sich mit ihr zu beschäftigen. Deshalb und angesichts der Allgegenwärtigkeit von Verdrängung durch Herrschaftsstrukturen gilt: Lieber einmal zu viel rauswerfen als nie entspannt feiern.
Aus: Huch! Zeitung der studentischen Selbstverwaltung, Humboldt-Universität, collected highlights, No. 59 April 2009